Wochenschau (12)

„Hannibal“ und das Schweigen der Blätter

Hallo Medienlandschaft, klopf, klopf! Ich hätte da mal eine Frage! Was müsste man als Rechtsterrorist in diesem Land so tun, um journalistisch stattzufinden? Klar, ich weiß, Hartz 4, Dieselfahrverbote, Brexit, Merz-Millionen, AfD-Spenden, FCB-Remis, superwichtig alles, wirklich, da kommt man mit vagen Anschlagsplänen schwer gegen an. Aber welche Art von Terrorplot wäre eine Meldung wert?

Stell dir vor, eine Terrororganisation mit Kontakten in die deutschen Sicherheitsbehörden plant für einen „Tag X“ Morde in Deutschland – und keinen interessiert’s.

Mittels minutiöser Kleinstarbeit hat die „taz“ ein Jahr lang ein rechtes Untergrund-Netzwerk entknäult und dokumentiert. Vergangene Woche veröffentlichten die Journalisten Christina Schmidt, Martin Kaul und Daniel Schulz ihre Arbeit, die sich wie ein ausgedachter Spionagethriller liest, in dem neben der Bundeswehr auch Freimaurer und Hitlergrüße vorkommen.

Ausriss: „taz“

Hauptprotagonist ist der Rechtsterrorist André S., der sich selbst „Hannibal“ nennt. Sein Plan: mit anderen Rechtsterroristen Menschen an „Tag X“ in Deutschland angreifen, internieren und/oder umbringen. Zum Zeitpunkt der Recherchen war Hannibal beim Kommando Spezialkräfte (KSK), den Supersoldaten der Bundeswehr („Kämpfe nie für dich allein“), weshalb der Geheimdienst der Bundeswehr, also der militärische Abschirmdienst (MAD), dessen Aufgabe normalerweise darin besteht, Extremismus bei der Bundeswehr abzuwehren, ihn mit vertraulichen Interna versorgte. So war Hannibal möglichen Ermittlern immer einen Schritt voraus, zum Beispiel, wenn es darum ging zu wissen, wann und wo in Kasernen Razzien stattfinden sollten.

Die „taz“-Journalisten fanden bei ihren Recherchen auf allen Ebenen Menschen, die mit verschiedenen rechtextremen Terrorzellen in Verbindung standen: Soldaten, Beamte, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und der Sicherheitsbehörden – Menschen, die den Staat und uns eigentlich schützen sollen.

Und erinnern Sie sich noch an Franco A.? Der Bundeswehrsoldat, dem vorgeworfen wird, dass er als syrischer Flüchtling verkleidet Sprengstoffanschläge auf prominente Politiker und Aktivisten verüben wollte und Nazidevotionalien bei sich versteckte?

Überraschung. Er soll auch Mitglied gewesen sein in einer Terrorzelle, die diesem Netzwerk angehörte.

Die Recherche ist beeindruckend. Ein Scoop. Eine Nachricht von nationaler Wichtigkeit. Und in der vergangenen Woche offenbar in keiner Fernsehsendung Thema. Wohlgemerkt in einer Fernsehlandschaft, die aus jedem Schneefall einen „Brennpunkt“ macht. Bis auf das „Neue Deutschland“ und natürlich die „taz“ und der „Focus“, die es selbst recherchiert hatten, berichtete kaum ein Medium von der inneren Unsicherheit. Die „Welt“ brachte heute einen größeren Artikel. Im aktuellen „Spiegel“ aber: nichts. Die politischen Talkshows: niente. Auch die „heute-show“ oder das „Neo Magazin Royal“: nada.

Da gibt es einen Skandal in den Sicherheitsbehörden, eine behördliche und systematische Verdrängung rechten Terrors, die noch bedrückender und entsetzlicher ist in Anbetracht der Versäumnisse und den Vertuschungen bei den NSU-Morden – und das mediale Echo: von irritierender Zaghaftigkeit und bestürzendem Desinteresse. Warum?

