Österreichische Medienenquete

Von Steigbügelhaltern und Schuhlöffeln

Wissen Sie, was unbotmäßig bedeutet? Mit Bots hat das jedenfalls nichts zu tun, sondern mit Dienstboten. Laut Duden beschreibt der veraltete Ausdruck ein Verhalten, das dem widerspricht, was „von der Obrigkeit gefordert wird“. Als solches empfindet Norbert Steger von der rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) die Fragen des ORF-Moderators Armin Wolf an Regierungsvertreter. Die Arbeit des Ungarn-Korrespondenten des Senders missfällt ihm ebenso, weshalb er laut darüber nachdenkt, ein Drittel der Korrespondentenbüros der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt schließen zu lassen.

Steger war in den 1980er Jahren österreichischer Vizekanzler. Heute vertritt er die FPÖ im Stiftungsrat des ORF, der den Sender kontrolliert. Die Kollegen von der konservativen ÖVP, die mit der FPÖ regiert, stöhnten über die Äußerungen Stegners. Sie wählten ihn dennoch kurz darauf zum Vorsitzenden des Gremiums. Frisch gewählt gab er der „ZiB2“, dem Nachrichtenmagazin des ORF-Fernsehens, gut gelaunt ein Interview: Schauen Sie, es wirkt schon! Der Wolf schaut nicht mehr so bös, wenn wer von der FPÖ kommt.

Steger nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Stiftungsrates. Screenshot: ORF

Was ist da los mit den Medien in Österreich? Eigentlich dasselbe wie anderswo in Europa. Die kalifornischen Tech-Giganten ziehen die Werbeerlöse und die Aufmerksamkeit des Publikums ab, die Digital-Erlöse können die Verluste nicht annähernd ausgleichen, der Ruf nach mehr staatlicher Hilfe wird (noch) lauter, es tobt eine Debatte um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien.

Zusätzlich kämpft die Branche in Österreich noch damit, dass der eigene Markt so klein ist und diesen großen Nachbarn Deutschland hat, mit dem ihn die Sprache verbindet. Alleine ProSieben kam im Vorjahr in Österreich in der Zielgruppe der 12- bis 49-Jährigen auf einen Marktanteil von 8,4 Prozent. Das ist weit mehr als der stärkste in Wien produzierende Privatsender für sich verbuchen kann, Puls4 – der ohnehin zur selben deutschen Gruppe gehört.

Seit dem Antritt der ÖVP/FPÖ-Koalition Ende vergangenen Jahres ist die Gereiztheit gestiegen. Das Verhältnis von FPÖ zum Journalismus verdeutlichte der verstorbene Parteichef Jörg Haider 1993 mit dem Satz: „Wenn ich etwas zu reden habe, wird in den Redaktionsstuben weniger gelogen.“

Im Wahlkampf hatte die FPÖ versprochen, die ORF-Gebühren abzuschaffen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – wie nun auch in Dänemark – aus dem Staatsbudget zu finanzieren. Die ÖVP hält sich bei dieser Frage bedeckt, aber es trug nicht zur Beruhigung bei, als der nunmehrige Medienminister Gernot Blümel im Wahlkampf erzählte, er bezahle nur die Radio-Gebühr, da er keinen TV-Apparat besitze. (Eine geräteunabhängige Haushaltsabgabe wie in Deutschland ist in Österreich vorerst vom Tisch.)

Eine Milliarde Euro Preisgeld

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz strukturierte jedenfalls kurz nach der Kür Stegers zum Stiftungsratsvorsitzenden die TV-Nachrichtenredaktion um, ersetzte den Chefredakteur durch zwei seiner Mitarbeiter, die nur sehr geringe Führungserfahrung vorweisen können, und gab im Medienmagazin des Radiosenders Ö1 zu, dass die Jobbeschreibung auch gewisse Fähigkeiten im Lobbying beinhaltet hätte.

Was die Regierung tatsächlich plant, vielleicht niedrigere ORF-Gebühren als Kompromiss – man weiß es nicht. Es hieß: Erst warten wir eine Arbeitstagung ab, die so genannte Medienenquete, dann schauen wir mal. Eine Vorgabe machte Blümel der Branche dann aber doch: Ab sofort wird zusammengearbeitet! Der ORF solle den privaten Medienhäusern dabei „Steigbügelhalter“ und „Schuhlöffel“ sein.

Diese Woche ist es nun so weit. Am Donnerstag und Freitag versammelt sich die Branche im Wiener Museumsquartier. Das Spielfeld wird durch die Keynotes abgesteckt: Es sprechen Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner, EU-Kommissarin Vera Jourova und Gerhard Zeiler.

Zeiler war mal ORF-Generalintendant, dann RTL-Boss, heute ist er Präsident von Turner Broadcasting System International. Zeiler ist Sozialdemokrat und gab schon mehrmals öffentlich zu erkennen, dass er seinen Parteifreund Wrabetz nicht für die beste Besetzung der ORF-Sitze halte, obwohl sich dieser dort länger durchgehend hält als jeder seiner Vorgänger. Zusätzlich muss man wissen, dass Zeiler vor zwei Jahren für das Amt des Bundeskanzlers nach Wien zurückgekehrt wäre, die SPÖ jedoch den Bahnmanager Christian Kern vorzog. Dieser verlor die Wahl gegen Sebastian Kurz – und da stehen wir nun.

