Presserat: „Bild“-Artikel über Ausgewogenheit von „Bild“ zu einseitig
Die „Bild“-Zeitung hat mit ihrer Berichterstattung, wie gut ihre Berichterstattung über die Flüchtlingskrise gewesen sei, gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Der Deutsche Presserat stellte – auf unsere Beschwerde hin – einen Verstoß gegen den Pressekodex fest. Er sprach einen „Hinweis“ aus, die schwächste der drei möglichen Beanstandungsformen.
„Bild“ hatte am 14. Januar 2019 berichtet, dass eine wissenschaftliche Studie der Universität Mainz ergeben habe, dass die Flüchtlings-Berichte von „Bild“ ausgewogen gewesen seien. In einem Kommentar unter der Überschrift „So ist BILD“ behauptete „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt:
Eine aufwendige Studie der Uni Mainz belegt: Als einzige der untersuchten Medienmarken hat BILD 2015 und 2016 ausgewogen über die Flüchtlingskrise berichtet. Positive wie negative Geschichten erschienen gleichermaßen in BILD, wir berichteten über Chancen und Probleme, über Erfolgsgeschichten, aber auch über Skandale und Verbrechen.
Die Studie hatte tatsächlich unter anderem die „Ausgewogenheit“ der Medien-Berichterstattung zwischen 1. Mai 2015 und 31. Januar 2016 untersucht. Sie maß das an drei Faktoren:
- positive oder negative Bewertung von Zuwanderern
- Zuwanderung als Chance oder Gefahr
- Vorrang der Bedürfnisse von Einheimischen oder von Zuwanderern
Beim ersten und dritten Kriterium berichtete „Bild“ nach der Definition der Studie besonders „ausgewogen“, das heißt, sie stellte Zuwanderer ungefähr genauso oft negativ wie positiv dar und rückte die Bedürfnisse von Einheimischen ungefähr so oft in den Vordergrund wie die von Flüchtlingen.
Beim zweiten Kritium aber war die „Bild“-Berichterstattung sehr einseitig. Alle untersuchten Medien („Bild“, SZ, FAZ, „Tagesschau“, „heute“ und „RTL aktuell“) stellten laut Studie „Zuwanderung bei weitem überwiegend als Gefahr“ dar. Bei „Bild“ war dieses Missverhältnis aber mit einem Saldo von minus 59 Prozent noch stärker ausgeprägt als bei der Konkurrenz. „Bild“ habe im Zusammenhang mit der Zuwanderung fast nur Probleme, kaum Chancen gesehen und sei in dieser Hinsicht noch unausgewogener als alle anderen gewesen.
In ihrer Berichterstattung in der Zeitung erwähnte „Bild“ diesen Befund der Studie mit keinem Wort; Reichelt suggerierte sogar das Gegenteil.
Zitat Marcus Maurer
„Wir haben in unserer Studie mehrere Indikatoren für die Ausgewogenheit der Medienberichterstattung in der sogenannten Flüchtlingskrise untersucht. Bei einem davon (Darstellung der Zuwanderer) berichten alle von uns untersuchten Medien sehr positiv über Zuwanderer, während sich bei der ‚Bild‘-Zeitung positive und negative Bewertungen in etwa die Waage halten. Im Hinblick auf diesen Indikator berichtet die ‚Bild‘ also ausgewogener als die anderen von uns untersuchten Medien. Im Hinblick auf einen anderen Indikator (Darstellung der Zuwanderung als Chance oder Gefahr) weist die ‚Bild‘ dagegen von allen untersuchten Medien sogar die stärkste Einseitigkeit auf.“
Marcus Maurer, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, der die Studie durchgeführt hat, sagt auf Anfrage von Übermedien:
„Der ‚Bild‘-Beitrag enthält (…) zwar keine falschen Fakten, vermittelt aber durch die Auswahl nur solcher Befunde, die die ‚Bild‘-Zeitung in ein positives Licht rücken, einen unvollständigen und insgesamt unzutreffenden Eindruck von den Studienergebnissen.“
Reichelts Antwort
Gegenüber dem Presserat verteidigte der „Bild“-Chefredakteur die Berichterstattung und seinen Kommentar und fragte (offenbar rhetorisch):
Allein aufgrund der Tatsache, dass die Studie bei dem Indikator 2 nicht zu dem Ergebnis komme, dass BILD – wie alle anderen der untersuchten Medien auch – vollständig ausgewogen berichtet habe, solle nun die Wertung einer grundsätzlich ausgewogenen Berichterstattung über die Flüchtlingskrise unzutreffend sein?
