Die Verbrechen sind natürlich wieder alle schlimm, aber dieses Mal werden sie auch noch von jemandem erzählt, der nicht mehr lebt. Vor gut einem Monat ist der Sprecher und Schauspieler Michael Brennicke gestorben, mit 75 Jahren. Seit 1989 sprach er die Filme für „Aktenzeichen XY ungelöst“ ein. Er war eines der Markenzeichen der Sendung, beschrieb mit warmer Stimme kalte Taten: Morde, Überfälle, Vergewaltigungen. Nun zum letzten Mal.
Sein Tonfall hat sich eingebrannt. Manchmal erklingt er, wenn ich spät noch in die Nacht hinaustrete, und Brennicke prophezeit: „Gegen 3 Uhr morgens verlässt Boris Rosenkranz die Feier. Er ahnt nicht, dass er seine Wohnung nie erreichen wird.“ Da spaziert es sich doch gleich wesentlich entspannter, und keine Ahnung, ob es je aufgeklärt wurde, aber: Wieso texten sie das bei „Aktenzeichen XY“ immer noch so? Diese raunenden Ahnungs-Sätze. Auch in dieser Ausgabe.
Die längeren Filme zu den Fällen waren schon vor Brennickes Tod fertig produziert, und sie wurden noch alle von ihm gesprochen. Nächsten Monat übernimmt dann Sprecher Christian Baumann, der in der Folge vorigen Mittwoch schon kleinere Vorschauen einsprechen durfte, was gleich in der Sendung Thema sein wird, zum Beispiel eben, nun ja:
„Mainz. Ein älterer Mann auf dem Heimweg. Er ahnt nicht, dass er verfolgt wird.“
Als hätte es das je gegeben, dass jemand ahnt: Och, an der nächsten Ecke werde ich wohl Opfer eines Verbrechens, da will ich mich mal ein wenig beeilen.
Verbrechens-Skala: „Mord steht sicherlich an erster Stelle“
Aber das muss so. Das ist „Aktenzeichen XY“, und nun geht es um gleich drei Morde, wie Moderator Sherlock Cerne anfangs betont: „Wenn man eine Skala der schrecklichsten Verbrechen aufstellen sollte, dann steht Mord doch mit Sicherheit an erster Stelle“, sagt er, und vielleicht nickt man da automatisch, aber ist das so? Was ist schrecklicher? Ein rasch ausgeführter Mord oder, sagen wir: unbegreifliche Pein, körperlich wie seelisch, über Jahrzehnte, in einem, sagen wir: Keller in Österreich? Und sollte man überhaupt so eine Verbrechens-Rangfolge aufstellen? Gibt es auch Opfer zweiter Klasse?
Aber für derart kriminalphilosophische Seminare ist diese Sendung natürlich nicht gemacht. Hier wird knallhart und echt gefahndet, und dazu werden Phrasen gedroschen: Der elegante Kontobetrüger hat es „faustdick hinter den Ohren“; es sind stets „schreckliche Verbrechen“, von denen berichtet wird; Ermittlungen sind „umfangreich und komplex“; und wenn Zuschauer „relevante Hinweise“ haben, sollen sie sich bitte melden. Was Cerne womöglich so sagt, weil sonst im Studio oder bei einer „beliebigen Polizeidienststelle“ wieder lästig viele Leute mit irre „irrelevanten“ Hinweisen anrufen.
Für viele Menschen, die „Aktenzeichen XY“ im ZDF seit Jahren regelmäßig oder immer mal wieder schauen, ist das auch eine Reise in die Vergangenheit: Erinnerungen an ein Fernsehformat, das bereits 1967 von Eduard Zimmermann erfunden wurde, der auch selbst moderierte, unterstützt von Tochter Sabine, und mit den oft persiflierten Röhrenfernseher-Schalten zu Peter Nidetzky im „Aufnahmestudio“ Wien und Konrad Toenz in Zürich.
Aber damit ist es längst vorbei, auch Zimmermann und Toenz sind bereits gestorben, und heute wird gar nicht mehr in die Studios geschaltet. Heute redet Rudi Cerne nur noch mit den echten Kommissaren im Studio, deren Heimat Tatort oder Schreibtisch sind, eher nicht ein Fernsehstudio. Oft merkt man, wie unwohl sie sich fühlen, aber es ist egal, weil: Das sind halt Polizisten.
