Redakteurin bei der Regenbogenpresse

„Ich hab keinerlei Gewissensbisse“

Der Knalljournalist ist ein scheues Wesen. In freier Wildbahn trifft man ihn nur selten (höchstens in den Büschen rund um das Anwesen von Michael Schumacher), doch möchte man ihm Fragen stellen, womöglich sogar kritische, igelt er sich schleunigst ein im heimischen Regenbogennest.

Als das „Netzwerk Recherche“ im vergangenen Jahr verschiedene Regenbogenverlage einlud, auf seiner Jahrestagung über Klatschjournalismus zu diskutieren, bekam es wochenlang keine Reaktion. (Teilweise erklärten die Verlage später, die Mails seien im Spamfilter gelandet oder auf unerklärliche Weise verloren gegangen.) Auch auf unsere Interviewanfragen an Verleger, Chefredakteure oder andere Mitarbeiter der Regenbogenpresse werden wir stets vertröstet oder gleich ganz ignoriert.

Es ist also gar nicht so leicht, einen Blick hinter den Vorhang zu erhaschen, ihre Arbeitsweise zu beschreiben und auch mal ihre Sicht der Dinge abzubilden.

Vor Kurzem gab es eine Ausnahme: Da beantwortete bei Reddit eine Redakteurin der Regenbogenpresse in einem spontanen „Ask Me Anything“ Fragen zu ihrer Arbeit. Sie sprach unter anderem darüber, …

… wie sie dort gelandet ist

Nach dem Germanistikstudium habe sie nicht so richtig gewusst, wo sie hinwill, und allemöglichen Bewerbungen rausgeschickt. Daraufhin bot ihr ein Regenbogenverlag ein Volontariat an. Um sich ein Bild zu machen, ging sie zum Probetag – „und es war komplett anders, als ich erwartet hatte“:

Meine Vorstellung waren Frauen im mittleren Alter, die total auf Tratsch getrimmt sind. Aber da waren viele junge Leute in meinem Alter, die Atmosphäre war locker, die Aufgaben abwechslungsreich. Also hab ich zugesagt.

Das sei der übliche Weg; ein abgeschlossenes Studium sei für den Job Voraussetzung. Dann folge ein Volontariat, nach zwei Jahren sei man fertig ausgebildeter Redakteur und bekomme „das magere Einstiegsgehalt für Jungredakteure“. Als Redaktuer wechsele man später häufig das Ressort.

… wie viel in den Artikeln gelogen wird

Sich einfach was auszudenken, sei „ein absolutes No-go“:

Mag sein, dass einige Chefredakteure damit kein Problem hätten, aber so jemand ist mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen. (…) Quellen werden immer genannt, wobei gerade bei den Königshäusern, die über dem Tratsch stehen, auch schon mal ein „Insider“ als Quelle durchgehen kann. Selbst die denken wir uns aber nicht aus. Das kommt meist aus den Kreisen der ausländischen Hofberichterstatter. (…) All meine Promi-Artikel mussten faktisch korrekt sein und vorher von den Medienanwälten abgesegnet werden, ehe es in den Druck ging. (…) Klar, ein gewisses spekulatives Element ist dabei. Wir sind keine Kriegsberichtsreporter oder investigative Journalisten undercover. Aber es wird nicht frei erfunden.

Sie habe zum Beispiel mal einen Artikel über Königin Kronprinzessin Victoria geschrieben, in dem gemutmaßt wurde, sie wäre zum zweiten mal schwanger,

weil sie eine Pigmentstörung im Gesicht hatte, die typisch für den Hormonhaushalt von Schwangeren ist. Hatte dafür mit einem Arzt gesprochen. Ein paar Wochen später kam die offizielle Bestätigung. In der Regel hatten unsere Artikel so eine Basis, auf der man schon Vermutungen anstellen kann.

… ob sie bei solchen Artikeln Gewissensbisse hat

Sie habe im Laufe der Jahre gemerkt, „dass es eine gewisse symbiotische Beziehung zwischen Zeitschrift und Promis gibt“. Generell hätten alle, die in den Zeitschriften vorkommen, auch ein Interesse daran, dort zu erscheinen. „Wer wirklich auf Privatsphäre pocht, kommt nicht vor.“

Klar, viele Stars ächzen gern über die Berichterstattung. Aber die Wahrheit ist, dass sie über die Zeitschriften ihre Fans erreichen und nicht zögen, das als erweiterten Arm ihrer PR-Truppe zu nutzen, wenn es ihnen Vorteile verschafft. Promis, die kürzlich noch per Anwalt gekommen sind, schicken kurz darauf Werbemails für ihr neuestes Buch oder ähnliches an uns. Von daher, nein, ich hab keinerlei Gewissensbisse.

