Die erste große Geschichte in „Bikers News – Checkpoint der Rocker“ ist ein Paket aus Feature und Experteninterview mit einem Kriminologen über die Kriminalstatistik der Polizei, die als eher willkürliches Werkzeug entlarvt wird, weil sie anhängige Verfahren zählt anstatt tatsächlicher Verurteilungen. Mehr oder weniger Verfahren gegen Rockergruppen1)Oder „rockerähnliche“ Gruppen, was, wie ich gelernt habe, Gangs von Kriminellen sind, die sich anziehen und organisieren wie Rocker, aber keine Motorräder fahren. bedeuten demnach nicht mehr oder weniger begangene Straftaten, sondern erst einmal nur mehr Ermittlungen. Rockergruppen, das ist der Vorwurf, der in den Fragen des Interviews formuliert wird, würden vorurteilsbehaftet von Polizei und Politik kriminalisiert. Der Experte gibt den Interviewern recht: Ja, so ist es.
Auf die Geschichte folgen zwei Seiten Leserbriefe. Eine halbe Seite ist dabei Zuschriften aus dem Gefängnis gewidmet, „Jailmail“, und ein QR-Code auf der Seite führt in den verlagseigenen „Szeneshop“, genauer zu einem Aufnäher „Brotherhood of Outlaws – Jail Mail“ für zehn Euro, inklusive Versand.2)Der „Szeneshop“ mit Klamotten und allem möglichen anderen ist offensichtlich eine wichtige Einnahmequelle des Verlages, bis hin zu der Erwähnung, was der Chefredakteur bei der Fahrt zu einem Festival getragen hat, und dass man es bestellen kann. Natürlich ist das journalistisch arg grenzwertig, aber ich bin ein Fan davon, dass es kleine Verlage und Nischenhefte gibt, und wenn T-Shirt-Verkauf dabei hilft, dann finde ich das richtig.
Es sind gemischte Signale: Der Ruch des Outlaws macht natürlich einen nicht geringen Teil der Aura des Rockerseins aus, und ganz explizit bekennt sich ein Teil der Szene dazu, außerhalb der Regeln von Gesetz und Gesellschaft leben zu wollen: Gemäß der allgemeinen Aussage, 99 Prozent der Mitglieder von Motorradclubs wollten nur Motorradfahren, nennen sie sich „One Percenter“, und es gibt auch für sie einen speziellen Aufnäher auf dem steht „1%“.
Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er ist Redaktionsleiter des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ und geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken und drüber zu schreiben.
Diese Aura mit den Mitteln eines Magazins einfangen zu wollen, das in Teilen den Geist einer Art Verbandsmagazins der Rocker-Interessenvertretung ausstrahlt, ist keine einfache Aufgabe, weil ein paar Widersprüche zu offensichtlich sind.
Ein Großteil der weiteren Briefe in „Bikers News“ beschäftigt sich mit dem offenbar im Vorgängerheft abgedruckten Editorial, in dem eine Art Zustandsbeschreibung den Satz enthalten haben muss:
„Zu sehr sind die Rocker der früheren Generation von dem Erlebnis traumatisiert, dass da eine Szene kampfsporterprobter Migranten heranwächst, die den nunmehr alt gewordenen Rockern das Fürchten lehrt.“
„Bikers News“ hat die Größe, gleich eine Reihe negativer Zuschriften zu diesem als süffisant empfundenen Text abzudrucken, inklusive Abo-Kündigungen, und aus den Briefen spricht Ärger und Trauer, auch wenn man als Außenstehender den Eindruck bekommt, da würden Ärger und Trauer über Entwicklungen in der Szene in dem Heft abgeladen, das diese Entwicklung nur beschreibt. Aber, wie gesagt, das kann ich gar nicht beurteilen. Worum es mir geht, ist etwas anderes.
„Bikers News“ wird offensichtlich durchaus ernst genommen. Und ich muss ehrlich zugeben, ich hätte bis zu dieser Woche nicht einmal ansatzweise geahnt, dass es eine Zeitschrift geben könnte, die von Rockern ernst genommen wird, so wie ich andererseits gedacht hätte, die Kriminalisierung durch die Polizei wäre etwas, das eher als Bestätigung und Aufwertung – als mythenbildend – wahrgenommen würde.3)Bevor ein falscher Eindruck entsteht, vielleicht das noch: Dass ein MC-Mitglied sich nicht explizit als „Outlaw“ bezeichnet, heißt ganz offensichtlich nicht, dass es in dem Club nicht auch ruppig zugeht. Der erste Mensch, der einem in dieser Ausgabe von „Bikers News“ begegnet, ist ein wirklich sympathisch wirkender Mitfünfziger, der gerade von seinem Verein vom „Prospect“ (also Anwärter) zum Vollmitglied aufgewertet wurde. Teil des Aufnahmerituals ist, dass man ihm die „Patches“, seine Clubaufnäher, auf den Rücken getackert hat. Der Mann geht sonst einem bürgerlichen Beruf nach.
Aber da sind wir tief in den Inhalten, die spannend sind, wenn man von weit draußen draufguckt, aber wie bei so vielem ist die Komplexität wahrscheinlich etwas, das man eher emotional durchdringen muss, als dass man hier die Texte analysieren sollte. Und das wiederum ginge nur, indem man da hineinwüchse, da reicht Lesen sicher nicht aus.
