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Globuli aus dem Zeitschriftenregal: Das „Magazin vom Arzt“

Dem Gesundheitswesen geht es schlecht. Wer heute zum Orthopäden muss, sollte sich den kommenden Frühsommer frei nehmen, denn: „Da könnten wir noch einen Termin frei haben!“ Und dann sitzt man irgendwann im Wartezimmer – dem vielleicht letzten Ort auf diesem Planeten, an dem Leute noch freiwillig und beherzt zum „Stern“ oder zur „Gala“ greifen. Weil man ja nie so genau wissen kann oder will, was sich hinter dem wundertütenhaften „Lesezirkel“-Umschlag so verbergen mag.

Nun gibt es ein Magazin, das in jedes Wartezimmer gehört. Genau genommen ist es sogar ein magazingewordenes Wartezimmer.

Im freien Handel kostet es 6,90 Euro, hat eine Auflage von optimistischen 100.000 Exemplaren und nennt sich: „PROFESSOR DIETRICH“ (in Großbuchstaben, aber klein gesetzt) „GRÖNEMEYER“ (in Großbuchstaben und SEHR groß gesetzt, damit man sofort weiß, was man hier bekommt, ’ne echte Marke) und „MEDIZIN MIT HERZ & SEELE“ (wieder klein) – im Komplettpaket also, tief Luft holen: „PROFESSOR DOKTOR DIETRICH GRÖNEMEYER MAGAZIN MIT HERZ & SEELE“, kurz: PDGMMHS.

Okay, den „Doktor“ haben wir zum Zwecke neckischer Überspitzung reingeschmuggelt. Ungelogen aber ist ein kreisrund eingeklinkter Hinweis auf dem Titel mit folgendem Wortlaut:

„Das große Gesundheits-Magazin vom Arzt und Bestseller-Autor“.

Und alle Buchstaben im Titel sind erhaben gesetzt. Wir können es folglich auch mit Grauem Star noch ertasten, das „Magazin vom Arzt“.

Die heilende Hand des Professors

Ohne Grauen Star erblicken wir auf dem Titel sogleich, was wir sonst nur allzu selten zu Gesicht bekommen, einen echten Arzt, der nicht nur dahergelaufener Arzt ist, sondern Professor, und zwar Professor Dietrich Grönemeyer! Zugewandt lächelt er uns entgegen, seltsam aufgestützt auf einem unsichtbaren Möbel, damit die heilende Hand ungezwungen ins Bild ragen kann.

Dietrich Grönemeyer mit Gummiband, Überschrift: "Meine besten Rücken-Tipps"

„Na, wo zwickt’s denn?“, scheint er zu fragen. Rücken? Sie haben wohl nicht „Meine besten Rücken-Tipps“ befolgt, deren ausführliche Erörterung im Heft gleich hier, über meiner linken Schulter, in sehr ärztlicher Leserlichkeit handschriftlich angekündigt ist? Desgleichen, kleiner auf dem Titelbild, ein ganzer anderer Strauß an Themen rund ums Wohlbefinden: „Wie gut sind sanfte Therapien wirklich?“, „Bloß keinen Stress!“ oder, dies sogar „exklusiv“, Rezepte: „Essen Sie sich jung und gesund“.

Als gestricheltes Männchen wird der Editor-at-large im Magazin immer wieder seine „ganz persönlichen Ratschläge und Anregungen“ von der Seite reinreichen, etwa:

„Bei der Handynutzung mehrere kleine Pausen einlegen und Lockerungsübungen für Schulter und Nacken machen.“

Es lagerten sich rings um den medizinisch-industriellen Komplex schon immer geschäftstüchtige Gestalten an, die mal dies, mal das, mit Sicherheit aber eine Alternative zur obwaltenden Herrschaftsmeinung der Disziplin versprachen. Als Manfred Köhnlechner unserer Tage ist inzwischen Stefan Waggershausen – nee, Quatsch: Eckart von Hirschhausen – endgültig zur Fernsehnasenexistenz (Konkurrenzmagazin zu Professor Dietrich: „Gesund leben“) durchgereicht worden. Nun ist eben Grönemeyer an der Reihe.

