Bahnhofskiosk

Röööhrl und Brummbrumm

Mein schönstes Nahtoderlebnis hatte ich vor ein paar Jahren auf dem Stilfser Joch. Wer sich für mein schönstes Nahtoderlebnis nicht interessiert, kann die kommenden Zeilen gerne überblättern, wie wir analogen Althasen früher sagten – und erst ab dem Wort „Walter“ weiterlesen.

Mein schönstes Nahtoderlebnis hatte ich vor ein paar Jahren auf dem Stilfser Joch. Mit dem Motorrad fuhr ich die Ostrampe hinunter nach Italien. Es ist eine anspruchsvolle Strecke, man fährt sie mit maximaler Defensive und Aufmerksamkeit. Unversehens, knapp über der Baumgrenze, stand plötzlich ein Porsche 911 vor mir. Das heißt, er „stand“ keineswegs. Er preschte mit geschätzten 120 Sachen bergauf und nahm, als Anlauf für die kommende Kurve, die komplette Straßenbreite in Anspruch – und ich war eigentlich tot.

Weil es die letzten sein könnten, prägen sich solche Sekundenbruchteile ein. Ich weiß noch, dass der Porsche zwei Rennstreifen hatte und der Fahrer eine Pilotenbrille trug. Ich weiß noch, wie er kurz am Lenkrad zuckte und, statt mich frontal auf die Haube zu nehmen, links vorbeipreschte.

Ein ganzes Rudel aufgemotzte 911er

Noch war mein Puls nicht runter, da begegnete mir in der nächsten Kehre der nächste Porsche, diesmal quer zur Fahrbahn in tadelloser Drift. Wieder nahm der Fahrer freundlicherweise Kenntnis von meiner Anwesenheit, rollsplittspritzend umzirkelte mich der Sportwagen. Es folgten mehrere aufgemotzte 911er, ein ganzes Rudel, vermutlich ein Club auf Ausfahrt. Für alle war ich ein stehendes Hindernis, und sie ließen mich auf wundersame Weise unversehrt.

Mit jeder weiteren Begegnung beruhigte ich mich mehr und mehr. Irgendwann freute ich mich über den nächsten Porsche. Weil manche Leute einfach Auto fahren können. Nicht etwa geschickt einparken oder stumpf Gas geben auf der Autobahn, sondern die Kinetik eines übermotorisierten Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor wirklich beherrschen.

Das ist es, was ich damals gelernt hatte. Seit Algorithmen der Assistenzsysteme es uns zusehends aus der Hand nehmen, ist Könnerschaft am Steuer ein wenig in Vergessenheit geraten, und in Misskredit sowieso. Weil das Autofahren offenbar zu den Dingen gehört, die diesen Planeten ins Unglück stürzen. Wer darin gut ist, kann kein Guter sein. Walter Röhrl wiederum, sagen Leute, die sich damit auskennen, war nicht einfach ein Guter. Er war der Beste.

Womit wir bei „Walter“ wären. Walter!

Was für ein Name für ein … ja, was eigentlich? Nun, ein Magazin für „Freude am Automobil, Youngtimer-Leidenschaft, Lifestyle, Sport, Rallye, Racing und Unterhaltung“, wie es auf der Website des abseitigen Magazins „Rallye“ lautet, das sich mit „Walter“ ein Upgrade gönnt.

Nichts gegen Abseitigkeit. Menschen interessieren sich fürs Skispringen, Häkeln, fürs vegane Backen und Musik. Warum also nicht ein Heft für Menschen, überwiegend Jungs, denen der Spaß am Brummbrumm seit Sandkastentagen nie vergangen ist? Und wenn es von Guido Maria Kretschmer „Guido“ und von Barbara Schöneberger „Barbara“ gibt, warum nicht auch „Walter“?

