Stellen Sie sich vor, Sie erfahren, dass ein paar hippe, junge Medienschaffende aus Deutschland einen digitalen Herrenclub gegründet hätten: einer vom ZDF vielleicht, einer von „Spiegel Online“, einer von der „taz“, und gut dreißig Absolventen renommierter Akademien und Journalistenschulen hätten sich ihnen angeschlossen. Alle arbeiten bei großen Medien oder coolen Werbeagenturen. Sie bloggen, podcasten, haben Schaufensterbüros in Berlin-Mitte.
Denken Sie sich diesen hippen Haufen zu ihrem Glück privilegierter Digitalpioniere, die beliebt sind in ihren Einflussblasen, und stellen Sie sich vor, Sie finden heraus, dass diese Mitglieder einer angeblich aufgeklärten, digitalen Bohème ein ganzes Jahrzehnt lang systematisch Frauen, Schwarze, Dicke, Juden und Homosexuelle beleidigt hätten. Dass sie diese Menschen online attackierten, ihre Köpfe in Porno-Bilder montierten und diese verbreiteten. Dass sie sie telefonisch terrorisierten und am Arbeitsplatz aufsuchten. Dass sie ihre Opfer als Gruppe physisch bedrohten oder einzeln sexuell belästigten.
Die erste Reaktion wäre vielleicht: Was?
Die zweite: WAAAS?!
Und die dritte: Warum zur Hölle tun die das?
Das und anderes fragen sich gerade auch eine Menge schockierter Menschen in Frankreich, nachdem aufgeflogen ist, dass dort (bisher) als linksliberal geltende Journalisten, Werbeagenturisten und Kommunikationsberater in ihrer Freizeit digitale Menschenjagd betreiben. Aufgedeckt hat das Treiben der so genannten „Ligue du LOL“ die linksliberale französische Zeitung „Libération“, deren Blattlinie vergleichbar ist mit jener der deutschen „taz“.
Die Kolumne
Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Sie wurde durch Zufall 2009 Kanzlerkandidatin der Partei DIE PARTEI (Wahlkampfslogan: „Es muss ein Rock durch Deutschland gehen“). Für Übermedien schreibt sie jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.
„Ligue du LOL“, in etwa: die „Liga des Auflachens“, aber eigentlich eher die „Liga des Auslachens“, ist eine private Facebook-Gruppe, die Vincent Glad, der bisherige Online-Chef der „Libération“, 2009 gründete. Die um die dreißig Mitglieder, hauptsächlich Männer, machten sich über alle lustig, die nicht in ihre Vorstellung cooler Leute passten, weil sie aus ihrer Sicht zu schwul oder zu hässlich waren oder einfach das Pech hatten, kein Mann zu sein.
Während es sich am Anfang noch um eine Art privates „4Chan“ handelte, wo man sich untereinander, just for the LULZ, degradierende Fotos, Montagen und Trollereien schickte, begannen die Teilnehmer irgendwann auch öffentliche Attacken auf ihre Opfer zu koordinieren – um sie zu mobben.
Die Mitglieder der „Ligue du LOL“ sind französische Journalisten, allesamt einflussreiche Multiplikatoren, die bei etablierten und linksliberalen Zeitungen und Kulturmagazinen in Frankreich auf einflussreichen Posten gelandet sind, und erfolgreiche Werber und Digitalberater, auch der ehemalige Community-Manager des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Die Popularität der Männer ist auch der Grund, warum die Opfer, selbst oft Akteure der Mediensphäre wie Praktikantinnen, Journalistinnen oder Beauty-Bloggerinnnen, sich nicht öffentlich gegen die Attacken gewehrt haben. Sie hatten Angst davor, von den vermeintlich coolen Alpha-Twitterern zermalmt zu werden und damit ihre Aufstiegschancen zu minimieren. Es ist eine Mischung aus Lockerroom-Toxic, gläsernen Decken und Bro-Culture. Kein Lehrbuch hätte das besser archetypisieren können.