Mit Camcorder und Berti Vogts in die Neunzigerjahre
Eine Reise in die Vergangenheit ist diese Folge auch auf eine andere Art. Was an den Fällen liegt. Einer trug sich bereits Neujahr 1991 zu, in Krefeld, und damit auch alle erinnern, in welcher Zeit wir uns befinden, wird auf einer Party im Film zum Fall mit einem klobigen Camcorder hantiert, und zwei Zeugen, beides Männer, unterhalten sich kenntnisreich über Fußball: „Was hältst du von Berti Vogts?“ – „Ist halt nicht der Kaiser, aber ich glaube, der kann was.“
Ein anderer Fall ist noch nicht so lange her, gut zehn Jahre, aber er ist gerade wieder aktuell, weil er neu aufgerollt wird, und weil er einem Fall ähnelt, der erst im vorigen Monat bei „Aktenzeichen XY“ (und in allen anderen Medien) lief: das so genannte Rätsel um die verschwundene Rebecca, 16, aus Berlin.
Sie gilt seit Wochen als vermisst, nachdem sie bei ihrer Schwester und ihrem Schwager übernachtet hatte. Wie sie das Haus verließ, und ob lebend, ist immer noch ungeklärt. Die Polizei verdächtigte schnell den Schwager, und viele (Boulevard-)Medien verdächtigen seither munter mit. Aber es gibt keine Beweise und vor allem: keine Spur der jungen Frau. Wie bei Mandy Müller.
Auch sie gilt als vermisst, seit 2008 schon, auch hier nimmt die Polizei an, dass sie Opfer eines Verbrechens wurde, und auch hier wurde zunächst jemand aus der Familie verdächtigt: der Ehemann der Vermissten, für den aber weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Der Verdacht hat sich nicht erhärtet.
Ein Verbrechen an einer stolzen „Sintezza“?
Der Einspieler zu diesem Fall beschreibt ausführlich, dass es sich um Sinti-Familien handelt, um eine stolze „Sintezza“, so nennt sich die Mandy-Darstellerin im Film, und sie sagt, dass ihre Ehe „von den Familien besiegelt“ sei. Das Ritual wird auch inszeniert: Der Bräutigam entführt die Braut, zum Spaß. Die Eltern warten. Als die beiden zurückkehren, gibt der Brautvater dem Versprochenen eine Ohrfeige. Dann lachen alle und trinken feiernd Schaumwein.
Wie viel Fakt ist und wie viel Erzählung, bleibt bei „Aktenzeichen XY“ immer etwas im Dunkeln. War das so, dass der Chef des Autohauses, bei dem sich Mandy bewarb, ihr altväterlich empfahl, besser „irgendwas mit Mode“ zu machen? Und baggerte sie ihr künftiger Mann auf dem Parkplatz des Autohauses an, während dessen künftige Ex-Freundin daneben im Sportwagen saß? Oder dient das jeweils nur der Charakterisierung: alter weißer Autohändler hier, junger nicht so weißer Hallodri da? Verdächtig. Wobei der Autohändler ja eine Nebenrolle spielt, Rahmenhandlung, eher unwichtig.
Sowieso: die Männer-Typen in dieser Folge. Einer sei ein „Sonnyboy“ gewesen, heißt es, und dieser „Sonnyboy“ betreibt dann tatsächlich auch ein Solarium, neben einem ebenso florierenden Privatleben: „Er liebte die Frauen, und die Frauen liebten ihn“, sagt der Kommissar. „Er traf sich auch mit anderen Frauen, aber möglicherweise wurde ihm das zum Verhängnis“, sagt Michael Brennicke aus dem Off. Und der Mann, der den „Sonnyboy“ 1991 getötet haben soll, soll ein „Macho“ oder „Dandytyp“ mit Nackenmatte gewesen sein.
