Mehr zu Medien in Stralsund
Journalismus, wie er den Regierenden gefällt: Die ZAS, die CDU und ein abgesprochenes „Neujahrsgespräch“ mit dem Oberbürgermeister im örtlichen TV-Sender, das von der Medienanstalt gerügt wurde.
Vor einer Woche war Leif-Erik Holm im Grünthaler Krug zu Gast, einer Gaststätte in Stralsund, in der es mittags Paprikaschote mit Salzkartoffeln für drei Euro gab und abends dann eine politische Rede. Rund 50 Leute sollen da gewesen sein, um zu hören, was der AfD-Bundestagsabgeordnete Holm zu sagen hat, und wenn man nach dem Artikel einer Stralsunder Lokalzeitung geht, war es ein für alle rundum gelungener Abend, dieser „Bürgerdialog der AfD“.
Gut, das ist jetzt nicht ganz neutral, denn der Text zum angenehmen AfD-Abend stammt von einem Mann namens Jens Kühnel, der selbst in der AfD ist und obendrein Holms Mitarbeiter. Kühnel organisiert Veranstaltungen für Holm, wie auch diese in Stralsund, er muss also quasi von Berufs wegen gut finden, was Holm so sagt und macht. Dass er darüber in einer Zeitung schreiben darf, die sich „unabhängig“ nennt, ist das andere Problem.
Die „Zeitung am Strelasund“ (ZAS) ist die Gratiszeitung am Ort, sie liegt sonntags in den Hausfluren: Rund 40.000 Exemplare werden gedruckt, gut 60.000 Menschen wohnen in Stralsund. Was die ZAS schreibt, findet also Verbreitung. Dem Blatt wird schon lange Parteinähe nachgesagt, allerdings nicht zur AfD, sondern zur CDU, die in Stralsund seit der Wende regiert. Geschäftsführer der ZAS ist Hendrik Lastovka, der zweite stellvertretende Vorsitzende der CDU/FDP-Fraktion in Stralsund, wo neben Holm auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Wahlkreis hat.
Es wundert deshalb nicht, dass es traditionell ein CDU-Übergewicht gibt in den Beiträgen der ZAS, wenn dort zum Beispiel Angela Merkel Wahlkampf macht. Dann, und auch an anderen Tagen, liest man viel über die CDU in der ZAS. Positionen anderer Parteien werden dort aber ebenfalls abgebildet, manche schalten auch Anzeigen. Dass das Haus- und Hofblatt der CDU ausgerechnet einem AfD-Mann einen 100-Zeiler schenkt, um wohlwollend über einen Parteikollegen zu schreiben, ist dennoch bemerkenswert.
„Leif ist live“, steht über dem Artikel, angelehnt an den ollen Opus-Song, und die Leserschaft erfährt im Text, wie toll die AfD ist. Seit sie im Bundestag sitze, sei das Interesse der Bürger an der Berliner Politik „deutlich gestiegen“, und vor allem Reden von AfD-Politikern würden „millionenfach“ im Internet geteilt. Immerhin habe die AfD schon etliche Initiativen gestartet. Holm, schreibt Kühnel, komme „aus dem erzählen [sic] nicht mehr raus“.
Kühnel verbreitet in seinem Text auch noch mal die Geschichte, Holm habe seinen Job als Radiomoderator bei Antenne MV wegen seines Engagements für die AfD verloren. Dem hat der Sender 2016 bereits widersprochen: Holm habe „ganz freiwillig gekündigt“, sagte damals Robert Weber, der Geschäftsführer des Senders, dem Mediendienst „Kress“. Holm widersprach dem seinerseits. Und nun steht seine Version noch mal in der ZAS.
Holm habe sich Zeit genommen, schreibt Kühnel, und er wolle wiederkommen. Das Ende des Textes ist ein bisschen düster, aber es gibt auch Licht:
„Ihr seid unsere letzte Hoffnung“, sagt ein Besucher am Ende. Holm nickt nachdenklich. „Es gibt noch so viel zu tun.“
Dass ein Parteifunktionär in einer Zeitung über eine Parteiveranstaltung schreibt, würde die AfD vermutlich geißeln, handelte es sich um eine andere Partei. Kühnel sieht in diesem Fall aber kein Problem. Er findet es auch nicht fair, dass andere an seinem Artikel Kritik üben, zum Beispiel auf Facebook.