„Libération“ hat die Arbeit mit Vincent Glad und Alexandre Hervaud mittlerweile beendet, interne Untersuchungen dauern an. Auch die anderen wurden entlassen oder freigestellt. In der französischen Redaktion von „Vice“ gab es eine ähnliche Gruppe, und auch bei der französischen „Huffington Post“ wurde eine Online-Gruppe bestätigt, in der homophobe, rassistische, sexistische Inhalte ausgetauscht wurden. Das Ausmaß ist erschreckend.
Die Systematik hinter der Feindseligkeit in dieser Atmosphäre edgy-viriler Schulterklopf-Brüderlichkeit und anfeuerndem Tresengejohle ist programmatisch für alle Netzwerkstrukturen, in denen sich privilegierte Männer für die schlausten Kekse im Raum halten. Doch was können wir nun aus diesem Tiefpunkt der Selbstnichtregulierung männlicher Journalisten lernen?
Lektion 1 – Die Ent-Täuschung
Das Bild vom bildungsfernen, rechten Emo-Außenseiter im Hoodie, der mit Headset und Gaming-Drehstuhl den ganzen Tag Twitch-Streamerinnen anschreit, um dann in seiner vielen Freizeit auf Red-Pill-Erweckungsseiten seinen Hass auf Frauen mit seinem unfreiwillig gewählten Incel-Dasein begründet, ist ein Stereotyp, auf das wir nicht zu leicht reinfallen dürfen.
Gestatten: gebildet, anerkannt, abgesichert – und in der Freizeit: Troll.
Als Gründe für misogynes und rassistisches Verhalten wird oft genannt, dass es an Bildung fehle, an Geld oder Status. Die französischen Journalisten der LOL-Liga aber haben das alles, und dadurch offenbart sich ein größeres Problem systematischer Diskriminierung: Sie legten diskriminierendes Verhalten nicht trotz ihrer Privilegien, ihrer angeblichen Kultiviertheit und gesellschaftlichen Anerkennung an den Tag – sondern genau deshalb.
Die Journalisten galten als Pioniere. Sie waren während ihres Aufstiegs Vorbilder der französischen Digitalsphäre, weil sie online den Umgang mit Stimulus und Response gut beherrschten und ein Gefühl für Ironie, Reichweiten und Selbstvermarktung hatten. Sie besaßen die nötige Klugheit, um die Sprache, die Instrumente und Wirkungsweisen der digitalen Kanäle zu beherrschen.
Doch obwohl die jungen Medienmacher so progressiv, modern und vorwärtsgewandt waren, waren sie zugleich so archaisch, reaktionär und vorsintflutlich. All die Finesse, die ihrer Arbeit als digitale Sender innewohnte, verkehrte sich ins Negative und wurde für das Niederste angewandt: die Verfolgung sozialer Randgruppen und digitale Menschenjagd. Sie missbrauchten ihre Privilegien, auch ihr Talent, und machten aus einer technikaffinen Avantgarde eine reaktionäre Garde.
Lektion 2 – Der blinde Fleck
Diese Journalisten, die sich selber als linksliberal bezeichnen, offenbaren einen blinden Fleck der unfreiwilligen oder freiwilligen Bigotterie aufgeklärter Linker. Vincent Glad sagte in seinem Entschuldigungsstatement, dass er nicht gewusst habe, wie misogyn sein Verhalten sei: Es sei nicht das Ziel der Gruppe gewesen, Frauen zu belästigen, sondern einfach Spaß zu haben.
Diese Journalisten galten als feministisch und progressiv. Sie machten Geld damit, gegen „toxische Maskulinität“ anzuschreiben; sie berichteten kritisch über Gamer, die Frauen im Internet mobben; sie kämpften öffentlich gegen den französischen Machismo. Dabei waren sie selbst gefährlichste Aggressoren, sobald sich die Gelegenheit bot, andere zu erniedrigen und vorzuführen.