Sehr viel weniger komplex ist übrigens die Sache mit den Motorrädern. Die „Bikers News“ sind eher ein Heft über Menschen, die Motorräder fahren als über Motorräder selbst. Die kommen vor, aber anstatt einer langen Reihe von Tests mit Maschinen aller Hersteller ist die Lage überschaubar: Es werden die 2019er-Modelle von Harley Davidson vorgestellt. Es gibt sogar ein Poster mit allen neuen Modellen von Harley Davidson. Und dann noch einen Eigenbau, der aus technischen Gründen als eine BMW eingetragen, aber in Wahrheit natürlich eine Art Harley Davidson ist. Und die Hell’s-Angels-Legende Sonny Barger, der die Titelgeschichte gewidmet ist, wird zitiert mit dem Gedanken, wenn er nicht im Club wäre, könnte er sich auch vorstellen, eine Honda oder BMW zu fahren, aber er sei ja nunmal im Club.
Und es geht um solche Motorradclubs. Die „Clubnachrichten“ in „Bikers News“ sind so etwas wie das heimliche Herz des Heftes, so wie die Sekretärin manchmal die heimliche Herrscherin der Firma ist, unscheinbar aber unersetzlich. Es sind zehn Seiten Schnipsel im Kleinanzeigenformat, in denen die Clubs ihre Termine bekanntgeben, ihre Neuigkeiten, oder überhaupt ihre Existenz.
Am Anfang erklärt die Redaktion, dass sie, weil sie dem Presserecht unterliegt, „Drohungen, Beleidigungen und Aufrufe zur Gewalt“ streicht. Der schönste Teil sind die Neugründungen: „Wir erheben keinerlei Gebietsansprüche […] Bei uns steht das Motorradfahren im Vordergrund.“ Wenn man das liest, wünscht man sich als Leser fast, mal formuliert zu sehen, wie das wohl andersrum aussähe: „Wir sind eine Gruppe aus Bietigheim-Bissingen und beanspruchen Baden-Württemberg und Bayern“ oder „Bei uns steht Motorradfahren im Vordergrund, aber kennt sich vielleicht jemand hier mit der Rotlichtszene aus, wir arbeiten da an was“? Lustig wäre es schon.
Und wo wir bei lustig sind: Die neben dem Sonny-Barger-Porträt längste Geschichte ist eine über das Rennen des „Werner“-Zeichners Brösel auf seinem Eigenbau-Motorrad gegen den Porsche von Porsche-Holgi aus Anlass des 30. Jahrestages des Rennens von Brösel gegen Holgi.
Wie auch die Welt der Rocker, wie wir sie nostalgisch von Ferne spannend finden, sind auch die Protagonisten älter geworden. Hell’s Angel Sonny Barger ist jetzt 80 Jahre alt und von einem knappen Punktsieg über den Krebs gezeichnet, Brösel und Holzig sind um die 70 und „Bikers News“-Gründer und Besitzer Fips schreibt unter dem Label „Back to the Roots“ über die guten alten Zeiten.
Das sorgt dafür, dass ich nostalgisch werde für eine Welt, die ich gar nicht kenne. Und das nehme ich jetzt mal als gutes Zeichen. Denn die „Bikers News“ sind weder ein besonders schönes, noch ein besonders gut geschriebenes Heft, aber was berührt, ist am Ende die Authentizität, die Ehrlichkeit. Und was könnte ehrlicher sein als jemand, der sagt: Ich weiß doch auch nicht genau, was das alles soll und wo die Reise hingeht, aber ich liebe es und möchte nie etwas anderes tun.
Oder „rockerähnliche“ Gruppen, was, wie ich gelernt habe, Gangs von Kriminellen sind, die sich anziehen und organisieren wie Rocker, aber keine Motorräder fahren.
Der „Szeneshop“ mit Klamotten und allem möglichen anderen ist offensichtlich eine wichtige Einnahmequelle des Verlages, bis hin zu der Erwähnung, was der Chefredakteur bei der Fahrt zu einem Festival getragen hat, und dass man es bestellen kann. Natürlich ist das journalistisch arg grenzwertig, aber ich bin ein Fan davon, dass es kleine Verlage und Nischenhefte gibt, und wenn T-Shirt-Verkauf dabei hilft, dann finde ich das richtig.
Bevor ein falscher Eindruck entsteht, vielleicht das noch: Dass ein MC-Mitglied sich nicht explizit als „Outlaw“ bezeichnet, heißt ganz offensichtlich nicht, dass es in dem Club nicht auch ruppig zugeht. Der erste Mensch, der einem in dieser Ausgabe von „Bikers News“ begegnet, ist ein wirklich sympathisch wirkender Mitfünfziger, der gerade von seinem Verein vom „Prospect“ (also Anwärter) zum Vollmitglied aufgewertet wurde. Teil des Aufnahmerituals ist, dass man ihm die „Patches“, seine Clubaufnäher, auf den Rücken getackert hat. Der Mann geht sonst einem bürgerlichen Beruf nach.
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