Deutsche Welle beteiligt sich an Diffamierungskampagne gegen Kita-Broschüre
„Unter diesem Artikel können Sie einen Kommentar abgeben“, informiert die Deutsche Welle. „Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!“
Der Artikel, das ist die aktuelle Kolumne der Redakteurin Zhang Danhong über eine angebliche „Sex-Broschüre für die Berliner Kindertagesstätten“, und eine der Meinungsäußerungen darunter ist von Ilja K. Er schreibt in mehreren Kommentaren unter anderem:
Wenn solche Sachen meinen Kinder schon in Kindergarten erklärt und beigebracht werden, werde ich meine Kinder sofort entziehen und schauen, wie ich sie anderweitig betreuen könnte. (…)
Zuerst wird dieser Mist in Grundschulen und Kitas eingeführt, und danach wundern wir uns, warum unser Gesellschaft den Bach runter geht. Wer fordert überhaupt, dass diese Gendergeschichte weiter verbreitet wird? Das sind die Menschen, die selber in ihren jungen Jahren unzufrieden mit ihren Sexuellleben waren und somit an der Gesellschaft rechen möchten. Kein normaler Elternteil würde sich solche Entwicklungen wünschen, dass die Kinder zu „geschlechtsunklaren Mistgeburten“ umwandeln! (…)
Es geht mir um Kinder, denen von klein auf aufgezwungen wird, dass konventionellen Familien out sind, die werden praktisch dazu gezwungen sich für Homosexualität zu entscheiden. (…)
Leider Gottes gibt es in Deutschland keine Todesstrafe allgemeinen inkl. für die Homosexualität.
(Einige der Kommentare wurden inzwischen gelöscht.)
Die Sache mit der Todesstrafe sieht die Deutsche-Welle-Redakteurin Zhang Danhong wahrscheinlich nicht so, aber dass der Kommentator meint, hier sollten kleine Kindern schon mit sexuellen Spielarten konfrontiert und von der Heterosexualität abgebracht werden, kann man ihm nach Lektüre ihres Artikels schwer vorwerfen.
Aufmacherbild ist ein Foto aus dem Sexualkundeunterricht an einer Schule. Jugendliche üben hier offenbar mit Holzmodellen den Umgang mit Kondomen. Mit diesem Motiv illustriert die Deutsche Welle also einen Artikel, der sich vor allem mit einer Handreichung für Kita-Erzieherinnen und -Erzieher beschäftigt. Es geht in dieser Handreichung nicht um Sex. Und die Kita-Kinder sollen auch nicht mit Kondomen experimentieren.
Dass die Deutsche Welle trotzdem dieses Foto zeigt, ist aber eher kein Zufall. Es passt zwar nicht zum tatsächlichen Inhalt der Handreichung, aber zu dem verzerrten Bild, das die Kolumne davon zeichnet. Zhang Dahong nennt die Handreichung eine „Sex-Broschüre“.
Genau wie ihr Kollege Gunnar Schupelius von „Bild“ und „B.Z.“ hat sie auch das Flehen der neunjährigen Lisa in dieser Broschüre, doch als Mädchen behandelt zu werden, obwohl sie mit den Geschlechtsorganen eines Jungen geboren wurde, nicht beeindruckt. Um „Jungen, die ihren Penis abschneiden wollen“, gehe es in der Broschüre, schreibt sie. Und weiter:
Die unter Sechsjährigen sollen ermutigt werden, den geschlechtlichen Dualismus zu durchbrechen und ihr angeblich gar nicht angeborenes Geschlecht zu hinterfragen.
Nein. Sie sollen ermutigt werden, sich und andere so akzeptieren wie sie sind.
Die DW-Redakteurin weiter:
Auch geht die Broschüre mit dem „heteronormativen Familienbild“ hart ins Gericht. Damit meint die Autorin Stephanie Nordt das immer noch am häufigsten praktizierte, somit extrem uncoole Modell einer Ehe bestehend aus einem Mann und einer Frau. (…)
Als ich das las, fühlte ich mich ertappt: Vermutlich nur aus Mangel an Aufklärung habe ich mich ausgerechnet für die langweiligste aller Lebensformen entschieden – die heteronormative Familie.
Ich vermute, dass Frau Zhang einfach nicht weiß, was „heteronormativ“ bedeutet und es für ein Synonym für „heterosexuell“ hält – anders lässt sich auch die Formulierung „heteronormative Familie“ kaum erklären. Die Broschüre hat aber gar nichts gegen heterosexuelle Beziehungen, stellt sie auch ausdrücklich nicht als vergleichsweise langweilig dar – sie hält die Vater-Mutter-Kind-Familie nur anderen im Sinne des Kindeswohls nicht für überlegen. (Dass die Autorin wörtlich fast identisch formuliert wie „Bild“-Mann Schupelius, der schrieb: „Hart geht die neue Senatsbroschüre auch mit dem ‚heteronormativen Familienbild‘ ins Gericht“, ist vermutlich kein Zufall.)
Von der Broschüre kommt Zhang Danhong dann zum Thema „frühkindliche Sexualaufklärung“ (um die es hier gar nicht geht), hinter der sie eine „Gender-Ideologie“ vermutet. Das „Ende der Fahnenstange dürfte damit noch nicht erreicht sein“, mutmaßt sie dann:
So fordert der Kieler Sexualpädagoge Uwe Sielert, ein Wegbereiter der Gender-Revolution, bereits seit Längerem, dass Kinder beim Geschlechtsverkehr der Eltern dabei sein dürfen. Und seine Kassler Kollegin Elisabeth Tuider will praktische Übungen in den Sexualkundeunterricht einbauen.