Vor wenigen Tagen hat Maxim Biller in der „Welt“ eine Typologie des so genannten Linksrechtsdeutschen erstellt, der ich inhaltlich in einigen Punkten widersprechen muss. In einem Aspekt gebe ich Biller jedoch recht: Wir haben allesamt blinde Flecken.
In seinem wütenden Essay beschreibt er die Diskrepanz, einerseits linksliberal zu sprechen, andererseits eine Faszination fürs Reaktionäre zu pflegen in Form von Jünger, Wagner und Heidegger. Was ist da in dem angeblich aufgeklärten und Menschen zugewandten Progressiven, der sich plötzlich, fast zum Ausgleich, ins menschenfeindliche, reaktionär denkende Extrem hechtet?
Die Journalistin Gilda Sahebi, die das Projekt „No Hate Speech Movement“ leitet, sagte dem Deutschlandfunk:
„Man kann für ein linkes Blatt schreiben und trotzdem rechts sein. Es kann zum Beispiel sein, dass sie ökonomisch total links sind, aber das heißt nicht, dass sie nicht rechte Angriffe starten können.“
Dieser blinde Fleck ist so irritierend wie nachvollziehbar. In der Kognitionspsychologie heißt es, dass wir alle einen „bias blind spot“ haben. Wir halten uns für unvoreingenommener als alle anderen, unser Hirn für unbeeinflusster als alle anderen Hirne.
Wie schlau und unvoreingenommen muss sich ein junger, erfolgreicher Journalist fühlen, der alle Karrierefilter und -fallen erfolgreich passiert hat, der gehypt und bestätigt wird und als Online-Chef eines linksliberalen Magazins arbeitet: Sexisten und Rassisten? Das sind die anderen!
Da sie sich in ihrer homogenen Gruppe ironischer Highperformer untereinander bestärken, erhöht sich der subjektive Wahrheitswert ihrer Meinungen und Haltungen. Sie können buchstäblich nicht mehr wahrnehmen, dass es sich dabei um eine selbstreproduzierende Verstärkung diskriminierender Machtverhältnisse handelt. Umso aggressiver und defensiver reagieren die ertappten jungen Karrieristen, sobald man sie auf ihre Vorurteile hinweist.
Lektion 3 – Alles nur „Spaß“
Einer der „Streiche“ der Gruppe bestand darin, der jungen Wissenschaftsjournalistin Florence Porcel telefonisch einen erfundenen Prestigejob bei einem Sender anzubieten – und das heimlich aufgezeichnete Gespräch dann zu veröffentlichen mit der Intention, sich über ihre Hoffnung und Freude lustig zu machen und sie in ihrer Naivität vorzuführen. „Zum Spaß“ wurde ihr Kopf davor und danach auch noch in pornografische Bilder montiert.
Humor kann missbraucht werden, um eine gesellschaftspolitische oder ideologische Attacke unbekümmert wirken zu lassen. Deswegen entsteht er nie im Vakuum einer Referenzlosigkeit und hat auch eine subversive Funktion.
So hat manbeispielsweiseherausgefunden, dass sexistische Witze auf Feministinnen wahrnehmungspsychologisch nicht viel Einfluss nehmen, wohl aber sexistische Grundtendenzen bei einer Person verstärken. Analog verhält es sich mit rassistischen und homophoben Witzen.
Das Lachen macht den Diskurs nicht entideologisierter, sondern bestärkt die empfundene Rechtmäßigkeit, als gesellschaftlich Stärkerer über andere zu lachen. Die „Ligue du LOL“ fing mit blöden Witzen an. Sie boten eine Möglichkeit, jede Form offener Diskriminierung zu entdramatisieren – vermutlich zunächst vor allem vor sich selbst. Ist doch nur Spaß, du humorloses Miststück!
