Jahrzehntelang aus einem Schicksalsschlag Kapital schlagen
Im Januar 1994 verschwand die gemeinsame Tochter des Schlagerpaares Al Bano und Romina Power. Auf einer Reise durch die USA kam die damals 23-jährige Ylenia eines Morgens nicht mehr ins Hotel zurück; die Suche nach ihr blieb erfolglos, bis heute ist ihr Schicksal ungeklärt. 2014 veranlasste ihr Vater, dass seine Tochter von einem italienischen Gericht für tot erklärt wird.
Mehr als 25 Jahre sind seit dem Verschwinden vergangen. In dieser Zeit trennten sich die Eltern, sie gründeten neue Familien, brachten neue Alben heraus, gingen auf Tournee. Bis heute sind sie erfolgreiche Schlagerkünstler. Und doch fängt fast jeder Artikel über sie in der Regenbogenpresse so an:
Dieser Schmerz lässt sie einfach nicht los! Als 1994 ihre 23 Jahre alte Tochter Ylenia auf einmal spurlos verschwand, riss das eine Wunde in das Herz von Romina Power, die seitdem nicht mehr geheilt ist.
Es ist ein Schmerz, der seit 24 Jahren auf den Seelen von Al Bano und Romina Power lastet. Das mysteriöse Verschwinden der ältesten Tochter Ylenia (damals 23) im Januar 1994 ließ das Schlagerpaar niemals los. Immer wieder quälte es die Frage: Lebt unsere geliebte Ylenia oder lebt sie nicht mehr?
Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was Eltern widerfahren kann. Und für Al Bano (76) und Romina (67) ist die Frage, ob ihre Tochter Ylenia noch lebt, seit fast 26 Jahren allgegenwärtig.
Allgegenwärtig ist sie auch für die Klatsch-Redaktionen.
Als Romina Power vor wenigen Wochen zum zweiten Mal Oma wurde, schrieben sie:
Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Mutter widerfahren kann. Es bricht das Herz. Und nichts wird es je wieder heilen.
Romina Power (67) kennt diese Qualen. […]
Nein, dieser Schmerz über die Ungewissheit, den Verlust, der wird Romina immer begleiten. Aber es gibt etwas, was ihn lindern kann: neues Leben. Babygeschrei, lachende Kinderaugen voller Neugier und Liebe. Und dieser Glücksfall ist jetzt eingetreten. (…) Und dieses Wunder, es lindert den Schmerz über Ylenias Verschwinden.
Als Al Bano 2016 am Herzen operiert wurde, schrieben sie:
Vor allem für Romina müssen es fürchterlich bange Stunden gewesen sein. Nicht auszumalen, wenn Al Bano nicht überlebt und sie so ihre einstige große Liebe verloren hätte. Die 65-Jährige hätte es nicht verkraftet, von einem weiteren wichtigen Menschen Abschied zu nehmen. Das spurlose Verschwinden der gemeinsamen Tochter Ylenia 1994 schmerzt noch immer sehr.
Als Al Bano seinen Ruhestand ankündigte, schrieben sie:
Seit dem spurlosen Verschwinden seiner Tochter Ylenia 1994 vermied er, zu viel Zeit zum Nachdenken zu haben. Denn dann wurde der Schmerz über den Verlust übermächtig … Aber jetzt wagt Al Bano diesen Schritt.
Als Al Bano mal nach Moskau reiste, schrieben sie:
Manchmal hängt die Vergangenheit wie ein dunkler Schatten über einem. Ein Gefühl, das auch Al Bano Carrisi (76) genau kennt: Vor 25 Jahren verschwand seine Tochter Ylenia spurlos. Jetzt holen ihn die die traurigen Erinnerungen plötzlich wieder ein… Der Grund: Für seine Konzertreise besuchte er gerade Russlands Hauptstadt Moskau. Hier machte er 1986 mit seiner Familie Urlaub, genoss eine unbeschwerte Zeit voller Glück.
Als Cristèl, die jüngste Tochter des Paares, 2016 heiratete, schrieben sie:
Wann etwas passiert ist, spielt für Klatschredaktionen keine Rolle. Es ist gänzlich irrelevant, denn als Schlagzeile eignet es sich für sie: immer.
Vor 18 Jahren, zum Beispiel, wurde der Freund einer Freundin von Stephanie von Monaco erschossen. Daraus wird dann heute die Schlagzeile:
Weil Ex-Papst Benedict XVI. vor 22 Jahren einen Schlaganfall gehabt haben soll, verkündet „Das neue Blatt“ über zwei Jahrzehnte später:
Günther Jauch hat mal einen waghalsigen Stunt im Fernsehen hingelegt. Vor sage und schreibe 36 Jahren, aber bei der „Neuen Post“ passiert das, genau: quasi in diesem Moment.
