Wochenschau (72)

8 Tipps, die ich für „Anne Will“ bekommen habe – und welche davon taugten

Ich war am Sonntag zu Gast bei Anne Will. Spoiler: Es war so schön und angenehm, dass ich meinen Enkel*innen davon berichten werde. Die Diskussion um die Lage in den USA und um den Rassismus in Deutschland war angeregt, erkenntnisfördernd und respektvoll. Schauen sie sich die Sendung gerne hier an, alleine wegen der klugen, analytischen Wortbeiträge der Autorin und Journalistin Alice Hasters.

Diese Einladung war meine erste in eine Talkshow dieser Größe, daher war ich aufgeregt wie die Verleger von J.K. Rowling, wenn sie Twitter öffnen.

Man hatte mir deswegen auch einen Haufen Ratschläge für den Auftritt an die Hand gegeben, die ich mit Ihnen teilen möchte, da ich jetzt noch besser weiß, dass einige davon Quatsch sind. Und ich gebe Ihnen Ratschläge, wie Sie es auch nicht machen sollten.

„Am Ende erinnern sich alle ohnehin nur an den Anfang und den Schluss!“

Ich hoffe für mich, dass der Tipp nicht stimmt. Denn nach der Abmoderation läuft die Kamera noch ein paar Sekunden weiter. Meistens sieht man dann die Gäste nochmals in einem Kameraflug, und die Namen aller Beteiligten werden eingeblendet. Der Gesprächs-Ton ist in der Regel nicht mehr zu hören, dafür die Abspannmusik. Aber: Man sieht Sie noch!

Vermeiden Sie bei der Verabschiedung also irgen,dwelche wilden Handbewegungen, wie zum Beispiel die Hände erratisch und erleichtert in die Luft zu reißen als wolle man den Satz „Hoch die Hände! Wochenende!“ performativ darbieten. Kommen Sie auch nicht auf die Idee, in euphorischer Erleichterung Ihrer Mitdiskutantin „Wir haben überlebt!“ rüber zu schreien – wie beispielsweise diese verhaltensauffällige Teilnehmerin hier:

„Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt!“

Manchmal scheint es wirklich egal, was man eigentlich sagt. Da kann man zum Beispiel in einer Sendung noch so sehr betonen, wie inakzeptabel die Verwendung des N-Wortes ist, wie symbolisch aggressiv und historisch aufgeladen – und was macht die „Bild“ in der ersten Version ihrer Nachberichterstattung daraus? Zitiert einen und schreibt dieses Wort aus. Drei Mal.

Screenshot: Bild.de

„Nutzen Sie Ihre Körpersprache!“

Die Dramaturgie und die Erzählung einer Talkshow ergeben sich aus dem Anordnen von Gesagtem und den Gesichtsausdrücken der Menschen, die gerade nichts sagen. Die Magie der Talkshowmontage.

Diese Erkenntnis klingt banal, aber trotz meines kommunikationswissenschaftlichen Studiums und meiner bisherigen Kameraerfahrungen konnte ich das nun tatsächlich auf eine neue Weise erfahren, als ich mir die Diskussion zu Hause aus der Zuschauerperspektive anschaute.

Während sich solch eine Gesprächssituation vor Ort in einem Studio zwischen grellem Licht und Kameras in einer bestimmten Atmosphäre und in einem Wechselspiel aus Gestik, Mimik und Körpersprache ereignet, die jeder Gast auf individuelle Weise wahrnimmt, wird die Diskussion in der Live-Mischung der Bilder durch Kameraeinstellungen, Großaufnahmen, Totalen, Schwenks, Schnitte und Gegen-Schnitte überhaupt erst geformt.

Die Sendung, das sind nicht einfach die aufgezeichneten Gespräche, das Gespräch entsteht für den Zuschauer überhaupt erst durch den Schnitt.

Diese Machart einer Fernsehsendung nehmen wir mehr oder weniger bewusst wahr, aber wir vergessen, wie sehr durch diese Mischung der Bilder Interpretationen entstehen. Schnitt, Gegenschnitt und unsere Interpretation dessen, was zwischen diesen beiden Bildern passiert, machen die ganze Arbeit.

Ein Gast spricht, vier andere haben Gesichtsausdrücke – in der Regel eine Variation von konzentriertem Zuhören, manchmal gepaart mit Zustimmung (Nicken) oder Ablehnung (Kopfschütteln, Augenverdrehen) – und durch die Vergrößerung als Closeup auf den heimischen Bildschirmen werden diese Gesichtsausdrücke zur Projektionsfläche für die eigenen Empfindungen. Daher wird der konzentrierte Blick beim Liveschauen oder in der Nachberichterstattung möglicherweise zu einem kritischen oder skeptischen, auf jeden Fall aber: zu einem kommentierenden Blick.

Ich konnte es ja selbst an mir beobachten: Während ich wusste, dass ich im Studio Röttgens Positionen in der Gesprächssituation einfach wertfrei zuhörend zur Kenntnis nahm, konnte ich mir später dabei zusehen, wie mein durch die Kamera nah ran geholter Gesichtsausdruck ihm optisch widersprach.

Durch Montage deuten wir eine Spannung, etwas ungreifbar Konfliktuelles, das in der Live-Gesprächssituation gar nicht so aufgeladen da gewesen und auch in den einzelnen Bildern gar nicht enthalten sein muss. Das bedeutet nicht, dass das Fernsehen das Geschehene nicht adäquat vermittelt, das Geschehen willentlich anders abbildet, aber die kontinuierlichen Bildausschnitte in verschiedenen Einstellungsgrößen entwickeln eine eigene Ästhetik, deren erzählerischen Antrieb ich als routinierter Zuschauer in meiner Medienrezeption gelegentlich vergesse.

In der Kürze könnte man diese mediale Dynamik vielleicht mit dem sogenannten „Kuleschow-Effekt“ erklären, wie er von den beiden Regisseuren François Truffaut und Alfred Hitchcock in ihrem berühmten Zwiegespräch für den Film erläutert wurde:

„[Kuleschow] zeigt eine Großaufnahme von Ivan Mosjoukine und läßt darauf die Einstellung von einem toten Baby folgen. In dem Gesicht Mosjoukines ist Mitleid zu lesen. Er nimmt die Einstellung des toten Babys weg und ersetzt sie durch ein Bild, das einen vollen Teller zeigt, und jetzt liest man aus derselben Großaufnahme Hunger.“

Was kann man also daraus lernen? Über die Montageeffekte und ihre Interpretationen haben Sie sowieso keine Kontrolle. Wundern Sie sich also nicht über die Diskrepanz zwischen der von ihnen live wahrgenommen Sendung und der abweichenden Wahrnehmung in der Nachberichterstattung, wenn zum Beispiel die „Bild“ schreibt, es handelte sich um einen „Wut-Talk“ (äh, nein), und verweisen Sie einfach nach der Sendung in einer Kolumne auf den Kuleschow-Effekt.

„Überwinden Sie Ihre Angst, indem Sie sich vorstellen, was das Schlimmste ist, das passieren könnte!“

Dieser Tipp hat genau gar nicht geholfen. Ich hatte enorme Kachelpanik: die Angst davor, dass ein trivialer oder nicht zu Ende gedachter Satz aus dem Wasserfall der Gedanken in lampenfiebriger Aufgeregtheit aus dem Mund sprudelt und dann als Sharepic online verewigt wird, das mich wie eine Grabinschrift über mein Lebensende hinaus begleitet.

Was ist zum Beispiel, wenn man im Rahmen einer Pandemie eine Aussage tätigt, die schon morgen obsolet ist? Was gar nicht mal so unwahrscheinlich ist. Oder wenn man Prognosen zum Wahlausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA macht, die sich dann als komplett falsch herausstellen? Sätze, die ohne das Davor und Danach eines Gesprächskontextes wie ein Monolith neben dem eigenen Porträtfoto nochmal eine ganze andere Unverrückbarkeit bekommen, die man selbst vielleicht gar nicht mal so empfindet. Sharepics sind mit digitaler Tinte gestochene Tattoos, die man sich im Studio gar nicht selbst aussuchen konnte.

Der Trick ist also, zu versuchen, bestenfalls das zu sagen, was man sich auch selbst tätowieren lassen würde.

„Nehmen Sie sich Zeit!“

Auf gar keinen Fall. Wenn man es runterbricht, dann hat man in einer einstündigen Diskussionsrunde etwa drei bis vier Redegelegenheiten.

Diese sollte man effektiv nutzen, indem man entweder substanzielle Inhalte auf den Punkt bringt – oder aber, so wie ich, einfach sehr schnell redet, in der Hoffnung, möglichst viel unterzubringen.

„Beweisen Sie Ausdauer!“

Sie wissen nicht was Geduld ist, wenn Sie nicht beobachten konnten, wie die Autorin Alice Haster noch eine Stunde nach der Sendung so zugewandt wie bestimmt Norbert Röttgen davon zu überzeugen versuchte, dass das Problem des systematischen Rassismus durchaus größer ist, als ihm klar zu sein scheint.

Funfact: Auf der Heimfahrt wurde mir von einem erfahrenen Produktionsbeobachter erklärt: Je länger die Gäste ihre Gespräche nach der Aufzeichnung fortführten, desto besser sei die Ausgabe gewesen. (Selbstverliebte Anmerkung: Wir waren noch ziemlich lange da.)

Daher: Strengen Sie sich an! Je besser das Gespräch, desto länger darf man sich danach noch bei Getränken mit den (bestenfalls inspirierenden) Gästen und dem herzlichen Produktionsteam unterhalten.

„Kommen Sie mit einer Agenda!“

Einige KommentatorInnen unterstellten mir noch Tage nach der Ausstrahlung in den sozialen Netzwerken, ich hätte in der Sendung lediglich die Agenda verfolgt, mein Buch zu promoten.

Ich war verwundert, denn: Ich habe kein zu bewerbendes Werk und es ist auch keines geplant. Das einzige Buch, dass ich in der Sendung erwähnt habe, war Trumps Requisiten-Bibel, welche er benutzte, um so zu tun, als könne er lesen. Dann ahnte ich, woher dieser Vorwurf stammen könnte: In ihrem Artikel über die Sendung schrieb die „Bild“ zur Beschreibung meiner Person folgendes:

„Samira El Ouassil (35). Die Autorin (‚Spiegel‘) sagte nach Trumps Wahl auf Twitter einen Gedichtband an: ‚Vom Weißkopfseeadler zum Truckercap – Elegien einer Orange‘.“

Hahaha. Diese Aussage geht auf einen (nicht ernstzunehmenden) Tweet aus dem Jahr 2017 zurück, in welchem ich Reden von Trump in Gedichtform setzte, ohne deren Wortlaut zu ändern, sondern nur Satzumbrüche hinzufügte. Das funktioniert mit dem Dada und Irrsinn, den er vokal produziert, erstaunlich gut.

Mit welcher Akribie die „Bild“-Redaktion diesen Tweet ausgebuddelt hat, der genau einen Like hat, wissen vermutlich nur die hausinternen Power-Investigatoren.

Daher Pro-Tipp: Hören Sie auf zu twittern und schreiben Sie schnell ein echtes Buch, die „Bild“ übernimmt da gerne Ihre Promoarbeit.

Und der vielleicht wichtigste Ratschlag:

„Das Wichtigste ist: Timing!“

Das stimmt. Gehen Sie auf die Toilette. BEVOR Sie verkabelt werden.

72 Kommentare

  1. Der Artikel bedient leider wieder die sprachmagische Vorstellung, dass man böse Wörter – bzw. das böse Wort – nicht zeigen dürfe, weil allein der Anblick der Buchstabenfolge die Leute böse machen könnte – auch wenn sich die versteckte Buchstabenfolge in jedermanns Kopf von alleine ergänzt. Ich schlage meinen Kopf auf die Tischplatte ob soviel Kinderei zu einem so ernsten Thema.

    (Und wenn Sie mir jetzt wieder schreiben, es sei typisch, dass einer wie ich das böse Wort unbedingt sagen dürfen wolle, Herr Niggemeier: Ich will es gar nicht sagen. Mich treibt nur die Mystifizierung zum Wahnsinn, die darum gebastelt wird.)

  2. @Kritischer Kritiker

    Ohne das inhaltlich gleichsetzen zu wollen, aber Ihre Ausfälle in dieser Richtung sind mittlerweile ebenso vorhersehbar wie die Auftritte von Müller & Co. Halten Sie es tatsächlich für notwendig, das bei jedem Artikel aufs Neue anmerken zu müssen?

    @Artikel

    Ich meine mich zu erinnern, dass Frau El Quassil meinte, es gebe drei Arten die Frage zu beantworten, ob es der Rassismus in Deutschland ähnlich systemisch sei wie in den USA, aber während der Ausführung der zweiten Art von Frau Will unterbrochen wurde, sodass ich noch im Laufe der Sendung immer wieder über die potenzielle dritte Art nachdachte. War anscheinend nicht schnell genug geredet!

  3. @KRITISCHER KRITIKER

    Was meinen Sie denn mit „der Anblick der Buchstabenfolge die Leute böse machen könnte”? Es befürchtet ja niemand, dass das N-Wort Nazis erzeugt oder so.
    Es ist allerdings Fakt, dass das N-Wort viele Menschen verletzt. Und es ist sehr einfach, das Wort nicht zu verwenden.

