Es ist Dienstag, Heft raus, rein in die Jogginghose und in die Theorie. Zeit für etwas kommunikationswissenschaftliches Homeschooling: Heute geht es um das psychologische Medien-Nutzungs-Modell des Mood-Managements. Das besagt, sehr vereinfacht gesagt, dass Menschen sich Medien und Inhalte systematisch aussuchen, um ihre Stimmungen zu beeinflussen, um sie zu regulieren und aktiv zu verändern.
Gelangweilte schauen etwas Anregendes, Gestresste etwas Beruhigendes, Traurige etwas Erheiterndes, und diejenigen, die gut drauf sind, rezipieren aufbauende Dinge, damit das so bleibt.
Die Idee der Mediennutzung zur Emotionsregulierung geht auf die 80er-Jahre zurück und mag heute etwas trivial erscheinen, war aber damals deshalb neu und interessant, weil zumindest bis in die 60er noch das Paradigma des passiven, beschallten Empfängers galt, der nicht wirklich mündig oder gar emanzipiert mit Radio und Fernsehen umgehen konnte.
Wir reparieren unsere Stimmung
Der Mood-Management-Theorie nach ließen sich Nutzer nun zwar immer noch ganz gerne passiv von Radio und Fernsehen berieseln, entschieden sich jedoch unbewusst dafür. Man ging auch unter anderem mit diesem Modell weg von der akademischen Grundhaltung „Was machen die Medien mit den Menschen“ hin zu „Was machen die Menschen mit den Medien?“.
Die Theorie wurde dann unter anderem um die Idee erweitert, dass man Medien nicht nur nutzt, um von negativen Gefühlen abzulenken und positive herzustellen, sondern auch einsetzt, um unser Befinden zu heilen:
„We propose that exposure to entertaining media is also driven by processes of mood repair that directly address, rather than simply distract from, the source of negative affect. On the basis of the belief that negative mood often results from the failure to satisfy needs.“
Mood Repair, behalten Sie das im Hinterkopf, das wird später abgefragt.
Die Kolumne
Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Außerdem ist sie Vortragsreisende und macht, zusammen mit Christiane Stenger, den Philosophie-Podcast „Sag niemals Nietzsche“. Bei Übermedien schreibt sie seit 2018 jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.
Als große Küchenempirikerin, die ich ja bin, habe ich den Eindruck, dass sich derzeit in der Mediennutzung und Medienproduktion ein heilsames Krisen-Mood-Management herausbildet. Während die Öffentlich-Rechtlichen den Wunsch nach Information und Seriosität bedienen, und von Rezipienten dankbar für Aufklärung und Informationsvermittlung genutzt werden (und die Öffentlich-Rechtlichen diese Aufgaben momentan wirklich vorbildlich erfüllen), gibt es auf der anderen Seite das Bedürfnis oder zumindest eine Empfänglichkeit für konstruktiven Journalismus und „Wholesome Content“.
Heilsame Inhalte, behalten Sie auch das im Hinterkopf, das kommt später auch nochmal dran.
Laut der Auswertung „Die Corona-Pandemie und ihr Einfluss auf den Alltag“ des Werbevermarkters Ad Alliance ist die Mediennutzung in der Corona-Krise insgesamt um 50 Prozent gestiegen. Neben dem erhöhten Interesse an politischen und wirtschaftlichen Themen verzeichne man auch eine neue Vorliebe für Kochen und Psychologie.
Das Fernsehen sei Hauptlieferant aktueller Informationen zu Corona, werde aber auch vermehrt zur „Quelle für Positives“ – im Englischen würde man vielleicht zu dieser Art Inhalt „wholesome“ sagen.
Leute, die sich bei Fortnite nicht killen? Gefällt mir
Man meint damit gemeinhin heilsame, erbauliche Inhalte, es gibt ganze Best-ofs auf Youtube und Tiktok, die schnurrende Katzen zeigen, viel Flausch, lachende Babys, Menschen, die überrascht werden, ganz viel Quatsch, Menschen in Fortnite, die anlasslos hilfsbereit sind (statt sich zu killen), langsam zerriebene Seife, Leute, die dich anbrüllen, dass du dich selbst lieben sollst, und alles andere, was das Herz wärmt und das Gemüt hebt. Es repariert die Stimmung.
„So gaben im Jahr 2018 über 50 Prozent der Befragten an, bei Müdigkeit bevorzugt Bewegtbildinhalte zu nutzen. Auch bei Stress sind TV und Video [das meinte auch Videos im Internet] gern genutzte Medien, gleichzeitig verstärkt deren Konsum aber auch angenehme Gefühle wie Ausgeglichenheit und Entspannung. In der Regel wird Fernsehen ‚lean back‘ konsumiert.“
„Das (generische) Internet ist vor allem das Ventil, um Neugierde zu stillen, dient aber auch der Vermeidung von Einsamkeit.“
Kommt zusammen, Leute, lernt euch kennen
Als Inhalte, die all diese Aufgaben besonders erfüllen, also „das Befinden heilen“, die Einsamkeit vermeiden, Spannungen lösen, die Nervosität abbauen und/oder Betrachter auf andere Gedanken bringen, fallen vor allem die gestreamten Wohnzimmer-Performances auf: Ich denke da an die Konzerte von Igor Levit.
