Die neue Punktevergabe ruiniert den Eurovision Song Contest
Am Ende des Abends sah es aus wie ein finaler Showdown zwischen zwei Ländern, die erbitterte politische und teilweise militärische Gegner sind: Ukraine gegen Russland. Das mit aktueller Bedeutung aufgeladene Geschichtsdrama gegen kühl kalkuliert eingesetztes Kapital. Als die Moderatoren die beiden letzten Punktzahlen des Abends verkündeten, stellte sich heraus: Russland war bei den Zuschauern besser angekommen, aber die Zustimmung für die Ukraine war groß genug, um mit dem Vorsprung bei den Juroren den Gesamtsieg zu erreichen.
Ein interessantes Detail in diesem vermeintlichen Kampf zweier Erzrivalen erfuhren die Fernsehzuschauer nicht: Die beiden Songs waren beim Publikum des jeweils anderen Landes bestens angekommen. Russland erhielt von den Zuschauern 12 Punkte aus der Ukraine, die Ukraine 10 Punkte aus Russland. Was doch mindestens ein schöner Kontrapunkt zur schlichten These vom erbitterten Duell dieser beiden Länder war.
Es gibt ein verbreitetes Missverständnis über den Eurovision Song Contest: Sein Kern seien die Auftritte der Künstler mit ihren Liedern. In Wahrheit sind die nur der notwendige Vorwand für das, was den eigentlichen Reiz dieses Wettbewerbs ausmacht: die Zeremonie der Punktevergabe.
Mich haben schon als Kind diese Rituale mehr fasziniert als die eigentlichen Songs. Ich habe mit kariertem Papier vor dem Fernseher gesessen und detaillierte Statistiken angelegt, wer wem welche Punkte gibt. (Gut, vielleicht bin ich da nicht ganz repräsentativ. Ich habe mich als Kind auch, als meine Eltern mich mal zum Frankfurter Flughafen mitgenommen haben, nur für die große klackernde Anzeigetafel interessiert und nicht für die vermeintlich aufregenden Fluggeräte.)
Aber ich glaube, dass die Punktevergabe und ihre bizarre, umständliche, ausufernde Art der Verkündung ein entscheidender Bestandteil dieser Show sind. Ohne sie hätte der Grand-Prix nicht all diese Jahrzehnte überlebt, wäre nicht in dem Maße zum „Kult“ geworden. (Woran soll es sonst liegen? An der Qualität der Musik?)
Zu diesem Ritual gehörte nicht nur das faszinierte Zusehen, wenn in die verschiedenen Länder geschaltet wurde, mit all den Pannen und Peinlichkeiten und der detaillierten Durchsage der Punkte. Dazu gehörte vor allem auch die teils mit heiligem Ernst geführte Diskussion über das, was diese Punkte über das Verhältnis der Nationen untereinander aussagte.
Wesentliches Element der ESC-Folklore sind diese (oft völlig übertriebenen) Debatten darüber, ob „uns“ keiner mag, ob es eine „Ostblock-Mafia“ gibt und ob Skandinavier schon deshalb unschlagbar sind, weil sie sich untereinander die Höchstpunktzahlen zuschubsen. Die Feindschaft zwischen den Juroren aus Österreich und Deutschland, die dem jeweils anderen Land ewig keinen Punkt geben wollten, ist legendär.
All das sorgte für Gesprächsstoff vor dem Fernseher, für Spannung und für Entsetzen oder Jubel, wenn ein Teilnehmer, der bislang überall abgeräumt hatte, von einem Land plötzlich nur einen Punkt bekam. In diese Dramaturgie hat die Eurovision schon vor ein paar Jahren eingegriffen, als sie – aufgrund der gewachsenen Teilnehmerzahl – nur noch die Punkte 8, 10 und 12 vorlesen ließ. Mit dem neuen System, das gestern erstmals eingesetzt wurde, hat sie diese Zeremonie vollends ruiniert.
Sowohl die Zähllogik als auch der Ablauf sind auf ein einziges Ziel hin geändert worden: Spannung aufrechtzuerhalten. Diese Spannung ist aber völlig abgekoppelt von interessanten einzelnen Beobachtungen oder Wertungen. Spannung bedeutet einzig und allein: Bis zur letzten Minute soll offen sein, wer gewinnt.
Es ist das gleiche Prinzip von Spannung, das deutsche Fernsehsender glauben lässt, dass eine Castingshow aufregender wird, wenn die Bekanntgabe der Entscheidung endlos hinausgezögert wird.
In einer Hinsicht hat das neue Punktesystem gestern funktioniert: Bis zum Schluss war nicht klar, wer gewinnen würde. In jeder anderen Hinsicht hat es nicht funktioniert.