(Wenn Reichelt meint „nicht vollständig ausgewogen“ hier im Sinne von „sehr einseitig“.)
Der Presserat fasst Reichelts weitere Ausführungen so zusammen:
BILD sei bekannt dafür, seiner Leserschaft die aktuellen Nachrichten in der gebotenen Kürze, zutreffend, pointiert und klar aufzubereiten. Auch bei der vorliegenden Bericht- erstattung habe die Redaktion sich bewusst nicht darin verloren, jedes Detail der Studie in epischer Breite zu analysieren. Die Ergebnisse seien nach einer sorgfältigen Auswertung durch die Redaktion im Kern zutreffend wiedergegeben worden.
Sowohl in der Überschrift der Meldung als auch in dem Kommentar sei entsprechend neutral von „Flüchtlings-Berichten“ die Rede. Keiner der drei o.g. Indikatoren werde dabei in den Fokus gestellt. Die Berichterstattung sei korrekt und insbesondere stark meinungsgeprägt.
Entscheidung des Presserates
Der Beschwerdeausschuss des Presserates war nicht überzeugt:
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Redaktion unter anderem in der Überschrift („Flüchtlings-Berichte von BILD waren ausgewogen“) eine Behauptung aufstellt, die nicht ausreichend von Tatsachen gedeckt ist. (…)
In der Textberichterstattung berichtet die Redaktion nach Auffassung des Gremiums einseitig, nur positive Ergebnisse der Studie in Bezug auf die Zeitung werden erwähnt, negative nicht. „Als einzige der untersuchten Medienmarken hat BILD 2015 und 2016 ausgewogen über die Flüchtlingskrise berichtet […]“ Dadurch entsteht beim Leser ein falsche Eindruck von den Ergebnissen der Studie. Zwar sind sich die Ausschussmitglieder einig, dass die Redaktion ein hohes Maß an Freiheit bei der Interpretation der Ergebnisse hat und die durchaus auch zuspitzen darf, sie darf durch das Weglassen negativer Ergebnisse jedoch keinen falschen Eindruck beim Leser erzeugen. Dies gebietet der sorgfältige Umgang mit Informationen nach Ziffer 2 des Kodex.
Bei Julian Reichelt habe ich, unter Berücksichtigung seiner Äußerungen und seiner Entgegnungen auf Kritik, schon länger die Überzeugung gewonnen, dass der Mann zum einen ein zerebraler Asket ist, zum anderen auch skrupellos.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, was man im Axel-Springer-Hochhaus mit dem Hinweis des Presserats gemacht hat. Es soll ja Leute geben, die sich mit „Bild“ den Hintern abwischen, was ich nie tun würde, die ganze Druckerschwärze und so…!
Worte der deutschen Sprache, die zunehmend in Vergessenheit geraten:
„Selbstbeweihräucherung“
Zugegeben, für Sensationsjournalismus hat dieses Wort vielleicht etwas zu hohes sprachliches Niveau.
Man stelle sich vor, ein Restaurant würde täglich Essen servieren, welches keine hygienischen Standards einhält. Da kommt das Gesundheitsamt und macht den Laden dicht. Wieso gibt’s sowas in der Presse nicht? Nur weil Seele und Geist es konsumieren und nicht der Magen? Es sollte ein Amt geben, dass die Medienzunft dahingehend überwacht, dass andauernde Verstöße gegen die Ordnung mit einer, wenigstens temporären, Schließung des offensichtlich unfähigen und dadurch direkt andere gefährdenden Mediums geahndet wird. Waffen und Gift gehören nicht in den allgemeinen Umlauf und da die Bild mindestens Gift und bildlich gesehen eine Waffe gegen Minderheiten ist, sollte man ihr wenigstens androhen können, eine Regulierung ihrer andauernden Fehlerkultur durch eine Schließung zu erwirken. Aber sowas überhaupt anzudrohen, das geht ja gar nicht, während die ständigen Fake-Beiträge hingenommen werden sollen. Kann man gegen die Bild denn wirklich nichts machen?