Erst jetzt kommt die späte Einsicht, dass sie nicht mit unterdrückter Nummer gearbeitet haben. Da es sich um Twitter-Profis handelt, wirkt es fast noch erbärmlicher, dabei zuzuschauen, wie sie nun entlarvende Tweets löschen. Der ehemalige Community Manager von Emmanuel Macron etwa entfernte an einem Sonntagnachmittag 393 Tweets.
Lektion 4 – Namen schützen (nicht)
Klarnamenpflicht verhindert kein Online-Mobbing, und Pseudonyme können manchmal davor schützen.
Da die Opfer lesen konnten, mit welchen prominenten Journalisten sie es zu tun hatten, trauten sie sich anfangs nicht, gegen diese vorzugehen – aus Angst um Reputation und Jobs. Die Namen der Täter schützten die Täter. Umgekehrt hat das Pseudonym eines der Opfer, Daria Marx, die Body-Positivity-Aktivistin und Autorin vor den Angriffen geschützt.
„Als Daria Marx mit dem Tod bedroht wurde, als sie in Hunderten von Scheiß- und Pissfotos ertrank, konnte ich mir sagen, dass das nicht ich war. Ich konnte mich von dem misshandelten, virtuellen Charakter lösen. Es hat mich viele Male gerettet.“
Lektion 5 – Das vermeintliche Privileg
Die „Ligue du LOL“ reagierte stets mit einer Attacke, wenn Journalistinnen versuchten, feministische oder intersektionale Themen zu platzieren. Eine schwarze Journalistin etwa berichtet, mit welchen Erniedrigungen sie kämpfen musste, als sie 2014 wagte, Blackfacing zu kritisieren. „Das ist doch nicht rassistisch“, blökte die „Ligue du LOL“ und postete Kommentare über den Hintern der Frau. Sie reduzierten sie auf ihren Körper, um ihre Kompetenz zu unterminieren.
Von Antirassismus und Feminismus nichts hören wollen und gleichzeitig auf ein angebliches Recht beharren, rassistische und sexistische Witze machen zu dürfen. Die LOL-Liguisten lebten tatsächlich in der Annahme, dass ein Thema erst relevant ist, wenn sie es bestimmen. Sie stahlen so nicht nur Frauen und Minoritäten das Rederecht, sie sanktionierten auch diejenigen, die wagten, ihre erteilte Autorisierung durch schieres Berichterstatten infrage zu stellen. Wodurch Gruppen, die ohnehin diskriminiert werden, noch dazu stumm gemacht werden.
Lektion 6 – Kein Mangel an Empathie
Es war kein Mangel an Empathie, der die LOL-Männer so handeln ließ, im Gegenteil. Weil sie genau prognostizieren konnten, wie sich ihre Opfer fühlen werden, bereitete den LOL-Mitgliedern ihr digitaler Sadismus so viel Freude. Der Telefonstreich mit Florence Porcel funktioniert nur deshalb, weil sie ihre Überraschung und Vorfreude antizipierten – und wussten, wie enttäuscht und gedemütigt sie sein würde, wenn sie erfährt, dass alles nur ein Verhöhnung ihrer Leutseligkeit war.
Hinzu kommt, dass sich Vincent Glad und seine Kollegen journalistisch mit Feminismus und Mobbing auseinandersetzen. Glad zum Beispiel schrieb über einen Fall von Cybermobbing und kritisierte tatsächlich die toxische Maskulinität homogener, digitaler Räume. Die LOL-Männer schrieben reflektiert über Männer, die im Grunde so handelten wie sie selbst, jedoch ohne sich selbst je zu hinterfragen. Aber sie wussten ganz genau, welche emotionalen Konsequenzen Mobbing hat.
Als Feminismus zum Zeitgeist wurde, eigneten sich die Männer Themen an, für die sie Jahre zuvor die Aktivistinnen attackiert hatten. Ob aus opportunistischem Karrierismus, ökonomischen Interessen oder tatsächlich wegen des blinden Flecks, können nur sie selbst beantworten.
