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Enkeltauglich leben, leseruntauglich schreiben

„Enkeltauglich leben“. Ich weiß nicht, wie viele Stunden meines professionellen Lebens ich schon in Brainstorm-Runden verbracht habe, in denen sich die Köpfe zerbrochen wurden, wie man das Magazin, das man gerade entwickelt hat, in so wenigen Worten beschreibt, dass die Kioskkunden mit einem Blick erkennen, worum’s geht.

Und dann kommt das Magazin „Oya“ daher, schreibt einfach „enkeltauglich leben“ auf sein Cover, und ich würde der Redaktion allein dafür am liebsten die Brainstorm-Medaille am blauen Band überreichen. Doch ach, ich werde mich zu früh gefreut haben.

„Oya“ bezeichnet sich selbst als „gemeinschaftsgetragenes Magazin für enkeltaugliche Denk- und Lebensweisen“. Es geht also eine Generation weiter als „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen“. Und das, was man geliehen hat, will man „hüten statt haben“, sagt das Cover von Ausgabe 56. Und erklärt gleich weiter:

Wie Häuser, Fürsorge, Wasser, Ackerfrüchte, Bücher und andere Lebensquellen Beziehungen stiften, wenn wir gemeinschaffen – und warum es dabei manchmal gewaltig knirscht.

Das klingt erst einmal ein bisschen weltverbesserisch mit ein paar sozialistischen Einsprengseln und aber auch einem guten Schuss Clickbaiting in guter alter „Spiegel Online“-Gedankenstrich-Manier, der inmitten all dieser hehren Absichten doch ein wenig überraschend kommt. Für mich positiv überraschend: Da will jemand, dass man auf sein Heft neugierig wird. Das klingt vielversprechend.

Vielleicht hätte ich „Oya“ sonst auch gar nicht gekauft. Ich gehöre derzeit zu diesen Zwitterwesen, die zwar längst gemerkt haben, dass sie ihren Lebensstil zum Wohle des Planeten ändern sollten, das aber immer noch lieber mit schicken Einkaufsnetzen tun als mit biologisch-dynamischen Jutebeuteln. Klimaschutz, but make it glam.

Aber ich weiß auch, dass ich weiter aus meiner Komfortzone herausmuss, und von „Oya“ erhoffe ich mir eine helfende Hand bei diesem Schritt. Eine, die mich aber nicht gleich mit Gewalt auf die andere Seite zerren will.

Es geht auch sanft los. Statt eines Editorials erzählen „Oya“-Mitarbeiter kleine Geschichten aus ihrem Alltag, vom Saftpressen, von einem „Tiny Living“-Festival, von ihren Kindern. Man sieht sie beim Bäumepflanzen und beim Arbeiten am Strand. Wer will das nicht?

Gleich auf Seite 8 wird die Frage gestellt: „Was tun mit einem Pelz-Erbstück?“ Und wieder bin ich angenehm überrascht, dass man das böse P-Wort in „Oya“ überhaupt schreiben darf. Die acht Antworten wurden einem „permakulturellen Mailverteiler“ entnommen, wo die Diskussion ursprünglich stattgefunden hat, und sie reichen von „warme Sachen daraus nähen“ über „für eine Kunstperformance“ verschenken bis zu „Haar, Pelz und Wolle sind ein großartiges Mulchmaterial im Garten“. Und selbstverständlich ist unter den Antworten auch eine nahezu unverständliche philosophische Kurzabhandlung (ich glaube, man ist dagegen), aber ohne geht’s vermutlich nicht. Generell jedoch: eine ausgewogene Bandbreite an Antworten, Respekt!

Es geht kleinteilig und etwas eklektisch weiter. Die „Oya“-Lebenswelt lässt sich schwer eingrenzen, aber gefühlt weiß die Leserin, was sie erwartet: etwa ein Kurzbericht von der „Strategiekonferenz sozialer Bewegungen“ in Berlin, ein kleiner Text über die Klimaschützer Extinction Rebellion (XR), geschrieben von einem Autor, der „mehrere Tausend Euro vom Erbe meines Vaters an XR gespendet“ hat, ein Aufruf zu einem Sternmarsch einer indischen Bewegung in Genf, aber auch ein Artikel über die iranische Choreografin Modjgan Hashemian sowie ein Hinweis auf den neuen Uranatlas. Einmal mit alles.

Da muss man schon mit beiden Beinen auf der anderen, der „Oya“-Seite stehen, um viele dieser Texte lesen zu wollen. Schreiben darf hier offenbar, wer will. Der Teil ist mit „Commonie“ überschrieben und dient als „Raum für die gemeinsamen Anliegen der Oya-Lesenden und des Oya-Redaktionskreises“, wie ein Kasten erklärt.

Hier kriecht einem zum ersten Mal das Gefühl über den Rücken, als Außenstehende in eine eingeschworene Gruppe einzudringen, die ihre eigene Sprache hat. In „Oya“ werden oft Wörter wie Lassenskraft, Commonie, Commoning und einmal sogar, kein Scherz, „die Planetin“ verwendet. Mir wird nicht erklärt, was der „Oya-Hütekreis“ ist, der sich auf Seite 7 zum zweiten Mal getroffen hat. Und es werden Namen von Experten in den Raum geworfen, als ob die jeder kennen müsste.

Mein erster Chefredakteur predigte uns immer: „Journalismus ist Wiederholung.“ Auch nach 15 Jahren muss man zu Angela Merkel jedesmal dazuschreiben, dass sie Bundeskanzlerin ist.