Mag sein. Mit der Broschüre hat das nichts zu tun. Sie will nur dazu beitragen, dass Kinder sich akzeptiert fühlen, egal wer, was und wie sie sind und wie sehr sie, ihr Verhalten oder ihre Familien traditionellen Vorstellungen entsprechen.
Der staatliche deutsche Auslandsrundfunk Deutsche Welle beteiligt sich damit an der Desinformations- und Diffamierungs-Kampagne rechter Parteien und Medien gegen diese Broschüre. Nachdem ich bei der Deutschen Welle nachgefragt habe, hat die Redaktion den Satz hinzugefügt: „Die Broschüre richtet sich an die Erzieherinnen und nicht an die Kindergartenkinder.“ Außerdem wurde eine Bildunterschrift geändert. Unter einer Abbildung der Broschüre stand ursprünglich der Satz: „Da kann man den Berliner Kindern nur viel Spaß und Freude wünschen“. Nun heißt es: „Damit müssen sich die Berliner Erzieherinnen nun auseinandersetzen.“ (Sie müssen übrigens gar nicht. Sie wollen. Die Broschüre ist wegen der großen Nachfrage vergriffen.)
Auf meine Nachfrage erklärt Christoph Jumpelt, der Sprecher der Deutschen Welle, weder dieser noch irgendein anderer Artikel der Deutschen Welle würde diskriminieren, diffamieren oder irreführend informieren. Er schreibt:
In der Broschüre wird kaum auf die traditionelle Form des Familienbildes eingegangen. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass eine Form des Zusammenlebens umso besser sei, je mehr sie von gängigen Normen abweicht.
An keiner Stelle weckt die Broschüre den Eindruck, dass eine „Form des Zusammenlebens umso besser sei, je mehr sie von gängigen Normen abweicht“. Im Gegenteil, sie warnt ausdrücklich davor, Kinder besonders zu behandeln, die anders sind oder aus nicht-traditionellen Familien kommen. Die „Norm“, die die Broschüre propagiert, lautet: Jeder Mensch ist gleich viel Wert, und die Qualität von Beziehungen und Familien hängt nicht davon ab, welches Geschlecht die Partner haben.
Es ist fast so, als würde die Deutsche Welle bei einer Broschüre über den richtigen Umgang mit behinderten Menschen kritisieren, dass Nicht-Behinderte darin ja gar nicht vorkommen und damit Behindertsein propagiert würde.
Der Unternehmenssprecher antwortet weiter:
In der Kolumne wird auch kritisiert, dass den Erzieherinnen in den Kitas ein derart umfangreiches Werk für die Arbeit mit kleinen Kindern an die Hand gegeben wird. Die Autorin hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen den Beschäftigten in Kitas nicht zutrauen, adäquat mit entsprechenden Fragen der Kinder umzugehen.
Der Autorin ist die Broschüre zu lang? Und sie skandalisiert ihren Inhalt einerseits, suggeriert aber andererseits, dass die Verantwortlichen das ohnehin schon alles wüssten? Noch einmal: Die Nachfrage war so groß, dass die Broschüre vergriffen ist. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat 1000 Exemplare auf eigene Kosten nachdrucken lassen, um sie in seinen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Der Deutsche-Welle-Sprecher weiter:
Da es in der Broschüre, die zuvor in anderen Medien bereits als „Sex-Broschüre“ bezeichnet wurde, nahezu ausschließlich um die Vielfalt der Geschlechter und persönliche Neigungen geht, gewinnt die Autorin den Eindruck, dass Erzieherinnen, gestützt auf diese Broschüre, die Kinder beim leisesten Zweifel geradezu ermutigen sollen, einen von der statistischen Norm abweichenden Lebensweg für sich zu wählen.
Ja, die Broschüre wurde in anderen Medien bereits als „Sex-Broschüre“ bezeichnet. Für die Deutsche Welle reicht das offenbar aus, sie als „Sex-Broschüre“ zu bezeichnen, auch wenn es sich um keine „Sex-Broschüre“ handelt.
Die zweite Hälfte des Satzes ist ungeheuer. Sie ist faktisch falsch: Die Kinder sollen gar nicht ermuntert werden, irgendeinen speziellen „Lebensweg für sich zu wählen“. Sie sollen sich akzeptiert fühlen, wie sie sind. Ob es irgendeine größere Bedeutung hat, wenn etwa ein Junge in der Kita Prinzessin spielt, ob es etwas mit seiner geschlechtlichen Orientierung zu tun hat oder nicht, ob es eine kurze Phase ist oder nicht, das alles ist gar keine Frage: Er soll das nur einfach tun dürfen, wenn er will, und sich dabei nicht falsch fühlen.
Aber man bewundere auch die Formulierung, „einen von der statistischen Norm abweichenden Lebensweg für sich wählen“. Wie viel übermenschliche Kraft es den Unternehmenssprecher der Deutschen Welle gekostet haben muss, nicht einfach hinzuschreiben, was er offenbar meint: die Kinder sollen trans oder schwul gemacht werden.