Die Schalten zu den Ländern waren nun kaum mehr als ein sinnloses Ritual: Gerade mal die Höchstpunktzahl durften die Sprecher noch durchgeben. Alle anderen Zahlen verteilten sich so schnell, dass man ihnen nicht folgen konnte. Früher gab es da noch Raum für Reaktionen aus dem Saalpublikum, ein Aufstöhnen etwa, wenn Land X mal wieder Land Y bevorzugt, oder wenn ein Favorit der Fans überraschend gut bewertet wird. Fast nichts davon war übrig.
Vor allem waren es ja nur Jury-Ergebnisse, die hier genannt wurden. Jede Punktzahl stand unter dem Vorbehalt, dass sie nur eine Hälfte des Landesvoting darstellt. Besonders grotesk ist, dass die Jury-Punkte auf diese Weise viel mehr Raum bekamen als das Televoting, obwohl sie viel erratischer und weniger aussagekräftig sind: Warum soll ich mir im Detail erklären lassen, wie fünf mir völlig unbekannte Menschen aus einem Land abgestimmt haben, aber nicht, was bei Hunderttausenden in diesem Land ankam?
Die Jurys, deren Wiedereinführung vor ein paar Jahren ohnehin eine gigantische Fehlentscheidung war, bekommen dadurch im Ablauf noch mehr Gewicht.
Das Votum des Publikums, bei dem es interessant zu sehen wäre, wo welcher Beitrag ankam und wo er durchfiel, wird dagegen nur als europäische Gesamtsumme verkündet. Gerade das, was so oft Anlass zu Diskussionen gab, ist weitgehend unsichtbar geworden.
Die Punktevergabe ist nicht mehr spannend, weil man verfolgen kann, wie die verschiedenen Länder den Abend erlebt haben. Sie ist nur noch spannend, weil das Ergebnis noch nicht feststeht.
Erinnern Sie sich an den Abend vor zwei Jahren, als Conchita Wurst gewann? Aus der Sicht der Leute, die beim Grand-Prix das Sagen haben, war das eine langweilige Zeremonie, weil schon vor ihrem Schluss feststand, dass Conchita Wurst gewinnen würde. Tatsächlich war es eine aufregende Zeremonie, weil man Land um Land zusehen konnte, wie sehr diese polarisierende Figur auch fern der ach-so-toleranten westlichen Welt ankam. 5 Punkte aus Russland, 10 aus Ungarn, 7 aus Moldawien! (Auch da war der Reiz schon dadurch getrübt, dass die Jurywertung Teil dieses Ergebnisses war. Nun aber taucht das Publikumsvotum des einzelnen Landes gar nicht mehr auf. Nur die Stimmen aus dem eigenen Land werden am Schluss kurz und als lästige Pflichtübung eingeblendet.)
Dieses Nachbarschafts-Voting, über das so viel diskutiert wurde in den vergangenen Jahren – es verschwindet auf diese Weise nicht. Man sieht es nur nicht mehr. Zypern bekam gestern 12 Televoting-Punkte aus Griechenland, Kroatien seine einzigen Televoting-Punkte aus den anderen früheren jugoslawischen Staaten – und auch die paar Televoting-Punkte für Deutschland kamen aus der Schweiz und Österreich.
Der polnische Beitrag, der beim Publikum bestens ankam und bei den Jurys durchfiel, gefiel den Leuten vor allem im Westen: in Österreich, Belgien, Deutschland, Island, Irland, Italien, Norwegen, Schweden, Niederlande, Großbritannien.
Okay, vielleicht ist all das vor allem etwas für Statistikfreaks, und die können sich die spannenden Einzelergebnisse ja auch, wie in den vergangenen Jahren, mit ihrer Tabellenkalkulation aus den veröffentlichten Daten heraussuchen. Aber die neue Punktevergabe hat die Veranstaltung ihrer Folklore und ihrer Dramaturgie beraubt. Irgendwelche Punkte gehen von irgendwo irgendwo hin und am Ende gewinnt überraschend nicht der, den man die ganze Zeit für den sicheren Sieger hielt.
Bu-hu.
Zumindest die letzen zwei Minuten fand ich ganz spannend…
Sind die anderen Jurys ähnlich besetzt wie die deutsche? Wenn ja, gleich die Jurys wieder abschaffen…
Ja, schön zusammengefasst. Dieses Votingdarstellung ist Unsinn. Wenn es klare Favoriten gibt, will ich als Zuschauer das auch früh wissen.
Gerne kann der Gewinner schon längst jubeln, während die mazedonische Schalte noch versucht, Spannung aufzubauen („Äind aurrr tfälf pojnts gouu tuuu … Sssserbija!“) Auch das gehört dazu.
Diese alberne Verzögerungstaktik am Schluss („Ththe …. ejtthth …. most …“) ist nicht minder albern als bei DSDS und eben nicht spannend.