Bei Restaurants gibt es eindeutige, wissenschaftlich gesicherte Kriterien, ab welchem Verschmutzungsgrad das Restaurant geschlossen werden muss.
Bei Meinungen, Lügen und allen Abstufungen dazwischen gibt es das nicht. Mal ganz abgesehen von Kunstformen wie Satire…
„Kann man gegen die Bild denn wirklich nichts machen?“
Doch. Sie gehen in deren Redaktion und… Eier, rohe, verfaulte Eier!!
Kann auch vorkommen, dass Zeitungen aufn Index kommen… andersrum: Burgerking und McDonalds macht auch keiner zu, obwohl die zweifelsfrei gesundheitliche Schäden fördern.
@physeter – das mit den Eiern lassen wir mal lieber. Wir wollen doch nicht selber Straftaten begehen. Da würden wir ja deren Niveau noch unterbieten.
Leider sind legale Reaktionen in unserem Land aber mit hohem Kostenaufwand und Risiken verbunden. Anwälte bezahlen kann das Haus Springer bestimmt besser als manch anderer.
Zum Glück sind die Hürden staatlicher Eingriffe in die Pressefreiheit höher als bei Restaurants oder Burgerbratern.
Artikel 5 GG gilt leider auch für Springer und „Bild“. Auch ist in naher Zukunft nicht mit einer Pleite zu rechnen. Die Springerblätter verkaufen zwar wie alle immer weniger gedruckte Exemplare, die Digitalstrategie ist jedoch ziemlich erfolgreich, das muss man zugeben.
Und das die Frösche vom Presserat, die ja von Journalisten- und Verlergerverbänden getragen werden, ihren eigenen Sumpf nicht trockenlegen möchten, leuchtet mir auch ein.
Erinnert mich an die toxischen Effekte des „Marketing“, konkret Game-Marketing, noch konkreter Lootboxes. Da nutzt man schamlos und wider besseren Wissens das Unsatzpotential von suchtgefährdeten Menschen aus, um ne schnelle Mark zu machen.
https://www.youtube.com/watch?v=xNjI03CGkb4
Ähnlich verfährt Springer ja mit jeder Flüchtlings Meldung: Das Empörungspotential von angstgefährdeten Lesern wird angezapft. Daraus entsteht das „Wir vs. Die“ Narrativ, das die Angst vor dem Fremden noch weiter schürt.
Wie habe ich mal gehört: Differenzierung ist der größte Feind von Populisten. Ein Deutscher ist ja uach mehr, als seine Nationalität, also ich zumindest definiere mich nicht vollends darüber.
„..Angst,Hass ,Titten und der Wetterbericht…“
@4 – P. Skizzle: Das Problem ist, dass es Restaurants gesetzlich verboten ist, zu dreckig zu sein. Deswegen kann man sie schließen, wenn sie gegen geltendes Recht verstoßen.
Das Hause A. Springer hingegen produziert Aussagen, und – das mag den ein oder anderen überraschen – man darf in Deutschland einfach extrem viel Unsinn äußern, man darf auch lügen (nur in sehr seltenen Fällen ist man zur Wahrheit verpflichtet), man darf verdrehen, einseitig berichten, Ängste schüren, etc., solange man nicht gegen ein anderes Gesetz verstößt, ist das alles erlaubt. Der Pressekodex ist in dieser Hinsicht nur eine Art liebevolle Aufforderung, sich zu benehmen, aber wenn man es nicht tut, ist auch egal.
Und auch wenn das Haus A. Springer dadurch extrem viel Unsinn, Müll und Lügen verbreiten darf, will ich nicht, dass es anders wäre. Man bedenke immer die Möglichkeit, dass irgendwann auch mal das blaubraune Gesindel an die Macht kommt. Dann wäre ein Verbot von Unsinn, Müll und Lügen brandgefährlich.
Die Bild… die Papier gewordene, geistige Gosse.
Als ob das was Neues wäre? Der sogenannte „Chefredakteur“ (eher Chefhetzer) wird das mit Sicherheit nicht besser machen.
Dazu ist der gar nicht in der Lage.