Er schreibt weiter:
Dabei ist es nichts Neues, dass Kinder den eigenen Körper mit dem anderen Geschlecht vergleichen und Unterschiede feststellen. Das aber hat nicht unbedingt Einfluss darauf, ob beispielsweise Mädchen im frühen Kindesalter schon die Entscheidung treffen wollen oder können, lieber nicht als Frau zu leben, sondern lieber in einem anderen Geschlecht. Hier kritisiert die Autorin, dass die Broschüre einen natürlichen Vorgang dramatisiert.
Das ist vollkommen abwegig. Diese Sätze haben nichts mit der Broschüre zu tun. Es geht in ihr nicht darum, den eigenen Körper mit dem anderen Geschlecht zu vergleichen und Unterschiede festzustellen. Es geht um keine Entscheidung im frühen Kindesalter. Und vor allem ist Dramatisierung das Gegenteil dessen, was die Broschüre zum Ziel hat.
Ihr Ziel ist, dass Kinder sich nicht ausgegrenzt fühlen, weil sie vielleicht mit zwei Vätern oder Müttern leben. Ihr Ziel ist, dass Kinder sich nicht ausgegrenzt fühlen, weil sie bestimmte Rollenerwartungen nicht erfüllen. Ihr Ziel ist, dass Kinder den Freiraum haben, sich zu entwickeln, zu spielen, sie selbst zu sein. Ihr Ziel ist, dass Erzieherinnen und Erzieher Kindern vermitteln, dass Vielfalt normal ist.
Die Kolumnistin der Deutschen Welle hat offenbar ein Problem damit. Sie widerspricht aber nicht den konkreten Zielen und Mitteln der Broschüre. Sondern unterstellt andere, die sie dann skandalisiert.
Sie diffamiert, diskriminiert und desinformiert. Und auf Nachfrage macht sich die Deutsche Welle ihre Position zu eigen.
Mit Dank an Silvio Duwe für den Hinweis.
„Unter diesem Artikel können Sie einen Kommentar abgeben“, informiert die Deutsche Welle. „Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!“
Offenbar freut man sich doch nicht so sehr, denn mittlerweile heißt es dort:
„Kommentare für diese Seite wurden deaktiviert.“
Ich wollte nur kurz die Gelegenheit nutzen, um dieses Video, das ich letztes Wochenende zu dem Thema unter Einfluss von Wut gemacht habe, einzubringen
https://www.youtube.com/watch?v=UU3GC0ih1ws
Evtl. liegt das Problem der Broschüre darin, dass sie ihr Anliegen der Akzeptanz von Kindern aus Regenbogenfamilien zu sexualisiert darstellt und damit den Eindruck einer Sex-Broschüre erweckt. Bei dem Beispiel des Kindes, welches sich den Penis abschneiden möchte, frage ich mich ernsthaft, was die Verantwortlichen damit bezwecken möchten. Das ist kein Fallbeispiel, wo KiTa-Angestellte von sich aus mit Verständnis für den Selbstverletzungswunsch reagieren dürfen. Das ist ein Fall für einen kompetenten Psychologen, der dafür sorgt, dass das Kind seine Kindheit mit Penis meistert.
@Ronald Fein #3, anzusprechen dass Penisse existieren (oder dass jemand einen nicht haben möchte), ist nicht sexualisierend. Kinder wissen, dass Penisse existieren.
Dieser eine Satz ist teil einer halbseitigen Erzählung (sorry dass ichs direkt nochmal verlinke, aber ich zeige die hier vollständig und lese vor https://youtu.be/UU3GC0ih1ws?t=308 ) in der es überhaupt nicht um irgendwas sexuell interessantes geht, auch weil es die geschichte einer neunjährigen ist. Der Satz steht da, um zu betonen, wie ernst die Lage von Betroffenen genommen werden kann. Tatsächlich IST das ein Fallbeispiel, wo man mit Verständnis reagieren kann – und zwar, indem man ihre Sorge ernst nimmt, erklärt dass Penis-abschneiden nichts bringt, aber dass die Lage nicht hoffnungslos ist.
Die Autorin auf Twitter so:
„Als Schülerin in China war ich ein Mathe-Ass, aber eine Analphabetin in Sachen Sexualität. Deshalb blicke ich neidisch nach Berlin, wo Kindergartenkinder darüber reden dürfen, ihren Penis abschneiden und heute ein Mädchen, morgen ein Junge sein zu wollen. “
https://twitter.com/ZhangDanhong/status/969213668528357377
Das istsicher ambivalent formuliert und das letzte „und“ muss keinen Kausalzusammenhang bedeuten (kann aber). Die Idee, dass Kinder gern mal Junge, mal Mädchen wären, scheint sie aber so tief zu verunsichern, dass sie das und Kastrationsideen (kommen die in der Broschüre vor?) als Beispiel für die Werbung für ihren Text nimmt.
Die Entstehung eines Satzes. Der Satz „Als ich das las, fühlte ich mich ertappt: Vermutlich nur aus Mangel an Aufklärung habe ich mich ausgerechnet für die langweiligste aller Lebensformen entschieden – die heteronormative Familie. “ klang auf Twitter noch so:
„Hätte ich als Kind von der Vielfalt der Geschlechter gewusst, hätte ich mich bestimmt nicht für die langweiligste Variante – das heteronormative Familienmodell – entschieden.“
https://twitter.com/ZhangDanhong/status/966315184544518144
Interessant ist hier das „bestimmt“.