    Sind Sie Weiß? Dann können Sie die Frage, ob die Umschreibung N-Wort weniger verstörend wirkt als das ausgeschriebene Wort nicht beurteilen. Und nein, Sie können das auch nicht durch eine Analogie herleiten.

  4. Toller Artikel, danke für den „Blick“ hinter die Kulissen. Ich schmunzlierte beim letzten Absatz!

    @2: Dann lesen Sie doch Bild, da wurde es ja 3 Mal „demystifiziert“.

  5. @ Ritter der Nacht:

    Halten Sie es tatsächlich für notwendig, das bei jedem Artikel aufs Neue anmerken zu müssen?

    Ja. Nennen Sie es Idiosynkrasie.

    @ Iso:

    Sind Sie Weiß? Dann können Sie die Frage, ob die Umschreibung N-Wort weniger verstörend wirkt als das ausgeschriebene Wort nicht beurteilen.

    Diese Aussage halte ich für herabsetzend – nicht gegen Weiße, sondern gegen Schwarze. Sie werden darin implizit nicht als erwachsene Subjekte behandelt, die den Gebrauch eines Wortes z.B. in seinem Kontext verstehen und einordnen können, sondern als Reiz-Reaktions-Maschinen, die „verstört“ sind, sobald sie eine bestimmte Buchstabenfolge lesen.

    Wie gesagt: Ich bin nicht für den Gebrauch des Wortes zur Bezeichnung von irgendwem, sondern nur gegen dessen Mystifizierung. Der (schwarze) Literaturwissenschaftler Ijoma Mangold hat in der Zeit mal einen Text gegen die Verwendung des Wortes in Kinderbüchern veröffentlicht. Er hat es in dem Text aber selbst mehrfach ausgeschrieben (in Anführungszeichen).

    Offenbar kann man den Sprachgebrauch durchaus kritisieren, ohne in magisches Denken zu verfallen. Es ist wie bei „Du-weißt-schon-wer“ und „Voldemort“ – man bannt das Böse nicht, indem man es sprachlich verdrängt.

  6. @Kritischer Kritiker

    Fast niemand mystifiziert das Wort, es wird nur der Anstand gewahrt und versucht, das Wort aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu löschen, weil es Menschen verletzt.
    Es gibt ein paar Mystifizierer, die sich zum Beispiel immer wieder mit einem Vorwurf der „Sprachmagie“ hervor tun.
    Könnte man lassen…

  7. @6: Wenn Harry Potter Vergleich, dann vielleicht eher mit „Schlammblut“, Thema „Reinblütigkeit“. Dazu positioniert sich die Autorin m. E. recht eindeutig.

  8. @8:
    Naja, Harry Potter hat tatsächlich Musterbeispiele an für magisches Denken. Man nennt sein Kind R**** – Zack, wird es zum Werwolf. Man nennt sein Kind S**** – Zack, wird es zum Hundeanimagus. Man nennt sein Kind Merope – Zack, verliebt es sich in einen Normalo.
    Man sagt irgendwas auf Pseudolatein – Zack, passiert etwas.
    Harry traut sich jahrelang, V*** zu sagen, und plötzlich hat das magische Auswirkungen.

    „Schlammblut“ ist da schon eher die Ausnahme.

    Zum richtigen Leben: Es ist ein Unterschied, ob man die Verwendung des Wortes „Arschloch“ diskutiert oder jemanden „Arschloch“ nennt. Als Mensch mit Melaninmangelmutation verallgemeinere ich diese Erkenntnis auf alle Schimpfwörter.

  9. Hab ich eigentlich was verpasst und LLL heißt jetzt KRITISCHER KRITIKER ?

    Zum Thema: Interessant. Aber vermutlich liegt auch meine Anne Will Einladung noch ziemlich weit in der Zukunft. Dann werde ich mich aber gerne an die Ratschläge hier erinnern!

  10. @Mycroft
    Sie sollten sich wirklich mal bei „Anne Will“ bewerben. Ihre stets hocherhellenden und themenbezogenen Erkenntnisse sollten einer breiteren Öffentlichkeit als sie „Übermedien“ bei allem Respekt bieten kann unbedingt zugänglich gemacht werden.

  11. @9: „Mudblood“ reimt sich so schön, low hanging fruits für Zauberer-Speziezisten.
    Das Prinzip der Reinblütigkeit hat es sogar in den Titel des 6. Bandes geschafft, ist jetzt nicht so abwegig.
    Aber ja, ein Kinder-Fantasybuch ist vielleicht jetzt nicht die beste Referenz für solche durchaus realen Diskussionen.

  12. @12:
    Es gibt eine Menge Menschen, die diese Bücher sehr geholfen haben.

    Allerdings findet mein innerer Advocatus Diavoli, dass es jetzt vllt. schon etwas unglücklich ist, dass die einzige ambivalente Hauptperson eine ambivalente Herkunft hat. Und die andere Hauptperson mit ambivalenter Herkunft ist der Oberschurke.

  13. @KRITISCHER KRITIKER Die Forderung, das N-Wort nicht auszusprechen oder auszuschreiben, stammt ja von Menschen, die sich durch das Wort selbst (egal in welchem Zusammenhang genutzt) verletzt fühlen. Das anzuerkennen bedeutet diese Menschen ernst zu nehmen und eben gerade nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden, was zumutbar ist und was nicht.

    Der Vergleich mit Harry Potter ist albern. Denn das ist nun wirklich ein fiktionales Kinderbuch.
    Außerdem ist die Analogie völlig unzutreffend: Voldemort ist ein neutraler Name und wird nicht genannt von Leuten, die ihn fürchten. Das Nicht-Ausspechen verleiht in diesem Zusammenhang tatsächlich Macht.
    Das N-Wort ist kein neutrales sondern ein aus sich selbst heraus beleidigend wirkendes Wort. Das Aussprechen selbst hat hier eben doch eine Wirkung. Sie können das vermutlich nicht fühlen, weil sie weiß sind. Es ist aber eine Frage des Respekts verletzte Gefühle anderer anzuerkennen und nicht alles an der eigenen Gefühlswelt zu messen.

  14. Ich halte es nicht für zutreffend, davon auszugehen, das N-Wort würde nur bei Schwarzen Menschen eine Wirkung erzielen – wenn ich es als weiße Person ausspreche, bewirkt das Wort bei mir selbst doch auch eine emotionale und kognitive Reaktion. Natürlich anders, da ich dadurch nicht rassistisch verletzt werde (ich will die Wirkungen keinesfalls gleichsetzen), aber ich weiß doch ganz genau, dass dieses Wort eine bestimmte Wirkung hat und es kommt mir daher nicht leicht über die Lippen. Es fühlt sich falsch an, das Wort zu nutzen, also nutze ich es nicht. Ich weiß, dass es verletzend ist, also nutze ich es nicht. Gilt ja z.B. für abwertende Bezeichnungen von nicht-heterosexuellen Menschen in ganz ähnlicher Weise.

    Es scheint aber auch die Wirkung zu geben, dass man es als weiße Person gerade deshalb nutzen will, weil es so aufregend verboten ist, man sich rebellisch fühlen kann oder besonders rational, da es ja eigentlich bloß eine zufällige Abfolge von Lauten ist…

  15. @Kritischer Kritiker: Eigentlich schätze ich Ihre Beiträge hier ja sehr, aber im Moment lassen sie mich nur kopfschüttelnd zurück. Hatten Sie nicht neulich noch gemeint, auch Menschen, die persönlich nicht von Rassismus betroffen sind, könnten dank Empathie die Situation rassistisch diskriminierter Menschen nachvollziehen? Und nun zeigen Sie nicht einmal genügend Empathie, um nachvollziehen zu können, dass die Verwendung des N-Wortes (und auch ein Zitat ist eine Verwendung, vertrackte Sache, das) auf sehr viele Schwarze beleidigend und verletzend wirkt?

    Und auch rein sachlich verstehen Sie offenbar nicht, dass die Tabuisierung und Nicht-Ausschreibung des Wortes zu dessen Entnormalisierung beiträgt, bzw. umgekehrt die Verwendung zu einer Normalisierung. Mit Magie oder Mystifizierung hat das rein gar nichts zu tun.

    Ich kann Ihnen übrigens versichern, dass ich persönlich die Verwendung gewisser beleidigender Ausdrücke für Schwule oder Homosexualität, insbesondere wenn es durch Heterosexuelle erfolgt, als mindestens störend und gelegentlich auch verletzend empfinde. Ich bin darum froh, wenn ich sie nicht hören oder lesen muss – auch nicht als Zitat, in kritischer oder ironischer Verwendung oder was weiß ich.* Und wenn Sie mich deshalb als kindisch oder „Reiz-Reaktions-Maschine“ betrachten, geht mir das genauso, haha, am Popo vorbei wie Ihnen anscheinend die Wünsche schwarzer Menschen zur Verwendung des N-Wortes.

    *Ja, der Kontext und die Art der Verwendung ist trotzdem wichtig. Und natürlich gibt es Ausnahmen – eine Dissertation über homophoben Sprachgebrauch, ein Gerichtsurteil zu einem Beleidigungsdelikt und dergleichen kommen schwerlich ohne zitierende Verwendung aus. Und der Gebrauch solcher Wörter durch Schwule selbst ist auch nochmal was anderes…

    „Der (schwarze) Literaturwissenschaftler Ijoma Mangold hat in der Zeit mal einen Text gegen die Verwendung des Wortes in Kinderbüchern veröffentlicht.“
    Schön. Gewisse kontextuelle Unterschiede zum BILD-Artikel, auf den sich Frau El Ouassil bezog, dürften Ihnen auffallen.

    Jedenfalls fällt mir kaum ein treffenderes Beispiel für die Bedeutung der Sprecherposition ein als ein weißer Deutscher, der eine Autorin of Color anranzt, weil sie das N-Wort nicht ausschreiben will.

  16. @ Iso (#14):

    Das Aussprechen selbst hat hier eben doch eine Wirkung. Sie können das vermutlich nicht fühlen, weil sie weiß sind. Es ist aber eine Frage des Respekts verletzte Gefühle anderer anzuerkennen und nicht alles an der eigenen Gefühlswelt zu messen.

    Das ist, mit Verlaub, Unfug. Indem Sie es auf Gefühigkeit reduzieren und mir ein schlechtes Gewissen wegen meiner Melaninmangelmutation einreden (danke, Mycroft), versuchen Sie, jedes rationale Argument totzuschlagen. Aber das klappt nicht: Eine Beleidigung hängt nicht an einem Wort, sondern am Kontext seiner Verwendung. Die Beleidigung „Du Judensau!“ ist etwas gänzlich anderes als die Beschreibung „Nazis bezeichneten den Außenminister Walter Rathenau als ‚gottverdammte Judensau‘.“

    Die Verdammung des bösen Wortes in einem beschreibenden Kontext läuft letztlich darauf hinaus, den Leuten, die damit beleidigt werden, jegliches Unterscheidungsvermögen abzusprechen. Das ist selbst eine Beleidigung.

    Schließlich die Sprachbarriere: In den USA gibt es den Unterschied zwischen „Nigger“ und „Negro“ (sorry, muss das im Dienste des Arguments jetzt schreiben, mit „N-Wort“ geht das nicht). Ersteres war immer eine rassistische Beleidigung, letzteres noch bei Martin Luther King die neutrale Bezeichnug für die Bevölkerungsgruppe, die heute african-americans heißt. Bis in die frühen 70er war „Blacks“ die abwertende Bezeichnung, bis sich die so Bezeichneten das Wort (im Zuge von „black is beautiful“) selbst angeeignet haben (vgl. auch „Gays“ im selben Zeitraum).

    In Deutschland gibt es keine zwei N-Wörter, sondern nur eines. Es schillert zwischen der neutralen und der rassistischen Bedeutung. Es zu verwenden, um Afro-Deutsche zu benennen, kommt zweifellos nicht mehr in Frage. Es in einem beschreibenden Kontext zu verbieten, erscheint mir dagegen wahnhaft – wie könnte man z.B. eine Geschichte des rassistischen Sprachgebrauchs in Nazi-Deutschland schreiben, ohne das inkriminierte Wort zu nennen?

    @ Mr Re (#15):

    Es scheint aber auch die Wirkung zu geben, dass man es als weiße Person gerade deshalb nutzen will, weil es so aufregend verboten ist, man sich rebellisch fühlen kann oder besonders rational, da es ja eigentlich bloß eine zufällige Abfolge von Lauten ist…

    Beziehen Sie sich auf mich? Falls ja: Haben Sie meine Argumentation gelesen, oder strohmännern Sie hier einfach nur vor sich hin?

  17. „Die Verdammung des bösen Wortes in einem beschreibenden Kontext läuft letztlich darauf hinaus, den Leuten, die damit beleidigt werden, jegliches Unterscheidungsvermögen abzusprechen. Das ist selbst eine Beleidigung.“

    Argh.
    Diejenigen, die damit Beleidigt werden, sagen, sie wollen dieses Wort nicht mehr hören/lesen.
    Was ist daran so schwer zu verstehen?

