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Kein schöner Sand

Ich lagere auf Freundin P.s Küchensofa, und vor dem Fenster strudeln die Blüten von den Kirschbäumen. Es ist die Jahreszeit, in der die Instagram-Population ihre frisch bemalten Zehen ablichtet; man liest und hört viel davon, dass gefälligst jetzt spätestens der Arsch bewegt werden muss, damit man ihn dann im Juli ohne Scham in die Kamera halten kann und dazu wird allerorten damit geprahlt, wohin man in den Sommerferien fährt.

„Blabla, süße Wohnung über Airbnb“ oder „Laberlaber, schon krass, dass der Flug nach Barcelona nur 2 Euro kostet, aber man lebt ja nur einmal, hahaha.“

Es gibt kein Entkommen, und man muss immer an der richtigen Stelle bewundernd nicken oder empört den Kopf schütteln, während man still in sich drin hofft, dass man oder auch die Welt ein schnelles und schmerzvolles Ende nimmt – und dass man nicht wirklich gerade selbst solche Sätze gesagt hat.

Auf meinen Knien ruht an diesem Nachmittag auf dem Küchensofa ganz passend zur Ferienplanung-Angeber-Jahreszeit das Reisemagazin „Uberding“. Es kommt im praktischen „Passt in jeden Shopper“-Format daher, ist auf mattem Papier gedruckt und bedient sich der reduzierten „Skandi“-Ästhetik, die in jedem Einrichtungs-Newsletter belärmt wird, der in mein Postfach rauscht.

Der Mann, der auf dem Cover durch Wüstensand stapft, sieht entschlossen-dynamisch aus, die Wüste nach Entschleunigung und schlechtem Handyempfang – wie Wüsten eben von Westeuropäern gemeinhin wahrgenommen werden. Über den Wüstenstapfer (ich möchte ihn und alle, die an diesem Magazin beteiligt sind, „Uberdinger“ nennen) hat die Redaktion einen prima catchy hashtag gesetzt: #barefootatheart – und darunter das Motto der Ausgabe:

„Dreams are made of sand“.

Darüber stehen allerlei Begriffe, die reise-sehnsüchtige Leser „abholen“ sollen: „Achtsam die Welt entdecken“, „Reisetipps“, „Nachhaltigkeit“, „Genuss“, „Rezepte“ und „Leben“. In dieser Reihenfolge. Alles feine Schlagworte und so schön generisch, hinter ihnen kann sich alles und nichts verbergen. So breche ich also nach Uberding auf , obwohl ich Sand ätzend aufdringlich finde und barfuß laufen meistens für überbewertet halte.

Und, wow, sieht der Sand gut aus, auf den Kanaren und auf Sylt; und erst die Füße im Sand oder die Surfer, die mit einer Drohne abgelichtet wurden!

Alle Fotos haben die gleiche gedeckte Farbstimmung: ob nun ein Pool auf den Cook-Islands oder ein Strandkorb auf Usedom, nichts knallt raus, alles ist aus einem Guss und erinnert an Instagram-Profile, auf denen nur ein sorgfältig ausgewähltes Spektrum an Filtern zum Einsatz kommt, damit vom Wochenbett bis zur Vietnamreise auch alles das gleiche Gefühl vermittelt – man muss den Werbekunden, die den ganzen Bums finanzieren, schließlich zeigen, dass man das mit der Corporate Identity verstanden hat.

Dass die zweifelsohne atemberaubend schönen Motive der Fotos damit in den Hintergrund rücken, stört hier keinen großen Geist. Die Reisesehnsucht (oder ist es doch Neid?) wird angestachelt. Nur das zählt bei Magazinen dieser Art.

Was ist sonst drin, in „Uberding“, außer ansprechenden Fotos und dem angenehm zurückhaltenden Layout? Den Anfang machen, wie in so vielen Publikationen, Kaufempfehlungen für nachhaltige Produkte; es folgt ein kurzer Bericht über eine Organisation, die sich dem Schutz der Meere verschrieben hat, neben den man ein eindrucksvolles Bild eines mit Plastikmüll überzogenen Strandes platziert hat. Ein Advertorial über eine Initiative, die in Neuseeland nachhaltigen Tourismus anbietet, gehört ebenso in die Rubrik #Achtsamkeit wie ein Artikel über einen Surf-Kurs in Portugal.

Ich frage mich trotz dieser Exkurse, ob die Begriffe Nachhaltigkeit und Achtsamkeit auf einem Cover prangen sollten, wenn ein Großteil der bereisten Orte nur mit ökologisch katastrophalen Langstreckenflügen erreicht werden kann. Die meisten Artikel, die sich unter den Rubriken #Barefootatheart und #Travelding finden, basiert auf einer Weltreise, die die Chefredakteurin mit Mann und Kind unternommen hat. Wüstenstapfen in Dubai, wilde Strände in Sri Lanka, Bondi Beach und Twelve Apostles in Australien; Empfehlungen für Restaurants, Interviews mit Airbnb-Besitzern, Strand/Sand-Spaß von den Bahamas bis Los Angeles – alles in einem sehr persönlichem Ton, ohne indiskret zu plaudern: ein sauber gebügeltes Reisetagebuch.

Damit man das Sand-Thema nur nicht aus den Augen verliert, hat die Redaktion Strand-Empfehlungen für jede Jahreszeit gesammelt: Winter auf den Malediven, Frühling und Herbst auf Teneriffa, im Sommer an die Ostsee. Die vorgestellten Hotels sehen bezaubernd aus, die Strände gepflegt und ruhig, und das muss auch so sein, denn bei den Beiträgen zu Teneriffa und Ostsee handelt es sich um weitere Advertorials, also von Unternehmen bezahlte Werbetexte.

Diese Advertorials sind zwar als solche gekennzeichnet, unterscheiden sich aber eben in der Aufmachung nicht wesentlich von den redaktionellen Inhalten. Es gibt noch ein paar weitere dieser Werbeartikel. Da „Uberding“ aus einem dieser gutaussehend-dynamischen Reiseblogs entstanden ist, das – wie das so üblich ist – hübsche Kooperationen mit Reise- und Autokonzernen eingeht, und diese Art der Finanzierungsmethode von Printpublikationen immer weiter um sich greift, muss man sich zwar nicht wundern, aber gefallen muss es eben auch nicht.

„Uberding“ gibt das wieder, was modernes Reisen oft prägt: die Suche nach dem perfekten Fotomotiv, mit dem man auf den Social Media-Kanälen beweist, wo auf der Welt man sich in seiner hart erschufteten Freizeit herumtreibt. Es ist ein attraktives Heft seiner Zeit und macht sich sicher auch auf jedem so genannten Coffeetable ganz hervorragend: Man blättert durch, macht „Ah“ und „Oh“ und hat gleich wieder Stoff für den nächsten Ferienplanungs-Angeber-Smalltalk im Aufzug.

Uberding
creading GmbH
6,95 Euro

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