Ein XY-Film ist immer auch ein Nachruf – den sich niemand wünscht
Auch über Mandys Mann heißt es, er habe „neben ihr“ andere Frauen gehabt. Ein weiterer Mann, ein Mordopfer, war Arzt, und ihm wird ebenfalls ein promiskes Leben nachgesagt und ein Hang zu Prostituierten. Oder wie es ein Zeuge im Film ausdrückt: „Er hatte in der Beziehung eine große Bandbreite.“ „Alle haben ihn gemocht, er wurde sogar geliebt“, sagt seine Kollegin. Und als der Arzt im Puff sitzt, neben einem Bekannten, sagt er mit Blick auf die Frauen:
„Ist ein bisschen frisch, oder? Wollen wir uns nicht ein bisschen warmmachen?“
Möglicherweise ist auch das nur Erfindung, Ausschmückung, aber auch so werden sich die Zuschauer nun an den Arzt erinnern. So ein XY-Film ist ja immer auch eine Art Nachruf, allerdings einer, den sich niemand wünscht. Absolut keiner möchte gerne mal irgendwann bei „Aktenzeichen XY“ auftauchen, und falls doch, rate ich zu einem guten Anwalt, Arzt oder Therapeuten.
Erzählt wird der Fall des erschossenen Berliner Arztes sehr ausgeruht, inszeniert als Zeugenvernehmungen im Revier, mit Rückblenden und einem Kommissar, der aussieht wie Tobias Moretti ohne Rex. Ganze 16 Minuten dauert der Einspieler, sehr emotional, bis er mit dem Versuch der Praxismanagerin endet, ihren blutenden Chef zu reanimieren. Es sind dramatische Szenen. Wie im Krimi, könnte man sagen. Ein allzu realer Krimi, in dem einige gesichtsbekannte Schauspieler auftreten, deren Namen einem nicht sofort einfallen.
Die vielen Details und die große Emotionalisierung, auch durch das gezeigte Leid der Hinterbliebenen, sind natürlich einerseits die Mittel des Fernsehens, oft aber auch Kalkül, ein psychologischer Trick. Die Ermittler versuchen damit Täter, Mitwisser oder Zeugen ins mutmaßlich vorhandene Gewissen zu treffen, damit sie endlich auspacken, und sei es viele Jahre nach der Tat.
Der Raubüberfall auf den alten Mann, der nicht ahnt, dass er verfolgt wird, ist dagegen geradezu rasant verfilmt, mit Wackelkamera und schnellen Schnitten. Vier Leute bedrängen den alten Herrn recht rabiat. Hier geht es wohl weniger um das Gewissen der Täter, als um Zorn und Schrecken, die sich bei den Zuschauern ausbreiten sollen. Immerhin war der Mann, wie Cerne betont, zum Zeitpunkt der Tat 96 Jahre alt! „In der Tat“, bekräftigt der Kommissar.
„Dunkler Teint“ – das Dilemma der konkreten Beschreibung
Die Täterinnen: drei Frauen und ein Mann. Er soll Hochdeutsch, die Frauen mit einem „osteuropäischen Akzent“ gesprochen haben, was eine durchaus legitime Beschreibung ist. Im Fall des brutal ermordeten „Sonnyboys“ ist es schon schwieriger. Zeugen wollen einen Mann gesehen haben, der auffällig gewesen sei durch seinen „dunklen Teint“, sagt der Kommissar im Studio, und dass er vielleicht „sonnenbankgebräunt“ gewesen wäre. „Oder“, fügt der Kommissar noch an: „Es könnte sich um einen Südländer gehandelt haben.“
Es ist ein Musterbeispiel, weil das eben die Möglichkeiten sind: Jemand mit „dunklem Teint“ kann natürlich Mohammed sein, aber natürlich auch Kalle aus Castrop, der gerne mal unter der Sonnenbank einschläft. Beschreibungen, es handle sich, jedenfalls nach dem Äußeren, um einen Migranten, sind oft heikel, auch wenn das einige Menschen nicht wahrhaben wollen, gerade heutzutage. Der vielversprechendste Hinweis in diesem Fall bezog sich am Ende übrigens auch nicht auf seinen Teint, sondern auf seine auffällige Frisur.
Aber die Herkunfts-Hasser haben in dieser Sendung ohnehin genug, womit sie ihr Weltbild noch dunkler pinseln können: das Sinti-Mädchen mit ihrer fremden Ritual-Ehe; die Südosteuropäerinnen, die einen alten deutschen Mann drangsalieren; und dieser „Skelettuhren“-Räuber, der etwas wie „Haslam!“ gerufen haben soll. Haslam? Wie Islam? Wie Terror? Sollte wohl „fernöstlich“ klingen, spekuliert der Kommissar. Aha, ruft der AfD-Zuschauer! Nur dass der Dieb beim Überfall Hochdeutsch redete, vielleicht sogar leicht schwäbelnd. Wohl doch nix Haslam-Islam, Brudi. Es ist einfach nicht so einfach.
