Wieso ist das so? (7)

Warum sagen die Politiker am Wahlabend immer wieder dasselbe?

Herr Spreng, was passiert an so einem Wahltag in den Zentralen der Parteien?

Die Politiker erfahren im Laufe des Nachmittags kontinuierlich, wie die Nachwahlbefragungen stehen. Sie können sich also auf das Ergebnis im Großen und Ganzen schon vorbereiten.

Und man trifft sich dann in offiziellen Gremiensitzungen?

Nein, meist im kleinen Kreis. Oder man steht per Handy untereinander in Kontakt, das ist unterschiedlich.

Sind da Berater, Wahlkampfmanager, Agenturleute mit dabei?

Die sind noch beteiligt, denn die haben den ganzen Wahlkampf mitgemacht und sind dann auch bei diesen Treffen kurz vor der Schließung der Wahllokale dabei.

Und dann ist das erste Thema: Was sagen wir jetzt gleich, wenn wir da rausgehen und uns vor die Kameras und Mikrofone stellen?

So ist es. Wenn sich der erste Schock gelegt hat, wird überlegt, Schadensbegrenzung zu betreiben. Ich spreche jetzt von Wahlniederlagen – Siege zu verkaufen ist ja kein Problem. Dann wird über eine Sprachregelung diskutiert: Was sagen wir jetzt? Wie können wir aus der Niederlage eine kleinere Niederlage oder sogar einen halben Sieg, wie man bei der Bayern-Wahl exemplarisch gesehen hat. Es entwickelt sich eine Diskussion, und in dieser Diskussion werden Argumente ausgetauscht – in diesem Fall eher Parolen. Da gab es verschiedene, die sich durch den ganzen Wahlabend gezogen haben.

Das eine war das immerwährende Versprechen, es werde eine tiefgreifende Analyse angestellt. Analyse ist immer gut, denn Analyse heißt: Wir können die Suche nach den Schuldigen aufschieben. Häufig verbirgt sich dahinter auch der Wunsch, überhaupt nicht über die Ursachen zu sprechen. Denn wenn man die Ursachen ehrlich erörtert, könnte das zu Konsequenzen für die Verantwortlichen führen.

Die Formulierung mit den notwendigen Analysen ist ja auch ein Klassiker der Nachwahl-Formulierungen.

So war es auch bei der Bundestagswahl bei CDU und CSU, und in beiden Parteien hat es bis heute keine Analyse der Bundestagswahl gegeben. Daran kann man sehen: Das dient ausschließlich dazu, die Schuldigen vor Konsequenzen zu bewahren und das auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben.

Aus Sicht der Politiker muss man aber auch sagen: Es ist schon eine Zumutung von Journalisten, dass sie am liebsten schon um 18 Uhr nach der ersten Prognose ultimativ wissen wollen, wer jetzt zurücktreten und was passieren muss.

Ja. Politiker brauchen auch Zeit, um sich und die Partei zu sortieren. Um miteinander zu reden, was die Konsequenzen sind. Es ist ja heute so ähnlich wie beim Fußball: Da kommt einer verschwitzt vom Platz und wird eine Sekunde später gefragt, warum er den Pass so oder so gespielt hat. Die Politik-Reporter ähneln da immer mehr den Sport-Reportern.

Das wahrscheinlich meistgebrauchte Wort des Abends der Bayernwahl war bei der CSU: Stabilität.

Das war schon der Slogan der Schlussphase des Wahlkampfes. Und Stabilität ist in den Augen der CSU: keine Koalition mit den Grünen. Nicht umsonst hat Söder noch am Wahlabend das Ergebnis der Freien Wähler fast der CSU zugerechnet und daraus einen Sieg der bürgerlichen Parteien gemacht. Das war die zweite Absicht, die damit verbunden war: Das ist ja Fleisch von unserem Fleische, das heißt, die Niederlage ist gar nicht so groß, sondern das ist im Grunde in der großen Familie geblieben.

