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Wo dauernd der Tod mitfahren muss

Es tut manchmal gut, für die Demut wie für die Seelenhygiene, sich klar zu machen, dass kein Mensch weiß, wie man das perfekte Magazin macht. Aus meiner Sicht ist ein Grund dafür, dass es so etwas gar nicht geben kann, weil wir einerseits versuchen, die Welt zu verstehen, indem wir sie kategorisieren, sie andererseits dafür zu komplex ist. Ich habe an dieser Stelle schon darüber geschrieben, dass eine einzige Geschichte regelmäßig in völlig verschiedenen Ressorts auftauchen könnte1)Ich bin mir allerdings nicht mehr sicher, welches Beispiel ich gewählt hatte, aber wie ich mich kenne, war es aus der Griechenlandkrise, wo ein und dieselbe Geschichte oftmals unter „Politik“, „Wirtschaft“, „Kultur“, „Ausland“ oder sogar „Reise“ hätte einsortiert werden können, von Rubriken wie „Dossier“ ganz zu schweigen.. Heute möchte ich noch einen Schritt zurück machen und mir ansehen, welche Ressorts ein Heft überhaupt braucht – oder noch gröber: welche „Heftteile“.

Das gerade zum ersten Mal erschienene Heft „Limits – Über Leben im Grenzbereich“ hat auf den ersten Blick überhaupt keine Sortierung. Es besteht ausschließlich aus großen und noch größeren Geschichten, was schon einmal dadurch erklärt werden kann, dass es nur zweimal im Jahr erscheinen soll. Je schneller eine Heftfrequenz ist, umso kleinteiliger ist es in der Regel2)Wochenformate bestehen in weiten Teilen aus winzigen Meldungen, die oft nicht mehr als ein Foto mit zwei Sätzen Bildunterschrift sind.. Und tendenziell lassen sich fast alle Magazine am Markt grob so aufteilen: Sie beginnen mit einem kleinteiligen Heftteil, den man mit „Meldungen“, „Nachrichten“ oder „Neuigkeiten“ überschreiben könnte. Die Mitte des Heftes besteht aus den größeren Geschichten. Weiter hinten kommt das, was man grob als „Service“ beschreiben könnte. Es gibt nicht wenige Hefte, bei denen jeder einzelne Heftteil noch einmal denselben Regeln folgt, in denen also einige oder alle Ressorts kleinteilig beginnen, dann größer werden und in Service enden.

Das Ziel ist grundsätzlich immer dasselbe: Ein Leser soll sich erstens zurechtfinden. Zweitens soll er durch das Heft blättern können mit dem Gefühl von Vielfalt einerseits und möglichst vielen Ankern, die ihn festhalten, andererseits. Und drittens soll er dazu gebracht werden, sich mentale Notizen zu machen, die ihn möglichst oft zurückkehren und das Heft wieder in die Hand nehmen lassen.

Es gibt ein paar Grundregeln, wie zum Beispiel, dass Geschichten so klar voneinander getrennt sein müssen3)Sich also zum Beispiel in der Bildsprache und Gestaltung klar voneinander abgrenzen., dass klar ist, wann eine neue Geschichte beginnt. Außerdem glaube ich daran, dass Heften ein Rhythmus guttut, dass also auf lange Geschichten kürzere folgen sollen und umgekehrt, und auf harte Geschichten weiche. Letztich ist sowohl in der Form als auch im Inhalt das, was die legendäre Magazinmacherin Tina Brown ein- für allemal „The Mix“ getauft hat, die große geheime Formel, die am Ende immer auch mit Gefühl zu tun hat4) Und das allergrößte Geheimnis in der Formel sind Geschichten und Formate, die möglicherweise nur einer Minderheit der Leser gefallen, diesen aber so gut, dass sie alleine schon Kaufanreiz – und in jedem Fall stilbildend – sind..

Den Machern von „Limits“ ist das alles entweder ziemlich wurscht, oder sie sperren sich ganz bewusst dagegen, was beides sympathische Erklärungen wären. Sie beginnen ihr Heft mit etwas, das wie eine Abfolge der „Bilder des Monats“ wirkt, also doppelseitigen Fotos. Sie sind aus später im Heft auftauchenden Geschichten und fungieren als ein überüppiges Inhaltsverzeichnis. Nach dem eigentlichen Inhaltsverzeichnis auf Seite 16 beginnt mit einer Titelgeschichte über den Bergsteiger Reinhold Messner der eigentliche redaktionelle Teil – entgegen gelernter Konvention gleich mit einer langen Geschichte, gleich mit dem Hefthöhepunkt (wenn man mal davon ausgeht, dass die Titelgeschichte einen Höhepunkt markiert), und ohne jeden Rhythmus gefolgt von zwei weiteren Berggeschichten5)Eine über Extrem-Ski und eine über Extrem-Mountainbiking. Das bedeutet, wir sind erst auf Seite 54 zum ersten Mal wieder von den Bergen runter. Und dann im Wasser (Leben im Grenzbereich findet fast ausschließlich in den Bergen oder im Wasser statt, falls sich das jemand gefragt hat).

Es ist ein Experiment, würde ich sagen. Das Heftthema ist sehr spitz, fast immer ist irgendwo der Tod mit dabei, was meiner Meinung nach schnell alt wirken kann, weil wir Magazinmacher spätestens seit Ben Hur dauernd schreiben, „der Tod fährt mit“ oder ist sonstwie ein ständiger Begleiter, aber wer Reinhold Messner auf ein Magazin-Cover druckt, hat offensichtlich keine Angst davor, nicht super trendy zu wirken.