Das „bestimmt“ könnte Ironie sein.
Mal abgesehen davon, dass sich niemand eine Geschlechtsidentität aussucht wie einen Beruf.
@Ronald Fein
Wenn man ihren Kommentar liest, gewinnt man nicht den Eindruck, dass Sie überhaupt den Unterschied zwischen Kindern aus Regenbogenfamilien, transidenten Kindern und intersexuellen Kindern kennen.
Und die Sexualisierung kommt eben nicht vom offenen Sprechen über Penisse (von denen Kinder sowieso wissen, dass sie existieren, wie Vetaro richtig feststellt). Sie kommt ausschließlich aus Ihrem Kopf. Es ist kein Wunder, dass derjenige, der seine eigene Sexualisierung von Geschlechterthemen auf die Welt projiziert, auch „Frühsexualisierung“ wittert. Er kann ja Penis nicht ohne Sex denken und nimmt darum an, dass das auch sonst niemand kann.
Queerformat KiTa-Handreichung, S. 56:
„Wenn also ein Kind sich einen anderen Namen gibt und wiederholt äußert, dass es eigentlich kein Junge bzw. Mädchen sei, wie im Fallbeispiel von Lisa
gezeigt, dann sollten Fachkräfte im Gespräch mit dem Kind eine unterstützende und wertschätzende Haltung einnehmen.“
Dass die Handreichung empföhle, dass Fachkräfte dabei gegenüber dem Selbstverletzungswunsch eines Kindes verständnisvoll reagieren sollten, ist entweder eine bewusste Verzerrung oder einfach auf schlampiges Lesen zurückzuführen.
Es empfiehlt sich noch ein wenig weitergehende Recherche zur Person Zhang Danhong, die auch auf anderen Gebieten wie etwa der Asylpolitik geradezu Strunz’sche „Argumentationsmuster“ an den Tag legt – vgl. ihren Unsinn hinsichtlich des KiKa-Filmes – und anscheinend grundsätzlich gerne nervige Minderheiten und deren Anliegen, bspw. Veganer, ins Lächerliche zieht, denn „vor lauter Rücksicht auf Minderheiten wird die Mehrheit vernachlässigt“.
Auch über die „geistige Gleichschaltung in den deutschen Medien“ hat sie sich bereits ausgelassen und retweetet gerne mal Roland Tichy.
„Tatsächlich erklärt die Handreichung ausführlich, was Intersexualität und Transsexualität sind “
Tatsächlich tut es die Broschüre genau nicht. Die Broschüre ist transsexuellenfeindlich. Warum? Weil sie reaktionären Geistes ist.
https://www.facebook.com/atme.ev/posts/10156331118606454
@Kim Schicklang: Ich schätze die Broschüre genau dafür, dass sie nicht diese Radikalität hat, mit der man – schon sprachlich, aber auch inhaltlich – jedes Verständnis und jeden Fortschritt verhindert.
Ich finde das einfach nur deprimierend. Nun hatte ich in meinem Leben zufälligerweise schon vielfach die Gelegenheit, mich mit Fragen sexueller Identitäten zu beschäftigten. Wenn ich mit Inhalten, wie in dieser Broschüre zum ersten Mal konfrontiert würde, würde mich das möglicherweise auch verunsichern und erstmal eine ablehnende Position einnehmen lassen.
Aber ich verstehe es trotzdem eigentlich nicht. Die Tatsache, dass es Menschen mit sexuellen Identitäten jenseits einer binären Norm gibt, greift ja niemanden an. Die Menschen, die sich in dieser Norm wohlfühlen, werden doch überhaupt nicht angegriffen. Es wird doch niemandem etwas abgesprochen. Die intersexuellen Leute wollen doch den nicht-intersexuellen Leute nichts wegnehmen. Sie sagen doch nicht „Ihr dürft nicht so sein, wie Ihr sein wollt.“. Sie sagen nur: „Uns gibts auch.“. Dass sie (bzw. die Menschen, die sich für sie einsetzen), so radikal (nämlich durch Verleumdung, so können diese absolut verfälschenden Darstellung schon genannt werden), macht mich einfach nur traurig und auch ratlos.
@Maike: Mich auch.
#8, @MATTHIAS
Da stimme ich Ihnen zu, dass man aus meinem Kommentar nichts darüber erfährt. Allerdings verblüfft es mich, dass jemand mit Verstand, überhaupt diesen Versuch unternehmen wollte/sollte. Aber aus Ihren eigenem Kommentar, gewinnt man auch „nicht den Eindruck, dass Sie überhaupt den Unterschied zwischen Kindern aus Regenbogenfamilien, transidenten Kindern und intersexuellen Kindern kennen.“ So was nun?
Bei meinem Kommentar #3 fehlt nach dem ersten Satz schlicht ein „Enter“, damit ein neuer Absatz beginnt. Ausrede: war vom Smartphone aus verfasst.
@Ronald Fein: Sie geben sich ja nicht mal mehr Mühe zu verschleiern, dass Sie eigentlich nur trollen wollen.
@15 Stefan Niggemeier:
Do not feed the troll.
@Ronald Fein
Ich sehe, Sie haben mich verstanden.
