Man hört sie schon mit den Rollkoffern scharren: all die Leute, die nach Mallorca wollen. „Wann dürfen wir wieder nach Malle fliegen?“, fragte „Bild“ kürzlich erst den Tui-Chef. Und „Wann macht Mallorca wieder auf?“ fragt auch das „Mallorca Magazin“ vorige Woche gleich auf der Titelseite. Denn: „das ist die Frage, die derzeit Wirtschaft und Politik auf der Insel beschäftigt“.
Und eben nicht nur auf der Insel. Im Heft geht es auch um Neu-Mallorquiner, die eigentlich längst da wären, denen diese Pandemie allerdings einen Strich durch die Auswanderungspläne gemacht hat. Jetzt hocken sie da und warten.
„Das geht wirklich auf die Psyche”, sagt eine von ihnen. Eine andere, Rentnerin, 70 Jahre alt, klagt über Schlafstörungen und Nervosität, seit sie in Deutschland keine eigene Wohnung mehr hat, aber nicht in die neue auf Mallorca reisen darf. Hartes Leben. Aber ob es sie wirklich so hart getroffen hat wie die deutschen Mallorca-Villenbesitzer, die auch immer noch nicht anreisen dürfen und deren Pools so langsam umkippen? (Immerhin geben im Service-Teil „Profis“ Tipps, wie man mit den Pools umgehen soll, das ist doch hilfreich.)
Ja, es ist der Neid, der aus mir spricht, wenn ich über das „Mallorca Magazin“ schreibe. Ich habe zwar in meinem bisherigen Leben erst ein langes Wochenende auf der Insel verbracht, aber an vielen Stellen soll sie ja sehr schön sein, also abseits vom Ballermann und diesem anderen Ort, an dem sich rotgebrutzelte Touristen ins Koma saufen. Nein eh, sicher sehr schön.
Und deshalb ist Neid die erste Reaktion, wenn man ein Magazin durchblättert, dessen primäres Thema das Leben auf der Deutschen liebster Wohn- und Urlaubsinsel ist. Aber wie mein Lieblingshandwerker, der an der schönen Schlei in Schleswig-Holstein tätig ist, gerade erst so richtig sagte: „Stimmt, ich arbeite dort, wo andere Urlaub machen. Aber Arbeit ist es ja trotzdem.“
49 Jahre auf dem gut gebräunten Buckel
Das „Mallorca Magazin“, das mehr Zeitung als Magazin ist, hat schon beträchtlich viele Jahre auf dem wahrscheinlich gut gebräunten Buckel, es ist der 49. Jahrgang, und natürlich ist auch das einfach Arbeit: jede Woche ein Heft zu machen, das sich an eine klar abgegrenzte Zielgruppe richtet, an Deutsche, die sich für Malle interessieren. Gegründet wurde das „Mallorca Magazin“ einst vom spanischen Verleger und Kunstmäzen Pedro Serra, bis zehn Jahre später ein Deutscher daherkam, um das Blatt auf Vordermann zu bringen.
„Es funktionierte nicht, es sah unprofessionell aus, bestand aus schlecht übersetzten Artikeln aus spanischen Zeitungen, bot keinen Service, hatte kein journalistisches Konzept“, erzählte der ehemalige Chefredakteur Wolfram Seifert vor einigen Jahren der „Welt“. Mittlerweile sammeln laut Impressum neun Redakteurinnen und Redakteure Inselthemen ein, was während einer Pandemie natürlich auch auf Malle nicht so leicht ist. Ist ja kaum was los.
Hauptthema ist aber selbstverständlich auch: Corona. Seit 2. Mai dürfen die Mallorquiner wieder ins Freie, seit 11. Mai haben Cafés und Restaurants ihre Terrassen wieder zu 50 Prozent geöffnet. Auch Hotels dürften aufsperren, nur: „Wer soll denn da kommen?”, lässt das „MM“ einen Hotelier fragen, ohne ins hierzulande übliche „Die Wirtschaft wird sterben!“-Lamento zu kippen.