  18. @ ICHBINICH:

    „Hab ich eigentlich was verpasst und LLL heißt jetzt KRITISCHER KRITIKER?“

    Nein, LLL äußert sich höchstens dann noch zu dem Thema, wenn wieder einmal übersehen wird, dass die Bedeutung eines Wortes durch eine Konvention der Sprachgemeinschaft zustande kommt – eine Konvention, die einem historischen Sprachwandel unterliegen kann. Oder wenn historische Tatsachen einfach falsch dargestellt werden.
    Das allerdings hat LLL gründlich genug bereits in der Vergangenheit behandelt. (Womit er nicht abstreitet oder abgestritten hat, dass es heutzutage starke Gründe für die Vermeidung eines Wortes geben kann, auch wenn es in der Vergangenheit vielleicht kaum solche gab.)

    LLL ist zwar der Ansicht, dass der Gebrauch und die Erwähnung eines Wortes zweierlei sind. Und er findet es auch nicht ganz einleuchtend, dass man bei angemessenem Anlass und in entsprechendem Kontext Begriffe wie z.B. „lebensunwertes Leben“, „Untermensch“ oder „Judensau“ („Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau“, wie Rechtsextreme skandierten) erwähnen (nicht benutzen!) kann, nicht aber das „N-Wort“.
    Und LLL ist auch der Auffassung, dass es etwas krampfhaft und verdruckst wirkt, wenn man über einen Gegenstand redet (z.B. über ein Wort), aber ihn nicht direkt benennen darf. Und LLL hat auch den Verdacht, dass es fragwürdige Vorstellungen von Sprache und daraus resultierende Anstrengungen gibt, die eher schaden als nutzen.
    Aber er regt sich deswegen nicht auf, nimmt Rücksicht und sucht ansonsten keine Diskussionen, von denen er weiß, wie sie verlaufen werden und dass sie eh nichts bringen. Immer weniger sucht er solche.

    Illen hat das, scheint mir, auch gelernt (noch vor mir), und „Kritischer Kritiker“ wird es auch noch lernen.

  19. @LLL
    Bravo, das war bisher der vernünftigste Kommentar in diesem Strang, meinen eigenen eingeschlossen!

  20. @17: Nö, das bezieht sich nicht explizit auf Sie. Und es ist kein Strohmann.
    Das mit dem Strohmann machen Sie ja selbst aber, nicht wahr? „Wie könnte man eine Geschichte des rassistischen Sprachgebrauchs schreiben…“ – darum gings hier doch gar nicht. Und selbst da: Man könnte einmal am Anfang schreiben „dieses Wort wurde benutzt, wir kürzen es aber im Folgenden ab mit N-Wort“, zumal man es eh nie ausschreiben müsste, wenn man nicht Originalzitate aufschreibt. Aber was solls, Nebenschauplatz. Dem „Es schillert zwischen der neutralen und der rassistischen Bedeutung“ möchte ich allerdings widersprechen: Das N-Wort hat keine neutrale Bedeutung, Punkt. Es ist immer negativ konnotiert.

  21. Dass man dieses Wort als N-Wort umschreiben sollte und kann, liegt ja auch daran, dass dies eine zeit des sprachlichen Übergangs ist. Hinter uns liegt eine Zeit, in der zumindest unter der weißen Mehrheitsbevölkerung der Gebrauch des Wortes (mitsamt seinen rassistischen Konnotationen) normal war. Vor uns liegt (hoffentlich) eine Zeit, in der das Wort aus dem normalen Sprachgebrauch verschwunden ist. Was mit „N-Wort“ gemeint ist, ist (noch) allgemein bekannt. Gleichwohl ist seine Verwendung nicht mehr normal, und die Umschreibung, also Vermeidung der direkten Verwendung, trägt zu dieser Entnormalisierung weiter bei. Dieser Prozess ist allerdings noch nicht so weit fortgeschritten, dass das Wort schon ausreichend historisiert ist, damit man es unbefangen zitieren könnte und niemand darin etwas anderes als ein historisches Zitat sähe.

    Kurzum: Es ist in den allermeisten Kontexten nicht nötig, das Wort auszuschreiben, da es eine allgemein verständliche Umschreibung gibt. Gleichzeitig gibt es gute Gründe dafür, es nicht auszuschreiben. Warum sollte man es also tun?

  22. Es gibt eigentlich auch im Dt. zwei N-Wörter.
    Aber meinetwegen kann man die auch umschreiben wie das Wort für „weibliches Sexualorgan“, das eine Beleidigung ist und sich auf das andere Wort für „Erbrochenes“ reimt. Beisst sich etwas mit dem Anspruch, sich kurzzufassen, aber drauf geschissen.

    Der Vorwurf beim N-Wort ist aber nicht (nur): „Das beleidigt mich, auch als Zitat.“, sondern: „Du ‚zitierst‘ das ja bloß, um mich zu beleidigen.“ Und dieser Vorwurf trifft halt bei einigen zu und bei anderen nicht. Und da man den aber so oder so nicht widerlegen kann, ist die Diskussion an der Stelle eigentlich vorbei.

    Aber eigentlich ist eine Beleidigung das harmloseste, was ich machen kann, um andere zu diskriminieren, bzw., es ist das, was mir am wenigsten nützt. D.h., wenn ich als Rassist Kreide fresse und bestimmte Wörter nicht mehr verwende, höre ich ja nicht auf, rassistisch zu sein. Insbesondere fange ich nicht plötzlich an, Wohnungen an Schwarze zu vermieten, Arbeitsplätze an Schwarze zu verteilen oder Schwarze vllt. fair zu bezahlen.

    Aber ja, verzichten wir auf das Wort.

  23. @ Earendil:

    „Hinter uns liegt eine Zeit, in der zumindest unter der weißen Mehrheitsbevölkerung der Gebrauch des Wortes (mitsamt seinen rassistischen Konnotationen) normal war.“

    Die Sache ist etwas komplizierter. Hinter uns liegt nämlich auch eine Zeit, in welcher das Wort allgemein und insbesondere auch bei den Schwarzen als völlig normal galt und überhaupt nicht negativ konnotiert war *; in der es in der Tat sogar als die höflichste Bezeichnung galt und von Schwarzen (einschließlich Bürgerrechtlern) gerne benutzt wurde. Und diese Zeit ist noch nicht lange her. Siehe zur Entwicklung vor allem in den USA hier (und auch in Liberia):
    https://en.wikipedia.org/wiki/Negro

    (* Dass die Konnotation des „N-Wortes“ sich tatsächlich stark gewandelt hat, und dass sie nicht etwa „schon immer“ negativ gewesen wäre, ohne dass die Sprachgemeinschaft das „bemerkt“ hätte, erhellt daraus, dass einem Wort, verstanden als schlichte Laut- oder Zeichenfolge, keine Bedeutung (Denotation und Konnotation) „inhäriert“, sondern dass ihm seine Bedeutung durch den (sich manchmal wandelnden) Sprachgebrauch überhaupt erst zugeordnet / attribuiert wird.)

    Die ausgeprägte Veränderung der Konnotation (von neutral und höflich zu dezidiert negativ) fand also in einer relativ kurzen Zeit statt – innerhalb der Lebensspanne von manchen heute lebenden Leuten. Das ist wohl zumindest einer der Gründe für manche Probleme oder Irritationen. Was ausdrücklich keine Rechtfertigung für den Gebrauch des Wortes heute sein soll, sondern nur eine Überlegung zu den Ursachen der Situation.

  24. @KRITISCHER KRITIKER

    Haben Sie Ihre Argumentation mal konkret zu Ende gedacht? Die Debatte läuft ja tatsächlich so:

    BPOC (nicht alle, aber viele): Bitte verwendet in keinem Kontext mehr das ausgesprochene oder ausgeschriebene N-Wort. Wir empfinden das auf jeden Fall als verletzend.
    KRITISCHER KRITIKER: Nein, nein, das seht ihr ganz falsch. Ihr solltet nur verletzt sein, wenn das N-Wort in einem bestimmten Kontext verwendet wird. Alles andere wäre reine Gefühligkeit. Seid doch nicht kindisch.

    Ja, es geht um Gefühle. Und darum Gefühle anderer zu respektieren.

    In diesem Zusammenhang finde ich es interessant, dass Sie das Gefühl haben, ich würde Ihnen ob Ihres Weiß Seins ein schlechtes Gewissen machen. Das war nicht meine Absicht.
    Weiß Sein ist in diesem Zusammenhang eine Perspektive, aus der man die Welt betrachtet. Und aus dieser Perspektive – eine Perspektive der privilegierten Mehrheit – können Sie nicht beurteilen, was Schwarze Menschen – eine diskriminierte Minderheit – ok finden sollten und was nicht.
    Genauso wie Männer nicht über die Erfahrungen von Frauen urteilen können. Und Heteros nicht über die Erfahrungen von Homosexuellen. Man muss die Erfahrungen anderer einfach mal glauben.

    PS: Antisemitische Schimpfworte sind an sich so widerlich. Ich persönlich würde sie nicht anführen, außer es wäre wirklich alternativlos. Das war hier nicht der Fall. Bitte denken Sie doch nochmal ernsthaft darüber nach, ob es da nicht doch um die klammheimliche Freude am Tabubruch geht. Sie haben das schon von sich gewiesen, ich weiß. Wir müssen das auch nicht weiter diskutieren.

  25. „Genauso wie Männer nicht über die Erfahrungen von Frauen urteilen können. Und Heteros nicht über die Erfahrungen von Homosexuellen. Man muss die Erfahrungen anderer einfach mal glauben.“
    Jein. Die konkreten Ereignisse, historische Tatsachen, Tathergänge und dergleichen sind prinzipiell schon hinterfragbar.
    Die Gefühle in den Zusammenhängen nicht, die muss man glauben.

    Aber dann hört jede Diskussion auf, bevor sie begonnen hat. Nicht nur die über N-Wörter, sondern jede.

  26. @LLL

    Ok,dann entschuldigen Sie den „Vorwurf“. Es klang nur sehr nach Ihrer Argumentation, deswegen hatte ich Sie dort vermutet.

    Ansonsten bin ich bei dem Thema ja sowieso eher bei Ihnen, aber das wurde hier auf Übermedien ja schon in x threads ohne Ergebnis „diskutiert“, deswegen ziehe ich mich aus der Diskussion mal zurück.

  27. @Mycroft:

    „Jein. Die konkreten Ereignisse, historische Tatsachen, Tathergänge und dergleichen sind prinzipiell schon hinterfragbar.
    Die Gefühle in den Zusammenhängen nicht, die muss man glauben.“

    Ja, ich meinte die erfahrenen Gefühle.

    Und das ernst Nehmen von Gefühlen kann ein guter Start für eine Diskussion, eine wirkliche Beschäftigung mit einem Thema sein. Nicht um die Gefühle weg zu diskutieren, sondern um zu verstehen.

  28. @LLL: Naja, rassistische Konnotationen hatte das Wort auch früher schon, wenn auch nicht so ausschließlich wie heute. Liegt einfach daran, dass das Reden über „die N…“ damals verbreitet rassistisch war. Das hat zwar nicht unmittelbar mit dem Wort zu tun, färbt aber durchaus darauf ab. Würden wir (Weiße) heute genauso über Schwarze reden wie damals über N…, würde auch das Wort „Schwarze“ über kurz oder lang rassistisch konnotiert werden. (Es sei denn, Schwarze würden mit eigenem Sprachgebrauch erfolgreich dagegenhalten.)

    @Mycroft: „Beisst sich etwas mit dem Anspruch, sich kurzzufassen, aber drauf geschissen.“
    Jo, N-Wort – ähnlich wie F-Wort – ist schon unheimlich lang. LOL.

    „Aber eigentlich ist eine Beleidigung das harmloseste, was ich machen kann, um andere zu diskriminieren, bzw., es ist das, was mir am wenigsten nützt. D.h., wenn ich als Rassist Kreide fresse und bestimmte Wörter nicht mehr verwende, höre ich ja nicht auf, rassistisch zu sein. Insbesondere fange ich nicht plötzlich an, Wohnungen an Schwarze zu vermieten, Arbeitsplätze an Schwarze zu verteilen oder Schwarze vllt. fair zu bezahlen.“

    DAS Standardargument gegen nichtdiskriminierende Sprache! Fehlte hier ja noch. Ist nur immer noch ein Strohmannargument, denn niemand behauptet, dass auf der sprachlichen Ebene auch alle anderen Diskriminierungen beseitigt oder auch nur verringert werden könnten. Nichtdiskriminierende Sprache dient dazu, sprachliche Diskriminierung zu beenden, that’s all.

    Im übrigen richten sich diese Bemühungen eher an Menschen, die nicht diskriminieren wollen, nicht an die, die eh rassistisch denken und handeln.

  29. „Und das ernst Nehmen von Gefühlen kann ein guter Start für eine Diskussion, eine wirkliche Beschäftigung mit einem Thema sein. Nicht um die Gefühle weg zu diskutieren, sondern um zu verstehen.“
    Wie jetzt? Wenn ich als Wham mich nicht in die Situation von nicht-Whams hineinversetzen kann, weil ich die entsprechenden Erfahrungen nicht mache, dann lerne ich das auch nicht zu verstehen, indem ich mit jemanden darüber rede, der diese Erfahrungen gemacht hat.
    Oder, ich kann das schon, dann habe ich aber die Empathie, die mir oben abgesprochen wurde, eben doch.
    Oder-oder, die Fähigkeit zu erkennen, dass jemand beispielsweise nicht durch Polizeigewalt, sadistische, willkürliche Polizeigewalt, sterben möchte, ist durch logische Deduktion und gesunden Menschenverstand herleitbar, dann brauche ich weder Erfahrung noch Diskussion.