Es sei eine „Win-Win-Situation für alle Beteiligten“: „Die Leser haben Interesse an den Aufs und Abs ihrer Stars. Die Promis haben Interesse, in den Schlagzeilen zu bleiben, um ihre Projekte zu bewerben. Und wir haben Interesse daran, Zeitschriften zu verkaufen.“ Die meisten Prominenten seien hinter den Kulissen „ziemlich kooperativ“, besonders, wenn sie etwas zu bewerben hätten: „Kommt ein neuer Film, ein Album oder ein anderes Projekt heraus? Dann haben wir plötzlich E-Mails im Postfach, in denen XY private Details aus seiner Ehe verrät. Oder YZ zeigt sich ganz zufällig gut sichtbar bei irgendeiner Veranstaltung mit einem neuen Partner.“

… Klatsch und Tratsch im Allgemeinen

Über andere zu tratschen, sei „ein fester Baustein der Gesellschaft“:

Im privaten Bereich stärkt man so Bindungen. Jeder, der sagt, er lästert nie, lügt entweder oder macht sich etwas vor. Meine Theorie ist, dass Klatsch über Prominente ein Ventil ist für viele Menschen. Guck mal, die führen so tolle Leben, aber hinter der Fassade sind sie auch nicht besser als wir. Gut möglich, dass unsere Geschichten auch manchmal als Ersatzbefriedigung herangezogen werden. In Ermangelung eines großen Freundeskreises, mit und über den man lästern kann, halten Berühmtheiten her. Gerade die ältere Leserschaft hat ja oft mit Vereinsamung zu kämpfen. Da stirbt der Familien- und Freundeskreis mit der Zeit weg. Wir kriegen ständig Leserbriefe von älteren, kommunikationsunterversorgten Menschen. Plus, der Unterhaltungsfaktor natürlich. Dann wird die Zeitschrift weitergereicht und man unterhält sich über die Themen. Das Feld bietet eigentlich einige spannende Forschungsansätze, aber weil viele meinen, darüber zu stehen, wird es halt meist nur belächelt.

Ohnehin plädiert sie dafür, sich nicht über die Leserschaft lustig zu machen:

Ist das nicht auch einfach ein Abwärtsvergleich, der unser Ego streicheln soll? So wie andere sich über die Schwiegertöchter bei RTL amüsieren, lachen wir über die Freizeit-der-Frau-Woche-Revue-Leser und fühlen uns intellektuell überlegen. Nachdem wir gerade aus dem 27. Teil des Marvel Cinematic Universe gekommen sind, den die Oma vom Zeitschriftenregal auch nicht von der vorherigen Ausgabe unterscheiden könnte. Das sind einfach andere Lebenswelten und andere Generationen. Man sollte sich nicht verleiten lassen, sich allzu überlegen zu fühlen.

Das komplette „Ask Me Anything“ mit den ausführlichen Antworten der Redakteurin finden Sie hier. Es liefert ein paar interessante Einblicke, auch wenn sich einige ihrer Aussagen nicht mit unseren Beobachtungen der letzten Jahre decken (zum Beispiel dass nichts frei erfunden werde oder dass diejenigen, die auf ihre Privatsphäre pochen, nicht in den Blättern vorkämen). Wir hätten da gerne mal nachgehakt, doch zu einem Interview mit uns war sie nicht bereit.

4 Kommentare

  1. Bleibt dabei, ob Leser oder Gericht oder eben hier Reddit: für diese Menschen ist Mist erzählen das täglich Brot.
    „Wer wirklich auf Privatsphäre pocht, kommt nicht vor.“ Yo!

    Und Glückwunsch, dass sie bei der Schwangerschaft auch mal nen Zufallstreffer gelandet hat…

  2. Ihre insgesamtes Reddit-Backlog liest sich auch ganz interessant, wenngleich nicht überraschend. Gibt zuviel von sich selbst preis um wirklich verhindern zu wollen (oder zu können) dass ihre echte Identität extrapoliert werden könnte. Operiert sehr sehr weitgehend nach den Prinzipien von „gefühlter Wahrheit“ und macht sich damit ihre Welt widiwidiwie sie ihr gefällt. Hat Probleme mit der Anwendung von Selbstreflexion, Rationalität und Objektivität. Ist augenscheinlich der Ansicht, dass eine Meinung zu haben gleichbedeutend damit ist dass diese Meinung richtig sei. Scheint komplett blind und taub zu sein gegenüber den alltäglichen Fehlleistungen und grassierenden Problematiken von Boulevard-„Journalismus“ und Yellow Press, und wie diese Ärger und Leid bei Menschen verursachen und sich negativ auf die Gesellschaft als Ganzes auswirken. Dass man mit einem Charakterprofil und einer Geisteshaltung dieser Art dann viele Jahre in dieser Branche arbeitet, überrascht dann auch nicht wirklich. Vermutlich kann sie sich sogar noch im Spiegel ins Gesicht schauen.

  3. Ich glaube aber, auch in der Regenbogenpresse heißt der Beruf „Redakteur“, nicht „Redaktuer“, oder? „Was tust Du da?“ – „Na, Redak halt.“
    Und ich behaupte mal, dass manche Promis „nicht zögern“ statt „nicht zögen“.

  4. Na ja, es ist kein Win-Win-Win sondern ein Win-Win-Win-Loose, denn auch wenn Verlag, Promi und Fans da einen symbiotischen Kreis bilden, ist es schon schade um die Bäume, die für das Papier drauf gehen. (Und auch den sonstigen ökologischen Fußabdruck.)

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