Das Gegenteil einer Kritik

Ich liebe TikTok, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen

Die Zeiten sind schwierig gerade, aber die Zeiten sind ja immer schwierig. Da hilft die chinesische Video-App TikTok. Alle anderen Apps auf meinem Handy bedeuten Ärger: E-Mail, vierhundert offene Tabs im Browser, Slack, das ganze Messaging-Gelöt, und von Twitter müssen wir gar nicht erst anfangen. Aber ich kann problemlos stundenlang TikTok gucken, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen.

@lisauebkleiner funfact am rande♬ Originalton – lisaa_ue

TikTok ist der eine Ort im Internet, an dem Zuversicht produziert wird, das wohltuendste Portal des Planeten. In kurzen Videoclips zeigen die meist jugendlichen Nutzer:innen, wie ein affirmativer Zugang zur Welt geht. Es wird getanzt auf TikTok, es gibt Mikro-Anekdoten aus dem Schulalltag, und oft performen TikToker ihre kleinen Auftritte synchron zu Musik oder auf die Tonspur eines anderen Videos (dieses Lipsyncing-Feature war der charmante Kern von „musical.ly“, dem Dienst, aus dem TikTok hervorging).

@obulat2303♬ The Avengers Theme – Movie Sounds Unlimited

Ende 2019 waren in Deutschland 5,5 Millionen Leute monatlich auf TikTok unterwegs – mehr als sonstwo in Europa. Sie verbringen im Durchschnitt täglich 50 Minuten in der App. Ich fürchte, ich bin auf dem besten Wege, einer davon zu werden. Man guckt Videoschnipsel um Videoschnipsel und die Stunden verrinnen. Zum Beispiel so:

@mark_koenig

wer ist auch so nachtaktiv wie ich? 🤷🏻‍♂️ ##foryou ##fyp ##fürdich ##tiktok ##fy ##goodvibes

♬ Originalton – mark_koenig

Mark sitzt an einem Werktag mitten in der Nacht vor dem Laptop, guckt Fußball und knabbert Studentenfutter, als ein Einbrecher in das Haus einsteigt (Mark spielt beide Rollen). Mark hält ihm die Nüsschen hin und fragt, want some?

Wie wholesome kann ein zehnsekündiges Video sein?

@passifreezyNummer 1 stimmt einfach… 🥵😻 ##foryou♬ Originalton – passifreezy

Dann stellt ein Teenager die besten Länder vor. Auf Platz 5 liegt Albanien, weil das einfach die loyalsten Leute sind und alle in Albanien wunderschön sind und sie die größten Familien haben.

Wer würde da widersprechen wollen?

Viel Platz räumen TikToker der Tatsache ein, dass Hunde toll sind. Katzen auch. Tiere, generell einfach super. Dann gibt es noch digitale, aber gleichzeitig handgemachte Animationen (Medienkünstler:innen, schaut auf TikTok!). Ach so, und du kannst schneller lesen als du denkst.

TikTok ist eine Oase des Gutfindens inmitten einer Wüste aus Angst, Zersetzung – und natürlich Kritik. Denn während Twitter von Geisteswissenschaftlern und Journalisten lebt, deren einziger Zugang zur Welt, deren ganze Seinsweise die der Kritik ist, ist TikTok die Welt der Affirmation: Schau her, ich zeig dir was Schönes. Kein Wunder, dass kaum ein Journalist das aushält. Und ja, natürlich ist auf TikTok nicht alles eitel Sonnenschein. Überall, wo Millionen Menschen zusammenkommen, passiert auch Furchtbares. Der Unterschied ist nur: Das Furchtbare ist anderswo die Regel (vor allem auf Twitter), bei TikTok ist es die Ausnahme.

Die Beharrlichkeit, mit der behauptet wird, TikTok sei schlecht für die Meinungsfreiheit, die Gesundheit, gar die nationale Sicherheit Amerikas, ist eine Mischung aus lazy Technologiekritik, Unverständnis für die Kulturtechniken der Jugend und rassistisch grundierter Chinafeindlichkeit. Ja, TikTok muss nach den Regeln eines autoritären Überwachungsstaats spielen, aber das hebelt keine westlichen Demokratien aus (das schaffen die, wie es gerade aussieht, auch ganz gut alleine).