Im Gegenteil. Für ein Medium, dessen Hauptzielgruppe Urlauber und Zweitwohnsitzinhaber sind, die gerade alle nicht auf die Insel dürfen, ist der Ton wohltuend bedacht und vernünftig. Ein Text lässt eine Krankenschwester zu Wort kommen, die die ersten Jogger auf der Promenade in Palma kommentiert: „Was sind schon sieben Wochen? Die meisten haben sich einen Hometrainer auf die Terrasse gestellt. Das ist doch wohl zu schaffen.“
„Kommen Sie nach Mallorca und spielen Sie Golf“
In einer ganzseitigen Anzeige schalten Insel-Unternehmer gemeinsam Durchhalteparolen, in denen das Wort Subvention kein einziges Mal vorkommt. „Wir freuen uns mehr denn je, Golfer bei uns willkommen zu heißen, wenn der Alarmzustand aufgehoben ist. Kommen Sie nach Mallorca und spielen Sie Golf. Mein Team und ich erwarten Sie!“, schreibt der Direktor eines Golfclubs, und der eines Hotels: „Wenn wir alle solidarisch unsere Eigenverantwortung wahrnehmen, ist die Krise möglichst bald zu Ende – wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen mit unseren treuen Stammgästen!“
Die nächste Headline zu einem Text über die Wiederöffnung der Schulen in Spanien lautet: „Jetzt nicht alle Fortschritte gefährden.“ Eine Seite weiter fordert die Pfarrerin der deutsch-sprachigen evangelischen Gemeinde auf den Balearen (auch kein schlechter Job): „Absage an die Angst – für mehr Mut!“
Doch es wäre keine deutsch(sprachig)e Zeitung, wenn nicht auch ein bisschen mäkeliges Deutschsein durchkäme. Eine Kolumne lang beschwert sich eine Autorin über alle möglichen Handwerker, die sie engagieren wollte, die aber auf diese oder jene Weise (zu spät gekommen, Vorschuss verlangt, nicht wieder gekommen – also das Übliche) enttäuschten: „Das alles war vor Corona-Zeiten. Wenn denn das Virus überhaupt etwas Gutes hatte, dann vielleicht die Hoffnung, dass Arbeit in Zukunft wieder einige Wertschätzung erfährt.“
Das „Mallorca Magazin“ – übrigens nicht zu verwechseln mit der ebenfalls wöchentlich erscheinenden „Mallorca Zeitung“ oder der monatlichen „Inselzeitung Mallorca“ – bietet eine bunte, leichte Mischung aus Themen, die auch beim Liegen am hoffentlich nicht umgekippten Pool nicht weh tun.
Direkt nach dem Krieg: die Promi-Seite
Auf einer dreiseitigen Strecke über die Kathedrale in Palma folgen anderthalb Seiten über die endlich wiedereröffneten Friseursalons, und wenn Sie auch nicht wussten, dass Udo Walz einen eigenen Laden in Palma hat, dann sind wir schon zu zweit. Für das „Mallorca Magazin“ ist das jedenfalls die Titelgeschichte: „Figaro, Figaro, Figaro!“, also auf zu den deutschen Insel-Friseuren, die wie deutsche Friseure in Deutschland jetzt eben auch Masken tragen.
Danach ein Text, wie „Deutsche und ihre mallorquinischen Angehörigen das Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Insel erlebten“, was nun nicht weiter wundert, da der aktuelle Chefredakteur ein Buch über das Thema geschrieben hat. Direkt nach dem Krieg: die Promi-Seite.
Dort ist das „Mallorca Magazin“ dann doch mehr Magazin, mehr Blättchen, als Zeitung: Die Redaktion berichtet darüber, welches deutsche Malle-Sternchen nun schwanger ist oder nicht („Lorenz Büffel wird Papa“) und dass TV-Moderatorin Sonja Zietlow beinahe nicht bei „The Masked Singer“ auf ProSieben mitmachen wollte, weil sie Angst hatte, danach nicht mehr auf die Insel zurück zu dürfen. „Wann Zietlow, die am 13. Mai ihren 52. Geburtstag feiert, wieder auf die Insel kommen kann, steht in den Sternen.“ Ein Drama!