Zudem: Ein völliges Umkrempeln des zuerst lang und breit dargebotenen Juryvotingergebnisses durch das Televoting zeigt dann auch noch die völlige Absurdität der Jurys. Apropos: Dass die 5 Jurymitglieder Russlands das ukrainische Lied auf den vorletzten Platz (nur noch gefolgt von Israel) setzten, peinlich. Da ist das Ergebnis des Televotings interessanter (auch und vllt. gerade weil es von den jetzt plötzlich sich in Russland befindlichen Krimtataren und den anderen einst deportierten Minderheiten in Russland beeinflusst sein dürfte).
Ich hoffe, das wird schnell wieder geändert.
Zumindest mit Deiner Statistik-Vorliebe stehst Du alles andere als alleine da. In unserer Eckkneipe füllte sich der Raum erst nach der Hälfte der Gesangsnummern einigermaßen, und die letzten Plätze waren erst 20 Minuten vor der Stimmen-Bekanntgabe besetzt.
Ansonsten: Die Aufschlüsselung in Jury- und Zuschauerwertung ist an sich nicht uninteressant. Aber in dieser Form, bei der alle Zuschauerstimmen einfach zusammengemanscht werden, ergibt sie tatsächlich keinen Sinn.
Also, ich finde das neue System super und kann mich diesem reflexartigen „Früher war alles besser!“ nicht anschließen. Ich finde es sehr innovativ und es war verdammt spannend. Bis zur letzten Sekunde! Endlich mal wieder.
Was mich interessiert: Wer richtet eigentlich über die Qualität von Musik? Dieser pawlowsche Reflex, dem ESC eine miese musikalische Qualität zu attestieren, nervt inzwischen nur noch. Musik ist in erster Linie Emotion. Wenn mich ein Song berührt, sei er auch noch so schlicht, hat er eine hohe Qualität. Oder soll beim ESC nur noch Musik der Zwölftontechnik zelebriert werden? Ich finde es fast schon arrogant, wenn jemand die Musik aus 43 Ländern mal ebenso abwatscht.
Wo kann man denn überhaupt diese Einzelergebnisse nachsehen? Die Seite eurovision.de hat nur total unübersichtliche größere und kleinere Punkte, auf die man klicken kann. Wo gibt es denn eine Tabelle?
[i]Mich haben schon als Kind diese Rituale mehr fasziniert als die eigentlichen Songs.[/i]
Gut, die Nummer mit dem Karopapier hab‘ ich nicht gebracht. Aber ansonsten: you’re not alone.
Also auch hier auf dem Weg zur Expertokratie. Erst werden die crowd-votes in-visible und bald werden sie in-existent. Sebst solche Lappalien werden entkernt…man weiß ja nie, wozu’s gut ist.
Zusammengefasst: Mimimimimi. Früher war alles besser. Mimimimimi.
Stimm voll und ganz zu. Mich hat es noch nie gestört, wenn der Sieger schon früher feststand, es war trotzdem noch spannend zu sehen, wie die übrigen Länder abgestimmt haben und immerhin sind auch Plätze abseits den ersten beiden interessant.
Noch dazu interessieren mich die Jury-Votings nicht, ich möchte sehen, wie die Anrufer abgestimmt haben! Das Nachbarschaftsvoting ausgeglichen haben die Juries auch nicht, eher noch verschlimmert und Österreich und Polen wurden ganz schön von ihnen runter gezogen -beide in den Top 10 bei den Zusehern und auf dem letzten und vor-vor-letzem Platz bei den Juries.
Die Australierin hat mir echt Leid getan. Nach den ersten 12 Punkten aus Wien war sie fast durchgehend in Führung, fast nur am Jubeln und dann war erst beim vor-vor-letztem Voting klar, dass sie zurückfällt. Das kann man „spannend“ nennen oder auch einfach „ungut“. So ein Rückschlag von einem Moment auf den nächsten hätte es beim alten System nicht gegeben.
Dass im Endeffekt ein Lied gewinnt, dass weder bei den Jurys noch bei den Anrufern auf Platz 1 lag, wirkt auch eigenartig.
@4. Jens-Uwe Krause: Ich finde es fast schon arrogant, wenn jemand die Musik aus 43 Ländern mal ebenso abwatscht.
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Niemand watscht „Musik aus aus 43 Ländern“ ab. Diese Nummern sind doch (bis auf miniaturisierte Einsprengsel) nicht nationentypisch. Der Ansatz ist: 3-Minuten-Sniplets 43-Länder-kompatibel zusammenzuschrauben. Handwerklich durchaus fordernd, im Ergebnis meistens nicht überlebensfähig.
