Sender wiederholt sich

Umfrage: Wie fragwürdig ist diese ntv-Umfrage?

Der Nachrichtensender ntv hat am Montag mal wieder eine Telefonumfrage gemacht, die den ganzen Tag andauerte, und ich habe etwas Irres gemacht: Ich habe diese Umfrage verfolgt, Ergebnis für Ergebnis, als wäre sie seriös und ein Erkenntnisgewinn. Und nicht bloß eine Masche, Menschen dazu zu verleiten, da für 50 Cent im Festnetz ihre Stimme abzugeben. Kosten mobil: „viel höher“.

Kurz nach halb neun ging’s los: ntv rief seine Zuschauer*innen auf, anzurufen. Und dann wieder. Und wieder. Bis zum Abend insgesamt zwanzig Mal.


Um 9:36 Uhr lag das erste Ergebnis zu der Frage vor, ob es eine „bundesweite Mundschutzpflicht“ geben sollte. 86 Prozent waren dafür, 14 Prozent dagegen.

Etwa eine halbe Stunde später, gegen 10:11 Uhr, trat dann Ministerpräsident Markus Söder ans Rednerpult des Bayerischen Landtags, ntv war live drauf und blendete während Söders Regierungserklärung (in der es auch um Mundschutze ging) immer wieder Umfrage und Telefonnummern ein.

Um 10:13 Uhr, 10:19 Uhr und 10:22 Uhr lautete das Ergebnis weiterhin: 86 zu 14. Das ist interessant, da bleibt man dran.

Um 10:25 Uhr dann, plötzlich, ein Sprung: 88 Prozent waren jetzt für eine Mundschutzpflicht, 12 dagegen.

Ab 11:06 Uhr ging es dann so weiter:

11:37 Uhr:

12:05 Uhr:

14:05 Uhr:

Gut drei Stunden lang 90 Prozent dafür, 10 Prozent dagegen.

Und ab 14:40 Uhr:

Den ganzen Nachmittag dasselbe Resultat. Um 18:10 Uhr verkündete die Moderatorin schließlich das Endergebnis, das immer noch – Überraschung! – das von 14:40 Uhr war. Unverändert 89 Prozent dafür, 11 Prozent dagegen.


Aufregend, oder?
Dass sie nicht repräsentativ ist, also keinen Durchschnitt der Bevölkerung abbildet, hat ntv immerhin eingeblendet, im Kleingedruckten. Aber: Eine Umfrage, die sich den ganzen Tag nur marginal verändert, und von der man auch gar nicht weiß, wie viele und ob nicht immer wieder die selben Menschen daran teilgenommen haben. Inwieweit ist dem Ganzen überhaupt zu trauen?

„Möglichkeit einer Interaktion“

Auf die Frage, ob die Ergebnisse so korrekt sind, und wieso ntv auf solche Telefonumfragen setzt, schreibt die Sendersprecherin:

„Wir möchten unseren Zuschauern und Usern die Möglichkeit einer Interaktion bei wichtigen und gesellschaftlich relevanten Themen geben.“

Die Zahlen spiegelten „eine Momentaufnahme wider“; und man biete ja auch „regelmäßig die repräsentativen Forsa-Umfragen bei RTL/ntv an“.

Ach, und:

„Zu den Zahlen: Ich habe sie checken lassen und sie stimmen so.“

Auf nochmalige Nachfrage spricht die Sprecherin dann von einer „5-stelligen Zahl an Votings“, sie nennt aber keine Zahl, nicht mal ungefähr.

Ergebnis wiederholt: Zweimal dieselbe Moderation

Wie viel so ein Anruf brachte, ist auch deshalb fraglich, weil ntv um 16:36 Uhr und 17:37 Uhr exakt dieselbe Moderation gesendet hat. Bei der zweiten wurde also suggeriert, es handle sich um einen aktuellen Zwischenstand, dabei war es nur eine Wiederholung. Natürlich wieder mit dem Aufruf anzurufen.