Im Grunde handelt es sich bei dem DW-Beitrag und der übrigen Kritik an der Broschüre um eine Manifestation des offensichtlich nicht ausrottbaren Wunsches, auf eine unübersichtlich gewordene Welt mit klaren Strukturen zu reagieren, die unterschiedliche und selbstbestimmte Lebensentwürfe nicht zulässt, sondern Menschen in eine vorgegebene Rolle nach Maßgabe von Nationalität, Herkunft, Geschlecht etc. zwingen will, wie sich sich etwa auch in der Propagierung eines „klassischen“ Familienmodells durch konservative und rechtsgerichtete Kreise äußert. Nur so ist auch die Kritik an der „Ehe für alle“ erklärbar, die rational schon deshalb nicht nachvollziehbar ist, weil Ehepartnern einer „Normehe“ durch eine Erweiterung des Ehebegriffs nichts genommen wird. Wichtig ist es, gegenüber derartigem irrationalem Unfug nicht einzuknicken.
BTW: Dieser Beitrag und der Artikel über Eumann liefern stark Argumente gegen den ör-Rundfunk, zu dem auch die (allerdings nicht gebührenfinanzierte) DW zu zählen ist.
Sie meinen so, wie der Artikel zum BZ-Beitrag starke Argumente gegen werbefinanzierten Journalismus liefert?
@Th. Koch: Zwei Artikel, die beide nicht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk handeln, liefern Argumente gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Was ich als schwuler Mann irgendetwas zwischen deprimierend und beängstigend find, worunter insbesondere Trans*-Personen aber noch viel stärker leiden dürften: Den Verfechtern von Positionen wie Frau Zhang reicht es nicht, Minderheiten für das, was sie sind, zu kritisieren, belustigend oder abstoßend zu finden – nein, unsere schiere Existenz ist ihnen offenbar so zuwider, dass sie uns ignorieren, verschweigen wollen und auf keinen Fall irgendeinem Kind auch nur gesagt werden darf, dass es Menschen jenseits der Norm gibt.
Sie ist zwar (wie ich erst nach dem Lesen merkte) im verlinkten Hintergrund-Artikel verlinkt, aber spricht etwas dagegen, die Broschüre auch hier direkt am Anfang im Fließtext zu verlinken? Das würde jeglicher Diskussion eine enorme Versachlichung ermöglichen.
@20: Ich räume ein, der Zusammenhang zwischen einer Landesmedienanstalt und dem ör Rundfunk (via RStV) ist ein bißchen weit hergeholt. Die DW ist aber zum System des ör Rundfunks in Deutschland zu zählen, die Gegenposition in der „Wikipedia“ halte ich für abwegig (und welches Verständnis von öffentlichem Recht dahintersteht, will ich gar nicht wissen): § 1 DWG definiert die DW als „gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts für den Auslandsrundfunk“. Ob der hier in Rede stehende Beitrag vom Auftrag des Senders nach §§ 3, 4 DWG gedeckt ist, ist da übrigens eine weitere Frage.
@Feivel: Stimmt, ich hab das jetzt nachgeholt.
@Th. Koch: Natürlich. Privatsender wie RTL 2 hingegen gehen mit sensiblen Themen viel behutsamer um. Gelebte Toleranz und Achtung der Menschenwürde sind dort oberstes Gebot.
Menschen haben die blöde Angewohnheit Ihr subjektives Weltbild zwanghaft auf die Welt übertragen zu wollen. Ob das nun Ideologien sind, Ideen, Religiöse Ansichten, oder sexuelle Präferenzen / Kinks. Oder jetzt (relativ) neu, die Gender Geschichte. Ich schätze das hängt zusammen mit dem unterbewussten Wunsch sich selber (und seine Ansichten) Klonen zu wollen…damit man nicht länger alleine ist in dieser Welt. Gleichgesinnte hat.
Mich persönlich hat diese Entwicklung irgendwie nie sonderlich interessiert… ich bin Autodidakt und ich lebe den Individualismus, und das gestehe ich anderen auch zu. Discover yourself!
Ohne den Inhalt dieses Artikels und auch des Ursprungsartikels zu bewerten, fällt es doch auf, dass der hinweisgebende Silvio Duwe schon seit einiger Zeit mehr oder weniger verzweifelt versucht, Zhang Danhong bei ihrem Arbeitgeber zu diskreditieren. Sie hat eine durchaus rechtskonservative Sicht auf Dinge, die aber m. E. noch weit von rechtsextrem entfernt ist. Diese Meinung muss man nicht teilen (tue ich auch nicht) aber es ist eben nur eine Meinung.
Dass Übermedien sich hier aus meiner Sicht von Duwe instrumentalisieren lässt, macht mir ein wenig Sorgen.
@Tom: Sie diskreditiert sich mit diesem Text selbst, aber ihr Arbeitgeber scheint ja kein Problem damit zu haben.
@19 – Stefan Pannor:
Also Produkte der Axel Springer SE als Journalismus zu bezeichnen, ist schon sehr gewagt.