Ein Großteil der vorgetragenen Kritik ist Kritik als Reflex, eine leicht einzunehmende Haltung, die souverän aussehen soll. Schaut, wie kritisch ich bin! Ich bin so kritisch, ich kritisiere auf Twitter die Kritik anderer Leute als zu unkritisch. Kritik ist wichtig, es geht nicht ohne sie, aber gleichzeitig ist sie zur Pose geronnen. Kathrin Passig dokumentierte bereits 2009 die Standardsituationen der Technologiekritik. So vorhersehbar ist Kritik manchmal, dass man sich fragt, welchen Sinn Kritik hat, die man eh immer mitdenkt. Und bei TikTok ist es nicht anders. Nur dass man mit Kritik einem Medium der Affirmation eben nicht beikommt.

Das große Verdienst von TikTok: Es wird dir schlagartig klar, dass es eine Welt, auch eine publizistische Welt, jenseits der Kritik gibt. Herzlichkeit, Naivität (gespielte oder echte), Witz – die Poesie des Alltags, in Millionen kleiner Videos. Dass sowas ausgerechnet aus China kommt, ist für die westliche Kulturindustriekritik (oder Kulturkritikindustrie) eine harte Nuss.

@pam_a_cake

I have some hard-working students! ##teacherlife ##thirdgradeteacher ##lovemystudents ##teachertok

♬ original sound – njdevils

Kürzlich erschienen, ebenfalls von Kathrin Passig, ihre „weitgehend unkritischen Kolumnen“ (Selbstbeschreibung) aus der „Frankfurter Rundschau“ als Buch. Möglicherweise gibt es also einen Markt für Affirmation, die ihr Publikum nicht für blöde hält. In jedem Fall ist das Gutfinden ein Thema, das langsam auch im akademischen Bereich ankommt.

@terrance_tate3/4 ##MyInstaxShoutout ##fyp ##foryoupage ##onmyway ##college ##collegelife ##dormlife ##roommates ##beautiful♬ original sound – terrancetate70

Im kommenden Juni veranstaltet die Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier in Berlin eine mehrtägige Veranstaltung zum Thema, Titel: Super duper. In der Ankündigung schreibt sie: „Mir geht es nicht darum, Kritik zu kritisieren oder gar zu überlegen, wie man sie abschaffen könnte, Kritik ist prima. Mich interessiert aber, wie man die Kritik als Komfortzone verlassen kann. Die Frage, warum es so schwer ist, Begeisterung und Zustimmung zu begründen, kommt mir nicht leicht zu beantworten vor. Antworten könnten sich einstellen, wenn man die Sache frontal angeht, wenn man sich halt begeistert, zustimmt, super duper sagt, doppelt Nachtisch für alle.“

Es liegt auf der Hand, dass die Suche nach einer Welt jenseits der Kritik Kritik hervorruft. Wir werden es gleich in den Kommentaren lesen. Aber da müssen wir jetzt durch. Begeisterung muss man üben und es ist noch nicht jede:r bereit.

TikTok kann hundertmal chinesische Spyware sein, aber während alle Welt online wie offline durchdreht, findest du dort eine gar nicht kleine Gruppe Menschen, deren Einfallsreichtum, Hingabe und Herzlichkeit dir für ein paar Minuten den Glauben an die Menschheit zurückgeben. Oder für ein paar Stunden. Oder die ganze Nacht.

17 Kommentare

  1. Es liegt auf der Hand, dass die Suche nach einer Welt jenseits der Kritik Kritik hervorruft. Wir werden es gleich in den Kommentaren lesen. Aber da müssen wir jetzt durch. Begeisterung muss man üben und es ist noch nicht jede:r bereit.

    Nee, weder Kritik¹ noch Begeisterung², sondern Unverständnis, was das mit einer Glosse zu tun haben soll. Der Biedermeier ist auf Übermedien angekommen. Schade.