Unerheblich ist für die Redaktionen aber nicht nur, wann etwas passiert, sondern auch, wie oft es schon im eigenen Blatt verwurstet worden ist. Sie bringen die Geschichten über Jahrzehnte immer wieder und wieder und wieder.
Ein Klassiker: Seit mindestens 35 Jahren gibt es das Gerücht, dass nicht Prinz Charles Harrys Vater sei, sondern irgendwer anders, der Rittmeister zum Beispiel. In seriösen Medien taucht das höchstens mal als Joke auf, für einige Zeitschriften aber ist es fast wöchentlich und allen Ernstes ein Titel-Thema:
Und jetzt alle! pic.twitter.com/AlOO9IHoAm
— topfvollgold (@topfvollgold) July 11, 2019
Besonders perfide wird das ewige Recycling der immer gleichen Geschichten, wenn dahinter nicht irgendein uraltes Gerücht steckt, sondern tatsächlich etwas Tragisches, wenn etwa Michael Schumachers Schicksal ausgeschlachtet wird, worüber wir ja schon häufiger geschrieben haben – oder eben die Sache mit Al Bano und Romina Power.
Wenn es Herbst ist, schreiben die Blätter: „Romina Power – Schatten über ihrem Glück!“ Weil sie im „tristen Herbst“ bestimmt „besonders oft an ihre verschwundene Tochter Ylenia denken“ müsse.
Wenn es Weihnachten ist, schreiben sie: „Traurige Weihnachten!“ Weil bestimmt gerade an Weihnachten „die alten Wunden wieder aufreißen“.
Und wenn ihnen gerade mal nichts einfällt, sie die Geschichte aber trotzdem unbedingt nochmal erzählen wollen, schreiben sie einfach: „Die Vergangenheit holt sie ein“.
Zwischendurch werfen sie auch mal Fragen in den Raum wie:
Weil er vor dem Verschwinden angeblich mal „fünf schwarze Katzen“ gesehen hatte und er seine Tochter ja hätte retten können, „wenn er diese Omen richtig gedeutet und besser auf sein Kind geachtet hätte“. Das steht da so wirklich.
Oder:
Weil Al Bano schon mal eine Audienz beim Papst hatte.
Oder als Al Banos jüngste Tochter mal in einem Interview sagte, ihr Vater sei „sehr streng“ – Schlagzeile:
Und immer, wenn man denkt, geschmackloser kann es nun nicht mehr werden, legen die Redaktionen noch einen drunter. 2015 verkündete die „Neue Welt“ aus der Funke-Mediengruppe auf der Titelseite:
In Wahrheit war in den USA ein Mann festgenommen worden, der gestanden hatte, 1996 eine junge Frau getötet zu haben. Zunächst wurde vermutet, dabei könne es sich um die Tochter des Schlagerpaares handeln, doch DNA-Analysen zeigten, dass es eine andere Frau war. Das ist die ganze Geschichte. Und nun lesen Sie noch mal die Schlagzeile.
Oder diese hier. Zum gleichen Fall titelte Bauers „Freizeitwoche“:
Es ist der mit Abstand größte Teil der Berichterstattung über Al Bano und Romina Power: Schlagzeilen, in denen „heiße Spuren“, „sensationelle Erkenntnisse“, „überraschende Wenden“ versprochen werden. In denen die Redaktionen den falschen Eindruck erwecken, als hätten sie exklusive Informationen über den Verbleib der Tochter, als hätten sie „endlich die ganze Wahrheit“ herausgefunden, als gebe es „neue Hoffnung“ oder, je nachdem: „erschütternde Neuigkeiten“.
Wie es den Eltern gehen muss, die oft in Deutschland auf Tour sind, kann man nur erahnen. Seit 25 Jahren vermissen sie ihr Kind, und dann müssen sie in jeder deutschen Tankstelle, in jedem Supermarkt, an jedem verdammten Zeitschriftenregal das Gesicht ihrer Tochter sehen und lesen: „Sie LEBT!“ „Neue SPUREN!“ „Es war MORD!“
Als Al Bano und Romina Power vor ein paar Jahren im italienischen Fernsehen eine TV-Show moderierten, die Waisenkinder nach Jahren der Trennung wieder zusammenführt, schrieb die „Schöne Woche“ aus dem Bauer-Verlag empört:
Das Schlager-Duo schlägt nur Kapital aus dem Verlust von Tochter Ylenia.
Widerlich!