Faktoren, Faktoren, Faktoren

In der Nachrichtenagentur, in der ich einen Sommer lang arbeitete, kam jeden morgen mein Chef vom Dienst rein und rief quer durch den Raum „Was ist heute wichtig?“ Das war der emotionale Startschuss für den Arbeitstag. Wie hungrige Trüffelschweine durchforsteten wir Polizeiberichte, Pressemitteilungen, Pressekonferenz-Termine, immer auf der Suche nach Informationen, die unser Interesse weckten. „Was ist heute wichtig?“, eine ganz grundsätzliche Frage, die beantwortet werden muss, wenn man ergründen möchte, was eine Meldung überhaupt erst zu einer Meldung macht.

Kommunikationswissenschaftlich, und interdisziplinär betrachtet auch kognitionspsychologisch, geht man davon aus, dass „Nachrichtenfaktoren“ bestimmen, ob ein Sachverhalt publizistische Relevanz hat. Das sind die Eigenschaften von Ereignissen, die die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit von Journalisten, Lesern, Hörern, Zuschauern bedingen und nehmen Einfluss auf die berichterstatterische Gewichtung.

Manche Nachrichtenfaktoren sind universell gültig, wie zum Beispiel die Eindeutigkeit einer Information, die Wichtigkeit, die Identifikationsmöglichkeit, die emotionale und geographische Nähe zu einem selbst oder die Überraschung. Andere funktionieren in westlichen Nachrichtenlandschaften stärker, wie beispielsweise Elitenbezug, Personalisierung, Negativismus. Je mehr solcher Faktoren eine Ereignis erfüllt, desto nachrichtlich wertvoller wird eine Information, und desto sinnvoller und wichtiger ihre Vermeldung.

Nun erfüllt die Gründung einer paramilitärischen Untergrundorganisation mit terroristischen Zielen und Verbindungen in die deutsche Bundeswehr und zur deutschen Polizei die großen, schweren Nachrichtenfaktoren wie Wichtigkeit, Nähe und Eindeutigkeit. Warum bleibt dieses Thema dennoch unbeachtet?

Man könnte behaupten: Zunächst ist es ein erzählerisches Problem. Bei ein- bis mehrjährigen Recherchen fehlen Dynamik und Spannungsbögen, die für Vermittlung der Nachricht wichtig sind. Durch die Präsentation der Rechercheergebnisse scheint die Geschichte schon abgeschlossen. Bereits zu Beginn des Stücks bekommt man als Rezipient den Ausgang der Story zu lesen. Das Geschehene entfaltet sich nicht vor den Augen der Öffentlichkeit, es gibt kein aktuelles, akutes Ereignis, keine Explosion, sondern ein langfristiges Schwelen. Das ist der Unterschied zwischen: „Du, letztes Jahr hat der Nachbar unter uns jemanden erschossen“ und „Du, unser Nachbar hat gestern jemanden erschossen“. Man konnte das auf ernüchternde Art beim „Cum Ex“-Skandal und den Panama-, Paradise- und Phantom-Papers gut beobachten: die Überraschtheit und das Interesse daran, wie es denn jetzt weitergeht, blieb aus. Da gab es ein größeres Echo auf die Uhr von Sawsan Chebli als auf den Diebstahl von Steuer-Milliarden.

Hinzu kam: Der fiskale Betrug war in seiner astronomischen Größe auch durch seine Abstraktion und Komplexität so geschmeidig zusammenfassbar wie ein Werk von Ayn Rand; ein Problem, das auch bei „Hannibal“ Journalisten daran gehindert zu haben scheint, die Sache weiter erzählen zu wollen oder zu können. Es gibt keine konkreten Gesichter zur Geschichte, die zu Emotionalisierung oder Identifikation beitragen könnten. Kein Einzelschicksal, welches vor der Gefahr, die von dem Terrornetzwerk ausgeht, warnen und dem eigenen Unbehagen eine Stimme der Betroffenheit verleihen könnte.

