Bahnhofskiosk

Macht müde Möhren munter

„Das sieht so richtig schön uncool aus“, sagt Freundin P. und grinst, als ich die „BIO“ auf die Freibad-Decke lege und in meiner Tasche wühle auf der Suche nach einem Stift. Sie hat recht, wie so oft. Sieht wirklich nicht cool aus.

Es fängt schon damit an, dass das klumpige Logo der „BIO“ entweder eine lustige Möhre als „I“ in sich trägt oder einen zu selbstbewussten Schmetterling als dessen Tüpfelchen. Oder beides. Kurios und sympathisch finde ich jedenfalls, dass sie der Zeitschrift, die bereits seit mehr als 30 Jahren über ökologische Lebensweise informiert, beim Relaunch im vorigen Jahr kein Hipster-Antlitz verpasst haben. Das ist doch mal angenehm unanbiedernd.

Aber wer kauft das? Auf den ersten Blick sieht das Heft aus wie etwas, das ich im Bio-Supermarkt hinter der Kasse zusammen mit dem Angebot-der-Woche-Prospekt noch in meinen Rucksack stopfe. Oder wie die Hefte, die ich im Wartezimmer versuche, nicht vollzuhusten, weil sich die ja früh aufstehenden Magen-Darm-Patienten dort all die Besser-Schöner-Höher-Wohnen-Hefte gegriffen haben – und nur noch „BIO“ und „Bunte“ übrig waren.

Das Layout der „BIO“-Titelseite ist nicht gerade rasend aufregend: wenige eher simple Schriftarten, dazu Gelb-Orange und Blautöne, die auf hellblauem Untergrund ruhen. Alles sehr geordnet. Im Gegensatz zum gängigen Themen-Gebrüll anderer Magazine setzt die Redaktion von „BIO“ darauf, nur drei, vier Artikel ordentlich anzureißen, natürlich ordentlich linksbündig.

Daneben strahlt mich auf recyceltem Papier eine Frau unter einem Strohhut an: Es ist Hochsommer, und die „BIO“ ist „Das Magazin für die Gesundheit von Körper, Geist und Seele“, also geht es um Gärtnern, Hautpflege und Grillgut. Alles wichtig, alles langweilig. Mich lockt vor allem der Teaser: „Gesund durch Menschlichkeit – Neue Erkenntnisse der Psycho-Neuro-Immunologie“, was doch anstrengend verschwurbelt klingt, aber ich will’s trotzdem wissen.

Bio-Gewinnspiel, Bio-Auszeit, Bio-Hotel

Monica Ritter, die Gründerin des „BIO“-Magazins, begrüßt die Leserschaft im Editorial und sieht aus, wie ich mir eine freundliche Hausärztin vorstelle: vertrauenserweckend und unaufgeregt, was sehr gut passt, weil sich in „BIO“ viel um Gesundheitsthemen dreht. Alles ordentlich in brave, bisschen dröge Ressorts unterteilt, die nüchtern informieren:

„Gesundheit & Heilen“, „Essen & Genießen“, „Psychologie & Lebenskunst“, „Schönheit & Lebensstil“, „Reisen & Erholung“; dazu ein bisschen Service, Werbung, eine „Seite für die Seele“, die ein Dostojewski-Spruchbild mit Sonnenuntergang ist, und ein „Bio-Gewinnspiel“, bei dem man eine „Bio-Auszeit“ im „Bio-Hotel“ gewinnen kann. „Als nächstes bejubelst du die ‚Apotheken-Umschau’“, sagt Freundin P. – meine innere Bio-Rentnerin fühlt sich ertappt.

Seit Ende vergangenen Jahres erscheint „BIO“ im Münchner Oekom-Verlag, der auch eine Buchreihe zum Thema Traditionelle chinesische Medizin (TCM) vertreibt und auch im Heft fein darauf hinweist, dass diese käuflich zu erwerben ist, zum Teil jedenfalls, bis endlich alle 24 Bände der Reihe erschienen sind, bitte bleiben Sie also dran!