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@2. Lars
Die Schlussbemerkung (Apropos: ff.) ist einerseits korrekt, andererseits ein bißchen einäugig, gell ?!
@eko: hier.
Ich fürchte, an diesem wirklich unspannenderen Murks wird man jetzt einfach aus Prinzip festhalten müssen. Wenn sie das Prozedere im nächsten Jahr schon wieder ändern würden, müssten sie sich wohl fragen lassen, warum sie Australien in diesem Jahr um den Sieg brachten.
Um die alte Folklore aufrecht zu erhalten, wäre es vielleicht besser gewesen, einfach alles andersrum zu machen, also Jurys im Klumpen und Televoting einzeln. Aber das wäre wohl auch nicht im Sinn der Bosse.
Ich gehe jetzt aber weiter meinen ESC-Kater pflegen, den ich zuletzt in dieser Form nach dem Sieg von Serbien hatte. Das war auch so ein Sieger, mit dem ich rein gar nichts anfangen konnte. Lordi war für mich dagegen gut verkraftbar, weil logisch.
Ob ich mir den ganzen Sch* nächstes Jahr im Kriegsgebiet (das bis dahin vielleicht schon komplett von Putin besetzt ist, weil er unbedingt den ESC ausrichten will) nochmal antun werde, ist derzeit SEHR fraglich.
Das neue System kam der Spannung sehr zugute, allerdings hätte man tatsächlich die Präsentationszeiten zugunsten der Zuschauerstimmen anders gewichten sollen – die Einzelpunkte der Länder wären auch für mich interessanter gewesen. Wen interessiert schon, was eine kleine Gruppe halbwegs anonymer Menschen von den jeweiligen Auftritten hält. Die ganzen Schalten haben schließlich ihren Zweck, da witzig, abwechslungsreich und oftmals grotesk, und sollten sich dann eben eher den Zuschauerstimmen widmen und von mir aus auch gern wieder ausführlicher ausfallen.
Ich schaue den ESC, wenn überhaupt, auch nur wegen der Punktevergabe und der Show an sich, die mir gestern von der Bühne über das ganze Design hinweg bis hin zur Moderation sehr gut gefallen hat. So fand ich beispielsweise den „Einlauf“ der Künstler toll umgesetzt. Die Musik interessiert mich weniger (eigentlich gar nicht), weshalb mir auch visuell einfallsreiche und sehr gelungene Nummern wie die des Russen gut gefallen. Auch die Art der Darbietung verdient schließlich Anerkennung. Wobei das sicher Geschmackssache ist.
Auch ein Wenig Selbstironie wie der ESC Gewinner-Song der Moderatoren kommt bei mir immer gut an. Gleiches gilt für die Nummer der freundlichen EBU „Repräsentantin“ als Lückenfüller. Ich fühlte mich den ganzen Abend nett unterhalten.
Das neue Sytem macht alles kaputt und den ESC uninterssant, die Lieder kennt man als Fan ja ohnehin schon vorher und man nimmt die Auftritte nochmals als Entscheidungshilfe hin. Wirklich spamnend wird es mit der Punktevergabe. Die angeblich unpolitische Jury ist nun sichtlich mehr politischmals die Zuschauer und trotzdem werden nur diese Punkte gezeigt mich interssiert was die Zuschauer in den Ländern denken und nicht ein paar ausgesuchte Maxln. Ich vervolge den Song Contest begeistert seit 35 Jahren aber so uninterssant war es noch nie ich hoffe das Voting wird wieder geändert und bei, der Gelegenheit sollte man auch gleich wieder Einführen dass man in Landessprache singen muss.
Habe gestern genau das gleiche gedacht, der neue Modus ist vollkommen daneben.
Bei den nostalgischen Erinnerungen an das Punktevergabe-Zeremoniell fiel mir diese Kerkeling-Nummer wieder ein: https://www.youtube.com/watch?v=TnuuwFUtvfk (inklusive der Würdigung der erwähnten deutsch-österreichischen o-Punkte-Tradition bei 3:55. Man beachte auch: „Brasilien gehört nicht zu Europa“. Australien mittlerweile aber schon.)
@DIETMAR
Was ist denn nationentypische Musik?
Der Australier spielt auf dem Didgeridoo, der Portugiese gibt sich dem Fado hin und der Ire zückt die Fiddle? Und was wäre dann für Deutschland nationentypisch? Volksmusik? Marschmusik? Nein, jedes Land soll die Freiheit haben genau die Musik beim ESC zu präsentieren, die es möchte. Ob das dann qualitativ gut oder schlecht ist, sollte niemand pauschal beurteilen. Ich kenne Leute, die hatten beim Siegerlied Tränen in den Augen. Andere wurden beim polnischen Beitrag sentimental. Sind diese Menschen etwa dumm, weil sie bei sog. schlechter Musik emotional reagieren? Müssen sie sich dafür schämen? Ich finde nicht.