Schon wieder so ein Problem für Leute, die sonst keine Probleme zu haben scheinen. *kopfschüttel*
Diese Zeitschriften sind hauptsächlich für Senioren gemacht, die Herz, Schmerz und auch viel heile Welt wollen.
Nicht umsonst liegen die quasi überall in den Arztpraxen aus, sie sollen die alten Leute von ihren Schmerzen ablenken und erinnern sie gleichzeitig daran, dass auch andere Schicksalsschläge hinnehmen müssen und mussten.
Das könnte man zwar auch anders machen aber so verkauft es sich nun mal am besten, sonst hätten all diese vielen Klatschblätter ja auch nicht so wahnsinnig hohe Auflagen.
Die einen verdienen damit Geld und die anderen bezahlen genau dafür, das diese Blätter so sind, wie sie nun mal sind. – Sonst würden sie diese ja schließlich nicht mehr kaufen.
Ach so, die Promis, Adeligen usw. : Manchmal ist Ihnen der Klatsch und Tratsch sehr willkommen, manchmal sicher auch nicht. Aber es sind halt zwei Seiten derselben Medaille, Rosinenpickerei gibt’s da nicht.
Wie viel Klagen und wie viel Strafen haben diese Klatschblätter schon eingesteckt, es gibt sie aber trotzdem noch und auch dieser Blogbeitrag wird daran ganz sicher nichts ändern.
@2
Sie finden also, weil ein älteres Klientel gerne von Herzschmerz oder heiler Welt liest, ist diese Art der Berichterstattung legitim?
Dann wäre es am sinnvollsten, wenn diese Klatschblätter ihr Geschäftsmodell umstellen würden und fortan nur noch fiktive Märchengeschichten erzählen würden. Diese könnte man dann mit so viel Trauer, Herzschmerz, Babyglück und so weiter vollstopfen, dass bei der betreffenden Zielgruppe kein Auge mehr trocken bleibt.
Aber Tatsache ist doch, dass die Geschichten in diesen Schmierblättern zwar durchaus etwas von Märchenstunde haben, allerdings auf Schicksalen von echten Menschen beruhen, die vollkommen scham- und rücksichtslos immer wieder aufs Neue ausgenutzt und verdreht werden, um Auflage zu erzielen.
Und aus diesem Grund hat auch jeder Blogeintrag zu diesem Thema seine Daseinsberechtigung.
@2: Also alles okay, weil’s eh nur Rentner lesen? Dolle Zivilgesellschaft.
@2: Sie meinen also, weil man manchmal nichts dagegen hat oder es einem sogar recht ist hat man ein Anrecht darauf verloren mit einem Minimum an Würde behandelt zu werden, weil die Eltern bekannt sind soll man sich mal nicht so haben wenn die ganze Kindheit in einem Blatt verwurstet wird und weil man einen Prinz geheiratet hat ist es vollkommen in Ordnung, wenn man von der Regenbogenpresse fertig gemacht wird?
Lustigerweise ist den Verlegern solcher Druckwerke bei sich selbst diese „Transparenz“ dann auch wieder nicht recht
Moin Holger, ich bitte zu bedenken, dass Sie hier auf einer Medienkritikseite sind. Kritik an Medienerzeugnissen ist also der Kern des Ganzen. Ein „Is halt so“ just hier ist deshalb nicht sonderlich zielführend, gelle?
Ihr habt ja recht, aber irgendwie lassen mich diese Topf-voll-Gold-Beiträge immer etwas ratlos zurück. Außer das Schlagzeilenbasteln, das ist lustig.
Es ist doch so, dass man presserechtlich nicht viel gegen diese schmierigen Artikel und Titel machen kann. Eventuell muss mal was nachträglich geschwärzt werden, vielleicht muss mal eine winzige Gegendarstellung veröffentlicht werden. Ab und zu sogar eine unerhebliche Strafe gezahlt werden. Ansonsten läuft das Geschäft seit Jahrzehnten und wird auch weitere Jahrzehnte laufen, und zwar genau so.
Die Leserinnen (ich verzichte hier mal aufs gendern) dieser Blättchen erreicht man bestimmt nicht mit einem Artikel auf Übermedien.
Was bringen diese Beiträge also mehr, als dass wir uns genüsslich über die fiesen Blattmacher und ihre unterbelichtete Leserschaft aufregen (und erheben) können? Ändern wird sich das alles dadurch kein bisschen.