Ich hingegen muss mir die Bedeutung des Worts „Commoning“ erst mühsam zusammenkratzen. Es hat wohl irgendwie mit der Art zu tun, wie das Volk der Quechua in Peru gemeinsam das Wasser hütet „wie seine Kinder“. Ein Text, den man ebenso gern und interessiert liest wie den darauffolgenden über einen gemeinschaftlich geführten Lebensmittelladen in Mönchengladbach.

Und doch ist mir in „Oya“ zu wenig Leben und zu viel Theorie. Meine Hoffnung, man wolle die Leser für die Idee begeistern, nimmt mit jedem Umblättern ab. Das Magazin wirkt immer mehr wie ein Vereinsheft für fortgeschrittene Commoner (heißt das so?). Ein Autor beschreibt eine – im Prinzip hochinteressante – Schweizer Initiative, in der man mit kleinen Dienstleistungen für ältere Menschen in eine Art Zeitbank einzahlt, von der man dann selbst Hilfe abheben kann, wenn man sie Jahre später braucht. Doch anstatt nahe ranzugehen und das echte Leben reinzuholen, ist der Text zur Hälfte ein historischer Vergleich zu ähnlichen Projekten im Mittelalter.

Ein Thema, das längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und immer mehr Menschen betrifft und interessiert, wird extra hoch gehängt, damit niemand rankommt. Dabei hilft das zwar sehr aufgeräumte, aber doch auch recht bildarme Layout nicht unbedingt. Und auch die Zwischentitel, die theoretisch immer wieder eine Möglichkeit bieten sollten, dann eben weiter hinten den Einstieg in einen Text zu finden, vermitteln oft eher die Message: „Bitte blättern Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!“

Und vielleicht bin ich ja zu doof, aber einen Text mit dem Titel:

„Haben nahe dem Sein: Geht es ums Eigentum oder um die Beziehungen zu dem, was Menschen nutzen?“

will ich einfach nicht lesen. Vor allem, wenn es so spröde weitergeht:

„Ist Privateigentum besser als Gemeineigentum oder umgekehrt? Ich lade dazu ein, grundsätzlich über dieses Phänomen nachzudenken.“

Sorry, welches Phänomen? Die Zwischentitel „Eigentümliche Verdinglichung“ und „Beziehungshaftigkeit des Habens verankern“ laden jedenfalls nicht zum Weiterlesen ein.

Ein weiterer Artikel trägt die Headline:

„Der Sprung in gemeinschaftliche Lebensformen: Mit weniger Erwerbsarbeit mehr Commoning wagen. Essenzen eines Suchprozesses“

Der Text „Mit Commons ist kein Staat zu machen?“ beginnt mit dem Satz

Projekte, die Mustern des Commonings folgen, bewegen sich in einer nationalstaatlich verfassten politischen Ordnung, die auf einen kapitalistischen Markt hin ausgerichtet ist, beständig in einem Rahmen, der sie wenig unterstützt oder sie gar behindert.

Uffz.

Es ist fast, als würde „Oya“ die Message aussenden: Nur, wer sich durch den sperrigen Wortbrei frisst, hat sich für die Aufnahme ins gemeinschaftliche Schlaraffenland, in dem sich alle gegenseitig Mandelmilch und Honig reichen, als würdig erwiesen.

Und das, obwohl im vorderen „Commonie“-Teil sogar auf einer ganzen Doppelseite die Frage diskutiert wird, wie verständlich die Sprache in „Oya“ ist. Ein Leser vermutet, es handle sich um „Oyanisch“. Und selbst die eigene Lektorin schreibt: „Mich schmerzt es sehr, dass auf diese Weise Menschen, die prinzipiell offen sind für ‚Oya‘-Themen, nicht den Zugang dazu bekommen, weil die Sprache so komplex ist.“

Komplex und so fürchterlich ernsthaft, dass man beim Lesen immer weniger Lust bekommt, irgendetwas gemeinsam zu machen.

Dabei klingen viele der vorgestellten Projekte und Denkansätze spannend, wenn man sie erst einmal in all dem theoretischen Überbau freigelegt hat. Aber vielleicht auch nur, weil nicht wirklich kritisch nachgefragt wird. In einem Bericht über eine Konferenz wird eine „uninstitutionalisierte Commons-Forscherin und Aktivistin“ mit dem Aufruf ans Publikum zitiert, gar nicht erst mit der Lohnarbeit anzufangen. „Wenn ihr einmal angefangen habt, kommt ihr so schnell nicht wieder raus.“ Klingt ganz einfach, wird aber nicht näher erläutert. Ein anderer Text stellt eine ambulante Pflegeinitiative in Berlin vor, die ihren Mitarbeiterinnen ein entspannteres Arbeiten ermöglichen will. Dass sie dadurch auch weniger verdienen, steht in einem Nebensatz.

Wahrscheinlich steckt viel Gutes und Wahres in „Oya“. Es ziert sich nur sehr davor, gefunden zu werden.

Oya
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4 Kommentare

  1. „Oh my god“ – um es enkeltauglich zu sagen – Bullshitbingo gibt es jetzt auch in gedruckt. Ich habe aber ernsthafte Zweifel, dass das jemand mit Enkeln rezipiert…

  2. „Das Trendmagazin für Sozialpädagogen und alle, die noch „Du, da lass uns mal drüber reden“ sagen, während sie ihren Jasmintee aufgießen“

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