@10 – Kim Schicklang:
Also soweit ich diese Broschüre gelesen habe, sowie den von Ihnen verlinkten Beitrag, muss ich sagen, dass die dort genannten Kritikpunkte übertrieben sind. Was aber auch an der eigentlich Hauptproblematik bei diesem ganzen Komplex liegt:
Nämlich die Idee, dass es Normal und Nicht-Normal gibt. Dieses Konzept ist so alt, wie falsch. Deswegen ist bspw. auch eine vom biologischen Geschlecht abweichende Gender-Identität nichts Schlimmes. Sie wird es erst dann, wenn man „abweichend“ als „nicht normal“ liest. Aber Trans, Inter, Homo, Hetero, etc. sind eben alle gleichermaßen normal. So wie blonde Haare und blaue Augen normal sind, obwohl nur ein kleiner Teil der Menschen diese Merkmale hat.
Damit verbunden ist auch die völlig irrsinnige Annahme, man könne Kinder oder wen auch immer, schwul machen oder dergleichen. Entweder diese Kinder sind homosexuell oder nicht. Da kann man nix dran ändern. Auch nicht mit christlichen Camps und Elektroschocks.
Und daher finde ich diese Broschüre ausgesprochen gelungen, weil sie eben genau dafür wirbt: jedwede Ausprägung als normal anzusehen und nicht auszurasten, weil der Junge mit der Barbie spielt und das Mädchen aus Lego einen Dinosaurier baut. Leider ist es nämlich exakt diese Heteronormativität, die das Problem darstellt, die uns dazu bringen will, Nicht-Normales zwar zu dulden, aber auch als das hinzustellen, als etwas, was nicht normal ist.
Schade ist, dass die Medien – mit Ausnahme von Übermedien, vielen Dank dafür – das völlig ignorieren und so tun, als wäre das Ziel, kleine Kinder zum Sex zu bewegen und dabei darauf zu achten, dass das bloß nicht heterosexuell wird. Das will doch aber keiner. Es sollen doch einfach nur alle in Frieden und ohne Anfeindung, ohne gerümpfte Nase, ohne „Ich toleriere es, aber akzeptiere es nicht“ leben können und sich keine Sorgen machen müssen, wie ihr Verhalten bei anderen ankommt, nur weil sie halt gerade Lust haben, über Einhörner und Feen zu reden, anstatt über Monstertrucks.
„Also Produkte der Axel Springer SE als Journalismus zu bezeichnen, ist schon sehr gewagt.“
Nein. Das Gegenteil pauschal zu behaupten ist borniert.
„Sie hat eine durchaus rechtskonservative Sicht auf Dinge, die aber m. E. noch weit von rechtsextrem entfernt ist. “
Immerhin entschuldigt sie sich schon, zu den „MSM“ zu gehören. Und neben Tichy pflegt sie auch eine Nähe zu AfD-Mitgliedern. Rechtsextrem? Nein. Weit davon? Naja … weit ist relativ, hm?
Gut, dass das keiner – inkl. mir – getan hat.
@Stefan Niggemeier:
Es ging eher darum, dass Duwe Zhang Danhong schon vor diesem Artikel in die rechtsextreme Ecke stellt. Wer seinen Twitter Account die letzten Wochen verfolgt, sieht schon eine gewisse Vorliebe für sie. Zitate von Followern oder private Tweets wurden gern mal in einen NS-Zusammenhang gesetzt, der zum Teil schon fast lächerlich war (Ratte=NS-Sprech).
Hier versucht ein Journalist eine andere Journalistin beruflich zu vernichten.
Haben Sie eigentlich mal mit Zhang selbst gesprochen?
@Tom: Nein. Ich habe ein Anfrage an die Pressestelle der DW gestellt.
Warum haben Sie die Autorin nicht direkt befragt?
# 34: Warum fragen Sie eigentlich, Ihnen geht es doch erklärtermaßen weder um den Beitrag von Stefan Niggemeier noch um den von Zhang Danhong?
#27:
Auch aus #27:
Genau genommen instrumentalisieren Sie hier einen Artikel, zu dem Sie nichts sagen wollen, um Duwe anzugehen. Warum sprechen Sie nicht mit Duwe direkt?
@Tom: Warum? Bzw., was?
Sie schreiben, der Artikel sei eine Kolumne über die angebliche Sex-Broschüre. Ich habe von dem Artikel einen etwas anderen Eindruck:
Mir scheint der Artikel die Broschüre „nur“ zum Anlass zu nehmen (und zieht deswegen auch einige andere Dinge heran) um allgemein zu beschreiben, was nach der Meinung der Autorin in der Vermittlung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt derzeit schief läuft.
Ich stimmt mit der Meinung der Autorin nicht überein und vor allem verhält sie sich meiner Meinung nach sehr unlauter, da sie u.a. der Broschüre Dinge unterstellt, die nicht korrekt sind. Hier bin ich also wohl wieder bei ihnen.
Dominic/ 31: Jap, finde ich auch. Jetzt muss nur der „Springer ist kein Journalismus“-Kokolores aufhören, der eher dumm als gefährlich ist, aber darum nicht zwingend harmlos.
@32 Tom
Frau Zahndong wird hier nicht diskreditiert, das hat sie mit diesem erbärmlich inkompetenten Text schon selbst besorgt. Dabei geht es auch gar nicht um irgendwelche Ecken in einem politischen Spektrum, in die man sie womöglich vorher gestellt hat.
Man muss mal die konkrete Problematik auf allgemeine Verfahrensweisen reduzieren, damit man auch auf der Sachebene sieht, warum der Text so mißlungen ist.