Das Preisgeld in diesem Match beträgt insgesamt eine Milliarde Euro: Mit so viel Steuer- und Abgabengeld düngen die Regierenden jährlich den Medienstandort. Neben dem Löwenanteil von rund 640 Millionen, die an den ORF gehen, profitieren viele Zeitungsmarken von einer großzügigen Inseratenpolitik in Bund und Ländern. Die spendenfinanzierte Rechercheredaktion „Dossier“ rechnete aus, dass die österreichische Bundesregierung 2017 – damals noch rot-schwarz – im Vergleich zur deutschen, gemessen an der Einwohnerzahl der beiden Länder, 11,5 Mal so viel für Anzeigen ausgab.

Die Spieler

Drei Blöcke und eine Gruppe von starken Einzelkämpfern spielen in diesem Match mit:

Platzhirsch ist immer noch der ORF. Angesichts der Enquete ist er – ein halbes Jahr nach der Abstimmung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Schweiz – endlich aufgewacht und wirbt für seine Position. Bundesweites Privatfernsehen gibt es in Österreich erst seit 15 Jahren, da hatten die deutschen Sender den Markt längst besetzt.

Daher ist der ORF (mit dem Popsender Ö3 auch im Radio) immer noch Marktführer. Dass man kein Monopol auf Bewegtbild mehr hat, kam im ORF erst in den letzten Jahren langsam an. Gleichzeitig leidet die Sendergruppe unter zahlreichen Beschränkungen im Digitalen: Der ORF darf seine Sendungen etwa nicht wie „Funk“, das Jugendangebot von ARD und ZDF, via Youtube an junge Zielgruppen bringen, sondern nur dann online stellen, wenn sie zuvor im linearen Programm gelaufen sind, und auch dies nur sieben Tage lang.

Zwei der drei Privat-TV-Stationen, die oberhalb der Wahrnehmungsschwelle senden, gehören zur ProSiebenSat1-Gruppe. Der dritte, ServusTV, der durchaus anspruchsvolles Kultur-, Heimat- Sport- und Politik-Programm bietet, ist so etwas wie das Luxushobby von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz, das er jeden Tag abdrehen könnte, wenn es ihn nicht mehr freut – was er 2016 tatsächlich bereits einmal angekündigt hatte.

In der öffentlichen Debatte nehmen die beiden ProSieben-Sender, Puls4 und ATV, jedoch weit mehr Raum ein, als ihre Reichweite hergibt. Das verdanken sie ihrem Geschäftsführer Markus Breitenecker, einer energiegeladenen Marketingmaschine im Hoodie. Wenige Tage vor der Enquete brachte Breitenecker gemeinsam mit seiner Informations-Chefin Corinna Milborn ein Buch heraus, in dem sie auf 200 Seiten zusammenfassen, warum Facebook & Co. Medien seien und daher auch als solche zu behandeln. Auf weiteren 100 Seiten erheben sie allerlei medien- und wirtschaftspolitische Forderungen an die österreichischen Politiker und die EU, bis hin zur Schaffung einer europäischen Social-Media-Plattform.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Verlegerverband VÖZ, dem die wichtigsten Wiener Qualitätszeitungen und etliche – noch immer profitable – Regionalzeitungen angehören. In der Vergangenheit waren einzelne Verleger so mächtig, dass sie sogar rechtliche Absurditäten erzwingen konnten: So ist es Zeitungen verboten, im ORF mit ihren Inhalten zu werben, also etwa ihren Schlagzeilen. Sie dürfen nur ihre Blattlinie thematisieren und abstrakte Imagewerbung schalten. Der Grund dafür war, dass für die Regionalzeitungen im Gegensatz zu der auch heute noch dominanten „Kronen-Zeitung“ bundesweites Marketing sinnlos war.

Die „Kronen-Zeitung“ ist zwar auch VÖZ-Mitglied, aber zugleich eine Machtbastion für sich. Sie erreicht mit ihrer Print-Ausgabe immer noch knapp 30 Prozent der Österreicher. Dank einer Strategie, die nutzt, dass der Facebook-Algorithmus auf negative Emotionen anspringt, und einer für beide Seiten Traffic-bringenden Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, macht die „Kronen Zeitung“ heute auch im Digitalen ordentlich Quote.

50 Prozent der „Krone“ gehören zur Funke-Gruppe, die zudem fast 50 Prozent an der bürgerlichen Tageszeitung „Kurier“ hält, die wiederum am größten Magazinverlag des Landes beteiligt ist. Die anderen 50 Prozent der „Krone“ sind in der Hand der Familie Dichand. Als Geschäftsführer und Chefredakteur fungiert Christoph Dichand.