    Punkt ist, wenn mir die Hirnwindung fehlen würde, die ich bräuchte, um die Gefühle anderer nachzuvollziehen, wieso würde man überhaupt mit mir diskutieren wollen? Welchen Sinn hätte es, meine Meinung zu hören?

  30. Ich meinte die Umschreibungen. „Das N-Wort, das sich auf Fliesenleger reimt“ und „Das N-Wort, das sich auf Trigger reimt.“ Mehr Silben als die Wörter Buchstaben haben.
    „DAS Standardargument gegen nichtdiskriminierende Sprache!“ Nur in Verbindung mit dem hier:
    „Im übrigen richten sich diese Bemühungen eher an Menschen, die nicht diskriminieren wollen, nicht an die, die eh rassistisch denken und handeln.“ Wieso „Bemühungen“?
    Wie auch immer: Ich benutze die N-Wörter, das F-Wort etc. nicht. Das richtet sich weder an die, die nicht diskriminieren wollen, noch an die, die diskriminieren wollen, sondern ausschließlich an die, die diskriminiert werden. Respekt und Höflichkeit und so. Oder, ich bin doch ein Rassist, dann dient das nur der Irreführung. Suchen Sie sich’s aus.

    Nebenbei, ich habe wenig Respekt für die, die bloß nicht diskriminieren „wollen“. Entweder man tut das oder nicht. So etwas „aus Versehen“ zu tun, halte ich in den allermeisten Fällen für nicht plausibel. *schulterzuck

  31. @Mycroft „Wenn ich als Wham mich nicht in die Situation von nicht-Whams hineinversetzen kann, weil ich die entsprechenden Erfahrungen nicht mache, dann lerne ich das auch nicht zu verstehen, indem ich mit jemanden darüber rede, der diese Erfahrungen gemacht hat.“

    Es ist möglich, sich die Erfahrungen anderer anzuhören und daraus zu lernen. Auch wenn man die Erfahrung nicht selbst fühlt.

    „Oder, ich kann das schon, dann habe ich aber die Empathie, die mir oben abgesprochen wurde, eben doch.“

    Auch ein empathischer Mensch kann nur vermuten, wie ein anderer sich fühlt. Austausch bringt auch hier Erkenntnisgewinn.

    „Oder-oder, die Fähigkeit zu erkennen, dass jemand beispielsweise nicht durch Polizeigewalt, sadistische, willkürliche Polizeigewalt, sterben möchte, ist durch logische Deduktion und gesunden Menschenverstand herleitbar, dann brauche ich weder Erfahrung noch Diskussion.“

    Wir kamen von einer Diskussion über Sprache, nicht über körperliche Gewalt.

    „Punkt ist, wenn mir die Hirnwindung fehlen würde, die ich bräuchte, um die Gefühle anderer nachzuvollziehen, wieso würde man überhaupt mit mir diskutieren wollen? Welchen Sinn hätte es, meine Meinung zu hören?“

    Es geht darum, dass du dich für andere interessierst. Nicht darum, dass die anderen sich für dich interessieren.

  32. @ Kritischer Kritiker:

    Ich hoffe, dass ich Sie jetzt nicht aus der Diskussion „vertrieben“ habe. Mir ging es eigentlich nur darum zu erklären, wieso ich ganz persönlich mich auf solche Diskussionen eigentlich nicht mehr große einlasse (außer vielleicht auf spezielle Aspekte wie sprach-theoretische Gesichtspunkte). Der Rest meiner Bemerkung hat auch mit einer gewissen Frustration darüber zu tun, wie Diskussionen hier eben oftmals ablaufen.

    @ Earendil:

    M.E. muss man unterscheiden, ob ein Wort selbst eine negative Konnotation (oder auch Denotation) hat, oder ob einfach der bezeichnete „Gegenstand“ negativ gesehen wird, aber das Wort selbst neutral ist.
    Der Test ist relativ einfach: Man überlege sich, ob eine bestimmte Aussage in den eigenen oder in den anvisierten fremden Ohren aus sachlichen oder (auch) aus sprachlich-logischen Gründen seltsam klingen würde.

    Nehmen wir etwa an, jemand hat vor 200 Jahren gesagt, dass Frauen so intelligent und vernunftbegabt seien wie Männer.
    Das hätten viele Leute als kurios empfunden – aber doch wohl aus sachlichen bzw. inhaltlichen und nicht aus sprachlichen Gründen! Die Leute hätten gedacht, dass der Sprecher in der Sache Unrecht hat, aber nicht, dass er die deutsche Sprache mangelhaft beherrscht, weil er Wörter in der falschen Bedeutung verwendet.

    Obwohl sich das Bild der Frau radikal geändert hat und Frauen exzessiv diskriminiert, war eine Ersetzung des Wortes „Frau“ durch ein anderes Wort daher unnötig – die Vorurteile hingen an der Frau selbst, nicht am WORT „Frau“.

    Entsprechen mag die Aussage „Homosexualität ist normal“ vor 100 Jahren vielen Leuten seltsam vorgekommen sein; aber wieder nicht aus sprachlichen oder „bedeutungstheoretischen“, sondern aus sachlichen Gründen. Trotz des grundlegenden gesellschaftlichen Wandels der Einstellung zur Homosexualität war es daher völlig überflüssig, ein neues Wort für „Homosexualität“ zu kreieren.

    Eine Aussage wie „Unzucht unter Männern ist normal“ bzw. „Schwucht[…] zu sein ist völlig normal“, würde dagegen bereits aus sprachlich-logischen Gründen für Verwunderung sorgen, und man würde so etwas vielleicht als ironisch empfinden; die negative Wertung steckt hier als Konnotation (bzw. Denotation) in den Wörtern selbst.

    So steht es auch um viele andere Beispiele: Wir bewerten Sklaverei heute völlig anders als früher (heute extrem negativ und früher neutral oder sogar positiv); dennoch ist der Begriff der gleiche. Wenn wir eine Zeitreise unternehmen und mit einem Sklavenhändler diskutieren könnten, so hätten wir einen neutralen Begriff („Sklaverei“), den wir für eine Diskussion verwenden könnten, ohne dass der Begriff selbst schon präjudizieren würde, welche Seite recht hat.
    Ähnlich wie das Wort „Frau“ von einem radikalen Sexisten und einer Feministin gleichermaßen verwendet werden können (und auch vor 100 Jahren verwendet werden konnten), ohne dass sich bereits aus dem Wort ergeben würde, welches Frauenbild akkurater ist.

    Gäbe es nicht viele „neutrale“ Wörter in diesem Sinne, dann würden Werturteile wie etwa „XY ist normal/unnormal“ Tatutologien resp. Kontradiktionen nahekommen. Denn die vorgenommene Wertung würde ja bereits am Begriff selbst hängen oder wäre ihm entgegengesetzt.
    Auch wäre es dann unmöglich, dass Leute mit verschiedener Auffassung über ein Thema diskutieren. Denn bereits die Begriffe, die jede Seite verwendet, würden die jeweilige Wertung beinhalten. Leute mit unterschiedlicher Meinung hätten also nicht einmal eine gemeinsame, neutrale Sprache, welche es erlaubt, völlig unterschiedliche Positionen mit ihr auszudrücken.

    Da nun das N-Wort offenbar ganz allgemein als höflich galt und unter Schwarzen zumindest bis ca. 1970 auch die mit Abstand beliebteste Eigenbezeichnung war, kann man sicher sagen, dass das Wort in der (US-amerikanischen) Sprachgemeinschaft als ganzer sowie auch im „schwarzen“ Teil dieser Sprachgemeinschaft als neutral galt und also nicht negativ konnotiert war.
    Die damalige Ächtung des Wortes ist aus meiner Sicht daher ähnlich sinnlos und überflüssig gewesen wie eine Ächtung des Wortes „Frau“ es gewesen wäre. (Und zur Etymologie und Geschichte: Das Wort „Frau“ entstand auch zu einer Zeit, als ein völlig diskriminierendes Frauenbild herrschte.)

    Auch hatte ich ja bereits in anderen Diskussionen dargelegt, dass der Sprachwandel in diesem Fall offenbar nicht dem Wunsch der Mehrheit der Schwarzen entsprach, sondern durch schwarze Aktivisten sowie durch Weiße, die lieber den Aktivisten als der Mehrheit der Schwarzen folgten, forciert wurde. (Zum Beispiel verwendete Gallup das N-Wort ab ca. 1970 nicht mehr, obwohl dieses Imnstitut selbst ein oder zwei Jahre zuvor herausgefunden hatte, dass dieses Wort die mit Abstand beliebteste Bezeichnung unter Schwarzen war, weit beliebter als „Schwarze“.)
    „Forciert“ in dem Sinne, dass dass ein erheblicher moralische Druck aufgebaut wurde.

    Das ändert aber natürlich nichts daran, dass das N-Wort heutzutage weithin von den Schwarzen abgelehnt wird, und dass man das respektieren sollte.
    Und auch da kommt es natürlich immer darauf an. In Liberia scheint das Wort beliebt zu sein (jedenfalls ist das mein Eindruck nach Lektüre des WIKI-Artikels). Käme man in ein Land, in welchem die Schwarzen in der großen Mehrheit mit dem N-Wort benannt werden wollen und es ablehnen, anders bezeichnet zu werden: Sollte man das dann ebenso respektieren wie den entgegengesetzten Wunsch der meisten Schwarzen in unseren Breitengraden? Oder sollte man den entsprechenden Schwarzen erklären, dass das N-Wort unabhängig vom Kontext und vom jeweiligen Sprachgebrauch der entsprechenden Sprachgemeinschaft „intrinsisch toxisch“ sei?

  33. „Es ist möglich, sich die Erfahrungen anderer anzuhören und daraus zu lernen.“ Ja. Aber die Aussage war, dass ich als nicht-betroffene Person _grundsätzlich_ nicht über Erfahrungen anderer Leute urteilen könne. Dass es also kein Defizit an Wissen sei, was mich disqualifiziert, an diesbezüglichen Diskussionen teilzunehmen, sondern meine Natur und/oder Sozialisation.

    „Auch ein empathischer Mensch kann nur vermuten, wie ein anderer sich fühlt.“ Was ist dann der Unterschied zwischen empathischen und nicht-empathischen Menschen? Und welchen Sinn hat Empathie dann überhaupt?

    „Wir kamen von einer Diskussion über Sprache, nicht über körperliche Gewalt.“ Achja. Ok, Umfragen haben also ergeben, dass die Mehrheit der Schwarzen den Begriff „Schwarze“ bevorzugt und die anderen als sehr stark beleidigend empfindet – für diese Erkenntnis musste ich überhaupt keine Diskussion führen. Das ist nämlich keine Diskussion im eigentlichen Sinn, sondern Informationsgewinnung.

    „Es geht darum, dass du dich für andere interessierst.“ Achja, weiter oben haben Sie ausgeführt, dass man (ich) da als Außenstehender eh keine Ahnung von haben _kann_, mein Interesse wäre also belanglos. „Nicht darum, dass die anderen sich für dich interessieren.“ Ein Grund mehr, mich aus der Diskussion rauszuhalten, finden Sie nicht? Aber natürlich interessieren sich andere Menschen nicht für mich, die haben ja ganz andere Erfahrungen gemacht als ich.

    Falls Sie’s nicht gemerkt haben, ich halte solche pauschalen Argumente über Empathiemangel mangels gemeinsamer Erfahrungen für extrem primitive Totschlagargumente und außerdem zumindest für latent beleidigend. Dass ausgerechnet Sie das jetzt abbekommen, obwohl das Muster weit verbreitet ist, tut mir jetzt insofern leid.

  34. Muss man bei dem N-Wort nicht differenzieren? Also z.B. »N-Wort mit einem g« (einem betont) oder »N-Wort mit Doppel-g«?

    Sonst kommt z.B. John Lennons berühmter Titel
    »Woman is the N-Wort of the world«
    nicht richtig rüber. Man weiß dann nicht, dass es die doppel-bösere Variante ist (weil mit Doppel-g).

    Mich trig*ert übrigens schon das Doppel-g, darum schreibe ich es nicht aus.

  35. @LLL: Das Wort Frau ist (afaik) gerade ein Gegenbeleg zu der Vorstellung, die Art des Gebrauchs eines Wortes hätte keinen Einfluss auf dessen Semantik. Frau ersetzte nämlich das ältere Wort Weib, dessen heute abwertender Klang eben auf die damals vorherrschenden misogynen Vorstellungen zurückzuführen ist. (Kleines Beispiel: P. J. Möbius, Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, 1900.) Das Wort Frau, das zuvor herrschaftlichen Frauen vorbehalten war, setzte sich als allgemeine Bezeichnung weiblicher Menschen wohl nicht zufällig in der Zeit der allmählichen Emanzipation von Frauen durch.

    Mit Sklaven und Sklaverei verhält es sich ein bisschen anders. Da ging bzw. geht es ja um die Abschaffung der Sklaverei; dem Sklaven ging es um die Beendigung seines Sklave-seins. Dafür braucht es keine sprachliche Aufwertung. Frauen hingegen wollen ja nicht die Beendigung ihres Frau-seins erreichen, Schwarze sich nicht vom Schwarz-sein befreien usw.