Immerhin hat der Mann etwas geleistet, war mehrfacher Welt- und Europameister im Brummbrumm, gilt mithin als Legende einer Szene, die bei „Walter“ nicht an „… von der Vogelweide“, „Mein Gott, Walter!“ oder Walter Freiwald denken. Sondern an Röhrl, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren für den Rennsport, namentlich das Rallyefahren, so viel bedeutete wie Boris Becker für Tennis und Franz Beckenbauer für Fußball.

Wobei Röhrl als Name, schon rein onomatopoetisch, einleuchtender gewesen wäre: „Röööhrl – Das Magazin für Brummbrumm“. Untertitel: „Echt. Ehrlich. Auto“, also ehrlich jetzt, in echt.

„Nix Weltuntergang“ ist kein Argument

„Walter“ hat eine Botschaft. Sie lautet leider nicht: „Lernt fahren!“ oder „Kupplung laaangsam kommen lassen!“. Sondern: „HABT SPASS!“, wie es auf dem Titel steht, unter der verwitterten Gesichtslandschaft des gealterten Rennfahrers. Und „Habt Spaß!“ bedeutet, nochmal leider: Lasst euch den Spaß an Brumbrumm und Röööhrl nicht durch „ein paar verkniffene Aufschreihälse“ verderben, wie Co-Chefredakteur Michael Senn im Editorial unter der schlichten Überschrift „Nix Weltuntergang. Spaß haben!“ fordert.

Mit meiner weitschweifigen Anekdote vom Stilfser Joch habe ich unterstreichen wollen, dass ich mitnichten ein „verkniffener Aufschreihals“ bin. Umso lieber wären mir einige Argumente für das schnelle oder dicke, schlimmstenfalls schnelle und dicke Auto gewesen. Ich höre gerne die Gegenseite. „Nix Weltuntergang“ ist, wenn ich das richtig sehe, kein Argument.

Der entscheidende Satz stammt von Walter Röhrl selbst, dessen Editorial in Trainersprache („Geht’s raus und fahrt’s Auto!“) gehalten ist und in den Satz mündet: „Ich glaub, der Industrie und Euch“, womit er die „Autoverrückten“ meint, zuallererst aber die Industrie, also: „der Industrie und Euch hat so ein Heft gefehlt“.

Die Industrie dankt’s mit doppelseitigen Anzeigen. In „Walter“ braucht sie nicht so zu tun, als hätte sie etwas gelernt. In „Walter“ kann sie so richtig die Sau rauslassen. Bridgestone, Pirelli, Citroën („Abenteuer entspannt genießen“), Audi („Performance Is An Attitude“), Mercedes („Kein Must-Have. Ein Want-Have“, dieser entzückende AMG GLC 63 S 4Matic+, mit bis zu 510 PS schnellster SUV der Welt) und BMW mit seiner „Freude am Fahren“.

Das „deutsche Herz“ und die „SUV-Verfolgung“

Ford („Bringt Sie groß raus – und überall hin“) bewirbt seinen Ranger Raptor, ein 2,5-Tonnen-Monstrum, ein aufgemotzter Pickup-Truck-SUV auf Steroiden. „Aufgemotzte Pickups. Was für dämliche Autos!“, holt „Walter“ mich gleich zu Beginn des Textes ab und fährt fort mit Vollgas: „Da stehen wir doch drüber, oder?“ Ja, eh! „Oder vielleicht nicht ganz?“ Wie, nicht ganz? Nun, „aller SUV-Verfolgung zum Trotz findet das deutsche Herz ein warmes Plätzchen für den Ford Ranger“.

Schön, dass das „deutsche Herz“ diesmal bei einem Pogrom mal nicht mitmachen möchte, auch wenn „die Luft für Petrolheads dünn“ wird. Möglich, dass synthetische Kraftstoffe mittelfristig keinen Ersatz für Bezin bieten können. So gut wie sicher, dass ein Tempolimit „etwas“, aber nicht genug bringen würde – und dabei „der intrinsische Wert“ der Freiheit flöten ginge. Auch ein kritischer Blick auf den SUV generell wird mit ein wenig Ironie beiseite geräumt: „Der Weltuntergang muss neu geschrieben werden. Was uns die Bibel immer verschwiegen hat: Alles Übel beginnt mit dem SUV“.