Furchtbar. Die Jurys, der Modus, die Pseudospannung. Das Gesamtergebnis der Publikumsstimmen kann ich gut nachvollziehen.
Vielleicht hängt die westliche Vorliebe für den polnischen Song auch damit zusammen, dass genau in diesen Ländern viele Polen leben.
Gleichwie: ich mag die neuen Regelungen auch nicht. Und die deutsche Sängerin tut mir schon leid, so schlecht war sie nicht.
Hans Hoff meint dazu in der Süddeutschen, entweder machen die NDR-Leute etwas falsch, dass Deutschland so oft ganz hinten liegt – oder unser nationaler Geschmack trifft halt nicht den Geschmack Europas ( dann wäre es wohl angezeigt, mal ein paar Jahre eine kreative Pause einzulegen).
@Stefan Niggemeier/11: Danke. Gibt es auch eine umgekehrte Tabelle, in der man sehen kann, wieviel das jeweilige Land von wem bekommen hat – nicht nur, wieviel es verteilt hat? Tatsächlich ist es auch das, was mich am meisten interessiert.
Ein interessantes Detail in diesem vermeintlichen Kampf zweier Erzrivalen erfuhren die Fernsehzuschauer nicht: Die beiden Songs waren beim Publikum des jeweils anderen Landes bestens angekommen. Russland erhielt von den Zuschauern 12 Punkte aus der Ukraine, die Ukraine 10 Punkte aus Russland. Was doch mindestens ein schöner Kontrapunkt zur schlichten These vom erbitterten Duell dieser beiden Länder war.
Ja, aber: Wenn man das alte Auswertungsverfahren angewendet hätte, hätte die Ukraine Russland null Punkte gegeben und Russland der Ukraine ebenfalls null. Die Fernsehzuschauer hätten also genauso viel oder wenig von den durchaus interessanten Publikumsergebnissen mitbekommen: Sie hätten sie hinterher nachlesen müssen.
Ich kann Deine Argumente verstehen, aber es war diesmal einfach spannend bis zum letzten Moment — zumindest, was die ersten Plätze anging. Mir hat das neue Verfahren jedenfalls gut gefallen, es ist aber sicherlich noch optimierungsfähig.
@eko: Da ist auf der Seite auch eine Excel-Tabelle verlinkt mit allen Daten.
Bei mir hat das Voting auch ambivalente Gefühle hinterlassen. Zwar war das Jury-Voting spannend, weil es wirklich kreuz und quer ging, aber ich stimme Dir zu, dass die Übersichtlichkeit völlig verloren ging. Dieses elende Hinauszögern des Ergebnisses hat mich dann fast zum Abschalten bewegt. Ich hoffe, dass man bereit ist, einen Fehler einzugestehen und dieses System wieder kippt.
@8. pingback – Darf Justin das?
Ist es wirklich sinnvoll bei einer notwendiger- und glücklicherweise internationalen…nee, globalen Kultur – PopMusic eben – darüber zu diskutieren, ob ein Amerikaner als Pausenfüller auftreten „darf“?
Die Mauern hoch, die Türen fest verschlossen…?? Is doch Kappes.
@16 Jens-Uwe
Ich höre z.B. seit Äonen britische Musik (Pop, Rock, Folk usw.) und zwar mit steter Begeisterung. Wenn ich dann allerdings die britischen Beiträge zum ESC – ebenfalls seit Äonen – grottig finde und auch so bezeichne, dann watsch ich doch nicht britsche Musik in toto ab.
‚Nationaltypisch‘ ziehe ich zurück – unglücklicher Ausdruck, zu kurz gedacht.
Die Nummern beim ESC sind nicht repräsentativ. Solche Songs gibt’s gar nicht.
Tja. Ich sehe durchaus Potential in dieser Art der Bekanntmachung des Ergebnisses, kann mich den meisten Kritikpunkten hier aber anschließen: Die Punkte wurden viel zu schnell vergeben, so dass man leicht den Überblick verlor, man übersieht interessante Ergebnisse des Publikums.
Andererseits ist es für mich interessanter zu sehen wem die Jury die Punkte gibt, als die abgesehen von der sogar erwartbaren Ukraine-Russland Punkteverteilung keine großen Überraschungen bereit haltende Publikumswertung. Da war es spannender zu sehen, wem die deutsche Jury seine 12 gab, oder dass Montenegro eben keine 12 an Serbien gab (zumindest in der Jury). Übrigens muss man abwarten wie die Spannung bei der Punktepräsentation aussieht wenn es mal nicht so spannend wie dieses Jahr ist. Ich fand es nämlich auch dieses Jahr spannend, es wäre aber auch mit dem alten System spannend gewesen.