Wenn ich mich über ein Tool, ein Instrument oder ein Mittel zum Zweck äußere oder darüber debattiere, muss ich doch unterscheiden, wann ich über den Effekt oder die Effizienz rede, da muss Klarheit herrschen, bevor ich beides verbinde.
Der Effekt, also das eigentliche Ziel, ist klar: Akzeptanz von Vielfalt. Das wird bereits in den einleitenden Worten der Broschüre dargestellt, dabei wird auch dargelegt, dass man dieses Ziel im Rahmen des großen Zieles der Inklusion anstrebt. Man erklärt auch, welche Hintergründe die Erweiterung bisheriger Ansätze zur Inklusion hat.
Das hat Frau Z. entweder nicht gelesen oder sie ignoriert es bewusst.
Natürlich muß man sich darüber klar sein, ob man dieses Ziel für richtig und erstrebenswert hält. Ich gehe sogar soweit, dass es durchaus legitim ist, wenn man sagt, dass man dieses Ziel nicht teilt. Spannend wäre da vor allem die Begründung.
Wenn man sich darüber im klaren ist, kann man debattieren oder bewerten, ob das Instrument geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, man kann pro und contra abwägen, sich letztlich auch hier für eine Position entscheiden.
Das wird hier alles verwischt. Das Ziel wird überhaupt nicht genannt, es wird eher der Eindruck erweckt, dass das Ziel in der sogenannten Frühsexualisierung besteht. Das eben ist nachweislich und ohne jeden Zweifel nicht das Ziel des diskutierten Mittels.
Man kann ja auch begründen, weshalb das Mittel verfehlt ist und statt dem Ziel der Akzeptanz von Vielfalt etwas anderes bei herauskommen könnte.
Das alles passiert hier nicht.
Da muss ja im Fazit noch den oben zitierten Ilja K. loben, der im Gegensatz zu Frau Z. , die es eigentlich professioneller können müsste, keinen Zweifel dran lässt, dass er das Anstreben einer Akzeptanz von Vielfalt auf gar keinen Fall wünscht und das klare Gegenteil wünscht.
Man kann eine sachliche Debatte führen, ob das Ziel wichtig ist. Man kann eine sachliche Debatte führen, ob die Broschüre für dieses Ziel hilfreich ist.
Der Artikel der DW leistet dazu überhaupt keinen Beitrag, indem er ebendiese Struktur (womöglich gezielt) vermischt. Damit wird auch die Möglichkeit in der Debatte eröffnet, die Broschüre zu kritisieren, indem man ihr potentielle Gefahr unterstellt, ohne selbst klar sagen zu müssen, wie man zum eigentlichen Ziel steht.
Ein absolut fruchtbarerer Boden für „Ich habe nichts gegen … , aber ….“
Wenn Frau Z. generell Artikel schreibt, die Ihnen gefallen, ist das doch in Ordnung, deswegen können andere Leute ebenfalls Kritik an ihren Ausführungen üben. Bei denen, um die es hier geht, liegt das auf der Hand.
Ein Fünkchen Hoffnung gibt die Tatsache, dass auch die Zeit (hier: http://www.zeit.de/2018/09/sexuelle-identitaet-kita-broschuere-berlin) ungefähr die gleiche Kritik an der skandalös-skandalisierenden Kritik an der nämlichen Broschüre bereits in der letzten Ausgabe geübt hat.
Zitat Zhang Danhong (n. S. Niggemeier).
„So fordert der Kieler Sexualpädagoge Uwe Sielert, ein Wegbereiter der Gender-Revolution, bereits seit Längerem, dass Kinder beim Geschlechtsverkehr der Eltern dabei sein dürfen. Und seine Kassler Kollegin Elisabeth Tuider will praktische Übungen in den Sexualkundeunterricht einbauen.“
Hier bezieht sich Frau Danhong vermutlich auf ein anderes „seriöses“ Medium, nämlich die FAZ mit ihren Artikeln von Antje Schmelcher. In Wahrheit handelt es sich hierbei offenbar um eine Verleumdung:
http://www.alexandervonbeyme.net/2014/10/16/unter-dem-deckmantel-des-journalismus/
Das „inkriminierte“ Buch war damals (vielleicht durch ein Versehen) online frei verfügbar, und ich hatte selbst recherchiert und das Original mit dem Schmelcher-Artikel verglichen. Daher kann ich bestätigen, dass der Schmelcher-Artikel grob und böswilig irreführend war. Dennoch durfte Frau Schmelcher noch einen weiteren Artikel in der FAZ schreiben.
Der Original-Artikel von Frau Danhong – und vielleicht noch mehr die Reaktion der „Deutschen Welle“ – illustrieren ansonsten erneut, dass auch bei „Qualitätsmedien“ immer wieder eine gewisse „Nonchalance“ im Umgang mit der Wahrheit zu beobachten ist (um es vorsichtig zu formulieren). Am Umgang mit Herrn Niggemeiers Nachfragen (und auch an anderen Beispielen) zeigt sich auch, dass Teile der Medien nicht nur etwas gegen undifferenzierte „Lügen-Presse-Rufe“ aus der rechten Ecke haben (weshalb sie das Wort „Lügenpresse“ kurzerhand zum Unwort erklären), sondern sich immer wieder auch mit sachlicher und fundierter Kritik schwer tun. Sehr schwer sogar.