    „Käme man in ein Land, in welchem die Schwarzen in der großen Mehrheit mit dem N-Wort benannt werden wollen und es ablehnen, anders bezeichnet zu werden: Sollte man das dann ebenso respektieren wie den entgegengesetzten Wunsch der meisten Schwarzen in unseren Breitengraden?“

    Falls dem so ist (keine Ahnung), würde ich sagen: ja. Dabei aber genau zuhören, ob das tatsächlich als allgemeine Bezeichnung gewünscht ist oder nur für den „internen Gebrauch“ bestimmt ist.

  36. Herrlich!
    Wir haben in diesem Fall tatsächlich ausnahmsweise mal die ganze Anne Will-Sendung gesehen, was mitunter an Ihnen und Frau Haster lag. Ich finde, sie wirkten sehr souverän – unabhängig davon, in welcher Form man Sie darauf vorbereitet hat.

  37. @ Earendil:

    Ihr Beispiel mit dem „Weib“ können höchstens dafür sprechen, dass eine negative Wahrnehmung (im Lauf der Zeit) zu einer negativen Bedeutungsverschiebung führen KANN.
    Ich argumentiere jedoch, einfach, dass eine negative Wahrnehmung einer „Sache“ nicht bedeuten MUSS, dass ein entsprechender Begriff (aktuell) negativ konnotiert ist. Insofern tangiert das meine Position bzw. Argumentation nicht.

    Zum Beispiel mit dem „Weib“ heißt es übrigens in der Wikipedia:

    „Bis ins 16. Jahrhundert wurden als ‚Frau‘ nur erwachsene und/oder verheiratete Personen weiblichen Geschlechts der feudalen Oberschicht bezeichnet. Mit der Übernahme dieser Anrede durch frühbürgerliche Schichten wich die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert auf die vom Lateinischen domina hergeleitete Bezeichnung ‚Dame‘ aus,[19] die im Deutschen heute noch als höfliche Anrede oder zur Benennung von Frauen im Sport verwendet wird. Allgemein und ohne Wertung wurde bis dahin ein weiblicher erwachsener Mensch als ‚Weib‘ bezeichnet. In der Folge wurde dieses Wort bis heute – abgesehen von seiner Verwendung im Adjektiv ‚weiblich‘ – meist als abwertend verstanden.“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Frau#Etymologie

    Demnach wäre der Ausdruck „Weib“ also ZUERST durch „Frau“ ersetzt worden, BEVOR eine negative Konnotation zu „Weib“ hinzukam; solange „Weib“ die übliche Bezeichnung war, wäre der Ausdruck demnach NICHT negativ konnotiert gewesen. Die negative Bedeutungsverschiebung selbst hätte dann auch wesentlich mit der gesellschaftlichen Hierarchie und nicht bzw. nicht nur mit einer Geringschätzung von Frauen zu tun. Wobei das für meine Argumentation ohnehin nicht zentral ist.

    (Ich glaube übrigens, dass es in nahezu jedem Fall in nahezu jeder Sprache auch neutrale Ausdrücke für bedeutende „Entitäten“ trotz einer positiven oder negativen Haltung der jeweiligen Gesellschaft geben muss, weil sonst bestimmte Aussagen aus rein sprachlichen Gründen überhaupt nicht mehr möglich wären; so funktionieren Sprache und Sprachgemeinschaften aber offensichtlich nicht.)

    Auch die Bezeichnung „Frau“ wurde übrigens ja zu einer Zeit etabliert, als Frauen immer noch exzessiv diskriminiert wurden und den Männern als weit unterlegen galten (wenn vielleicht auch schon weniger als zu Zeiten des „Weibes“). Diese negative Wertung von Frauen hat aber offenbar nicht in einer Weise auf das Wort selbst durchgeschlagen, welche zu einer negativen Konnotation geführt hätte oder dazu, dass Frauenrechtlerinnen die Einführung eines neuen Wortes als angezeigt empfunden hätten.
    Im Englischen gilt Sinngemäßes übrigens für das wohl viel ältere Wort „woman“.

    Mein Beispiel für die „Sklaverei“ war einfach eine allgemeinere Illustration dafür, dass ein Begriff völlig neutral sein kann, obwohl starke gesellschaftliche Wertungen mit der von ihm bezeichneten „Sache“ verbunden sind (positive Wertung vs. extreme Ablehnung – teilweise in derselben Epoche).
    Klar: Im Fall des N-Wortes geht es um eine bestimmte Gruppe von Menschen (Schwarze), im anderen Fall geht es um eine gesellschaftliche Praxis (Sklaverei). Ich sehe jedoch nicht, inwieweit dies im Zusammenhang mit meiner These, dass eine negative Beurteilung eines „Gegenstandes“ nicht mit eine negativen Konnotation des Begriffs für diesen „Gegenstand“ verbunden sein muss, entscheidend wäre. („Gegenstand“ hier natürlich im bedeutungstheoretischen und epistemologischen und nicht im ontologischen Sinne.)

    Man könnte aber natürlich aber auch weitere Beispiele speziell für Personen-Gruppen finden. „Homosexuelle“ (bzw. „Homosexualität“) hatte ich ja bereits erwähnt.
    Es dürfte aber auch kein Zweifel daran bestehen, dass Kinder früher viel weniger galten als heute und viel weniger Rechte hatten. Die Kinderrechtsbewegung ist relativ jung. Hätte man also sagen sollen, dass das Wort „Kind“ eine mit Diskriminierung und fehlenden Rechten verbundene Konnotation hatte? Hätten die Kinderrechtsbewegung darauf drängen sollen, dass das Wort „Kind“ durch ein anderes ersetzt wird? Hätte das die Situation der Kinder verbessert?

    Ich glaube das nicht. Ich glaube auch nicht, dass es etwas Positives bewirkt hätte, wenn die deutschsprachigen Frauen (und die englischsprachigen „women“) oder die Homosexuellen auf Neubezeichnungen im Hinblick auf die genannten Wörter („Frauen“, „Homosexualität/Homosexuelle“) bestanden hätten.

    Weil die entsprechenden Probleme nach meiner Überzeugung (so gut wie) gar nichts mit den genannten Wörtern zu tun hatten. Im Gegenteil glaube ich, dass entsprechende sprachpolitische Bestrebungen hier kontraproduktiv gewesen wären (dass sie vom eigentlichen Abliegen abgelenkt hätten, wertlose Schein-Siege gebracht und für unnötige Irritationen bei einem Teil der Öffentlichkeit gesorgt hätten).

    „Falls dem so ist (keine Ahnung), würde ich sagen: ja. Dabei aber genau zuhören, ob das tatsächlich als allgemeine Bezeichnung gewünscht ist oder nur für den ‚internen Gebrauch‘ bestimmt ist.“

    Eben. Eine Folge von Buchstaben oder Lauten ist nicht an und für sich giftig. Es kommt auf den Kontext an.
    Für den normalen Gebrauch hierzulande ist das N-Wort verbrannt. (Wobei man wohl auch sagen könnte: Es „wurde“ verbrannt, und zwar vor nicht allzu langer Zeit.) Aber wieviel Sinn macht es beispielsweise, wenn man eine Rede von Martin Luther King nicht mehr vorlesen oder abdrucken darf?

    Ich kann das respektieren, wenn (wenn!) viele Schwarzen das so möchten – ich würde es aber dennoch für unvernünftig und tendenziell kontraproduktiv halten und mich fragen: Was für ein (fragwürdiges, wenn nicht gar magisches) Verständnis von Sprache steckt da dahinter? Und kann es sein, dass da große Energien mit Schein-Problemen vergeudet werden, die es eigentlich gar nicht gibt bzw. gar nicht geben müsste?

  38. @Mycroft: Ich erkläre meinen Punkt noch einmal, falls ich unverständlich formuliert habe.

    Personen mit der Eigenschaft X (Hautfarbe, sexuelle Orientierung o.ä.) leben in einer Welt, die von Personen ohne die Eigenschaft X geprägt ist. Xe lernen von klein auf, wie Nicht-Xe ticken. Sie wissen auf einer rationalen Ebene was Nicht-Xen wichtig und annehmbar ist.

    Xe machen bestimmte Erfahrungen, für sie fühlen sich einige Situationen anders an als für Nicht-Xe. Manchmal unterscheidet sich das, was Xen wichtig und annehmbar ist, von dem was Nicht-Xen wichtig und annehmbar ist. Nicht-Xe wissen davon erstmal nichts, weder gefühlsmäßig noch rational.

    Natürlich empfinden nicht alle Nicht-Xe und alle Xe alles gleich. Schon alleine, weil ein Mensch nicht ausschließlich X/Nicht-X ist sondern auch Y/Nicht-Y und Z/Nicht-Z.
    Aber es gibt eine Schnittmenge der Erfahrungen von Nicht-Xen, die sich mit der Schnittmenge der Erfahrungen von Xen nicht deckt. Und daraus ergibt sich eine bestimmte Perspektive.

    Empathische Nicht-Xe werden sich für Xe interessieren, so wie sie sich für alle Menschen interessieren. Sie werden Xen zuhören und so lernen, was diese bewegt. Sie werden aber nie selbst genau das selbe fühlen, was Xe fühlen. Sie können daher auch nicht sagen, ob es richtig oder falsch bzw. angemessen oder nicht angemessen ist, was Xen wichtig ist oder annehmbar erscheint.

  39. „Xe lernen von klein auf, wie Nicht-Xe ticken.“ Das ist mMn was völlig anderes als Empathie, aber demnach ist es prinzipiell offenbar doch möglich zu lernen, wie andere Leute ticken. (Bei mir wäre das z.B.: „Die meisten Menschen mögen Fußball.“ Aha.)
    „Nicht-Xe wissen davon erstmal nichts, weder gefühlsmäßig noch rational.“ „Erstmal“ dauert hier eigentlich rund drei Sekunden. (Ich _weiß_, dass es Menschen gibt, die Homosexualität als „Phase oder so“ wegdiskutieren wollen, aber das liegt mMn nie an intellektuellen oder empathischen Mängeln…)
    „Und daraus ergibt sich eine bestimmte Perspektive.“ Das bestreite ich auch gar nicht. Das Argument, das daraus abgeleitet wird, ist, dass diese Perspektive _so_ exklusiv ist, dass nicht-Xe dazu keine Meinung haben _können_, weil sie weder intellektuell noch empathisch die nötigen Fähigkeiten besitzen und _nie_ besitzen werden. Und das halte ich für falsch, beleidigend und ein Totschlagargument. Bzw., wenn beide einer konkreten nicht-X-Person Intellekt und Empathie fehlen, ist das kein Beweis, dass die jeder nicht-X-Person fehlen.
    „Empathische Nicht-Xe werden sich für Xe interessieren, so wie sie sich für alle Menschen interessieren.“ Das ist eigentlich nicht das, was ich mit Empathie meine. Für mich ist Empathie die Fähigkeit, sich in andere Hineinzuversetzen. Nicht notwendigerweise das Interesse für
    (alle) anderen. Und ebenso nicht notwendigerweise Hilfsbereitschaft und/oder Solidarität.
    „Sie werden aber nie selbst genau das selbe fühlen, was Xe fühlen.“ Das ist Empathie eigentlich auch nicht. (Bzw., in der phantastischen Literatur gibt es „Empathie“ als paranormale Fähigkeit, wie bei Deanna Troy oder Imperator Palpatine, aber das ist wohl nicht gemeint.)
    „Sie können daher auch nicht sagen, ob es richtig oder falsch bzw. angemessen oder nicht angemessen ist, was Xen wichtig ist oder annehmbar erscheint.“ Empathie ist keine Einbahnstraße, wenn Xe lernen können, was nicht-Xen richtig, angemessen oder annehmbar ist (s.o.), geht das prinzipiell auch umgekehrt. Oder, nicht-Xe können nicht über Xe urteilen, und Xe nicht über nicht-Xe. Das wäre dann die philosophische Grundlage für Parallelgesellschaften. Oder noch besser: da Sie nicht ich sind, werden Sie nie empfinden, was ich empfinde, deshalb steht Ihnen kein Urteil über mich zu. Also insbesondere nicht darüber, ob ich mit meiner Argumentation recht habe. Und jedes Individuum lebt fürderhin in seiner eigenen kleinen Ein-Personen-Gesellschaft.

  40. @Mycroft: Xe müssen lernen, was Nicht-Xen wichtig und annehmbar ist. Sie haben gar keine andere Wahl. Sie können dem nicht aus dem Weg gehen. Nicht-Xe mussten bisher nichts über das Leben von Xen lernen.
    Einige sperren sich jetzt dagegen, da sie einfach ihre eigenen Maßstäbe auf Xe anwenden.

    Beispiele.

    BPOC: Ich fühle mich durch das Aussprechen des N-Worts verletzt
    Nicht-BPOC (empathielos): Das kann doch so schlimm nicht sein, sei nicht kindisch.
    Nicht-BPOC (empathisch): Ok, ich würde gerne mehr darüber wissen. Wie kommt das? Was kann ich statt dessen sagen?…

    Homosexuelle Person: Ich bin genervt davon, wenn Firmen beim CSD mitmachen, die sonst nix für Schwule und Lesben tun.
    Heterosexuelle Person (e-l): Jetzt freu dich halt mal, das ist doch besser als nix.
    Heterosexuelle Person (e): Interessant. Was würdest du denn von diesen Firmen erwarten?

    „Das wäre dann die philosophische Grundlage für Parallelgesellschaften.“
    Nö, das wäre die philosophische Grundlage für gegenseitigen Respekt.