Vielleicht sind rechtsterroristische Ziele in ihrer Vagheit auch eine zu schwer greifbare Angelegenheit, eine zu anonyme Masse. Irgendwelche Ausländer, irgendwelche Flüchtlingsheime, irgendwelche anderen Menschen. Wie nah einem konkrete Schicksale gehen, konnte man beobachten, als die zwölf thailändischen Jungs in den Taucherhöhlen eingeschlossen waren und ihre Befreiung berechtigterweise für eine große mediale Anteilnahme sorgte. Wir fieberten alle mit jedem einzelnen dieser zwölf Jugendlichen mit. Wir wollten so sehr, dass sie überleben. Die 85000 Tausend Kinder unter fünf Jahren hingegen, die in Jemen aufgrund des Krieges verhungerten, rutschten durch das Netz der Berichterstattung und Betroffenheit.

Alternative Faktoren

Und vielleicht liegt es gar nicht an den Nachrichtenfaktoren. Der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen hält die Nachrichtenwerttheorie für überholt und bietet in seinem Konzept der Medialisierung und in seiner Ergründung der Medienlogik einen anderen Ansatz an, um herauszufinden, warum manche Meldungen Beachtung finden und andere nicht:

„Medienlogik: Das ist die Grammatik der Medienkommunikation. Welche Themen werden ausgewählt, wie wird das Material zusammengestellt, in welchem Stil wird es präsentiert, was wird betont und was eher nicht? Das klingt ganz ähnlich wie Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert, geht aber nicht vom Ereignis aus, sondern von den Konstrukteuren. Für das Konzept Medienlogik brauche ich keine Merkmale irgendeiner Realität. Ich muss nur wissen, wie ich maximale Aufmerksamkeit erziele. Der Konstrukteur und nicht die Realität: Diese Perspektive erlaubt Journalismuskritik. Sie erlaubt uns zu fragen, ob das, was die Medien liefern, tatsächlich das ist, was wir von ihnen erwarten und wofür wir sie zum Teil teuer bezahlen.

Das ist insofern spannend, weil es unseren Fokus auf die Boten der Nachricht legt: Warum haben die Konstrukteure sich in den Parametern der Medienlogik dagegen entschieden, das Thema „Terrorzellen der Bundeswehr“ journalistisch zu „medialisieren“?

Die Sendung „Breitband“ von Deutschlandfunk Kultur hat für ihren sehr hörenswerten Beitrag „Hart aber fair“-Redakteur Markus Zeidler genau das gefragt. Seine Antwort:

„Erstens treten Akteure bei uns am Panel grundsätzlich offen auf. Zweitens setzen wir auf den Austausch kontroverser Meinung. In der Bewertung der recherchierten Vorgänge dürften sich jedoch alle demokratischen Player einig sein.“

Das ist die journalistische Herausforderung fernsehtauglicher Erzählung: visuell sichtbare Protagonisten müssen dialektisch über ein Thema streiten können. Unabhängig davon, dass die journalistische Form des „Pro und Contra“ in den letzten Wochen etwas von ihrer aufklärerischen Unschuld eingebüßt hat, gibt es medial etliche, mehrstimmig zu diskutierende Fragen: Wieviel Rechtsextremismus ästelt gerade in die Bundeswehr hinein, oder ist dort schon verwurzelt, und was wird dagegen getan? Wie wird die Sicherheit der Bevölkerung vor einer paramilitärischen Untergrundorganisation gewährleistet? Und was sind nun die gesellschaftspolitischen und exekutiven Konsequenzen?

Und wenn es um Talkshow-Teilnehmer geht: Was macht eigentlich Ursula von der Leyen? Wie wäre es mit Aussteigern der rechtsextremen Szene? KSK-Soldaten außer Dienst? Den MAD-Chef Christof Gramm? Der Heeres-Inspekteur? Ein Polizeisprecher? Oder warum lädt man nicht einfach die Journalisten Christina Schmidt, Martin Kaul und Daniel Schulz ein?

Mein naiver Appell: Liebe Journalisten, Redakteure, Publizisten und Multiplikatoren, mir macht es Angst, dass sich Rechtsextremisten gruppieren, die zudem bei der Bundeswehr arbeiten oder arbeiteten, Infos vom MAD bekommen und Tötungen von Bürgern planen. Bitte geben sie dem Thema eine Form und Bühne, die der Bedeutsamkeit und Dringlichkeit dieser Information gerecht wird. Fragen Sie sich: Was ist heute wichtig?