    ¹nicht satisfaktionsfähig
    ²Den Taschenspielertrick, dass die Andersdenkenden (ohne Beleg) einfach nur Rückständige sind, ach, nee –> 1

  2. Ohje, Zersetzung und Kritik; evtl. noch „Miesmacher“ vergessen?
    Dann wär wenigstens das LTI Bingo komplett.

  3. Ich fand das sogenannte „Raubkopieren“ ja auch mal gut. Also jedes Album, jeden Film, jede Software, ja sozusagen jedes Medium zu kopieren, ohne was dafür zu bezahlen. Das war damals, als ich jung war und mir nichts davon leisten konnte, eigentlich die einzige Möglichkeit, daran teilzuhaben. Und wenn die Möglichkeit besteht, sich zu nehmen, was man sich nicht leisten kann, dann wird man möglicherweise abwägen, ob man es schafft, damit durchzukommen. Hilfreich ist dabei, wenn viele andere in der selben Situation sind und eine ähnliche Ansicht haben. Beim „Raubkopieren“ formierte sich so eine Szene, die Aufklärung betrieb und Tools anbot, mit denen man sich gegenseitig vor der harten Realität der Urheberrechtswidrigkeit und den Vertretern der Urheberrechte schützte. Wenn man es wollte, war man den Verfolgern voraus. Auch heute noch greife ich trotz hoher Konsumausgaben in den oben genannten Bereichen hin und wieder auf die Möglichkeiten des Raubkopierens zurück. Manchmal benötigt eine Software eben die Möglichkeit, auch ohne Online-Anbindung zu starten, wenn man mal irgendwo kein Internet hat. Da hilft dann ironischerweise eine Kopie, die so modifiziert wurde, dass sie auch ohne Verifizierung startet. Anderes Beispiel ist die Serie The Mandalorian. Nachdem sie in den Niederlanden auf Disney+ bereits Monate vor der Veröffentlichung in Deutschland mit deutscher Audiospur angeboten wurde, landete sie binnen kürzester Zeit in HD-Qualität auf Streaming-Portalen. Wer sie unbedingt sehen und vor allem mitreden wollte, weil viele Fans sie sich ja bereits ansahen, der kam nicht daran vorbei, die Streaming-Portale zu besuchen, deren Betreiber allerdings an die von ihnen bezeichnete „Content-Mafia“ keinen Cent mehr abzugeben gedenken.

    Was will ich damit jetzt zum Thema beitragen?

    Ich finde die Entscheidung, sich für etwas nicht entschuldigen zu wollen, ist zwar irgendwo mutig, aber es wirkt auch arrogant und auch nicht zielführend. Denn es geht gar nicht um eine Entschuldigung, sondern um Einsicht. Der Vorwurf der Benutzung fragwürdiger Software wie Software wie TikTok zielt nicht darauf ab, andere als ignorant bloßzustellen, sondern sie zu informieren, dass es Gründe gibt, die Benutzung kritisch zu sehen.

    „aber während alle Welt online wie offline durchdreht, findest du dort eine gar nicht kleine Gruppe Menschen, deren Einfallsreichtum, Hingabe und Herzlichkeit dir für ein paar Minuten den Glauben an die Menschheit zurückgeben. Oder für ein paar Stunden.“

    Diesen Glauben habe ich beim Raubkopieren auch gefunden. Diese Szene war mit Hingabe und Herzlichkeit einfallsreich. Bis mal einer die „Content-Mafia“ und ihre berechtigten Interessen in Schutz genommen hat, also dass es Gründe gab, das Kopieren kritisch zu sehen. Es wurde dann eigentlich jeder niedergemacht, der die Ausblendung der Interessen der Rechteinhaber jenen zum Vorwurf machte, die sich von der Teilhabe (wie sie Mittel- und Oberschicht haben dürfen) kategorisch ausgeschlossen fühlten. Einzig Hinweise darauf, dass man das Album oder einen Film so gut findet, dass man es sich kaufen gehen würde war in Ordnung. Vorbildlich war das gar. Es jedoch anderen vorzuhalten, es nicht zu kaufen, das war stets verpönt.

    Ich jedoch finde es blöd, wenn ich mich pauschal dafür entscheiden würde, öffentlich zu behaupten, dass ich mich für das Hinnehmen der Urheberrechtsverletzungen nicht entschuldigen werde. Vielleicht hat meine (kollektiv verteidigte) Entscheidung, teilzuhaben, ohne vielleicht auch einfach mal auf die eine CD oder den einen Film ein paar Monate zu sparen, auch manche Leute in den Ruin, oder in Stress und Krankheit, gar sogar vorzeitiges Ableben getrieben. Generell wäre ich traurig, wenn das so wäre und ich würde mich entschuldigen wollen, wenn der angerichtete Schaden so erheblich gewesen ist.