  41. „Nicht-Xe mussten bisher nichts über das Leben von Xen lernen.
    Einige sperren sich jetzt dagegen, da sie einfach ihre eigenen Maßstäbe auf Xe anwenden.“ Das hat jetzt aber wenig mit Empathie oder Nicht-Empathie zu tun, sondern mit Bequemlichkeit oder Unbequemlichkeit.

    „BPOC: Ich fühle mich durch das Aussprechen des N-Worts verletzt
    Nicht-BPOC (empathielos): Das kann doch so schlimm nicht sein, sei nicht kindisch.
    Nicht-BPOC (empathisch): Ok, ich würde gerne mehr darüber wissen. Wie kommt das? Was kann ich statt dessen sagen?“
    Nicht-BPOC (ökonomisch): Ok, dann lasse ich es einfach. (Ich bin jetzt kein BPOC, aber ich wäre ernsthaft beleidigt wenn sich jemand so dumm stellt, dass soe „Wie kommt das?“ fragt.)

    „…“
    Heterosexuelle Person (ökonomisch): „Zuuufällig habe ich eine Firma, die nach neuen Kunden sucht – wie sollte ich sie aufstellen, damit ich die LGBT-Gemeinschaft besser gewinnen kann? Also besser als die Konkurrenz jetzt.“
    Heterosexuelle Person (philosophisch): „Offenbar machen die das aus rein ökonomischen Gründen.“
    Heterosexuelle Person (ökonomisch+philosophisch): „Da ich keine Firma habe, was kann ich dafür?“

    „Nö, das wäre die philosophische Grundlage für gegenseitigen Respekt.“ Es geht nicht darum, dass jemand Sie respektiert, weil Sie – selbst, _obwohl_ Sie sich für andere Menschen interessieren – keine eigene Meinung entwickeln können.

  42. „Es geht nicht darum, dass jemand Sie respektiert, weil Sie – selbst, _obwohl_ Sie sich für andere Menschen interessieren – keine eigene Meinung entwickeln können.“

    Ich gehöre auf Grund einiger meiner Eigenschaften der privilegierten Mehrheit an und weiß, dass man daran zu knabbern hat, nicht über Belange der Minderheit urteilen zu sollen. Wo man doch der Minderheit entgegen kommt und irgendwie sollte es doch dann mal gut sein. Den Grad des Entgegenkommens würde ich schon gerne festlegen. Ich war doch immer in der Position die Welt zu gestalten. (Notiz an mich: Get over it!)

    Auf Grund anderer Eigenschaften gehöre ich Minderheiten an und weiß, dass es um
    Selbstbestimmung geht und eben nicht darum, dass die Mehrheit die Belange der Minderheit beurteilt.

    Vielleicht gehören Sie ja auch manchmal zur Minderheit und wären froh, respektiert zu werden? Und dann gehören Sie manchmal zur Mehrheit und zollen diesen Respekt?

    Oder Sie gehören in allen Eigenschaften zur privilegierten Mehrheit. Dann befinden wir uns in einem
    Teufelskreis: Die Tatsache, dass sie meinen Punkt nicht verstehen, bestätigt meinen Punkt. 😉
    Spaß beiseite, als heterosexueller weißer Cis-Mann mit christlichem bis atheistischem Glauben und guter Gesundheit usw. ist es eine Herausforderung, das zu verstehen. Aber sie schaffen das!

  43. „Ich gehöre auf Grund einiger meiner Eigenschaften der privilegierten Mehrheit an und weiß, dass man daran zu knabbern hat, nicht über Belange der Minderheit urteilen zu sollen.“ Ihre ursprüngliche Aussage war, dass man das als Mehrheitsmitglied nicht kann. Wenn Sie damit nicht _sollen_ meinten, ok, ist aber trotzdem demotivierend. Vllt. liegt es auch nur an mir, aber wenn ich oft genug höre, dass ich das-und-das eh‘ nicht könne und/oder nicht sollte, lasse ich es und kümmere mich um was anderes. Ich bin in der privilegierten Situation, niemanden etwas beweisen zu müssen.

    „Ich war doch immer in der Position die Welt zu gestalten.“ Schön für Sie. Ich nicht. Bzw., da es so viele Hetero-Cis-Männer mit christlichen bis atheistischen Glauben und besserer Gesundheit gibt als ich, sind meine Möglichkeiten, die Welt zu gestalten, nicht annähernd so groß, wie Sie offensichtlich vermuten. Aber ja, ich entscheide zumindest, inwieweit ich anderen entgegenkommen will.

    „Vielleicht gehören Sie ja auch manchmal zur Minderheit und wären froh, respektiert zu werden?“ Tatsächlich schon, aber ich habe jetzt ehrlich keine Ahnung mehr, was Sie mit „Respekt“ meinen könnten, da Sie und ich ja auch unterschiedliche Konzepte von „Empathie“ haben. „Und dann gehören Sie manchmal zur Mehrheit und zollen diesen Respekt?“ Meinen Sie Hilfsbereitschaft, Solidarität, Entgegenkommen oder dergleichen? Oder meinen Sie Höflichkeit?

    Anders: Entweder wollen oder können Sie nicht verstehen, was ich mit „Empathie“ meine, und wieso ich ein Problem mit Ihrem Empathieverständnis habe. Oder damit, dass Sie frohgemut zwischen unterschiedlichen Wörtern mit unterschiedlichen Bedeutungen hin und her wechseln – sei es, weil Sie deren Bedeutung sehr frei interpretieren, sei es, weil Sie die Torpfosten-verschiebe-Technik einsetzen, sei es, weil Sie sie einfach nicht kennen – betonen aber, wie wichtig es sei, die falschen Wörter nicht zu verwenden. Ist klar, mein Herr, ist klar.
    Aber gut, Punkt für Sie. Wenn Sie mich nicht verstehen, können Menschen einander grundsätzlich nicht immer verstehen.

  44. @43: 2013 waren Yüczel-Kolumnen noch edgy und cool. Da reichte es zu sagen „Die Vermeidung eines Wortes bekämpft nicht ein strukturelles Problem“ – stimmt ja auch – um abgefeiert zu werden. Die reingerotzen „Genderstudies“-Anspielungen fand‘ ich damals auch total edgy – Wow, sowas darf man in der TAZ schreiben?

    Zufällig habe ich „Die kleine Hexe“ gerade erst gehört, in der Toniebox-Bearbeitung. Vielleicht war die Version ja weichgespült, ich konnte da jedenfalls keinen strukturellen Rassismus erkennen. Was m. E. für eine Weichspülung solcher Geschichten spricht.

    Ich stelle mir mal wieder die Frage: Was spricht denn dagegen, Südseekönig zu verwenden? Wieso ist es so unfassbar, dass Worte unser empfinden prägen? Was spricht dagegen, so zu versuchen, ein historisch geprägtes, abwertendes Wort aus dem Wortschatz zu verbannen? Warum muss man zynisch bei Kinderbüchern werden? Kann man seine Energie nicht für Besseres nutzen?

  45. Meinetwegen kann man Südseekönig verwenden, ich fand Pippi Langstrumpf immer doof.

    Und zynisch bin ich sowieso.

    Aber schön, da haben wir doch die Diskussion:

    F: „Ist das Wort immer beleidigend?“
    A: „Ja.“
    F: „Auch, wenn das zitiert wird oder in Zusammnhängen benutzt, wo niemand damit angesprochen wird?“
    A: „Ja.“
    F: „Auch, wenn ich MLK zitiere?“
    A: „Ja.“

    Die Frage, ob in einem Kinderbuch Wörter verwendet werden, die man aus pädagogischen Gründen nicht kleinen Kindern vorlesen will, ist mMn getrennt von der Frage zu betrachten, wie eine Diskussion unter Erwachsenen verlaufen sollte.

    Ansonsten: das ist eine politische Diskussion, von daher wäre Sachkenntnis zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig. Wäre das notwendig, könnten die meisten politischen Entscheidungen nicht demokratisch getroffen werden.

  46. @ Anderer Max:

    Wörter, die Ihre Bedeutung (Denotation oder auch Konnotation) verändert haben, können und sollten in manchen Fällen durch andere ersetzt werden. Ich würde in einem Kinderbuch auch „Weib“ durch „Frau“ ersetzen, und man kann argumentieren, dass die Veränderung der Konnotation beim „N-Wort“ noch ausgeprägter ist.

    Problematischer ist es in zwei Fällen:

    1) Zitate (insbesondere aus historischen Quellen): Sollte man die Reden von M.L. King nicht mehr zitieren? Oder nur noch in „sprachlich bereinigter“ Form? Aber bitte doch nicht mehr im Original?

    2) Metasprachliche statt objektsprachliche Verwendung: Was, wenn man das N-Wort nicht benutzt, um Schwarze zu bezeichnen, sondern das Wort selbst? Muss man über Wörter sprechen, ohne sie nennen zu dürfen? Und wenn ja, dann nur im Fall des N-Wortes?

    1) hielte ich für bedenklich; mit 2) könnte ich leben, fände es aber verkrampft und albern.

    Ich habe den Eindruck, dass da einfach ein sprachtheoretisches Missverständnisse dahintersteht, welches lautet: Ein Wort bzw. seine Nennung ist an sich böse – unabhängig vom Kontext, der Region, der Zeit, von seiner Verwendung und der Funktion, die es im Text erfüllt. Ob das Wort in einem Text steht, der die objektsprachliche Verwendung des Wortes kritisiert, in einer historischen Abhandlung über Sprachgebrauch, in einer historischen Rede von M.L. King oder in der Verfassung Liberias: Es soll keine Rolle spielen.

    In der Wikipedia heißt es übrigens:

    „Neg[…] superseded colored as the most polite word for African Americans at a time when black was considered more offensive.“

    „Black“ war laut der von Wikipedia angegebenen Quelle ein „derogatory term“, ein abwertender, ein herablassender Begriff. Die Bezeichnung „Schwarze“ wäre demnach eine abfällige Bezeichnung gewesen – wohlgemerkt in einer Zeit der Rassentrennung und intensiven Diskriminierung.

    Man könnte also argumentieren, dass „Schwarze“ ein negativ besetztes, diskriminierendes Wort sei. Das stimmt aber natürlich nicht. Früher war es (laut der entsprechenden Quelle) abwertend – und heute eben nicht. Weil das Sprachverständnis sich gewandelt hat.
    Zu behaupten, dass „Schwarze“ auch heute noch herabsetzend sei, und die Sprachgemeinschaft (die Schwarzen eingeschlossen) das einfach nicht merken würde, wäre so absurd wie die These, dass eine rote Ampel in Wahrheit „lauf/fahre zu“ bedeuten würde, und die Öffentlichkeit (samt Verkehrsbehörden) das einfach nur nicht merken würde.
    (Entsprechend unsinnig ist dann natürlich auch die These, dass das N-Wort völlig unabhängig vom jeweiligen Sprachgebrauch schon immer diskriminierend konnotiert gewesen sei.)
    Warum? Weil die Bedeutung einem Zeichen nicht inhäriert, sondern ihm durch Zuschreibung überhaupt erst zukommt (sei es in Form einer informellen Konvention einer Gemeinschaft oder einer normativen Festlegung durch eine Institution). Ein rotes Licht oder eine Folge von Lauten bedeutet „an sich“ erst mal gar nichts. Bedeutung hängt vom Denken, von Intentionalität ab. Wir machen (!) etwas erst zu einem Zeichen.

    Und natürlich kann es sein, dass irgendwann die Bezeichnung „Schwarze“ – erneut – in Verruf kommen wird. Dann wird es vermutlich heißen, dass das Wort „Schwarze“ eigentlich immer schon diskriminierend gewesen sei, und dass man das nur übersehen habe. Und dass es ja auch gar nicht anders sein könne angesichts der Tatsache, dass das Wort zu einer Zeit aufkam, als Schwarze schwer unterdrückt wurden. Und angesichts der Tatsache, dass es die Betroffenen durch das Wort „Schwarze“ auf ihre Hautfarbe „reduziert“ und als eigentlich heterogene Gruppe unter einen Allgemein-Begriff „zusammenklumpt“ werden. Und angesichts der Tatsache, dass „Schwarze“ ja eh nur die Übersetzung von „N…“ sei, also das N-Wort selbst in anderer Form, „in schlechter Verkleidung“. Usw.

    Umgekehrt könnte es sein, dass das „N-Wort“ sogar wieder rehabilitiert wird (wobei dann das letzte Argument gegen „Schwarze“ nicht auftauchen würde).

    Dass Wörter ihre Bedeutung ändern, ist grundsätzlich normal (auch wenn es im Fall des N-Wortes wohl eher „von oben“ kam). Das anzuerkennen verlangt nicht nur, seinen Sprachgebrauch anzupassen, sondern auch zuzugeben, dass Wörter keine „absolute“ (von Sprachgebrauch, Zeit und Ort unabhängige) Bedeutung besitzen. Und zuzugeben ist auch, dass die Funktion eines Wortes im Text vom Kontext und der Verwendung abhängt.
    Der (objektsprachliche) Nicht-Gebrauch eines Wortes kann daher angemessen sein; die absolute Verteufelung eines Wortes mit einer wechselhaften und teils entschieden positiven Geschichte derart, dass ein schlichtweg unaussprechlicher „Gott-sei-bei-uns“ aus ihm gemacht wird, ist hingegen ahistorisch und zeugt m.E. von Missverständnissen in Bezug auf die Natur der Sprache.
    So wie ein Großteil der heutigen „Sprachpolitik“ (nicht unbedingt alles) m.E. auf sprachtheoretischen Missverständnissen beruht und daher auch nutzlos ist. Und in manchen Fällen wohl sogar kontraproduktiv.