Seine Ehefrau, Eva Dichand, gibt wiederum die erfolgreiche U-Bahnzeitung „Heute“ heraus. (Hier sind keine Deutschen beteiligt, sondern Schweizer, und zwar der Tamedia-Konzern.) Das bedeutet, 44 Prozent der Wienerinnen und Wiener greifen täglich zu mindestens einem Kleinformat aus dem Hause Dichand. Die zweite Familie, die den Wiener Boulevardmarkt aufmischt, das sind die Fellners, neben der Gratiszeitung namens „Österreich“ bauen sie gerade einen TV-Sender auf.

Cooperation first

Alle sagen nun, dem Wunsch des Medienministers nachkommen zu wollen: Cooperation first! Wie diese neue Zusammenarbeit konkret aussehen könnte, das bleibt vage: Dem ORF schwebt vor, nach dem Vorbild der BBC einen ORF-Player zu entwickeln, um diesen dann später zu einem Österreich-Portal auszubauen, das auch den Privaten Traffic bringen könnte.

Für eine gemeinsame Vermarktungsplattform zeigt man sich auch offen – aber nur, wenn im Gegenzug alle Beschränkungen im Digitalen fallen. Das will der Verband der Privatsender verhindern. Er fordert obendrein, dass der ORF künftig aus Steuermitteln finanziert wird. Außerdem reklamieren die Privaten die Umleitung eines schönen Anteils der ORF-Beiträge in Fördertöpfe, in die alle Anbieter von Public-Value-Content greifen können – eine Idee, die natürlich auch den Verlegern gefällt.

Ein für die Bundesregierung angenehmer Nebeneffekt der Medienenquete ist jedenfalls bereits eingetreten: Die Medienmacher beschäftigten sich derzeit nicht mit der Kontrolle der Politik, sondern mit sich selbst.

3 Kommentare

  1. Zitat: „Was ist da los mit den Medien in Österreich? Eigentlich dasselbe wie anderswo in Europa. Die kalifornischen Tech-Giganten ziehen die Werbeerlöse und die Aufmerksamkeit des Publikums ab, die Digital-Erlöse können die Verluste nicht annähernd ausgleichen…“

    Immer wieder der Versuch, den „Tech-Giganten“ Schuld zuzuweisen. Man liest das so oft dass man es glauben könnte. Wer aber schon gelebt hat, als es noch kein Internet gab, könnte sich erinnern, dass die Auflagen schon zu internetfreien Zeiten konsequent zurückgingen. Ich erinnere mich an Zeitungsartikel Mitte der 90er, in denen die zurückliegende Auflagenentwicklung extrapoliert wurde und in denen vorhergesagt wurde, was mit den Auflagen passieren würde wenn sich der Trend nicht ändert. Und der Trend hatte sich – wenn ich mich richtig erinnere – seit den 80ern nicht geändert. Vgl. dazu https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72084/umfrage/verkaufte-auflage-von-tageszeitungen-in-deutschland/
    Man sieht wie die Auflage bereits „vor dem Internet“ zurück ging. Die Ankunft des Internet scheint auf den Trend keine Auswirkung zu haben. Sonst müsste der Schwund bis Ende der 90er minimal sein (kein Internet), dann einige Jahre extrem (langsam nutzt jeder das Internet und die meisten wissen wie man dort Infos findet), und sich dann wieder enorm verflachen (in den letzten Jahren gab es bei den Internet-News keine signifikanten neuen Entwicklungen, die einen weiteren Rückgang begründen würden).
    Wer also den „Tech-Giganten“ die Schuld zuschieben möchte, müsste dies fundieren, anstatt es einfach immer wieder und immer wieder zu behaupten.

  2. Ein „Schuld zuschieben“ findet aber überhaupt nicht statt. Es werden Veränderungen von Erlösströmen benannt, die in keinem Widerspruch zu den Entwicklungen stehen, die Sie nennen. Die Veränderungen sind nicht monokausal.

  3. Hallo Herr/Frau Wolf,

    Zitat: „Was ist da los mit den Medien in Österreich? Eigentlich dasselbe wie anderswo in Europa. Die kalifornischen Tech-Giganten ziehen die Werbeerlöse und die Aufmerksamkeit des Publikums ab, die Digital-Erlöse können die Verluste nicht annähernd ausgleichen…“

    Diese Darstellung ist monokausal, denn die „Tech-Giganten“ werden als einzige Ursache der veränderten Erlösströme benannt.
    Der langfristige Trend des Auflagenschwunds – lange vor dem Internet begonnen – steht dazu im Widerspruch. Er legt nahe, dass nachkommende Generationen traditionelle Medien (in diesem Falle Zeitungen) immer weniger konsumieren wollen – ob mit Tech-Giganten oder ohne. Was halten Sie von dieser Beschreibung: „Da traditionelle Medien immer größere Bevölkerungsgruppen nicht mehr erreichen, mussten sich Werbetreibende anderweitig umsehen und wurden bei neuen Technologien fündig, wie sie von amerikanischen Tech-Giganten angeboten werden“. Hier wäre die Schuldzuschreibung eine andere.

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