Lektion 7 – Lieber lassen
Treten Sie nie einem Herrenclub bei, dessen Mitglieder Sie – wären sie nicht in demselben Club wie Sie – wegen ihres offenen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus oder ihrer Homophobie kritisieren würden.
7 Kommentare
Ich kenne solche Typen, man traf sie vor zehn Jahren in den schickeren Groß- und Unistadt-Antifagruppen (wie es heute aussieht, kann ich nicht beurteilen). Nicht, dass diese hippen Jungs gemobbt oder unter Tarnung Hetze verbreitet hätten – es war aber die Haltung en vogue, im Privaten seine Witzchen über Fragen zu reißen, die man öffentlich ganz anders verhandelte.
Schön, dass die Lol-Clique aufgeflogen ist. Mögen sie ordentlich Ärger bekommen. Ärgerlich aber auch: Die jetzt schon gern selbstgerechte Identitäts-PoMo-Linke hat Oberwasser, die Debatte verschiebt sich noch weiter in Richtung Moral bzw. moralische Verfehlung.
Wenn Gilda Sahebi schreibt: „Es kann zum Beispiel sein, dass sie ökonomisch total links sind, aber das heißt nicht, dass sie nicht rechte Angriffe starten können“, dann geht das zum einen am Problem vorbei. An dieser linksliberalen jeunesse doree ist „ökonomisch“ überhaupt nichts links, sondern alles liberal. Als hätte es diese Leute je gekümmert, was aus Arbeitern und Abgehängten wird – viel zu schlecht angezogen, um von Interesse zu sein.
Zum andern dient die Verortung des Problems bei den angeblich „ökonomisch linken“ als Selbstbestätigung, als moralisch begründete Abwehr gegen Linke wie Didier Eribon und Edouard Louis – die sind tatsächlich auch ökonomisch links, und sie solidarisieren sich wirklich mit dem von Liberalismus und technischem Fortschritt zerstörten Milieu, das früher einmal die Arbeiterklasse hieß.
Und hier schließt sich der Kreis: Aus diesem Milieu rekrutieren heute Trump, Le Pen und Gauland ihre Wähler, ergo sind das alte, weiße Rassisten und Sexisten, ergo sind sie trotz ihres Elends nicht solidaritätswürdig, sondern „Weißer Abschaum“ (Das darf man sagen, das ist keine Diskriminierung). Wer sich dennoch mit ihnen solidarisiert ist „ökonomisch links“, eigentlich aber „rechts“ – und deshalb muss man sich noch schärfer als bisher von ihnen distanzieren.
Auch wenn das mit Glad & Co. alles nicht das Geringste zu tun hat – schon ist das Narrativ gebastelt, mit dem man aus der Sache seinen Mehrwert ziehen kann.
Vieles bezieht sich hier nicht direkt auf die Kolumne als auf die Reaktionen im Allgemeinen, musste aber raus. Bitte um Nachsicht.
Ich muss sagen, dass ich bis dato nichts davon gehört habe, aber das liegt wohl an meiner privaten Filterblase.
Ich vermute, dass Sie mit allen sieben Punkten recht haben, nur diese Formulierung: „…mit seinem unfreiwillig gewählten Incel-Dasein…“ ist etwas sinnlos. 1., wenn etwas „unfreiwillig“ ist, ist es nicht gewählt, und 2. sind Incels per definitionem unfreiwillig.
Next level: /roastme
Jaja, wie war das noch gleich: Ich möchte nie im Leben Mitglied in einem Verein werden, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt. Das hätten diese Herren wohl besser mal beherzigt.
Sehr guter Artikel!