Im Interview hofft auch ein entschlossener Mischael Stoschek, dass „den Menschen nicht die Freude am eigenen Auto genommen wird“. Der Milliardär und Chef eines Autozubehör-Imperiums raunt im Interview, „die negative Haltung gegen das Automobil“ habe „noch ganz andere Motive“. Auf kritische Nachfrage („Das müssen sie uns näher erläutern …“), erklärt der Manager „von der Industrie“ (Bildunterzeile) die Akzeptanz öffentlicher Verkehrsmittel deshalb für „begrenzt“, weil es darin keine „persönliche Freiheit und Privatsphäre“ gebe. Alles eher dünn.

Geschrieben sind die größeren Geschichten so flott, dass bisweilen die Kommaregeln unter die Räder kommen. Erklärt wird die „Faszination Walter Röhrl“, Sportgeschichte. Es gibt Texte über hoffnungsvolle Nachwuchsfahrer und eine Oldtimer-Sternfahrt nach Budapest. Berichte über Leute also, die wirklich fahren können. Sympathie aber mag, diesmal, nicht aufkommen. Woran liegt das nur?

Rallye steht im Mittelpunkt, auch bei den augenscheinlich gesponsorten „Reiseberichten“. Albanien wird mit einem Skoda erkundet, die „spektakulärste Straße Chinas“ ebenfalls im Schlepptau von VW. Wer an die alte Regel glaubt, wonach der Musik- und der Reisejournalismus auf Platz 3 und 2 der korrumpierbarsten Spielarten der „vierten Macht“ stehen, sieht sich hier bestätigt. Am Allerkäuflichsten sind die „Petrolheads“ unter den Schreibern, und sie sind es gerne.

Genrebedingt gibt es viele spektakuläre Fotos von viel Blech und Schotter, an denen sich erfreuen kann, wer Blech und Schotter mag – immer hübsch und durchgehend vom grafischen Element der „Rallye-Streifen“ begleitet. Berichte über einen alten BMW, ein brasilianisches Kuriosum namens Gurgel oder Bugatti fallen unter Denkmalpflege. Es sind ganz sicher nicht diese Spielzeuge, an denen die Welt zugrunde gehen wird. Wer sich daran ergötzen mag, soll das tun.

Wirklich ärgerlich ist nur die siebenseitige und üppig bebilderte Glosse über einen Ausflug mit einem Rennwagen von Audi in die Innenstadt von Hamburg – auf deren Höhepunkt „unseren wohlhabenden Nachwuchsdealern aus allerlei südlich liegenderen“ (sic!) „Ländern“ gezeigt wird, wo der Hammer hängt.

Reaktionäres Ressentiment und offener Rassismus

Diese Drogenhändler haben trotz Protzkarossen „ein winziges Glied“ und keine Chance beim Schwanzvergleich mit dem Audi. Sie fotografieren ihn und stammeln, ausweislich der Bildunterschrift, Stummeldeutsches: „Mach isch Foto, tu isch Insta“. Der Gegner trägt übrigens, klar, „Haargel“ und heißt „Ali Baba (Name von der Redaktion geändert)“, haha. Naja.

Wenn schon die angepeilte Kundschaft der hier empfohlenen Automobile (Nachwuchsdealer, Ali Baba mit winzigem Glied) so launig von rechts gerammt wird, kippt das Brummbrumm endgültig in reaktionäres Ressentiment und offenen Rassismus.

„Ich kann zwar a bissl Autofahren“, kokettiert Röhrl in seinem Editorial, „aber das Schreiben überlass ich doch den Profis“. Vielleicht wäre es besser, diese angeblichen Profis beherzigten das Röhrl’sche Diktum „Geht’s raus und fahrt’s Auto“. Da können sie weniger Schaden anrichten.

12 Kommentare

  1. Als norddeutscher Skisprungfan, Musiker und veganer Backbegeisterter fühle ich mich gerade sehr angegriffen. Gut, dass ich nicht häkel‘.