    (Jetzt habe ich gegen meinen ursprünglichen Plan doch wieder einiges zum Thema geschrieben. Aber immerhin ganz überwiegend zu relativ abstrakten sprachtheoretischen Fragen.)

  47. Ja, Sprache verändert sich im Laufe der Zeit. Was heute sagbar ist, war es gestern vielleicht nicht (z. B. geil) oder umgekehrt (s. o.).
    Eben darum verstehe ich diese unglaubliche Energie nicht, die einige verwenden um jeden noch so weit hergeholten möglichen Grenzfall zu skizzieren, der dann als Argument für ein „Ich verwende das Wort weiter“ gelten soll.
    Als ob sich irgendjemand (ernsthaft und vielleicht nachdem man ihn darauf hingewiesen hat, dass es ein Zitat ist) daran stören würde, wenn mann das N-Wort in einem MLK Zitat verwendet …

    Es geht doch darum -ich beziehe mich mal wieder auf die kleine Hexe und Yüczel- dass Kinder ein Wort nicht mehr lernen, das zum Zeitpunkt des Verfassens konnotativ weniger problematisch war, als es heute ist. Wenn ich das als Prämisse nehme und dann noch über Ausnahmen redete (z. B. MLK Zitate), wäre dies m. E. sehr viel sinnvoller.

  48. @Anderer Max:
    „Eben darum verstehe ich diese unglaubliche Energie nicht, die einige verwenden…“
    Ja, das ist natürlich ein Argument dafür, dass man andere Menschen eh` nicht versteht – warum dann mit denen reden?

    „Als ob sich irgendjemand (ernsthaft und vielleicht nachdem man ihn darauf hingewiesen hat, dass es ein Zitat ist) daran stören würde, wenn mann das N-Wort in einem MLK Zitat verwendet …“
    Ähh, das war genau das, was Yüczel geschrieben hat. Bzw., evt. nimmt er selbst das nicht so richtig ernst, aber so habe ich ihn verstanden.

  49. Faszinierend, wie viele Menschen regelmäßig öffentlich Dr. Martin Luther King Jr.s Reden in der Originalsprache zu zitieren scheinen.

  50. @ MR RE:

    „Faszinierend, wie viele Menschen regelmäßig öffentlich Dr. Martin Luther King Jr.s Reden in der Originalsprache zu zitieren scheinen.“

    Wer hat solches denn behauptet? Oder in seiner Argumentation vorausgesetzt?

    @ Anderer Max:

    Wie andere schon gesagt haben:
    Genau um solche „Spezialfälle“ geht es doch hier. (So gut wie) niemand hier möchte das N-Wort doch objektsprachlich gebrauchen (also um Schwarze zu benennen). Es geht um Spezialfälle wie den metasprachlichen Gebrauch (das N-Wort bezeichnet das N-Wort) und um Zitate.

    Und es sind doch diejenigen, die das N-Wort in jeder Form und in jedem Kontext bekämpfen, die primär eine „unglaubliche Energie“ investieren. Allein hier auf Übermedien gibt es mehrere Artikel zum Thema (wobei nicht alle undifferenziert in diese Kerbe hauen). Es sind doch diejenigen, die das N-Wort für den Inbegriff des Bösen halten, die proaktiv Energie aufwenden; alles andere ist reaktiv.

    Und persönlich störe ich mich auch am Ausdruck „N-Wort“ nicht mal so sehr – auch wenn ich ihn wie gesagt albern finde.
    Mich persönlich stört es – auch weil ich mich selbst als „links“ bezeichnen würde unter dem Vorbehalt, dass ich Etiketten nicht mag -, wenn Linke sich in irgendwelche gutgemeinten, aber im Prinzip völlig unnötigen, völlig sinnlosen und höchstwahrscheinlich sogar kontraproduktiven Kämpfe verrennen, statt die realen Probleme (etwa den Rassismus) anzugehen. Wenn Fragen, die an und für sich vollkommen belanglos wären, so sehr mit Bedeutung aufgeladen und überhöht werden, dass sie zu Fragen von gut und böse werden. Wenn jede noch so fragwürdige Position ohne großes Nachdenken übernommen und gutgeheißen wird, und wenn jedes noch so hanebüchene Argument „überzeugt“, sofern nur „Antirassismus“ drauf steht.
    Und wenn ein Verständnis von Sprache herrscht, nach dem ein paar geordnete Buchstaben – völlig unabhängig vom Kontext – die Ausgeburt der Hölle sind. Wenn man meint, man habe einen wichtigen (Teil)erfolg erzielt, sofern man eine nutzlose Veränderung der Sprache erreicht hat.

    Und es stört mich, dass diese Unart des sprachmagischen Denkens, des Sprach-Fetischismus sich immer mehr unter „Progressiven“ verbreitet. Dass in immer mehr Fällen Sachprobleme maßgeblich zu Sprachproblemen erklärt werden, auch wo sie das ganz offensichtlich nicht sind. Wenn alle mögliche Energie verpulvert wird, um die Sprache an Stellen, wo sie irrelevant ist, zu verändern. Oder wenn frohlockt wird, sofern man (wie im Fall der „geschlechtergerechten Sprache“) vielleicht einen Kunst-Jargon für eine kleine akademische Minderheit erschaffen hat, der für den Sprachgebrauch der breiten Bevölkerung nie eine Rolle gespielt hat, nie eine spielen wird und selbst für die mündliche Kommunikation der entsprechenden Akademiker nahezu irrelevant ist. Wo man mit der – in dieser Pauschalität unsinnigen – These, dass unsere Sprache unser Denken durchweg bestimme, jede noch so arbiträre Veränderung der Sprache rechtfertigen will. Wo kritische Reflexion kaum zu finden ist, dafür aber jede Menge „rechtschaffener Empörung“. Wo es offensichtlich weniger um eine nüchterne Analyse geht als darum, auf der „richtigen“ Seite zu sein.

    Kurzum: Es stört mich, dass ein erheblicher Teil der emanzipatorischen Kraft nicht in die Lösung realer Probleme (z.B. Rassismus, sexistische Strukturen usw.) fließt, sondern in die Lösung von Pseudo-Problemen, die man sich selbst erst geschaffen hat – und dass dieser unsinnige Kampf der Überwindung der realen Probleme sehr wahrscheinlich auch noch abträglich ist. Das stört mich persönlich viel mehr als etwa die alberne metasprachliche Ächtung des N-Wortes, auch wenn diese sicherlich mehr mit einem Tabu als mit Moral zu tun hat:
    https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2019/08/whites-refer-to-the-n-word/596872/

  51. „Kurzum: Es stört mich, dass ein erheblicher Teil der emanzipatorischen Kraft nicht in die Lösung realer Probleme (z.B. Rassismus, sexistische Strukturen usw.) fließt, sondern in die Lösung von Pseudo-Problemen, die man sich selbst erst geschaffen hat .“

    Dieser erhebliche Teil der Kraftaufwendung ist ja nun mal nur deshalb nötig, weil es Menschen gibt, die sich von den Betroffenen nicht erklären lassen wollen, dass die das Wort nicht gerne hören.
    Und die dann dennoch die Kraft aufbringen, es diesen Menschen dennoch zu erklären, warum sie es nicht wollen.

    „– und dass dieser unsinnige Kampf der Überwindung der realen Probleme sehr wahrscheinlich auch noch abträglich ist“
    Stimmt, die Kraft könnte man besser in andere Dinge investieren, wenn da eben nicht diejenigen wären, die nicht auf die Betroffenen hören wollen.

  52. @LLL
    ich finde ihre Betrachtung grundsätzlich interessant, wenn auch (wie sie selbst zustimmen würden, sofern ich ihre Beiträge richtig verstanden haben) für die akute Situation bezüglich der Vermeidung des N-Wortes nicht wirklich relevant. Ihr Beispiel „Homosexualität“ bzw. „Homosexueller“ haben sie aber leider unglücklich gewählt, dieser Begriff war zumindest zu Beginn des 20. Jh als (pathologisiererende) Beleidigung/Abwertung in Verwendung, und ist heutzutage nicht zuletzt deswegen in breitem Gebrauch, weil er reclaimt, also trotz der negativen Konnotation und Verwendung durch demonstrative Selbstbezeichnung entzaubert wurde. Das Wort stellt also kein Beispiel für eine nüchterne Sachverhaltsbeschreibung dar, das in neutraler Verwendung damals wie heute verständlich wäre, „Homosexualität ist normal“ würde eher, sofern man das heutzutage evaluieren kann, als ironisch interpretiert werden, oder möglicherweise vergleichbar zu heutzutage „Wahlbetrug ist normal“ (womit ich keinesfalls die Inhalte vergleichen möchte, sondern nur die Konnotation, das normative Urteil ohne Nennung der angesprochenen Norm macht den Inhalt sowieso unverständlich)…

    Fallen sie nicht herein auf die vermeintlich „neutrale“ Sprache der Wissenschaft, wenn es die Sprache einer heterosexistischen (und auch rassistischen, nur um das bei dem nächsthöheren Thema in der Gliederung dieser Diskussion nicht außen vor zu lassen) Wissenschaft ist, trägt sie ihre Werte in sich.

    Sie schreiben außerdem „Gäbe es nicht viele „neutrale“ Wörter in diesem Sinne, dann würden Werturteile wie etwa „XY ist normal/unnormal“ Tatutologien resp. Kontradiktionen nahekommen.“, und an diesem Punkt verlieren sie mich. Wir reden immer noch von Konnotationen? Sie scheinen zuzustimmen, das „Weib“ heutzutage eine negative Konnotation hat. Ihrem Argument nach wäre der Satz „Das Weib ist normal“ oder meinetwegen „Das Weib ist dem Mann ebenbürtig“ also eine Kontradiktion? Nein, bloß unerwartet, es handelt sich bei der Konnotation eben nur um eine Nebenbedeutung, die problemlos im Widerspruch zur Hauptbedeutung des Satzes stehen kann, ohne einen Inhaltlichen Wiederspruch darzustellen. Im Falle eines so einfach substituierbaren Wortes wie „Weib“ lässt sich zwar interpretieren, warum nicht einfach „Frau“ gesagt wurde, aber wenn die obige Aussage wiedersprüchlich ist, dann hat sich die Hauptbedeutung des Wortes gewandelt und nicht bloß die Nebenbedeutung. Und wenn eben keine weniger stark konnotierte Alternativen zur Verfügung stehen, lassen sich auch inhaltliche Auseinandersetzungen mit negativ besetzten Begriffen wie „Weib“ oder meinetwegen auch „Schwuch…“ führen, und wenn das oft genug getan wird, wird sich dadurch die Nebenbedeutung (die Metadaten des Begriffes, wenn man es so will) ändern, wie das Beispiel von „Homosexualität/Homosexuell(e(r))“ beispielsweise zeigt. Wie du selbst doch sagtest, ändert sich eben Sprache, und besonders schnell in den Konnotationen, je nachdem, wie sie halt benutzt wird.

    Und dass „Leute mit unterschiedlicher Meinung […] also nicht einmal eine gemeinsame, neutrale Sprache, welche es erlaubt, völlig unterschiedliche Positionen mit ihr auszudrücken“ haben können, merke ich regelmäßig, wenn ich mit Konserativen rede.

  53. @53:
    „Stimmt, die Kraft könnte man besser in andere Dinge investieren, wenn da eben nicht diejenigen wären, die nicht auf die Betroffenen hören wollen.“
    Wieso, sind doch alles nur selbst geschaffene Pseudo-Probleme.

    Gestern Abend lief eine Reportage auf einem ÖR Kanal (kann sie leider gerade nicht finden) in der Betroffene über diese sprachmagischen Dinge sprechen, die in ihnen Pseudo-Probleme auslösen.
    Da Sprache das Denken ja aber nicht beeinflusst .. Ach is‘ auch egal, sind ja alles keine realen Probleme, nur Sprachmagie.
    (/s, falls es wer nicht gemerkt hat)

  54. @LLL: Der Einwurf, was man denn machen solle mit Zitaten von/aus MLKs Reden, da er ja auch das N-Wort benutzt habe, kam recht häufig vor in dieser zunehmen sophistischen Diskussion.

  55. @ Micha:

    Ja, die Betroffenen. Was die wollen, das wissen Sie. Woher eigentlich? Woher wissen Sie, dass „die Betroffenen“ in ihrer Mehrheit solch seltsame Forderungen stellen wie die, dass ein im Kontext einer historischen Rede völlig neutrales Wort zensiert werden muss, oder dass beim Sprechen über ein Wort dieses in verkrampft wirkender Weise vermieden werden muss?
    Haben Sie je eine Umfrage zum Thema gelesen? Oder gehen sie davon aus, dass einige schwarze Aktivisten für die Mehrheit der Schwarzen sprechen? Spricht Alice Schwarzer für die Mehrheit der Frauen? Sind alle Forderungen von ihr die „Forderungen der Betroffenen“?