#1 Kritischer Kritiker:
Vielen Dank, das hätte ich nicht besser formulieren können. Bei aller sehr berechtigten (!) Kritik an LOL ist die Erzählung, die der zur postmodernen Hypermoral neigende Teil des Journalismus Rund um die Lol-Clique routiniert entlang seiner Weltsicht aufgebaut hat und in obiger Kolumne geradezu prototypisch repräsentiert wird, mindestens genauso problematisch wie das Verhalten der Clique selbst. Einige Punkte haben Sie ja bereits erwähnt; insbesondere ist an LOL wirklich nichts ökonomisch links, und wird dieses Narrativ nur dazu beitragen, weitere Deplorables in die Arme rechter Bauernfänger zu treiben.
Die Art der Heuchelei, wie wir sie jetzt bei den LOL-Mitgliedern sehen, kenne ich im Übrigen auch hauptsächlich aus genau den (pseudo)linken Wohlfühlkreisen, die von der Komplexität ökonomischer Zusammenhänge nichts wissen wollen, sondern lieber anhand von Einstellungen zur geschlechtsneutralen Toilette entscheiden, wer ein guter und wer ein schlechter Mensch ist.
Moral zum letztentscheidenden Kriterium für alle Fragen und Debatten zu machen zieht eben gerade auch Leute an, die das vor allem als Möglichkeit betrachten, ohne anstrengend zu erwerbende Sachkenntnis journalistisch Karriere machen oder wenigstens kollegialen Zuspruch ergattern zu können, indem sie einfach so tun, als würden sie die Moral teilen.
@Illen, Kritischer Kritiker: Ich schließe mich vollumfänglich an.
Ja, so etwas kann ich mir in Berlin-Mitte lebhaft vorstellen, insbes. auch unter Medizinern und Psychologen, etc. :/
@ Philipp:
Soviel zum Thema bias blind spot . Teil einer Gruppe sein zu wollen, erscheint mir zunächst einmal sehr menschlich, ohne dabei gleich die sog. „Ligue du LOL“ verteidigen zu wollen.
@ Kritischer Kritiker:
Ich sehe da tatsächlich noch einen Unterschied zwischen privater und öffentlicher Kommunikation. Tweets sind allerdings regelmäßig öffentlich. Darüber, dass das Verhalten dieser speziellen LOL-Gruppenmitglieder inakzeptabel ist, können wir uns wohl schnell einigen.
Ich kenne solche Typen, man traf sie vor zehn Jahren in den schickeren Groß- und Unistadt-Antifagruppen (wie es heute aussieht, kann ich nicht beurteilen). Nicht, dass diese hippen Jungs gemobbt oder unter Tarnung Hetze verbreitet hätten – es war aber die Haltung en vogue, im Privaten seine Witzchen über Fragen zu reißen, die man öffentlich ganz anders verhandelte.
Schön, dass die Lol-Clique aufgeflogen ist. Mögen sie ordentlich Ärger bekommen. Ärgerlich aber auch: Die jetzt schon gern selbstgerechte Identitäts-PoMo-Linke hat Oberwasser, die Debatte verschiebt sich noch weiter in Richtung Moral bzw. moralische Verfehlung.
Wenn Gilda Sahebi schreibt: „Es kann zum Beispiel sein, dass sie ökonomisch total links sind, aber das heißt nicht, dass sie nicht rechte Angriffe starten können“, dann geht das zum einen am Problem vorbei. An dieser linksliberalen jeunesse doree ist „ökonomisch“ überhaupt nichts links, sondern alles liberal. Als hätte es diese Leute je gekümmert, was aus Arbeitern und Abgehängten wird – viel zu schlecht angezogen, um von Interesse zu sein.
Zum andern dient die Verortung des Problems bei den angeblich „ökonomisch linken“ als Selbstbestätigung, als moralisch begründete Abwehr gegen Linke wie Didier Eribon und Edouard Louis – die sind tatsächlich auch ökonomisch links, und sie solidarisieren sich wirklich mit dem von Liberalismus und technischem Fortschritt zerstörten Milieu, das früher einmal die Arbeiterklasse hieß.