Sind eigentlich schon Doping-Vorwürfe gegen den Russen erhoben worden? So weit dürften die doch auch nicht weg sein.
Es ist mir ein Rätsel, warum das Televoting (insbesondere auch bei doch recht kundigen Leuten) als „die Meinung des Publikums“ gesehen/gepriesen wird. Dazu ist ein System mit einfacher Mehrheitswahl schlichtweg nicht expressiv genug. Im Extremfall genügt bei 26 ähnlich guten Kandidaten ein Anteil von unter .04 der Stimmen, um 12 Punkte zu erringen (während ein Lied mit sagen wir .03 komplett leer ausgeht).
Etwas moderateres Beispiel:
Ist ein Lied sehr unbeliebt bei 4/5 der Bevölkerung, aber Nummer 1 bei sagen wir 1/6 bis 1/5 kann es auch realistisch 12 Punkte abgreifen, während eine solche extrem abweichende Meinung eines der fünf Jurymitglieder durch die anderen im Borda-Verfahren kompensiert wird und dasselbe Lied 0 Punkte bekommt (bei repräsentativer Besetzung der Jury). Das ist m.E. eher angemessen als 12.
Insofern kann die in der Ukraine (auch ohne Krim und Teile des Ostens) immer noch nennenswerte russischsprachige Gruppe locker einen Sieg des russischen Beitrags beim Televoting erreichen, selbst wenn die Mehrheit das Lied nicht gut findet. Ohne die genauen Anrufzahlen (bzw. SMS-/App-Stimmen) kann man da nicht von einem Friedenssignal sprechen. Es kann sogar zu merkwürdigen Verschwörungstheorien kommen, wenn (wahlrechtsunkundige) Abstimmende, die mehrheitlich anders abgestimmt haben, dass als ihren Gemeinwillen („die“ Ukraine gibt 12 Punkte …) vorgesetzt bekommen.
Gibt es die Anrufzahlen eigentlich auch online (ggf. auch nur für Deutschland)? Ach ja: Die Passage „exclude systematic bulk votes“ bei den Wahlregeln (http://www.eurovision.tv/page/voting) finde ich auch spannend. Weiß da jemand mehr?
Ich finde es so besser. Mir persönlich hat der polnische Sänger am besten gefallen und man hat es am Ende auch gesehen, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine war. Die Jury macht doch alles kaputt. Nach welchem Prinzip bewerten sie überhaupt? Und wenn man es letztes Jahr schon so gemacht hätte, wer weiß, vielleicht hätte Italien gewonnen. Sie waren meine Favoriten, super Song…
@Lukas
Spannend, wie wenn von einem Sportereignis nur die erste Hälfte übertragen wird und dann kommt direkt das Endergebnis.
Da stellt sich nicht die Frage, ob das irgendwie spannend bis zum letzten Moment ist. Das ist es wegen des konstruiert offenen Ausgangs auf jeden Fall.
Die Frage ist, ob es nicht doch doof ist, wenn der Moment vor dem letzten Moment der Halbzeitpfiff ist.
Endlich mal ein Kommentar von jemandem, der sich mit dem ESC auskennt. Seit nunmehr 46 Jahren verfolge ich den ESC. genau wie der Autor habe ich schon früh begonnen, Tabellen zu schreiben, wer wem welche Punkte gibt und habe versucht, die Ergebnisse zu analysieren.
Auch ich bedauere sowohl die Wiedereinführung der Jury, als auch die Umstellung des Votingsystems. gerade aber um Künstler, die auf den hinteren Plätzen landen, vor Spott und Hohn zu schützen, werde ich immer mehr zum Freund der Abschaffung des 12,10,8 bis 1 Punktesytems. Den durch dieses System werden nur die von den jeweiligen Zuschauer-/Juryvotings auf die Plätze 1 bis 10 gesetzten Länder mit Punkten bedacht. Nehmen wir mal als Extrembeispiel an, sowohl bei der Jury als auch den Zuschauern aus Land X kommt der Beitrag aus Y auf Platz 11. Da hätte dieser Beitrag im Finale immer noch 15 Songs hinter sich gelassen, wird aus diesem Land aber mit 0 Punkten bedacht. Transparenter würde das System, wenn die Höchstpunktzahl der Anzahl der Teilnehmer ( minus eins) entspricht und dann sie Punkte bis hinab zu 1 Punkt vergeben werden. Kompliziert? Vielleicht. Aber auch nicht schwerer zu verstehen, als das jetzige System
Vielleicht ist dieser „clash of the international musicproducers“ einfach generell überholt? Bei globaler Flexibilität des Kapitals und Mobilität der Arbeitnehmer, ist das Festhalten an (bzw. vielerorts neuerdings massive Rückbesinnen auf) nationalen Grenzen schon einigermaßen sinnentleert. Schon die Grundidee, Musik in einem Wettbewerb gegeneinander antreten zu lassen ist aus Komponistensicht grotesk.