„Das war leider ein bedauerlicher Fehler, der so nicht hätte passieren dürfen“, schreibt die Sprecherin – was zu glauben allerdings ein wenig schwer fällt, ntv wiederholt ja auch schon mal Schalten und Studiogespräche und suggeriert, sie wären live. Das hat der Sender vor knapp vier Jahren eingeräumt.

Im aktuellen Fall erklärt die Sprecherin:

„Da sich die Zahlen im Laufe des Tages, bis auf das Zwischenergebnis zwischen 10 und 11 Uhr, kaum verändert haben, waren sie am Nachmittag bei jedem Zwischenstand in etwa identisch – was in Anbetracht einer satt 5-stelligen Zahl an Votings aber auch nicht verwundert.“

Dass überhaupt immer wieder „Zwischenstände“ eigeblendet werden, ist die nächste Schwierigkeit dieser Umfrage. Denn das kann Menschen natürlich in ihrem Abstimmungsverhalten beeinflussen, zu sehen, wie viele sich bereits wofür entschieden haben. Hier dient es wahrscheinlich als Trigger, noch mehr Menschen zum Abstimmen zu bewegen.

Wie viel Geld mit der Telefonumfrage eingenommen wurde, ist nicht genau zu sagen: Bei 50 Cent pro Anruf aus dem Festnetz und mindestens 10.000 Anrufen, wenn die Angaben des Senders stimmen, wären das immerhin 5.000 Euro. Wie viel davon bei ntv hängen bleibt, ist unklar. Es muss allerdings genug gewesen sein, um den Unsinn den ganzen Tag durchzuziehen.

11 Kommentare

  1. Und wahrscheinlich, wie bei allen Call-In-Shows, war die Lösung völlig absurd und gewonnen hat die Geldpakete auch keiner.

  2. Ich halte die Umfrage zu 89 Prozent für fragwürdig. Die restlichen 11 Prozent sind okay.

  3. Öhm, merke gerade, das ist missverständlich. Sollte ein Witz über diese Art der Meinungserhebung sein, kein Statement sein zum Inhalt der Umfrage…

  4. Info: Im vorletzten Absatz ist ein Tippfehler: „Dass überhaupt immer wieder „Zwischenstände“ eigeblendet werden, ist die nächste Schwierigkeit dieser Umfrage. “
    – eigeblendet-

  5. @Jens:“eigeblendet“ ist zu 87%richtig! Ein richtig weißes Ei war schon zu römischen Imperiumszeiten Waffentauglich😉.

    Ich denke dieser „news“Sender wandelt auf Fox Spuren und versucht den Präsident von irgendwas zu überzeugen…
    Dessen bin ich zu 85% sicher!
    Das wir einen Präsident haben…wir haben doch einen…oder???
    Muss eine Umfrage machen…

  6. Es ist ja nicht nur n-tv, auch wenn der Anstrich da möglicherweise etwas seriöser ist. So sinnlos wie jede RTL-, SAT.1-, ProSieben-Text-Umfrage. Schlimmer ist höchstens, wie viele Menschen den Unterschied zwischen repräsentativen und seriösen Umfragen von so etwas nicht kennen. „Ein Munschutz kann die Ansteckung mit Coronaviren nicht verhindern. Sollte Deutschland wirklich eine Pflicht einführen?“

  7. ja, es ist falsch, Zwischenergebnisse von Umfragen einzublenden, da einige dann ermutigt werden anzurufen, wenn ihnen das Zwischenergebnis nicht passt.
    Das ist nicht seriös.

    Unabhängig davon:
    Dass sich das Ergebnis nicht wesentlichlich ändert über den Tag, kann auch daran liegen, dass die Frage bei den meisten Menschen mit durchschnittlichen Verstand nur so zu beantworten ist: bundesweite Regelung.