In der Schlussphase des Wahlkampfes die Wähler mit dem Versprechen „Stabilität“ zu ködern, ist ja das eine. Aber nach der Wahl zu sagen: „Die Leute wollen Stabilität“, wenn die einem gerade eine heftige Klatsche verpasst haben, ist schon frech.

Das dient dazu, die eigenen Reihen zu schließen. Dass erstmal Ruhe ist, bis die Regierung gebildet ist. In Verbindung mit der ewig wiederholten Formulierung, erstmal eine „Analyse“ zu machen. Das dritte Argument von Söder und seinen Leuten am Wahltag war: Er war ja erst sechs Monate im Amt. Das soll heißen, es ist keine Niederlage von Söder, denn die Leute konnten ihn ja noch gar nicht richtig kennen lernen als Ministerpräsident. So sollte die direkte Verantwortung von ihm abgelenkt werden.

Werden solche Sprachregelungen wirklich ganz konkret abgesprochen: Das ist unsere Botschaft heute Abend? Oder wissen eh alle, was zu tun ist?

Ich glaube, den Begriff „Stabilität“ musste man nicht neu absprechen, das war noch in allen Köpfen vom Wahlkampf. Ich war auch nicht dabei und kann nur mutmaßen. Aber normalerweise werden die zentralen Botschaften schon abgesprochen und vom Generalsekretär per SMS an die wichtigsten Funktionsträger verbreitet, damit es eine gemeinsame Sprachregelung gibt.

Wir machen uns lustig, wie oft dieselbe Formulierung fiel, aber es geht vermutlich darum, dass der normale Wähler, der nicht stundenlang zwischen den Kanälen hin- und herzappt, die Botschaft einmal gehört hat, richtig?

Da gilt der alte Satz: Erst wenn den Journalisten eine Botschaft zum Halse raushängt, ist sie bei den Wählern angekommen.

Gibt es trotzdem einen Punkt, an dem die penetrante Wiederholung von Schlagworten kontraproduktiv werden kann, weil der Wähler das merkt?

Nach einer Wahl geht es erst einmal darum, die weitere Regierung zu sichern, das sehen auch die Wähler so. Das ist ja der Hauptzweck bürgerlicher Parteien: zu regieren. Insofern glaub ich nicht, das die eigene Klientel davon abgestoßen wird.

Wenn das alles so sehr ein Ritual ist, kann man es nicht auch lassen? Ist das vielleicht letztlich völlig egal, was Politiker bei diesen Gelegenheiten sagen, weil sie nur sagen, was sie glauben, sagen zu müssen?

Es ist ein Schauspiel, und viele Fernsehzuschauer durchschauen das Schauspiel. Ich glaube, die meisten haben inzwischen kapiert, dass der Verweis auf die „Analyse“ in Wirklichkeit eine Verschiebung der Ursachenforschung ist, in Wahrheit sogar eine Beerdigung. Das spricht sich immer mehr rum. Die Parteien müssen acht geben, dass sie es mit solchen Botschaften nicht übertreiben, da tritt ein Abnutzungseffekt ein.

Wäre das die Chance für jemanden, am Wahlabend ganz anders zu kommunizieren?

Ja, wobei es am Wahlabend um die Machtsicherung geht: Wer behält seinen Job, wer verliert ihn möglicherweise. Da sind natürlich alle Verantwortlichen interessiert, so schnell wie möglich ihre Macht abzusichern. Und haben kein Interesse, da jetzt noch längere Diskussionen zu führen.

Das heißt, die ritualisierten Sätze sind weniger eine Botschaft an das Publikum draußen …

… sondern an die Gremien, die Fraktion.

Welche anderen Sprachregelungen sind Ihnen aufgefallen?

Die meistverschlissene Vokabel zur Zeit ist aktuell ja das Wort „Sacharbeit“: „Wir wollen zur Sacharbeit zurückkehren.“ Das ist auch so eine Formel, mit der man hofft, die Wähler zu beruhigen.

Das überzeugt aber auch niemanden mehr, oder?