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Und es gibt noch viele, viele weitere Beispiele. Überall intime Kultur, die ablenkt und dabei hilft, aus der Enge des eigenen Wohnzimmers zu fliehen. Es sind Inhalte, die uns aus der Privatheit ihrer Absender kurz umarmen und einen eskapistischen Ausflug, nicht nur in ihre Wohnräume, sondern auch in ihre Kunst gestatten.
Nutzt die Zeit! Optimiert euch! Lernt härter!
Sie stellen zudem einen angenehmen, einen versöhnenden Kontrast zu Selbstverbesserungsempfehlungen dar, welche Apps und Podcasts derzeit aus ökonomischen Gründen ganz gerne bewerben. Sprachen, Kochen und Instrumente lernen, Yoga „neu entdecken“, unbedingt die Situation so effizient wie möglich nutzen für Selfcare, wobei im ökonomischen Kontext meist eher Selbstoptimierung gemeint ist. Serviceorientierte Inhalte leben davon, dass wir uns unvollkommen fühlen sollen, damit wir sie beanspruchen.
Es sind Anforderungen einer beschleunigten Gesellschaft, wie Soziologe Hartmut Rosa sie bezeichnet, die jedoch derzeit mit einem wirtschaftlichen Stillstand kollidieren – das versetzt uns in einen lakonisch-aufgeregten Zustand zwangsberulaubter Workaholics auf Baldrian und Koks, es ist jeden Tag Sonntag und Montag gleichzeitig. Hinzu bekommen wir in unserem Wartezimmer-Wohnzimmer stündlich eine Überdosis Weltgeschehen.
Deswegen haben nicht nur die oben genannten Inhalte selbst etwas Heilsames, auch die Form der gemeinsamen Verabredung, meist gegen 19:00 Uhr, hat ähnlich wie bei linearen Fernsehen etwas kurz Entschleunigendes und Vergemeinschaftendes.
Das Private ist ökonomisch
Jetzt wo Arbeit und Zuhause, das Private und das Ökonomische derart zusammengerückt sind, werden Inhalte, die uns ein rein hedonistisches Mood-Managment erlauben, also genauer: das Krisen-Mood-Management durch Wholesomeness umso wichtiger.
Aufgrund der positiven Resonanz bei Hörern und Zuschauern auf die klassischen Medieninhalte erklären manche schon die Rückkehr des medialen Lagerfeuers. Das stimmt nur teilweise, denn es verlagert sich vom televesiven Lagerfeuer hin zum digitalen, zu Bewegtbildern, die einem erlauben, kurz den Feierabend im Internet zu genießen, der einem daheim gerade vielleicht nicht möglich ist.
Und das stimmt nur punktuell, da dieses Versammeln um die Stammestrommel vielleicht auch nur gerade jetzt Ausdruck der Sehnsucht nach gemeinsam rezipierter, passiver Poesie ist, die uns heraus- aber nicht überfordert. Anspruchsvolles Zudecken als eine mediatisierte Form des Hygge-Gefühls, in einem Alltag der wohnzimmerig geworden ist.
Wenn wir uns daheim nicht mehr in das Private zurückziehen können, weil jetzt alles im eigenen Zuhause vereint wird, Schule, Arbeitsplatz, Aufenthaltsraum, Spielplatz, Restaurant, Kino und natürlich Wohnzimmer, weil jetzt das Private auch Arbeit ist, öffnen die Lesungen, Konzerte und improvisierten Inszenierungen eine kleine Flucht ins Private – da draußen. Unsere Fenster zur Welt, lenken jetzt auch gut von ihr ab.
Hausaufgabe für nächste Woche: Geben Sie emotional auf sich acht.
4 Kommentare
„Es ist jeden Tag Sonntag und Montag gleichzeitig“ 😅😓 Sehr gelungene Analyse!
Ich finde mich in diesem Artikel wieder und das mag ich nicht.
Wo da der Herr Levit so traurig an seinem Flügel sitzt – ich hoffe doch, mit seinem Beethoven-Podcat geht es trotz Corona demnächst weiter!
Eigentlich müssten die VR-Brillen-Verkäufe durch die Decke gehen…
„Es ist jeden Tag Sonntag und Montag gleichzeitig“ 😅😓 Sehr gelungene Analyse!
Ich finde mich in diesem Artikel wieder und das mag ich nicht.
Wo da der Herr Levit so traurig an seinem Flügel sitzt – ich hoffe doch, mit seinem Beethoven-Podcat geht es trotz Corona demnächst weiter!
Eigentlich müssten die VR-Brillen-Verkäufe durch die Decke gehen…