  8. Ich kann ja verstehen, dass man an Umfragen teilnimmt. Aber warum ist man bereit, dafür etwas zu zahlen?

  9. Das Problem ist ja nicht nur die penetrante Bewerbung und die grundsätzliche Absurdität, eine Umfrage in durchzuführen, bei der die Teilnehmer für die Teilnahme bezahlen müssen. Auch inhaltlich reiht sie sich in das Versagen der deutschen Medien in Sachen Corona-Berichterstattung ein. Beim oberflächlichen lesen erweckt die Umfrage nämlich den Eindruck, dass sie abfragt, ob man für eine Mundschutzpflicht ist – Antwort: 90% dafür. Tatsächlich wird das aber nicht gefragt: die Möglichkeit, dass man die Mundschutzpflicht grundsätzlich ablehnt, gibt es gar nicht. Theoretisch wäre bei dieser Fragestellung auch denkbar, dass 90% der Befragten eine Mundschutzpflicht ablehnen, aber für den Fall, dass sie doch eingeführt wird, eine bundesweite Regelung bevorzugen.

    Das ist auch deshalb bemerkenswert, da die Berichte der letzten Tage allgemein suggerierten, dass eine Mundschutzpflicht mehr oder weniger selbstverständlich sei. Tatsächlich ist diese aber unter Fachleuten äußerst umstritten, es gibt durchaus auch Fachleute, die befürchten, dass die Mundschutz Pflicht letztendlich kontraproduktiv ist. U.a., da sie Menschen zu unvorsichtigen Verhalten verleitet und der von Privatpersonen tatsächlich getragenen Mundschutz nur einen sehr lückenhaften (oder z.T. auch gar keinen) Schutz bietet.

    Das ist bei weitem nicht nur ein Problem von n-tv. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) führt seit Wochen eine derartige Umfrage nach der anderen durch. Da wird dann z.B. gefragt, ob man mit den Maßnahmen der Regierung zufrieden ist oder sich härtere Maßnahmen wünscht. Die Antwortoptionen „die Maßnahmen sind übertrieben“ oder auch „die Maßnahmen sind zwar hinsichtlich ihres Umfangs in Ordnung, aber es sind die falschen Maßnahmen“ kommen gar nicht erst vor. Wenig überraschend kommt dann heraus, dass die Bevölkerung die Maßnahmen gut oder zu lasch findet. Und darauf baut dann nicht nur die Berichterstattung auf, sondern solche Umfragen beeinflussen auch die tatsächliche (repräsentativ ermittelte) Meinung von Menschen.

    Dabei sind die Meinungen über die Maßnahmen – allen voran bei der Mundschutzpflicht – unter Fachleuten unterschiedlicher, als die Berichterstattung suggeriert. Zwar kommen abweichende Meinungen durchaus vor – z.B. heute die von Frank Ulrich Montgomery, bis letztes Jahr Präsident der Bundesärztekammer, der die Maskenpflicht als „Überbietungswettbewerb föderaler Landespolitiker“ beschreibt. Aber in der sonstigen Berichterstattung schlägt sich das praktisch gar nicht nieder. Beim RND ist die Kritik im Newsticker versteckt, während ansonsten zahlreiche selbständige Artikel über die Maskenpflicht (bis hin zur Anleitung zur Herstellung eigener Masken) erscheinen.

  10. Umfragen bei ntv, die 50 Cent pro Anruf kosten, werden von diesem Sender regelmäßig durchgeführt. Ich halte diese Masche für im höchsten Maße unseriös. Diese sogenannten Umfragen sind weder sinnvoll strukturiert noch in irgendeiner Form überprüfbar. Derartiges Gebaren lässt den Sender, und mit ihm eigentlich alle Privaten als reine Unterhaltungsformate erscheinen. Im Gegensatz von privaten Presseverlagen, die i.d.R. seriöse Produkte anbieten (regionale Tageszeitungen, SZ, FAZ, Spiegel, stern usw.) kenne ich außer Servus-TV keinen einzigen seriösen privaten Radio- oder Fernsehsender. Daher halte ich es auch für wenig hilfreich, an diese Sender eventuell Coronahilfen zu zahlen.

  11. Mir fehlte da ganz klar die Option „weiß nicht/keine Meinung“. Die wähle ich immer gerne aus, um dann für 10 Euro zwanzig Mal anzurufen.

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