Die Redundanz ist PDGMMHS auf jeder Seite anzumerken. In Rubriken wie „Gesund bleiben“, „Gesund werden“, „Gesund genießen“sowie „Gesund leben“ (schmerzlich vermisst: „Gesund sterben“) geht’s um Wohlfühlthemen wie Yoga, Frühstück, Demenz und „Nährstoffe fürs Zahnfleisch“ – papperlapapp, ist nur eine schlecht kenntlich gemachte Anzeige in redaktionellem Umfeld.

„Morgens ist eine wunderbare Zeit, um bei mir anzukommen“

Umfeld, ganz wichtig. So ist ein Mehrseiter zum Thema „Gesund durch den Herst“ (Bild: Frau, die sich lachend über fallende Blätter freut) flankiert von Werbung für Magnesiumtabletten, Hustensaft sowie einer auf Reha und Wellness spezialisierten Klinik (Claim: „Gesund, vital und leistungsfähig durch Herbst und Winter“). Professor Dietrich, jetzt im freizeitlichen Kapuzenpulli, verrät seine „besten Energiequellen“, etwa: „Morgens ist eine wunderbare Zeit, um bei mir anzukommen.“ Der Artikel schließt mit fernöstlichen Weisheiten und dem Satz: „So kommen wir gesund und munter durch den Herbst.“

Genau so geht das ganze Heft. Der butterweiche Artikel über Essen als Jungbrunnen ist das Umfeld für Werbung für Nahrungsergänzungsmittel, Sorgen über Sportverletzungen in „Mensch, beweg dich!“ werden durch Hinweise auf Kühlgel für Muskeln und Gelenke zerstreut. Im Reiseteil („Endlich durchatmen!“) geht es weniger um das Allgäu, Norderney, Sylt oder Zermatt – sondern vor allem um die Wohlfühlabsteigen dort.

Eine ganze, immerhin werbefreie Seite mit „Nachrichten“ (vermutlich von Google oder aus dem Grönemeyer’schen Oberstübchen) lässt sich wie folgt zusammenfassen: Zucker macht nicht glücklich, Alkohol ist schädlich, Ingwer ist gesund, traurige Musik ist schön.

Auf dem Niveau einer besonders bräsigen Frauenzeitschrift auch: die Ausführungen über die Segnungen der Erotik, die erzgeschwätzig nur die allerbekanntesten Allgemeinplätze verbreiten – mit augenzwinkernden Zusatzinformationen zum „Glamour-Paar aus Modelmama Heidi Klum und Tokio-Hotel-Gitarrist Tom Kaulitz“, Herrschaftszeiten.

Layouterisch ist PDGMMHS ein hoffnungsloser Fall infektuöser Einklinkeritis und Freistellokokken. Allenthalben waltet das kostenlose Symbolbild aus den Archiven der Vorratsfotografie. Das Erste, was einem zu Meditation (Buddha, Titel: „Der Weg zu sich selbst“) oder Liebe (Herzchen, Titel: „Die Kraft der Liebe“) einfällt, kommt ins Blatt.

Apropos „Meditieren“, Professor Dietrich macht’s am liebsten „beim Wandern oder Laufen oder sitzend in der Stille des Waldes und am Meer“ – und nach einem kleinen Freudentänzchen rund um seine Kontoauszüge. Denn PDGMMHS ist unter den Gesundheitsmagazinen, was Globuli unter dem Medikamenten ist: Nepp.

4 Kommentare

  1. Feiner Verriss, hängenbleibende Wortkombination der Woche eindeutig bei mir der „medizinisch-industrielle Komplex“.

  2. @2 Gerdos

    Vielen Dank für den Link. Sollte man als Ergänzung lesen, wenn einem der Mann nicht geläufig ist.

    Klar auch, warum der Name „Grönemeyer“ so groß auf dem Titel prangt und des Arztes Antlitz mit seiner großen Ähnlichkeit zum noch berühmteren Bruder dort ausgestellt wird. Das schafft gleich Vertrauen.

    Als berühmter Bruder fände ich das allerdings gar nicht mehr amüsant, qua Namen und Aussehen indirekt für einen Quacksalber zu werben. Ob der Herbert dazu gefragt wurde?

  3. So, dann tragen wir noch den Namen Funke nach, damit man weiß, wer hier die Gruner-Masche weiterstrickt.
    P.S.:
    „was Globuli unter dem Medikamenten ist“ könntet Ihr noch korrigieren. … den … sind.

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