Ich denke die Mühe, diese Absurditäten bis Lügen zusammenzustellen und aufzubereiten, ist nicht vergebens. Vielleicht kommt ja doch jemand über Google mal auf einen Artikel auf Übermedien und somit ins Nachdenken. Darüber hinaus kann man darauf prima verweisen, wenn sich Verlagsgranden einschlägiger Postillen mal wieder selbst auf die Schulter klopfen…
@ Ingo S., #7:
„Außer das Schlagzeilenbasteln, das ist lustig.“
Dabei lässt mich genau das manchmal ratlos zurück… ;)
„Ansonsten läuft das Geschäft seit Jahrzehnten und wird auch weitere Jahrzehnte laufen, und zwar genau so.“
Zur Zeit lobbieren sich die Verlage mit Tageszeitungen Subventionen, um ihren überholten Vertriebsweg und veraltetes Geschäftsmodell beibehalten zu können. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem auch solche Wochen-Schundblätter Probleme bekommen. Mir graut schon vor den Folgen. Vermutlich muss man ein neues Parkhaus direkt gegenüber dem Kanzleramt bauen…
@3, 4, 5 und 6:
Selbstverständlich wollte ich damit nicht sagen, das es deshalb in Ordnung ist, nur, das sich eh nix ändern wird und es auch wichtigeres gibt.
Diese Zeitschriften erfüllen einfach ein Bedürfnis und befriedigen eine Nachfrage. Der Mensch braucht einfach ein bissel Klatsch und Tratsch, das ist in jeder Firma so, in jeder Familie und mal ehrlich: Was sind Internetforen und Blogs am Ende und im Kern denn groß anderes? :-)
Wahr ist allerdings, das sich mein Mitleid mit den betroffenen Promis doch (meistens) sehr in Grenzen hält, denn sie profitieren ja auch oft von diesem Status und von der Presse, die sie dadurch haben, es ist also ein geben und nehmen, das darf man nicht ganz vergessen.
Im Übrigen ist die deutsche Klatschpresse im Vergleich zur englischen eher ein zahmes und friedlich schlummerndes Kätzchen, also (@5) für englische Prinzen dürften „Das Goldene Blatt“ und Co. wohl eher kein Problem sein.
Heute im Supermarkt gesehen, das Thema „Charlène liebt Albert nicht mehr“ wird wieder mit aktuellen(?) Fotos aufgewärmt.
„Diese Zeitschriften erfüllen einfach ein Bedürfnis und befriedigen eine Nachfrage.“
Klar. Ein Auftragsmörder tut das auch. Oder die Waffenindustrie. Das ist aber nicht das Thema. Es geht hier nicht um die Frage „interessiert das jemand?“, sondern: „Ist das moralisch in Ordnung?“.
„Wahr ist allerdings, das sich mein Mitleid mit den betroffenen Promis doch (meistens) sehr in Grenzen hält, denn sie profitieren ja auch oft…“
Mehr als unfair. Das kann man in speziellen Einzelfällen so werten, aber viele der Lieblingsopfer dieser Blätter wollten dort nie sein (Royals, Adelige, Sportler) und haben auch nie davon profitiert.
„Geben und Nehmen“ ist eine ziemlich unpassende Formulierung. „Geben“ ist ein freiwilliger Akt.
„Im Übrigen ist die deutsche Klatschpresse im Vergleich zur englischen eher ein zahmes und friedlich schlummerndes Kätzchen, …“
Was in Ihren Augen anscheinend ein Grund ist, die deutschen Klatschblätter nicht als kritikwürdig zu erachten, ist in meinen Augen ein Grund, die englischen Blätter mit in die Kritik einzuschließen.
Ich bin entschieden dagegen, dass Schundblätter durch öffentliches Ausliegen auf den Nerven der Leute rumtrampeln dürfen. Wenn die Autoren dieser Märchentexte zwischendurch mal zu Geldstrafen verknackt wurden und trotzdem weitermachen, dann stimmt was nicht mit der Bestrafung. Deshalb sollte einfach jeder so lange auf dem Thema herumhacken, solange es Schundblätter gibt und Doofe, die sie lesen.
Man schämt sich innerlich dafür, dass man über euren, sehr guten (!), Artikel zu so einem Quark so lachen muss.
Es ist einfach traurig was diese „Yellows“ da so treiben…
Die heutigen Alten, also die Leserschaft dieser Senioren-/Wartezimmerblättchen sterben aus! Denn die zukünftigen Alten werden PCs haben bzw Internet-User sein und nicht mehr auf solche Titelbilder und Schlagzeilen reinfallen. Es kauft doch niemand diese Blättchen, wenn er aus dem Internet schon vorher alles sowieso schon weiß. Die Jahre für solche Schundblättchen mit ihren Lügenstories sind also gezählt!!!