„Es ist nicht unsere Aufgabe, da unangenehm zu werden“, sagte der ehemalige Chefredakteur Seifert 2009 der „Süddeutschen Zeitung“ über die Star-Interviews. „Wir haben so guten Zugang zu den Promis, weil sie von uns ungewöhnlich fair behandelt werden.“ Auf einer Insel kann man einander schließlich noch weniger aus dem Weg gehen, und wenn der Til Schweiger erst mal sauer ist, naja, Sie wissen schon.
„Wann rollt der Ball wieder?“, fragt sich gegen Ende auch das Sportressort, da sind eben alle gleich. Irgendwie ist auch das „Mallorca Magazin“ nur ein Heft wie du und ich, halt bloß mit auffallend vielen Anzeigen von deutschen Immobilienanwälten. In den 1990er Jahren druckte das Magazin noch um die 50 Seiten mit Immobilienanzeigen – derzeit sind es nicht einmal zwei.
Doch auch das wird sicher wieder anlaufen. Mallorca hat ja alles, was die Deutschen brauchen: Strand, Bratwurst, Jürgen Drews. Und wie ich, dem Annoncenteil sei Dank, nun weiß, sogar eine deutsche Gruppe der „Anonymen Alkoholiker“, immer mittwochs, 19.30 Uhr, im Kloster La Porciuncula.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber.
Sigrid Neudecker war Redakteurin der Wiener Stadtzeitung „Falter“ und gehörte von 2004 bis 2008 zur Redaktion von „Zeit Wissen“. Damals schrieb sie auch das Sex-Blog „Man muss ja nicht immer reden“ auf „Zeit Online“. Nach ein paar Jahren in Paris, wo sie ein Buch über Kochen schrieb, war sie bis vor kurzem Redakteurin im Hamburg-Ressort der „Zeit“. Derzeit lebt sie als freie Autorin und Textchefin in Hamburg.
In den nächsten Wochen schreiben: Cordt Schnibben, Johanna Halt und Arno Frank. Ältere Ausgaben in unserem Archiv.
2 Kommentare
Ist das wirklich Neid, Ungerechtigkeiten zu erkennen und darüber zu schreiben? Ich finde nicht. Denke eher, „Neid“ ist Frame um die Verantwortung zu verlagern.
Nicht das Problem selbst sei das Problem, sondern dass ich mich daran reibe. Das sei sogar eine christliche Todsünde, mindestens eine psychische Störung. Auf jeden Fall mein (inneres) Problem, kein echtes.
So richtig verstehe ich den Sinn der Kolumne nicht. Ich habe keinen Pool auf Mallorca, keine Yacht dort und ich werde dort auch nie golfen. Aber ich habe einen Dauercampingplatz in der Lüneburger Heide, zu dem ich nicht durfte und ich sorgte mich um die Pflanzen dort und um meinen Wohnwagen. Warum sollte es verwerflich sein, wenn sich Menschen um ihren Pool auf Malle sorgen?
Übrigens ist Mallorca wirklich wunderschön und man sollte dort mal gewesen sein. Fahren Sie dort mal in die Berge und Sie wissen, was ich meine.
Ist das wirklich Neid, Ungerechtigkeiten zu erkennen und darüber zu schreiben? Ich finde nicht. Denke eher, „Neid“ ist Frame um die Verantwortung zu verlagern.
Nicht das Problem selbst sei das Problem, sondern dass ich mich daran reibe. Das sei sogar eine christliche Todsünde, mindestens eine psychische Störung. Auf jeden Fall mein (inneres) Problem, kein echtes.
So richtig verstehe ich den Sinn der Kolumne nicht. Ich habe keinen Pool auf Mallorca, keine Yacht dort und ich werde dort auch nie golfen. Aber ich habe einen Dauercampingplatz in der Lüneburger Heide, zu dem ich nicht durfte und ich sorgte mich um die Pflanzen dort und um meinen Wohnwagen. Warum sollte es verwerflich sein, wenn sich Menschen um ihren Pool auf Malle sorgen?
Übrigens ist Mallorca wirklich wunderschön und man sollte dort mal gewesen sein. Fahren Sie dort mal in die Berge und Sie wissen, was ich meine.