Die Musik selbst ist kommerzieller Einheitsbrei, maximaler Komponistenkniff ist die Eskalation im zweiten Refraindurchlauf. Gähn! Keine ungewöhnlichen Arrangements. Keine ungehörten Klänge. Keine überraschenden Melodien. Keine Rytmik jenseits des 4/4 Takts. Vermeintlich zu kompliziert für Otto-Normal-Musikkonsument. Ein Wettbewerb der Konformität und der allgemeinen Gefälligkeit.
Wieso findet ein Musikwettbewerb, wenn überhaupt, nicht im Radio statt? Optik spielt bei Musik, ginge es in Wirklichkeit um selbige, überhaupt keine Rolle. Keine Windmaschine, kein Strobo, kein Kunstnebel, kein Hologramm, kein Minirock oder Damenbart macht aus einem langweiligen, emotionsleeren Trallalla einen Song, der bei vielen Menschen gut ankommt. Es ist der Song, der ankommt. Oder zumindest sollte es so sein.
Es geht also unterm Strich nur noch um die Bewertung der Fähigkeit des „Künstlerdarstellers“ (einen „Musiker“ möchte ich den wenigsten Interpreten attestieren) internationale Gremien emotional zu manipulieren. Also verkommt dieses Spektakel zu einer Freakshow, in dem Politik/Lobbyisten/Medienmacher ihren persönlich motivierten wie auch immer gearteten Kleinkrieg der Vorurteile gegenüber anderen Völkern zelebrieren, das dumme Klick-Volk mit der Fernbedienung in der Hand fühlt sich wohl am Lagerfeuerersatz beim gemeinsamen Lästern über die „ach so“ anderen, erspart es einem doch eine eigene wertschöpfende Identität zu bilden.
Mir persönlich liegt nichts mehr an einem Vergleich mit anderen Nationen, sei es musikalischer, sportlicher oder krigerischer Art mit Waffensystemen, ein Musikfestival der gegenseitigen Akzeptanz wäre schön.
Was spräche dagegen, alle Völker der Welt, von Ostfriesen, Yanomami über Inuit bis zu nepalesischen Bergstämmen sich gegenseitig ein paar Liederchen trällern zu lassen und dann sollen die Musiker untereinander selbst herausdiskutieren, welches Lied ihnen am besten gefallen hat? – Ah, ich weiss. Das liebe Geld.
Warum schaffen wir es denn nicht, uns aus dieser künstlich angestachelten „Konkurrenzsituation“ zu befreien? – Ich schau mir lieber Straßenmusiker an, „da spielt die Musik“ und ich kann direkt meinen Zuhörerbeitrag leisten. ESC ohne mich.
@Walther: Nein, nicht das liebe Geld. Den Vorträllerdiskutierwettbewerb würden dann 1000 Leute gucken und nicht 100 Millionen. Das macht ihn nicht weniger wertvoll, im Gegenteil, aber doch eher nicht zu einer Massenveranstaltung.
@Stefan: Und das wäre schlecht? Menschen, die Musik lieben, würden sich die Veranstaltung anschauen. Alle anderen, die zu faul oder zu feige sind, ihren Nachbarn persönlich zu fragen, was er eigentlich von ihm (oder seinem persönlichen Musikgeschmack) hält, könnten doch bunten Rennflitzern beim im Kreis herumfahren oder 22 Höhlenmenschen beim Herumkicken von runden Gegenständen oder fremden Beinen zusehen oder verpanschten Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt saufen. Wenn es zur Begeisterung der Massen den Wettbewerb braucht, sollte man auf die Massen vielleicht auch besser verzichten. Ist die Musik als Vehikel zur Auseinandersetzung auf diplomatischen Terrain nicht etwas zu schade und zu wertvoll?
Danke, Herr Niggemeier! Ich hab mich schon als dieser neue Punkteverkündungs-Quatsch losging drauf gefreut, was Du hinterher drüber schreiben wirst. Ich vermisse wahnsinnig die Zeit, als jeder einzelne Punkt aus jedem einzelnen Land in drei Sprachen vorgelesen wurde. Ich wär sofort dafür, dass man zur Not zusätzliche Vorfinal-Runden einführt und das Teilnehmerfeld verkleinert, damit mehr Zeit für ausufernde Live-Schalten bleibt. Das einzige, was ich wirklich ganz interessant fand, war, dass man so erfahren hat, wer tatsächlich im reinen Zuschauervoting am besten abgeschnitten hat. Aber das könnte man auch dadurch erreichen, dass man die bescheuerte Jury wieder abschafft.