    Genauso sehe ich das bei TikTok. Wenn ich mich hinter einem Kollektiv verstecke, dass mir so schön den Rücken stärkt und den Glauben an die Menschheit zurückgibt, dann kann ich diesen Glauben an die Menschheit nicht missbrauchen. TikTok zensiert unliebsame Meinungen, so wie es Peking passt. Warum sollten wir eine undemokratischere Plattform als Facebook überhaupt unterstützen? Wer das weiß, kann nicht sagen, es sei ihm egal. Aber wenn er dann sagt, er werde sich nicht dafür entschuldigen, dass es ihm egal sei, obwohl er es weiß, der stellt sich eben selber als ignorant bloß. Da muss zum Glück niemand mehr darauf aufmerksam machen. Es wird deutlich, welches Wesen man braucht, um so eine Software zu verteidigen.

    „TikTok sei schlecht für die Meinungsfreiheit, die Gesundheit, gar die nationale Sicherheit Amerikas“

    Um es mal mit den Worten des Autoren zu sagen: „Wer würde da widersprechen wollen?“

    „ist eine Mischung aus lazy Technologiekritik, Unverständnis für die Kulturtechniken der Jugend und rassistisch grundierter Chinafeindlichkeit. Ja, TikTok muss nach den Regeln eines autoritären Überwachungsstaats spielen, aber das hebelt keine westlichen Demokratien aus (das schaffen die, wie es gerade aussieht, auch ganz gut alleine).“

    Der Autor widerspricht hier nun mit einem undeutlichen „lazy Technologiekritik“ (und lässt die Erklärung weg, was das genau bedeuten soll), dann kommt ein klassisches „Unverständnis für die Kulturtechniken der Jugend“ (was die Kritik als aus der falschen Perspektive verklären soll) und was natürlich auch nicht fehlen darf, ist ein Rassismus-Vorwurf aufgrund von China-Feindlichkeit (nur dafür, dass man die Steuerung der erlaubten Inhalte auf TikTok durch das chinesische Regime kritisiert). Westlichen Demokratien wird es ja nicht schaden, wenn ihre Jugend staatlicher Zensur quasi live zuschauen kann. Ein TikToker, der ein paar Jahre in den Knast geht, ist schnell vergessen, genügend ersetzen sein Talent, 10 Sekunde lange Videos zu drehen. Da wir dem Autor nach in den westlichen Demokratien also so verdammt gut darin sind, uns selbst zu zersetzen und unsere Vorstellungen von Empathie auszuhebeln, passt TikTok also auch gut in unsere Gesellschaft. Dann brauchen wir Software wie TikTok auch nicht mehr kritisieren, wenn das eh unser Schicksal ist. Vielleicht sollte man sich doch auf TikTok anmelden, dort einen fiktiven Namen geben, sagen wir „Yabriel Goran“ und unter diesem Namen viele schöne Videos mit Winnie Pooh und Xi Jinping posten. Würde mir das wohl den Glauben an die Menschheit zurückgeben? Ist doch hier das wichtigste Argument, oder?

  4. Sehe ich genauso. Es geht bei Kritik oft nur noch um die Kritik aber kaum noch um den Inhalt und erst recht nicht um einen Kontext.
    Ich kenne TikTok auch eher indirekt, weil ich mich mit jugendlichen unterhalte. Und kann deren Begeisterung nachvollziehen. Für die sind solche Inhalte über Snapchat, music.ly oder auch den Klassikern wie Insta, Youtube oder das kaum in der Öffentlichkeit erwähnte Twitch, die alltägliche Medienform und sie sind damit gross geworden.
    Da können wir unsere Nase noch so sehr rümpfen, diese Plattformen werden für Kommunikation und zum Spaß benutzt und sie zeigen eine neue, andere Art der Kommunikation. Auch wenn dieser für unsere Generation kaum nachvollziehbar ist. Aber das war früher bei Comics genau das gleiche.