Unheimliche Unterhaltung. Oder wie man heute sagt: True Crime
Fast fünf Millionen Menschen haben diese Ausgabe am Mittwoch gesehen, und die wenigsten werden eingeschaltet haben, weil sie tatsächlich erwarteten, dass sie irgendwo helfen – und eine Belohnung einstecken – können. Natürlich ist es der erste Zweck von „Aktenzeichen XY“, Verbrecher zu finden, und immer wieder kann die Sendung Erfolge verbuchen. Aber aus Zuschauer-Sicht ist es auch unheimliche Unterhaltung: True Crime, wie man heute sagen würde, und es war schon ein Erfolg, als man noch nicht True Crime sagte.
Zu sehen ist das bereits in der tollen ZDF-Doku „Aktenzeichen XY ungelöst – Ein Klassiker verfolgt seine Zuschauer“ aus dem Jahr 1999. Da ist, zum Beispiel, dieser Knacki, der die Sendung quasi professionell schaute, im Knast, und dann schon ahnte, wer bald in der Nachbarzelle sitzen wird. Oder die beiden Frauen, die die sich zum Fernsehabend treffen, erst bisschen was kochen, und anschließend, wie es eine von ihnen formuliert: „bis zu den Zähnen bewaffnet mit Cola und Chips auf dem Sofa“ hocken – „und zittern“.
Insbesondere ein Fall zählt heute zur kollektiven Erinnerung an diese Sendung. (Spoiler: Gleich wird’s unangenehm.) Er gehöre zu jenen Fällen, die einem die Sprache verschlügen, sagte Eduard Zimmermann damals in seiner Moderation. Heute gibt es Internetforen, in denen sich darüber ausgetauscht wird, es war mal, vor nicht allzu langer Zeit, Thema in einer Talkshow, und auch in der Doku reden zum Beispiel die beiden Frauen voller Grusel davon: von dem Räuber, der seinem Opfer den Daumen abschnitt. Mit einer Rosenschere.
Off-Text damals über den Zoo-Händler, der überfallen wird:
„Seinen aufmerksamen jungen Kunden fällt auf, dass der Geschäftsmann auf recht unkonventionelle Weise mehrere Ringe trägt, einen davon am linken Daumen. Eine Eigenart, die im Herbst 1988 schlimme Folgen haben wird. Drei Jahre vorher, im Sommer 1985, weiß er davon noch nichts.“
Was für ein Glück und Pech zugleich.
Früher noch exklusiv um 20.15 Uhr
Auch ich habe das damals gesehen, Ende der Neunziger, keine Ahnung, wo meine Eltern waren. Und auch ich konnte mich immer gut (also: schlecht) daran erinnern – wie viele andere offenbar auch. Zumal es später zu einem überraschenden Plot-Twist kam: Zu dem Verdacht nämlich, dass es nie so war, wie in der Sendung gezeigt. Dass es auch keinen Räuber gab, sondern sich der angeblich Überfallene selbst verstümmelt hatte, um seine Versicherung zu betrügen. In mehreren Prozessen sollen mehrere Gutachter zu „teilweise gegensätzlichen“ Einschätzungen gekommen sein. Am Ende aber erhielt der Mann eine Versicherungssumme von 900.000 D-Mark.
Ob die Fälle die Zuschauer auch heute noch verfolgen? Womöglich weniger als früher, weil heute viel mehr Schreckensbilder kursieren, die sich einprägen, auf allen Kanälen. Früher aber lieferte „Aktenzeichen XY“ sowas noch recht exklusiv, immer um 20.15 Uhr, direkt ins Wohnzimmer. Die Zuschauer ahnten nicht, wie sehr sie das bewegen würde.
Unbesprochen – die TV-Kritik
In dieser Reihe rezensieren wir Fernsehsendungen, die sonst kaum von Journalisten beachtet werden. „Aktenzeichen XY ungelöst“ findet zwar in anderen Medien statt, aber meist wegen einzelner Verbrechen, weniger als Gesamtwerk. Die erste Folge „Unbesprochen“ finden Sie im Archiv. Und wenn Sie gerne eine Sendung besprochen sähen – schreiben Sie uns.