Die Varianz der Geschichten ist einigermaßen beschränkt, wenn dauernd der Tod mitfahren muss, aber Kreativität entsteht ja nur innerhalb von Grenzen, und das machen sie gut hier: Da sind zwischen all dem sehr Anstrengenden und Schmerzhaften des Grenzbereichs sehr menschliche Geschichten zum Beispiel über vier Mütter, die über den Atlantik rudern, oder einen Rollstuhlfahrer, der abenteuerliche Stunts mit seinem Gerät aufführt und damit berühmt wurde. Oder über eine sehr raue, antike Form des Fußballs, die nur in Florenz gespielt wird. Und all das ist schön fotografiert und gestaltet, wenn man den angesprochenen „Mix“ und den Rhythmus als Gestaltungselemente mal außer Acht lässt.

Ich persönlich bin darüber gespalten. Ich finde es ein bisschen anstrengend. Dieser auf 130 Seiten dickes, hochwertiges Papier gedruckte Block von einem Heft ist ganz offensichtlich dazu gedacht, neben dem Sofa oder dem Klo zu liegen und oft wieder in die Hand genommen zu werden, denn in einem Rutsch wäre das Heft praktisch unlesbar, und ich mag die Überzeugung, die daraus spricht. Ich teile nämlich das leicht euphorische Hochgefühl, dass man im 2018 endlich Zeitschriften nur noch für Menschen macht, die Zeitschriften mögen, weil kaum jemand mehr zufällig eine Zeitschrift kauft. Es haben alle genug anderes zu tun – konkret: Es haben alle Smartphones und in Zügen gibt es inzwischen WLAN. Allerdings ist mein Gefühl: Gerade beim wiederholten „Reinblättern“ in ein Heft braucht es kleine Elemente, die den Einstieg immer wieder erleichtern, so dass es sich nicht wie Arbeit anfühlt, wenn man ein Heft in die Hand nimmt.

Und ich werde mich beobachten, aber mein Gefühl ist auch, dass ich gerade bei einem thematisch spitzen Heft Rubriken brauche, Heftteile, die meine Form des Erlebens variieren. Denn hier erlebe ich ständig nur Menschen am Limit, bei denen dauernd der Tod mitfährt, da wäre zum Beispiel ein Serviceteil, bei dem Mountainbikes oder Ruderboote gezeigt werden, die in mir die Assoziationskette in Gang setzen, mir zu überlegen, über welchen Ozean (oder Teich) ich denn rudern würde, oder welchen Hügel ich herunterfahren würde, wahrscheinlich ganz recht. Immer nur Lebensgefahr nutzt sich auch irgendwann ab oder wird anstrengend.

Andererseits: Einer Leserschaft elf lange, schöne Geschichten hinzulegen und sonst gar nichts, ohne Werbung dazwischen und das für knapp zehn Euro, spricht für Überzeugung. Ich wäre ein bisschen überrascht, aber sehr happy, wenn es einfach funktioniert.

Limits
Motor Presse Stuttgart
9,80 Euro

Offenlegung: „Limits“ erscheint bei der Motor Presse Stuttgart, einem Verlag, bei dem mein momentaner Arbeitgeber Gruner & Jahr mit knapp 60 Prozent Mehrheitsgesellschafter ist.

Fußnoten

Fußnoten
1 Ich bin mir allerdings nicht mehr sicher, welches Beispiel ich gewählt hatte, aber wie ich mich kenne, war es aus der Griechenlandkrise, wo ein und dieselbe Geschichte oftmals unter „Politik“, „Wirtschaft“, „Kultur“, „Ausland“ oder sogar „Reise“ hätte einsortiert werden können, von Rubriken wie „Dossier“ ganz zu schweigen.
2 Wochenformate bestehen in weiten Teilen aus winzigen Meldungen, die oft nicht mehr als ein Foto mit zwei Sätzen Bildunterschrift sind.
3 Sich also zum Beispiel in der Bildsprache und Gestaltung klar voneinander abgrenzen.
4 Und das allergrößte Geheimnis in der Formel sind Geschichten und Formate, die möglicherweise nur einer Minderheit der Leser gefallen, diesen aber so gut, dass sie alleine schon Kaufanreiz – und in jedem Fall stilbildend – sind.
5 Eine über Extrem-Ski und eine über Extrem-Mountainbiking

3 Kommentare

  1. Lieblingssatz: „Ich teile nämlich das leicht euphorische Hochgefühl, dass man im 2018 endlich Zeitschriften nur noch für Menschen macht, die Zeitschriften mögen, weil kaum jemand mehr zufällig eine Zeitschrift kauft.“

  2. Nehmt mal bitte Metal Magazine unter die Lupe.
    Da gibt’s auch ne große und kaufkräftige Zielgruppe.
    In dem Bereich hat sich vor 3-4 Jahren eine interessante Abspaltung von Teilen der „RockHard“ Redaktion abgespielt, die in einem komplett neuen und sehr guten Magazin „Deaf Forever“ aufgegangen ist.

  3. re: Rubriken, Ressorts…

    …sind natürlich häufig auch ein Spiegelbild der inneren Bürokratie-Strukturen der Redaktion.

    Das überwinden dieser Ressortgrenzen kann sich als so schwierig erweisen wie dto. in großen Unternehmen und staatlichen Bürokraien.

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