In allen „BIO“-Ausgaben tauchen seit der Oekom-Übernahme Artikel zu TCM auf. Dieses Mal erklärt ein TCM-Apotheker TCM-Apotheken, und ich lerne, dass man statt Nashorn-Horn (TCM!) inzwischen eher Kuh-Horn verabreicht, um zum Beispiel eine „erektile Dysfunktion“ zu behandeln, und dass statt zerkleinerter Landschildkröten (TCM!) und Seepferdchen (TCM!) auch Spargelwurzel und Bockshornsamen funktionieren. Aber das Umdenken, was die Zutaten betrifft, brauche Zeit, sagt der TCM-Apotheker.

Wie es das Evil-Hämorrhoiden-Präventions-Kästchen rät!

Die innere Rentnerin atmet auf und liest: „Gähnen – die unterschätzte Pause“, in dem es vor allem um einen Atemlehrer/Psychotherapeuten geht, der Gähn-Kurse gibt. Vermutlich nicht verkehrt für den gestressten Großstädter, frei nach der Devise: „Was hilft, hilft!“ Und hoffentlich hilft’s wirklich, kostet nämlich nicht wenig, so ein Gähn-Kurs, von dem aus es in der „BIO“ dann flott zum Hämorrhoiden-Check geht. Ich greife zur Wasserflasche, leere sie eilig. Wie es im Evil-Hämorrhoiden-Präventions-Kästchen geraten wird: Immer viel trinken! Und schön Sport machen!

Unter „Gesundheit & Heilen“ stoße ich dann endlich gähnend auf das, was ich suchte: „Gesund durch Menschlichkeit“! Im Teaser dazu ist von „Psycho-Neuro-Immunologie“ die Rede, was man eigentlich „Psychoneuroimmunologie“ schreibt, so steht es auch im Artikel. Der empfiehlt mehr Umsichtigkeit, denn die Psychoneuroimmunologie geht, vereinfacht gesagt, davon aus, dass Stress krank macht und Gefühle die Gesundheit beeinflussen.

Abgesehen davon, dass uns miese Beziehungen und 14-Stunden-Tage im Büro anfällig machen für allerhand Gebrechen, trägt zu allem Überfluss auch noch die gängige Schulmedizin ihren Teil dazu bei, dass wir nicht so schnell genesen, weil sie an der Physis schnell und mechanisch handelt, ohne die Implikationen für die geistige Verfassung ausreichend zu beachten. „BIO“ rät den Leserinnen und Lesern also, seelischen Ballast, Stress und Sorgen nicht hinunter zu schlucken. Joa. Schluckt man halt nicht mehr, aber wohin dann damit?

Wenn’s richtig gut läuft, findet man beim zwanzigsten Versuch einen halbwegs vernünftigen Therapeuten. Oder man geht eben zu irgendeinem Quacksalber, der einem fröhlich das Geld aus der Tasche zieht – ob das dann zur Lebensfreude beiträgt, die notwendig ist, damit man nicht noch kränker wird? Und was hat es mit dem Begriff „Menschlichkeit“ auf sich? Sind denn die Auswirkungen von zum Beispiel toxischen Freundschaften oder jahrelanger Beschäftigungslosigkeit wirklich durch „mehr Menschlichkeit“ zu bewältigen?

„Always look on the bright side of life“, sonst wird’s alles noch schlimmer! Und daran ist man dann auch schön selbst schuld! Auch hierzu hat ein Experte ein Buch geschrieben, wie auch der Gähn-Lehrer, und „BIO“ widmet den Erkenntnissen beider jeweils einen Text.