    Jedes neue Medium erzeugt neue Formen. Vor Facebook war die Onlinekommunikation auch eher ein Nischenthema und wenn man mit anderen darüber sprach, dass man sich in Foren Online mit Menschen unterhält, hat man auch oft das Gefühl gehabt man muss sich dafür rechtfertigen.

    Oder fragt mal einen Jugendlichen ob er Kommenatre unter Artikel im Internet schreibt.

  5. @P Skizzle: Was die Diskussion oder „Kritik“ an TikTok völlig unterschlägt ist, dass es eine Plattform für junge bis sehr junge Menschen ist. Die Zielgruppe dürfte zwischen 14 und 18 sein. Ein Alter das zum einen einen grossen Drang hat, aber zum anderen auch noch Schutz benötigt. Genau darauf hat TikTok seine „Zensur“ angelegt. Das ist auch genau das was von der Politik und Netzschützer verlangt wird, wir müssen „Hass“ und „Hatespeech“ und Angriffe gegen Schächere eindämmen.
    Während bei uns die Politik dabei auf Zensur setzt, hat sich TikTok ein 5 Stufiges System ausgedacht, bei dem nur in einer gelöscht wird. Welche Inhalte das sind ist aber tatsählich nicht bekannt. Dürfte aber wenig eine Rolle spielen, da die überwiegend europäische Nutzer sich kaum über Themen unterhalten, die dort auf der Liste stehen dürften. Sie gehen dabei aber auch auf lokale Unterschiede ein.
    Wie auch immer, ich glaube nicht, dass du einen TikTokker findest der in China im Kanst gelandet ist, weil es dort gar nicht genutzt wird. Darüber hinaus landet auch nicht jeder der Kritik übt dort im Knast.

    Das ist glaube ich auch, was der Autor mit der Chinafeindlichkeit meint. Wir werden bombardiert mit Klischees, die vielfach entweder überzogen sind oder nur eine Seite darstellen. Im Prinzip so, wie wenn sich Chinesen nur mit Afd Anhänger unterhalten würden und deren Meinung über unser System wäre dann alles was sie Wissen. Die würden auch deutschland dann für eine Art Dikatur halten.

  6. Ich recycle mal einen Kommentar zu Hr. Yorans Twitter-Überhöhung vor knapp 2 Jahren*:
    „Und … wenn die Entzauberung einsetzt… beginnt die Suche nach anderen Hipsterdefinierenden Produkten an die man andocken kann.
    Ich finds ja immer wieder höchst putzig, wie ernst die jeweiligen Follower das nehmen.
    Es hat halt auch was von der Wahrnehmung angesagter Szeneviertel: Erst kommen da die echt unkonventionellen Avantgardisten hin, dann folgen die Hipster und am Ende ist es überlaufen mit Möchtegerns, wegen denen man da weg muss, wenn man Wert auf seinen Ruf legt.“

    Prophetie? Nö: Dieses Schema ist ein derart ausgetretener Konsumentenpfad, wer da erst mal drauf gelandet ist, will meist gar nicht mehr runter. Dann schreibt man eben alle 10 Monate einen aufrregenden Bericht über ein aufregendes, ganz besonderes Produkt, das unser aller Leben ganz furchtbar neuartig befruchtet und welches das aussagekräftigste und als das neueste Distinktionsmerkmal der Auswahlelite eignet. Wir hier bei (*Markenname*) sind etwas ganz besonderes!

    Das wirklich faszinierende daran sind der heilige Ernst und der unbedingte Glaube…immmer wieder…aufs neue…alle halbe Jahr…mit the next hottest thing.

    Mag jemand schon mal Wetten angeben, was Hr. Yoran dann ca. im September 21 als den endgültig allerhottesten Game…äh Kommunizier-Changer abfeiert?

    * https://uebermedien.de/30919/druckbetankung-mit-welt/

  7. Ich empfinde es als sehr anstrenged, aber auch sehr spannend, mich in jedem Satz und auch insgesamt fragen zu müssen, wie sehr der Autor es nun ernst meint oder genau das Gegenteil, da es mit Glosse überschrieben ist. Insbesondere der Fakt, dass es einem so gar nicht glossenhaft vorkommt, erzeugt umso mehr Unsicherheit.
    Das Gute daran: Man ist gezwungen, sich selber eine Meinung zu bilden, ohne dass man reflexartig dem Autor zustimmt oder ihn ablehnt. (Was, so selbstkritisch muss man wohl sein, recht oft der Fall sein dürfte.)