    Ich kenne keine einzige Umfrage dazu, ob Schwarze mehrheitlich den zitierenden und metasprachlichen Gebrauch von „N…“ ablehnen oder nicht. Ich konnte auch nur eine einzige Umfrage – aus den USA – finden, in denen die Betroffenen damals gefragt wurden, wie sie eigentlich bezeichnet (objektsprachlicher Gebrauch) werden wollten:

    „In the 1930s through 1971, Gallup typically used the term ‚Negro‘ when asking questions about blacks. In fact, a 1969 Gallup poll of blacks found ‚Negro‘ to be the most widely preferred term among blacks — at 38%, compared with 19% for ‚black‘ and 10% for ‚Afro-American.‘
    Since 1971, Gallup has used the term „black“ when asking questions about U.S. blacks.“
    https://news.gallup.com/poll/163706/blacks-hispanics-no-preferences-group-labels.aspx

    Ist doch schön. Man fragt die Schwarzen, was sie wollen, und tut dann zwei Jahre später das genaue Gegenteil. Weil es nicht darauf ankommt, was „die Schwarzen“ wollen, sondern darauf, dass man politisch korrekt ist. Dass man sich selbst für seine Korrektheit auf die Schultern klopfen kann und von prominenten schwarzen Aktivisten auf die Schulter geklopft bekommt. Und weil es dem eigenen Ruf viel abträglicher ist, sich den Wünschen einiger medial präsenter Aktivisten als denen der Mehrheit zu entziehen.

    Man darf sicherlich davon ausgehen, dass das N-Wort heutzutage bei den meisten Schwarzen unbeliebt ist. Aber haben sie auch was dagegen, wenn das Wort zur Bezeichnung des Worts oder in einem entsprechenden Zitat „benutzt“ wird? Wie gesagt: Ich habe (trotz einiger Internet-Recherche) noch nie etwas von einer entsprechenden Umfrage gelesen (auch nicht aus den USA, wo so etwas technisch leicht möglich wäre). Und das wundert mich auch nicht – weil ich nicht glaube, dass das irgendjemanden groß interessiert. Weil es zu einem Großteil auch heute nicht darum geht, was die Betroffenen eigentlich wollen, sondern darum, sich selbst seiner Anständigkeit zu versichern.

    Wenn man aber glaubt (aus welchen Gründen auch immer), dass die meisten Schwarzen auch die zitierende und die metasprachliche Verwendung des “N-Wortes” ablehnen, dann kann man das ja so sagen. Aber wieso werden wir dann immer wieder mit “Sachargumenten” traktiert, die schlichtweg absurd sind? Warum muss das dann auch noch sein?

    Wie viele völlig unnötige Ressentiments, wie viel völlig unnötigen Widerstand, wie viele völlig unnötige Ablenkung von den eigentlichen Anliegen haben diese ganzen sprachpolitischen Bemühungen eigentlich gebracht? Und was an Positivem? Und auch wenn man die Schuld für Probleme allein denen gibt, die den Sprachwandel nicht willig mitgemacht haben oder mitmachen: Trotzdem wäre hier Bilanz zu ziehen.

    Erst “Farbige”, dann “N…”, dann “Afroamerikaner”, dann “people of color”, und irgendwann wahrscheinlich wieder was anderes: Hat das beim Zurückdrängen des Rassismus irgendwas geholfen?
    Wieso können manche Leute einfach nicht begreifen, dass gewisse Menschen ihre Ressentimens nicht gegen irgendwelche belanglosen, völlig arbiträren Vokabeln richten, sondern gegen die mit diesen Vokabeln bezeichnete Menschen selbst? Und dass die ganzen Umbenennungen nichts nutzen, weil es hier um Sachprobleme, nicht um Sprachprobleme geht?

    Wer sich wirklich den Anliegen der Schwarzen verpflichtet fühlt, mag ihre Wünsche (wenn es wirklich ihre Wünsche sind!) respektieren. Aber er sollte dann auch vor Missverständnissen und vor Pseudo-Lösungen, die höchstwahrscheinlich mehr schaden als nutzen, warnen. Auch wenn man sich vielleicht bequemer als “Anti-Rassist” fühlen kann und weniger Gegenwind zu erwarten hat, wenn man unreflektiert und kritiklos zu allem applaudiert, was tonangebende schwarze Aktivisten oder ihre weißen Verbündeten fordern oder sagen. Damit tut man aber ganz sicher niemandem einen Gefallen.
    Zu Freundschaft und Wohlwollen gehört auch Kritik. Nicht Kritik an Gefühlen, aber Kritik an unsinnigen Sach-Positionen und unsinnigen Sach-Argumenten. (Ja, man kann auch als privilegierter Weißer ohne Diskriminierungs-Erfahrungen (beispielsweise) verstehen, wie Sprache und Bedeutung funktionieren und wie nicht.)

    Und Sinnentsprechendes gilt für einen Großteil der Sprach-Politik, auch bezogen auf andere „Felder“.

    Der ganze Tanz um das goldene Kalb der Sprache ist eine Absurdität. Es gibt eben neben der Sprache auch noch die reale Welt. Und nicht jedes Problem der realen Welt wurzelt in der Sprache. Manche Probleme wurzeln auch in der realen Welt selbst. Und sie müssen dann auch dort angegangen werden, auch wenn eine folgenlose Veränderung der Sprache viel einfacher ist und einem die Illusion gibt, etwas erreicht zu haben.

  56. @ MR RE:

    „Der Einwurf, was man denn machen solle mit Zitaten von/aus MLKs Reden, da er ja auch das N-Wort benutzt habe, kam recht häufig vor in dieser zunehmen sophistischen Diskussion.“

    Ok: Auf das grundsätzliche Problem, wie es dann mit dem Zitieren etwa von Reden von King steht, kann also nur legitimerweise aufmerksam machen, wer selbst aus Kings Reden zitieren möchte. Habe ich Ihre ganz unsophistische Argumentation so richtig verstanden?

  57. @55: „Woher eigentlich?“
    Schauen Sie sich mal „„ZDFzeit: Streitfall Rassismus – Wie gleich sind wir?“ an. Lief gestern Abend.

  58. @LLL
    “ Woher wissen Sie, dass „die Betroffenen“ in ihrer Mehrheit solch seltsame Forderungen stellen wie die, dass ein im Kontext einer historischen Rede völlig neutrales Wort zensiert werden muss, oder dass beim Sprechen über ein Wort dieses in verkrampft wirkender Weise vermieden werden muss?“
    Aha, es muss also die Mehrheit sein?
    Egal. Sie brauchen nicht antworten.
    Denn ich brauche keine xte verkrampfte Textwand.
    Diese Absurdität finde ich persönlich eher nervend und daher bleibe ich lieber in der realen Welt und höre auf meine realen schwarzen Kollegen und Bekannten, auch auf die Aktivisten. Und klopfe mir aus Ihrer Sicht von mir aus auch dafür auf die Schultern, dass die sich wahrscheinlich niemals darüber ärgern werden, dass ich auf das Wort verzichte.

  59. „Faszinierend, wie viele Menschen regelmäßig öffentlich Dr. Martin Luther King Jr.s Reden in der Originalsprache zu zitieren scheinen.“
    Ja, leider viel zu wenig. Am Ende werden wir uns nur an deren Schweigen erinnern.

    „Dieser erhebliche Teil der Kraftaufwendung ist ja nun mal nur deshalb nötig, weil es Menschen gibt, die sich von den Betroffenen nicht erklären lassen wollen, dass die das Wort nicht gerne hören.“
    Auch, wenn das jetzt pessimistisch klingt – wer sich etwas nicht erklären lassen will, die oder den erreichen Sie eh‘ nicht.

    Ich würde mir also Gedanken machen, ob der investierte Kraftaufwand dem erhofften Nutzen entspricht, und/oder, ob meine begrenzten Kräfte nicht bei anderen Problemen nicht besser angewendet werden sollten.
    Jetzt werden Sie vermutlich einwenden, dass es ja nicht mein Kampf ist, sondern dass die Afroamerikaner und Afrodeutschen die Entscheidungshoheit darüber haben, wie Ihre Probleme gelöst werden sollen.
    Also gut: Ich verwende keine N-Wörter in meinem aktiven Wortschatz. MLK-Reden und gewissen Büchern kann ich komplett aus dem Weg gehen. Kommt mir zwar nicht vor, dass das reicht, aber bitte…

  60. @61: Ich bleibe dabei: Eine Diskussion über die Verwendung des N-Wortes in MLK Zitaten ist m. E. eine Diskussion die von denen geführt werden will, die über die „tatsächlich“ diskriminierende Verwendung des Wortes nicht reden wollen.
    Vermutlich sind „wir“ uns darin sogar einig.
    Daraus nun die Schlussfolgerung zu ziehen, keine MLK Zitate mehr zu verwenden … Ist das nicht ein bisschen kindisch?

  61. @63.:
    „Daraus nun die Schlussfolgerung zu ziehen, keine MLK Zitate mehr zu verwenden … Ist das nicht ein bisschen kindisch?“ Achwas? Kindisch? Naaaiiiin, das heißt „Sarkasmus“!

    Gegenteiligen Vorurteilen zum Trotze habe ich genug Empathie, um zu erkennen, warum die N-Wörter beleidigend sind, allerdings bin ich aus abstrakt-philosophischen Gründen auch der Ansicht, dass es Möglichkeiten geben muss, ein Wort oder Zeichen zu verwenden, ohne es sich zu eigen zu machen. Und vom formal-rechtlichen Standpunkt sehe ich das so, dass die N-Wörter zumindest in solchen Situationen zeigbar sein sollten, in denen auch verfassungsfeindliche Symbole gezeigt werden dürfen.

    „Eine Diskussion über die Verwendung des N-Wortes in MLK Zitaten ist m. E. eine Diskussion die von denen geführt werden will, die über die „tatsächlich“ diskriminierende Verwendung des Wortes nicht reden wollen.“ Also, was mich betrifft, im Alltagsgebrauch oder meinetwegen auch, wenn BILD die zitiert, sind diese Wörter normalerweise als Beleidigung, Provokation oder allgemein rassistisch gemeint. Da dies meinerseits unstrittig ist, und hier auch niemand behauptet hat, habe ich hier dazu keinen Diskussionsbedarf. (Die Fälle im Alltagsgebrauch, wo sie nicht beleidigend etc. gemeint sind, liegt der Fehler halt in der mangelnden Bildung der/s Sprechenden, ist also keine Entschuldigung.)

    Ansonsten wie gesagt; meine Höflichkeit, bestimmte Wörter nicht zu verwenden, ist nicht „nur“ Höflichkeit, weil Höflichkeit wichtig ist, aber sie beweist nicht, dass ich kein Rassist bin, und hielte mich auch nicht davon ab.

  62. Ja… Sarkasmus in Schriftform … hatten wir schon mal das Thema.
    Ich weiß nicht mehr, wann Sie etwas ernst meinen und wann nicht, ernsthaft. Und ich sehe das auch nicht als mein Problem, es erschwert einfach tierisch die Diskussion.

    „Gegenteiligen Vorurteilen zum Trotze(…)“
    Resultieren die Vorurteile vielleicht auch aus eben jenem Problem, Ihren Sarkasmus nicht von ernst gemeinten Äußerungen trennen zu können?

    Falls es ernst gemeint war: Ihrer formal-rechtlichen Deutung kann ich folgen und halte sie für sinnvoll.

  63. „Resultieren die Vorurteile vielleicht auch aus eben jenem Problem, Ihren Sarkasmus nicht von ernst gemeinten Äußerungen trennen zu können?“

    Ich bezog mich auf die obige Diskussion zum Thema „Empathie für Nichtbetroffene“. Da sich das Vorurteil nicht auf mich persönlich bezogen hat, kann mein Sarkasmus alleine das nicht verursacht haben.

  64. @ MR RE:

    Dann können Sie ja sagen, was Ihr Argument in nicht-ironischer Form sein soll – wenn Sie daran Interesse haben.

  65. @LLL: Gern – ich mach’s auch kurz: Ich finde es wenig zielführend, wenn eine Diskussion darum, dass man das N-Wort vermeiden sollte, flugs in Gefilde abdriftet, die immer hypothetischer werden. Beispielsweise, wenn man über die genaue Zitierweise ganz bestimmter Reden im englischen Original diskutiert, anstatt sich auf jene Beispiele zu konzentrieren, die häufiger vorkommen und relevanter sind.

  66. @ MR RE:

    Wenn man aber grundsätzlich argumentiert, dass es auf den Kontext eines Wortes ankommt, sind dann nicht auch „seltene“ Beispiele wie die Zitation aus Reden des wohl bedeutendsten schwarzen amerikanischen Bürgerrechtlers überhaupt legitim?
    Und welche Beispiele wären Ihres Erachtens dann naheliegender für die These, dass eine Ächtung des N-Wortes im metasprachlichen und zitierenden Kontext anders als die im objektsprachlichen Kontext zu beurteilen sei (denn das war ja die These!)?
    (Objektsprachlich: Man bezeichnet Schwarze mithilfe des Wortes „N…“. Metasprachlich: Man bezeichnet das Wort „N…“ mithilfe es Wortes N…, wenn man explizit über dieses Wort spricht.

    Jetzt habe ich mich gegen meine ursprüngliche Absicht doch wieder auf eine längere Diskussion eingelassen. Aber ich finde es schade, dass bei wichtigen gesellschaftlichen Problemen (nach meinem Dafürhalten) falsche (Teil)diagnosen gestellt und daher Therapien angewandt werden, die teilweise nichts nützen und sogar schaden.

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