5 Kommentare
Die Gespräche mit den Polizisten im Studio finde ich immer sehr unbeholfen – und nicht selten denke ich mir still: Oje, bei diesen Polizisten kein Wunder, dass die nichts gebacken kriegen. Aber das ist ungerecht: Diese Gesprächssituation ist derart artefiziell, fast wie bei den Trödelsendungen, wo Leute ihre Erbstücke vorzeigen und wissen wollen, wieviel Geld die noch bringen, so werden da die Polizisten an das Pult gebeten, ihre trödeligen Verbrechen an den Mann/Frau zu bringen und finden sich doch so offensichtlich unwohl in der Situation. Während der Moderator mühsam die Stichworte abfragt, antwortet der Kriminalist im Schweiße des Scheinwerferlicht stockend: „Ja, es gelang uns, ein Ph…phantombild des Tä..ters zu erstellen …“
Aktenzeichen XY lehrt uns: Geräuschvoll gruseliges Greinen und reaktionäres Raunen funktioniert am besten mit einem großen Korb voll mit Adjektiven.
Ich habe „Ede“ als Kind/Jugendlicher sehen dürfen, weil sonst fast nichts in der Kiste kam. Meine Eltern waren stets geschockt und nahmen im Sommer dann Abstand vom spätabendlichen Spaziergang, „weil doch alles so kriminell ist da draußen“. Die Schalte zu Peter Nidetzky und Teddy Podgorski war der Brüller. So, so auch in der Schwyz wird gemordet! Und das war natürlich viel unappetittlicher als das Schnaufen von Ede Zimmermann ins Mikro.
Übrigens, meine Eltern sind eines natürlichen Todes gestorben.
Früher wurden ja auch knallhart Fotos von unbekannten Toten gezeigt – als Kind besonders traumatisierend. Trotzdem war das bei uns in der Familie gemeinschaftliche TV-Unterhaltung. Der extreme Gruselfaktor von damals ist heute nicht mehr vorhanden – vielleicht besser so!
Diese subtilen Elemente, die die Gedanken des Zuschauers lenken, die scheinen wohl tatsächlich erforderlich zu sein. Ohne alte Videokamera und Fußballgerede ist dem Zuschauer vielleicht nicht bewusst, um welche Zeit es sich handelt.
Ich habe in den 80ern gerne die Sendung „Wie würden Sie entscheiden?“ gesehen. Da wurden mit einem Film Geschehnisse vorgestellt, die zu einer Gerichtsverhandlung führen, und die Zuschauer im Studio mussten darüber abstimmen, wie das Urteil ausfallen würde. Nachdem die Mehrheitsentscheidung im Studio gefallen war, wurden einzelne Zuschauer befragt, wie sie abgestimmt hatten und warum.
Ich erinnere mich an eine Folge, bei der es um eine Vergewaltigung auf dem Heimweg von einem Kneipenbesuch ging. In dem Filmbeitrag wurden die Frau und der spätere Täter gezeigt, und durch entsprechende Kameraschwenks wurde illustriert, daß der Mann der Frau auf ihren Rock und die Nylonstrümpfe auf ihren Beinen geschaut hat.
Bei der spätere Befragung einzelner Zuschauer im Studio nahm ein Zuschauer explizit auf diese Szene Bezug, indem er (sinngemäß) sagte „Man hat doch gesehen, wie der Mann die Frau lüstern angesehen hat“.
Da habe ich als jugendlicher (und in Medienfragen entsprechend unerfahrener) Fernsehzuschauer auch gefragt: Hä? Der Blick in der Kneipe war ein dramaturgisches Element des Film, der war noch nie und nimmer gerichtsverwertbar. Es geht doch um die konkrete Tat nach dem Kneipenbesuch, nicht um irgendwelche gierigen Blicke beim Biertrinken. Es geht bei der Gerichtsverhandlung um die konkrete Tat, und genau über diese Verhandlung sollte abgestimmt werden.
Aber der Zuschauer scheint sei wohl zu brauchen, die Details im Film, die zur Handlung eigentlich gar nichts beitragen, sondern bloß Atmosphäre hinzufügen. Und er nimmt das dann ernst, als wäre alles exakt so gesagt worden und exakt so passiert.