  8. @Peter Sievert
    Meinen Sie sowas, wie wenn Übermedien jetzt antwortete, man wäre davon ausgegangen, dass das Fabulieren über eine Oase des Gutfindens mit Poesie des Alltags, tollen Hunden, Katzen und generell einfach super Tieren, einer zirka vier Meter große Frau und einem Kirchenchor ausreichend Hinweise auf eine Glosse liefern?

  9. #8
    Beim wiederholten Lesen mehren sich die Zeichen durchaus, gebe ich zu. Es gibt ja hier aber sogar Kommentare, die den Text wörtlich nehmen und entsprechend kritisieren. Von daher schäme ich mich meiner Unsicherheit, was genau der Autor von TikTok hält, nicht. (Es sei denn, in jenen Kommentaren steckte auch wieder Ironie drin und ich wurde also doppelt abgehängt :-p )
    Aber wie gesagt, ist an sich aber ja mal schön (anstrengend), die Links alle eigenständig zu durchforsten zu müssen, um sich dann selbst eine Meinung aus den Puzzleteilen bilden zu können.

  10. Kathrin Passig dokumentierte bereits 2009 die Standardsituationen der Technologiekritik.

    Ein Buch, das mich seinerzeit zur Weißglut getrieben hat: Eine distanzlose Affirmation all dessen, was neu und elektronisch ist und auf Bildschirmen stattfindet – gepaart mit einer an Hass grenzenden Verachtung für alle, die nicht begeistert mittun wollen.

  11. @Peter Sievert
    Es lag mir fern, Sie dahingehend zu verunsichern. Mir ging es eher darum, dass es nicht schon dadurch funktioniert, dass man das Etikett ‚Satire’/’Glosse‘ anbringt und sich ausreichend absurd verhält. Man sollte insofern den Text nicht wortwörtlich nehmen, aber die Schmähung der (kleiner Thesaurustipp fürs nächstmalige Glossieren:) Bedenkenträger ist echt.

  12. Tik Tok hat ein mehrstufiges Moderationssystem, das unerwünschten Content unterdrückt. Zu unerwünschtem Content zählen nach gängigen Maßstäben „hässliche Menschen“, Content von behinderten Menschen sowie Content von sichtbar LGBTI*-Menschen. Das System funktioniert subtil: Die allermeisten Inhalte werden nicht gesperrt, nur einfach niemandem gezeigt, sobald ein Algorithmus oder eine Prüfperson einen Content in die o.g. (es gibt natürlich noch viel mehr) Kategorien des Unerwünschten eingesetzt hat. Anders gesagt: Tik Tok ist eine heile Welt, in der Behinderung und Queerness versteckt werden. Will eins das wirklich so uneingeschränkt gut finden, nur weil es so viel Spaß macht?

  13. Hallo Enno. Mein TikTok ist voller Queerness. Zumindest diesen Teil der Vorwürfe kann ich nicht so recht bestätigen.

  14. @Gabriel Yoran
    Aber auch damit nicht ausräumen, oder haben Sie die App schon mit VPN auf einem dementsprechend chinesisch anmutenden Gerät benutzt? Was Sie sehen, ist nicht notwendigerweise das, was andere sehen können.

  15. Stimmt, unsere Sicht auf die LGBT Rechte in China, das ist echt wichtig und wird die chinesische Regierung total zum Umdenken bewegen. Vielleicht schreiben wir noch einen Protestsong, den wir dann bei linksunten posten, wegen Reichweite und so.

    „Die allermeisten Inhalte werden nicht gesperrt, nur einfach niemandem gezeigt (…)“
    So, wie bei Youtube? Wo bleibt da der Aufschrei?

    Sorry, aber das ist doch nur gegenseitiges Eierkraulen auf dem moralisch erhöhten Ross.
    Klar kann ich immer die beste „Nice-to-have“ Situation skizzieren und dann sagen: So und nicht anders! Hat halt nur dann nichts mit Realität zu tun.

    Und noch was: Der Beitrag ist Satire. Ich hoffe, da sind wir uns mittlerweile alle einig?!
    Ansonsten bitte mehr Medienkompetenztraining.

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