Nein, da gibt es einen starken Abnutzungseffekt.

Wie war das 2002, als Sie ganz nah dran waren, als Wahlkampfberater des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber?

Da war es ja so, dass Stoiber sich aufgrund einer Umfrage schon zum Sieger ausgerufen hatte – daran war ich allerdings nicht beteiligt. Stoiber und Teile der CDU/CSU gingen davon aus, das kann noch was werden. Ich weiß noch, dass Stoiber, bevor er vor die Presse gegangen ist, unbedingt mit Westerwelle sprechen wollte, um das festzuzurren. Es hatte aber keiner die Telefonnummer von Westerwelle. Ich hatte aber die von Hermann Otto Solms und hab gesagt, ich ruf mal den Solms an, der wird am Wahlabend neben Westerwelle stehen, und so war es dann auch. So konnte dann Stoiber über mein Handy mit Westerwelle sprechen. Also, da ging es weniger um Erklärungen für eine Niederlage, weil ja alle dachten, es gibt keine Niederlage.

Was erwarten Sie, was wir am Wahlabend in Hessen in Dauerschleife hören werden?

Das ist schwer zu sagen. Die SPD wird bei ihrer Sprachregelung bleiben, dass die Union mit ihrem Streit schuld ist an allem. Bei der CDU hängt es davon ab, ob Bouffier weiter regiert. Das ist völlig offen. Was aber diesmal ausfällt ist der Satz, dass Berlin Schuld ist. Bouffier hat den Schulterschluss mit Merkel früh vollzogen und ist kein Jota von ihr abgewichen. Er kann eine Niederlage nicht auf die Bundespolitik schieben. Und Frau Merkel hat kurz vor der Wahl schon eine Sprachregelung für den Fall der Niederlage ausgegeben, als sie sagte: „Es kann nicht jede Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl stilisiert werden.“ Damit will sie der zu erwartenden Schuldzuweisung an ihre Adresse und der Forderung nach persönlichen Konsequenzen zuvorkommen.

4 Kommentare

  1. Bei diesen „Analysen“ kommt merkwürdigerweise auch immer das Gleiche heraus. Nämlich das die bis zur völligen Erschöpfung wahlkämpfenden Politiker es leider nicht überall geschafft haben ihre hehren, großartigen Ziele dem tumben Wahlvolk zu vermitteln. Schuld ist daher der bedauerlicherweise nicht vollständig informierte Wähler und natürlich nicht (ha-ha) der edle Politiker. Logisch!

  2. #1 Nun, während andere analysieren, drücken Sie diesen nur Ihre (im Übrigen durch nicht einen Satz unterfütterten) Vorurteile auf. Und gerade bei der Hessen-Wahl ist das Ergebnis nicht nachvollziehbar. Ich lebe in Frankfurt am Main. Hessen steht wirtschaftlich wirklich sehr gut da. Ja, es gibt Probleme. Aber, bitte, wieso ist es für Wähler bei einer Landtagswahl von Bedeutung, was die Regierung in Berlin tut? Wenn es bei der Wahl der Landesregierung doch um landespolitische Fragen geht! Also mir drängt sich der Verdacht auf, dass viele Wähler möglicherweise tatsächlich nicht verstanden haben, worum es geht.

  3. Dass die SPD mal wieder 4 Jahre lang in Ladesparlamenten ausbadet, was die CDU auf Bundesebene verkackt, war ja absehbar.
    Dass die Basis-Genossen ihren Vorstand nicht für die dritte GroKo in 4 Legislaturperioden belohnen werden, war auch absehbar.

    „Und, treten Sie jetzt zurück, Herr TSG, womöglich in meinem Interview?“
    „Und Herr Bouffier? Übernehmen Sie persönliche Verantwortung?“

  4. Könnte auch daran liegen, dass Journalisten immer dieselben Fragen stellen.
    „Herr Söder, wann geht’s in den Urlaub?“ – „Das muss ausführlich parteiintern analysiert… achso, nach Weihnachten.“

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