10 Kommentare

  1. Was müsste man als Rechtsterrorist in diesem Land so tun, um journalistisch stattzufinden?

    Alles nur eine Frage der richtigen Religion…

  2. Sie meinen, über einen rechtsradikalen, bio-deutschen Muslim als Täter würde berichtet werden? Das ist doch viel zu kompliziert.

  3. >Hauptprotagonist ist der Rechtsterrorist André S., der sich selbst „Hannibal“ nennt.

    Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert…

    Allerdings scheint mir die Bezeichnung „Rechtsterrorist“ ohne weitere Qualifikation problematisch, es sei denn es gibt Informationen, die dem taz Bericht nicht zu entnehmen sind.

  4. Terror von rechts? Sowas gibt es hier nicht!
    Erst recht nicht von bio-deutschen, christlichen Bundeswehrsoldaten!
    Weiter gehen, hier gibt es nichts zu sehen!

  5. Warum werden eigentlich nicht mehr Rechtsterroristen (mit Verbindungen zu höchsten Kreisen )in grossen Masstab aktiv,die auch Mähnpauer haben/hätten…
    Weil sie lieber sicher in ihrem kleinen Reich unbehindert und mit Kohle vom BfVs herrschen wollen!
    Diese Macht auskosten wollen und können.
    Ist ein bisschen so wie mit Weltuntergangssekten,die sich auf den Tag des Gerichts (Eintopf? Oder wird gegrillt?) vorbereiten …

  6. Wow. Ich bin zwar Österreicher, aber dass diese Nachricht tatsächlich komplett an mir vorbeigegangen ist, finde ich dennoch schockierend.
    Ebenso, dass solche höchst beunruhigenden Ereignisse von Medien einfach ignoriert werden, bloß weil sie sich nicht fetzig genug vermitteln lassen (plump gesagt).

    Demnach vielen Dank für diese höchst aufschlussreiche Kolumne!

    Das sind die Eigenschaften von Ereignissen, die die Wahrnehmung […] von Journalisten […] bedingen und nehmen Einfluss auf die berichterstatterische Gewichtung.

    Bin mir recht sicher, dass „nehmen“ hier weiter nach hinten rutschen sollte.

  7. es ist tatsächlich zu abstrakt als dass es für die breite Masse interessant wäre.

    Anders wäre es aber, wenn es statt der taz die Bild recherchiert und auf Seite 1 gepackt hätte

    Die taz kann leider keine Welle auslösen

  8. Die Gefahr für uns Deutsche kommt nun mal von draussen, das war schon immer so.
    Früher mal war es die jüdisch-bolschewistische Wall-street-Weltverschwörung (bis vor ca. 5 Jahren)
    Heute konkurrieren Mainstream und Rechtsextreme um die Panikglocke mit den Konzepten:
    – Islamisierung des Abendlandes mit großem Volksaustausch vs.
    – Der Russe -in Gestalt des Terrorzar-Diktatoren Putin- steht vor der Tür, plant konkret und zeitnah den Einmarsch in weite Teile Europas um uns zu vernichten und erobern.

    Mit so Kleinigkeiten wie Nazinetzwerken in Militär und Sicherheitsdiensten kann man nur ein paar hängengebliebene Gutmenschen erschrecken. Und wohl auch nicht viel deutschen Leser-Traffic erzeugen. Das schätzen die Entscheider wohl richtig ein.

    Und falls deren Umtriebe dann doch drohen, geschäftsschädigend zu werden, wird man diese Amateure auch schnell wieder kontrolliert bekommen, so wie uns das die Mitte-Rechts-Meinungsbildner in den Medien, Parteien und Industrievereinigungen damals mit dem Adolf auch schon beispielhaft vorgemacht haben.

    Mit Merz bewirbt sich ja auch schon ein geeigneter Wiedergänger für die Rolle des von Papen 2.0

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.