Er berichte auch über andere Dinge in der ZAS, es sei quasi sein Hobby, sagt Kühnel am Telefon, und die Zeitung freue sich wiederum über Inhalte. Außerdem sei der Journalismus ja „eh eine Katastrophe“ heutzutage, es gebe kaum noch unabhängige Geschichten, weil sich keiner mehr traue. Kühnel sieht seinen Artikel offenbar als Gegengewicht. Außerdem hätte ja auch jeder andere zu der Veranstaltung kommen und darüber berichten können, sagt er.
Ein Honorar habe er für seinen Text nicht bekommen, sagt Kühnel. Das kann auch so stimmen. Der Deal bei der ZAS ist oft, dass der oder die Schreibende eine Anzeige bucht. Berichtet beispielsweise eine Steuerberaterin über ihr Metier, ist es Usus, dass sie auch ein Inserat schaltet – gewissermaßen doppelte Werbung. Eine Anzeige für die AfD findet sich in der aktuellen ZAS-Ausgabe aber nicht. Dafür Werbung für die CDU und die Linke.
Mit der ZAS darüber ins Gespräch zu kommen, wie der Artikel entstanden ist und wieso die Zeitung so arbeitet, ist schwierig bis unmöglich. Der Chefredakteur hat eine telefonische Anfrage von Übermedien rasch beendet mit dem Hinweis, man möge sich – in dieser redaktionellen Angelegenheit – an Geschäftsführer Lastovka wenden, erreichbar in seiner Anwaltskanzlei. Der aber hat sich, wie bereits vor zwei Jahren in einer anderen Sache, auch auf mehrmalige Anfrage nicht zurückgemeldet.
Journalismus, wie er den Regierenden gefällt: Die ZAS, die CDU und ein abgesprochenes „Neujahrsgespräch“ mit dem Oberbürgermeister im örtlichen TV-Sender, das von der Medienanstalt gerügt wurde.
Diese Art von kostenlos verteilten Anzeigenblättern gibt es überall in Deutschland. Wirklich unabhängigen redaktionellen Inhalt gibt es kaum.
Aber ich kenne auch niemanden, der das erwartet. Es sind Reklameblättchen, die kaum jemand ernst nimmt.
Also lohnt sich auch keine Kritik daran. Schon gar nicht, wenn man sich „Übermedien“ nennt und nicht „Untermedien“.
Und weil etwas sowieso Scheiße ist, braucht man es auch nicht mehr kritisieren und soll einfach hinnehmen, dass die Republik mit von Nazis gemachten kostenlosen Anzeigeblättchen beglückt wird? Na dann…
Erinnert sich noch jemand an die Artikel von Leserreporter Bernd Hartmann in der Bergedorfer Zeitung? Der schrieb lange Artikel darüber, daß Wissenschaftler alle miteinander verschworene Idioten seien, die Relativitätstheorie von Albert Einstein gar nicht stimmen könne und das Gravitationsgesetz von Isaac Newton erst recht nicht. Er schrieb lustige Abhandlungen darüber, wie die Welt nach seinen bahnbrechenden Erkenntnissen tatsächlich funktioniert.
Es zeigt sich genau das, was hier schon im Kommentar #1 angemerkt wurde: Solchen kleinen Stadtteilzeitungen ist offensichtlich völlig egal, was sie da inhaltlich aufnehmen. Hauptsache ist, es steht Text in der Zeitung bzw. auf der Homepage. Und so wurden dann auch diese Artikel ganz gewöhnlich im Online-Portal der Bergedorfer Zeitung einsortiert.
Irgendwann muß allerdings wohl doch jemandem bei der Bergedorfer Zeitung aufgefallen sein, daß das vielleicht nicht so ganz überzeugend ist, was ihr fleißigster Leserreporter da so alles schreibt, und es wurden die Artikel ganz plötzlich wieder gelöscht.
Die Texte, über die ich in meinem Beitrag geschrieben haben, sind doch nicht ganz weg. Sie sind zwar nicht mehr als Leserreporter-Beiträge bei der Bergedorfer Zeitung, aber auf einer privaten Homepage zu finden.
http://hartmanntheorien.de/mein-wissen/
@Daniel Rehbein, #3 und #4: Wow. Das ist zwar ein wenig OT, aber trotzdem danke dafür.
OT:
achjeh, die Anzeigenblätter.
Hier in der Düsseldorfer Innenstadt sind es gefühlt eine halbe Tonne brennbaren Papiers, die wöchentlich bei sechs Parteien ungefragt und ungelesen im Hausflur landen und wieder entsorgt werden müssen.
Eine Seuche, das…
Exact, eine i. A. unbeachtete Seuche. Deshalb keine Aufregung wert, sonst hat man einfach viel zuviel zu tun.
Filterblase?
Es gibt sehr wohl Leute, die das Zeug lesen und es für eine echte Zeitung halten.