Außerdem hat die „BIO“ zum Glück ebenfalls Ideen fürs gute Leben ohne Stress: Grillen, aber gemüsig und erst nach sorgsamer Lektüre einer strengen, acht Punkte umfassenden DO & DON’T-Liste für ökologisch korrektes und die Mitmenschheit nicht anstinkendes Vergnügen. Ähnlich angestrengt wird mir dann auch Gärtnern als quasi therapeutische Maßnahme ans Herz gelegt.

Vom „tiefen Bedürfnis nach Naturerfahrung“ lese ich da und schnipse eine Ameise von meinem Fuß. Diesem Bedürfnis bin ich persönlich noch nie über den Weg gelaufen, aber hey: „whatever floats your boat“! Andere pilgern fürs Seelenheil, gehen zur Senioren-Uni, oder man sieht sich mit dem „Bio-Taxi“ Augsburg an und spachtelt im Anschluss vegane Kässpätzle.

(Dabei bloß nicht vergessen, sich mit nicht-nano-Sonnencreme einzuschmieren! „BIO“ stellt die besten Produkte vor, denn „BIO“ rät und erklärt und versorgt den Leser mit Buch- und eben immer auch Kaufempfehlungen.)

Ganzheitlich Sehen und Quatschen mit dem Engel-Medium

Besonders – sagen wir: vielfältig – sind auch die Werbeanzeigen und das Bio-Forum. Was man da nicht alles erwerben oder erlernen kann! Gerätschaften zur Bewältigung von so genanntem Strahleneinfluss, Quatschen mit dem Engel-Medium, ganzheitlich Sehen lernen oder sich selbst besser verstehen mit Eseln. Für jedes Gemüt, jede Konstitution ist etwas dabei. Und ganz bestimmt will hier niemand Menschen mit allerlei Leidensdruck allerlei Kohle aus den Rippen leiern, nein, sicher nicht.

Wer auf einen ökologisch einwandfreien Alltag steht und sich dessen optimale Gestaltung nicht von 23-jährigen Lifestyle-Bloggerinnen und -Bloggern erklären lassen will oder kann, macht jedenfalls mit der „BIO“ nichts falsch: Sie ist ernsthaft, solide, stellenweise allzu brav und etwas werblich, und sie bietet genau die Portion Paranoia den eigenen Lebenswandel betreffend, damit ein Tag im Freibad ein bisschen weniger Spaß macht. Aber vielleicht hilft da ja TCM.

6 Kommentare

  1. Das Kuhhorn genau so hilft wie Nashornhorn bin ich schon allein drauf gekommen…

    Taugt das vielleicht als Denkanstoß? Vermutlich nicht.

  2. Seltsamerweise verspüre ich jetzt ein wenig das Bedürfnis, im Cockpit eines sinnlos über Grönland kreisenden, sehr großen Verkehrsflugzeugs ein paar schöne Nackensteaks zu grillen.
    Komisch.

  3. @OBLOMOW
    Nun ja, es wirkt weniger komisch, wenn man viel mit Ignoranten zu tun hat.
    Dann sind solche Bedürfnisse und Sprüche Alltag.

  4. Naja, zwischen den Zeilen lese ich Kritik heraus. Bei so viel Unsinn (alleine schon das Thema TCM) in einem Heft hätte ich mir klarere Worte gewünscht. So ein Medium zielt genau auf die, denen man Mangels Wissen das Geld aus der Tasche ziehen kann: Esoterik, alternative Medizin, Angst vor Strahlen usw. Bäh!

  5. Das ärgerliche an dieser Zeitschrift ist die Vermengung von ökologisch sinnvollem Leben mit irgendwelchem Glaubenskrismkrams. Sehr anschaunlich hier dargestellt. Leider gibt es viele Zeitgenossen, die von solchen Mixes angezogen werden, und ich kenne einige davon. Das ist im Umgang sehr anstrengend und kostet Energie und den Glauben an die Menschheit. Daher haben für mich solche Magazine den gleichen Rang wie die Promi-Fragezeichen-Schlagzeilen-Presse.

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