Dem Artikel von Stefan Niggemeier kann ich zu 100 % zustimmen. Ich finde die Experten sind gut zur Unterhaltung – nur zur Unterhaltung. Das Publikum zählt! Bei der Punktevergabe sollte jede Stimme das gleiche Gewicht haben (pro Land). Die Übergewichtung der Jurorenstimmen – ist völlig fehl am Platz.
Es hätte mich interessiert, von wem die einzelnen Länder Stimmen bekommen haben. Die Tabellen die ich gefunden habe, haben aber nur gezeigt, wie ein einzelnes Land abgestimmt hat. Schade drum.
Ich stimme dem Beitrag Wort für Wort zu. Alles, was interessant war am ESC, ist verloren gegangen.
Es ist lächerlich, dass pro Land fünf handverlesene Einzelpersonen wichtiger sein sollen als alle Zuschauer gemeinsam. Zumal doch auch unter den Zuschauern professionelle Musiker sind.
Und es ist unverschämt, alle Zuschauerstimmen aller Länder undifferenziert in einer Gesamtwertung zusammenzufassen. Wozu soll man dann überhaupt noch anrufen?
Sollte diese Praxis so beibehalten werden, werde ich mir den ESC nicht mehr ansehen.
Die Jurys sollten wegfallen und sämtliche Punkte durch die Zuschauer vergeben werden. Dann kommen auch solche Pannen wie die irrtümlich umgekehrte Punktevergabe aus Dänemark nicht mehr vor. Wer weiß, wie vielen anderen Jurymitgliedern das ebenso erging, ohne dass sie es eingestehen.
Es wurde nach dem detaillierten Ergebnis gefragt. Hier auf der ESC-Website gibt es unten eine Excel-Tabelle mit allen Einzeldaten zum Download:
http://www.eurovision.tv/page/results
Wird jetzt 2019 das erste Jahr mit einem eigenen schottischen Beitrag, der von der SBC entsandt wird?
Spätzünder-Beitrag, denn ich habe erst seit ein paar Monaten Internet:
Ursprünglich bestimmten (nur) die Jurys bzw. Tele-Voting gab es erstmal beim ESC 1997. Seither rufen Manche für ihr Heimatland an (z.B. viele Bosnier leben in Serbien und umgekehrt) und Urlauber nutzen aus, dass man über das hiesige Netz fürs eigene Land anrufen kann. Weil deswegen immer Nachbarländer sich gegenseitig Punkte zuschanzen wurde eingeführt, dass zur Hälfte eine Jury bestimmt. Ist aber auch schon Lichtjahre her. Das neue Voting-System macht die Sache spannender, weil der 2. Teil Überraschungen enthalten kann und wenn die vorerst (!) führende Australierin geglaubt hat, es ist a g´mahte Wiesn, ist sie selber schuld. Aber Gesamtpunkte runterrattern ist a) Schnelldurchlauf nach der 1. Halbzeit und b) zuschauerfeindlich. Wie viele Punkte hat uns welches Land gegeben? Das würde man schon gerne wissen.
Vernünftige Lösung wäre, dass die Punktesprecher in einer 2. Runde die Voting-Punkte bekanntgeben. Das ginge sich mit der Sendezeit aus, wenn sie nicht erst bauchpinseln, sondern gleich zur Sache kommen. Nur, die Zeiten, wo alle Punkte verkündet werden („Yugoslavia, one Point.“ Die analoge Punktetafel reagiert. „Spain, two Points.“…) sind vorbei und ich kann es akzeptieren, obwohl ich den gleichen Spleen habe. Mir vermiest den ESC was ganz anderes: Dass die Regenbogen-Lobby verkauft, er ist ihre Musik. Der ESC hat nicht mehr und nicht weniger homosexuelle Fans wie Fußball, die olympischen Spiele usw. Paradiesvögel, die ein Regenbogen-Festival daraus machen und/oder (Stichwort ESC in Moskau) das Gastgeberland provozieren wissen nicht mal, wie der Interpret heißt, der im Vorjahr gewonnen hat. Und ich hab mich geniert, als der ORF 2014 Conchita Wurst ins Rennen geschickt hat, denn der Bart musste nicht sein – beim ESC nicht und generell nicht, da ein Augenschmerz, der verstört. Mit dem schaurig-schönen Song (Den „sie“ bzw. Tom Neuwirth sich im angebotenen Song-Pool ausgesucht hat, also keine eigene Leistung) hätten wir auch dann gewonnen, wenn ihn die Klofrau von Hintertupfing gesungen hätte.
@Christian: Wenn Sie glauben, dass der ESC nicht mehr und nicht weniger homosexuelle Fans hat als andere Veranstaltungen, waren Sie noch nie beim ESC.
Ich war beim ESC 2015 in Wien.