Die Gespräche mit den Polizisten im Studio finde ich immer sehr unbeholfen – und nicht selten denke ich mir still: Oje, bei diesen Polizisten kein Wunder, dass die nichts gebacken kriegen. Aber das ist ungerecht: Diese Gesprächssituation ist derart artefiziell, fast wie bei den Trödelsendungen, wo Leute ihre Erbstücke vorzeigen und wissen wollen, wieviel Geld die noch bringen, so werden da die Polizisten an das Pult gebeten, ihre trödeligen Verbrechen an den Mann/Frau zu bringen und finden sich doch so offensichtlich unwohl in der Situation. Während der Moderator mühsam die Stichworte abfragt, antwortet der Kriminalist im Schweiße des Scheinwerferlicht stockend: „Ja, es gelang uns, ein Ph…phantombild des Tä..ters zu erstellen …“
Aktenzeichen XY lehrt uns: Geräuschvoll gruseliges Greinen und reaktionäres Raunen funktioniert am besten mit einem großen Korb voll mit Adjektiven.
Ich habe „Ede“ als Kind/Jugendlicher sehen dürfen, weil sonst fast nichts in der Kiste kam. Meine Eltern waren stets geschockt und nahmen im Sommer dann Abstand vom spätabendlichen Spaziergang, „weil doch alles so kriminell ist da draußen“. Die Schalte zu Peter Nidetzky und Teddy Podgorski war der Brüller. So, so auch in der Schwyz wird gemordet! Und das war natürlich viel unappetittlicher als das Schnaufen von Ede Zimmermann ins Mikro.
Übrigens, meine Eltern sind eines natürlichen Todes gestorben.
Früher wurden ja auch knallhart Fotos von unbekannten Toten gezeigt – als Kind besonders traumatisierend. Trotzdem war das bei uns in der Familie gemeinschaftliche TV-Unterhaltung. Der extreme Gruselfaktor von damals ist heute nicht mehr vorhanden – vielleicht besser so!
Diese subtilen Elemente, die die Gedanken des Zuschauers lenken, die scheinen wohl tatsächlich erforderlich zu sein. Ohne alte Videokamera und Fußballgerede ist dem Zuschauer vielleicht nicht bewusst, um welche Zeit es sich handelt.
Ich habe in den 80ern gerne die Sendung „Wie würden Sie entscheiden?“ gesehen. Da wurden mit einem Film Geschehnisse vorgestellt, die zu einer Gerichtsverhandlung führen, und die Zuschauer im Studio mussten darüber abstimmen, wie das Urteil ausfallen würde. Nachdem die Mehrheitsentscheidung im Studio gefallen war, wurden einzelne Zuschauer befragt, wie sie abgestimmt hatten und warum.
Ich erinnere mich an eine Folge, bei der es um eine Vergewaltigung auf dem Heimweg von einem Kneipenbesuch ging. In dem Filmbeitrag wurden die Frau und der spätere Täter gezeigt, und durch entsprechende Kameraschwenks wurde illustriert, daß der Mann der Frau auf ihren Rock und die Nylonstrümpfe auf ihren Beinen geschaut hat.
Bei der spätere Befragung einzelner Zuschauer im Studio nahm ein Zuschauer explizit auf diese Szene Bezug, indem er (sinngemäß) sagte „Man hat doch gesehen, wie der Mann die Frau lüstern angesehen hat“.
Da habe ich als jugendlicher (und in Medienfragen entsprechend unerfahrener) Fernsehzuschauer auch gefragt: Hä? Der Blick in der Kneipe war ein dramaturgisches Element des Film, der war noch nie und nimmer gerichtsverwertbar. Es geht doch um die konkrete Tat nach dem Kneipenbesuch, nicht um irgendwelche gierigen Blicke beim Biertrinken. Es geht bei der Gerichtsverhandlung um die konkrete Tat, und genau über diese Verhandlung sollte abgestimmt werden.
Aber der Zuschauer scheint sei wohl zu brauchen, die Details im Film, die zur Handlung eigentlich gar nichts beitragen, sondern bloß Atmosphäre hinzufügen. Und er nimmt das dann ernst, als wäre alles exakt so gesagt worden und exakt so passiert.