  2. Als angehenden Boomer, für den Walter Röhrl zu seiner aktiven Zeit ein echtes Idol war (ich war noch zu jung zum Selberfahren), macht mich das alles ziemlich traurig. Vor allem diese Hamburg-Geschichte, das ist ja widerlich.

    Und das obwohl dieser Bahnhofskiosk-Beitrag ansonsten ein echtes Lesevergnügen darstellt.

  3. @ Ingo S.

    Sie haben ja seltsame Vorsätze für’s neue Jahr gefasst. Älter werden wir ja alle, aber Sie wollen sich wirklich eine Boomer-Geisteshaltung zulegen? :-P

  4. Nein, ein Vorsatz ist das nicht direkt. Aber wohl unvermeidlich.

    Also tatsächlich jetzt, manchmal möchte ich schon irgendwas schreiben, lese es nochmal durch und denke mir, dass da durchaus jemand ein „Ok, Boomer“ druntersetzen könnte und lass das dann lieber.

    Diese jungen Leute verstehen ja viele Zusammenhänge überhaupt nicht. :-)

  5. Das ist ja ein sehr ehrliches Eingeständnis. Zurückhaltung und Mäßigung gelten ja durchaus als Tugenden. Ohne zu wissen, was Sie da im einzelnen schreiben wollten, denke ich Sie machen das richtig.

  6. Hauptsache Spaß. Scheiß auf Klima und Umwelt. Der Untergang, die Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen soll schließlich Spaß machen. Nur so lässt sich das ertragen. Wenn wir befürchten müssen, dass die Welt morgen am Arsch ist, halten wir heute noch dekadente Gelage ab und feiern uns. So ist Mensch. Nichts dazu gelernt.

  7. Herr Röhrl ist weder Chefredakteur noch Herausgeber, richtig? Presserechtlich verantwortlich zeichnen Sideways Media aus Erfurt und namentlich Michael Heimrich, nach dessen Selbstbeschreibung man auch nicht schlauer ist: „As a designer and an inventor by heart innovation is my passion from my early days on. With a focus on user´s needs I turn ideas into solutions that not only please the eye but also meet a truly relevant customer need. Combining this with the right business model is what differentiates a successful innovation from a good idea or a nice-to-have design piece, right?“.
    Die Frage ist, ob man eher einem alten, weißen Mann einen Vorwurf macht, dass er sich vor die falsche Karre spannen lässt, oder einem jungen, weißen Mann, der sich für King Käs hält und trotzdem nicht den Finger am Puls der Zeit hat.

  8. Brrr … bei der Schilderung des Nahtoderlebnisses fette Erpelpelle, ansonsten fette Rezension, macht’s weiter so, Herr Frank!

  9. Sie haben wohl den Test/Bericht zum Ford Raptor von Clemens Gleich nicht ganz verstanden, denke ich – ohne den Test selbst gelesen zu haben.
    Herr Gleich müsste doch zum Fazit gekommen sein, dass das Auto zwar Freunde in Deutschland finden wird, es aber wie Dodge Ram & Co Unsinn ist, da VW Pritschenwagen zum Beispiel viel sinnvoller sind für Handwerker.
    Und das ist dann wohl auch beim anderen Bericht das Thema, das sie als „rassistisch“ ansehen, was man eher als persiflieren-satirisch lesen kann als offener Mensch: Jedes Auto hat überspitzt seine Klientel

    Das war der Manni Manta-Fahrer, der BMW 3er Fahrer ohne Eier oder der Öko-Prius Fahrer.

  10. @11 civichief 27. Januar 2020 um 10:09 Uhr

    Ich habe ihn auch nicht gelesen, aber da bei allzu absurden Auffassungen bekanntlich das Stilmittel Satire, da es ja selbst auf Absurdität baut, versagt und daher keine sichere Unterscheidung zwischen Satire und wirklich geglaubtem Unsinn mehr möglich ist, entscheide ich mich hier, vorläufig dem Autor zu vertrauen.

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