Und hier schließt sich der Kreis: Aus diesem Milieu rekrutieren heute Trump, Le Pen und Gauland ihre Wähler, ergo sind das alte, weiße Rassisten und Sexisten, ergo sind sie trotz ihres Elends nicht solidaritätswürdig, sondern „Weißer Abschaum“ (Das darf man sagen, das ist keine Diskriminierung). Wer sich dennoch mit ihnen solidarisiert ist „ökonomisch links“, eigentlich aber „rechts“ – und deshalb muss man sich noch schärfer als bisher von ihnen distanzieren.
Auch wenn das mit Glad & Co. alles nicht das Geringste zu tun hat – schon ist das Narrativ gebastelt, mit dem man aus der Sache seinen Mehrwert ziehen kann.
Vieles bezieht sich hier nicht direkt auf die Kolumne als auf die Reaktionen im Allgemeinen, musste aber raus. Bitte um Nachsicht.
Ich muss sagen, dass ich bis dato nichts davon gehört habe, aber das liegt wohl an meiner privaten Filterblase.
Ich vermute, dass Sie mit allen sieben Punkten recht haben, nur diese Formulierung: „…mit seinem unfreiwillig gewählten Incel-Dasein…“ ist etwas sinnlos. 1., wenn etwas „unfreiwillig“ ist, ist es nicht gewählt, und 2. sind Incels per definitionem unfreiwillig.
Next level: /roastme
Jaja, wie war das noch gleich: Ich möchte nie im Leben Mitglied in einem Verein werden, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt. Das hätten diese Herren wohl besser mal beherzigt.
Sehr guter Artikel!
#1 Kritischer Kritiker:
Vielen Dank, das hätte ich nicht besser formulieren können. Bei aller sehr berechtigten (!) Kritik an LOL ist die Erzählung, die der zur postmodernen Hypermoral neigende Teil des Journalismus Rund um die Lol-Clique routiniert entlang seiner Weltsicht aufgebaut hat und in obiger Kolumne geradezu prototypisch repräsentiert wird, mindestens genauso problematisch wie das Verhalten der Clique selbst. Einige Punkte haben Sie ja bereits erwähnt; insbesondere ist an LOL wirklich nichts ökonomisch links, und wird dieses Narrativ nur dazu beitragen, weitere Deplorables in die Arme rechter Bauernfänger zu treiben.
Die Art der Heuchelei, wie wir sie jetzt bei den LOL-Mitgliedern sehen, kenne ich im Übrigen auch hauptsächlich aus genau den (pseudo)linken Wohlfühlkreisen, die von der Komplexität ökonomischer Zusammenhänge nichts wissen wollen, sondern lieber anhand von Einstellungen zur geschlechtsneutralen Toilette entscheiden, wer ein guter und wer ein schlechter Mensch ist.
Moral zum letztentscheidenden Kriterium für alle Fragen und Debatten zu machen zieht eben gerade auch Leute an, die das vor allem als Möglichkeit betrachten, ohne anstrengend zu erwerbende Sachkenntnis journalistisch Karriere machen oder wenigstens kollegialen Zuspruch ergattern zu können, indem sie einfach so tun, als würden sie die Moral teilen.
@Illen, Kritischer Kritiker: Ich schließe mich vollumfänglich an.
Ja, so etwas kann ich mir in Berlin-Mitte lebhaft vorstellen, insbes. auch unter Medizinern und Psychologen, etc. :/
@ Philipp:
Soviel zum Thema bias blind spot . Teil einer Gruppe sein zu wollen, erscheint mir zunächst einmal sehr menschlich, ohne dabei gleich die sog. „Ligue du LOL“ verteidigen zu wollen.
@ Kritischer Kritiker:
Ich sehe da tatsächlich noch einen Unterschied zwischen privater und öffentlicher Kommunikation. Tweets sind allerdings regelmäßig öffentlich. Darüber, dass das Verhalten dieser speziellen LOL-Gruppenmitglieder inakzeptabel ist, können wir uns wohl schnell einigen.