Wenn es sich dabei auch noch um öffentlich- rechtliche Medien handelt, die ich bezahlen muss, ob ich will oder nicht, ärgere ich mich darüber noch mehr. Für mein Geld erwarte ich keine Perfektion, aber sicherlich das redliche Bemühen um journalistische Integrität und eine offene Fehlerkultur. Zu viel verlangt?
Der Familienname ist Zhang, wenn ich mich nicht täusche. Entsprechend chinesischer Tradition steht der Familienname vorn. Zhang entspricht ungefähr dem deutschen Müller in der Häufigkeit.
Die Broschüre, die Debatte darüber und auch diese Kommentarspalte zeigen mal wieder: Es geht nicht um den faktischen Inhalt von etwas Gesagtem, sondern um die Deutungshoheit über das Nichtgesagte.
Aus „Alles ist gleichwertig“ wird „Gleichmacherei“.
Aus „Diskriminierung vermeiden“ wird „Lebensweise aufoktroyieren“
Aus „Anderssein akzeptieren“ wird „Anders machen“
Agieren tun hier schlaue Scharfmacher und dumme Nachplapperer, meist gut unterscheidbar durch die stilistische Herangehensweise an die deutsche Sprache.
@38 – Stefan Pannor:
Ebenso würde ich aber darum bitten, die Arbeit der Axel Springer SE nicht pauschal als Journalismus zu bezeichnen, womit der Hinweis, dass „Springer [sei] kein Journalismus“ eben kein dummer, gefährlicher Kokolores ist, sondern zwar ebenso pauschalisierend wie die gegenteilige Behauptung, dabei aber weitaus weniger gefährlich und dumm.
Insbesondere bei den von Herrn Reichelt geleiteten Medien kann man durchaus begründet sehr häufig den Journalismus-Anspruch verneinen.
„So fordert der Kieler Sexualpädagoge Uwe Sielert, ein Wegbereiter der Gender-Revolution, bereits seit Längerem, dass Kinder beim Geschlechtsverkehr der Eltern dabei sein dürfen. Und seine Kassler Kollegin Elisabeth Tuider will praktische Übungen in den Sexualkundeunterricht einbauen.“
Auch hier handelt es sich um Unterstellungen und Falsch-Aussagen, die von der „Demo für alle“ und den sog. Besorgten Eltern um H. von Beverförde oder B. Kelle verbreitet werden. Uwe Sielert hat eine Empfehlung gegeben, wie Eltern reagieren können, wenn Kinder sie beim Sex „erwischen“. Er vertrat die Auffassung, dass die Kinder nicht zwingend sofort aus dem Zimmer geschickt werden müssten, sondern, dass die Eltern den Sex unterbrechen und sich mit dem Kind beschäftigen, wenn das aus ihrer Sicht notwendig sein sollte. Das hat den Zweck, dass Kind zu trösten oder abzulenken, wenn es traurig oder verstört ist, hat aber nichts damit zu tun, dass Kinder in das Liebesspiel der Eltern mit einbezogen werden sollen.
Bei den „praktischen Übungen“ von E. Tuider handelt es sich z.B. um Rollenspiele oder Übungen zur Körperwahrnehmung, die dem Erkennen von Grenzen dienen. Auch bei ihrer Publikation gab es eine verleumderische Kampagne, deren Falschaussagen entlarvt wurden:
http://www.alexandervonbeyme.net/2014/10/16/unter-dem-deckmantel-des-journalismus/
„Insbesondere bei den von Herrn Reichelt geleiteten Medien kann man durchaus begründet sehr häufig den Journalismus-Anspruch verneinen.“
Nein. Es ist schlechter Journalismus. Gefährlicher Journalismus.
Aber Journalismus ist keine qualitative Zuschreibung. So wenig wie Schreinern.
Danke für diesen Artikel und das Darauf-aufmerksam-machen, Stefan Niggemeier!
Bitte tun Sie alles dafür, dass der Pressesprecher mit seinem Statement, die Autorin mit ihrem Artikel und die Deutsche Welle mit diesem Stück qualitätslosem Journalismus nicht einfach so davonkommen.
„Es ist fast so, als würde die Deutsche Welle bei einer Broschüre über den richtigen Umgang mit behinderten Menschen kritisieren, dass Nicht-Behinderte darin ja gar nicht vorkommen und damit Behindertsein propagiert würde.“
Ein treffender Vergleich, der leider einen faden Beigeschmack hat. Zu häufig versuchen man LSBTTIQ mit dem Argument einer Behinderung zu diffamieren.
Und es gibt genug Leute, die dem entsprechend in dieser Broschüre nicht nur die Propagierung von anderen Sexualitäten, sondern von Behinderungen sehen.
@Alles oder nichts: Ja, ich bin mir bewusst, dass das ein heikler Vergleich ist und versuche das nächste Mal, einen besseren zu finden.
Vielen Dank für die ausführliche Auseinandersetzung mit „Kritiker*innen“, deren Ausführungen wie in diesem Fall so hanebüchen und am Thema vorbei sind, dass mensch sich oft gar nicht damit auseinandersetzen mag. Es ist unglaublich, wie einfach hierzulande Menschen noch immer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschichtlichen Identiät/ihres Geschlechts im öffentlichen Raum diffamiert werden. Die Debatte zeigt mir, wie viel es noch an Aufklärung und Sensibilisierung zum Thema bedarf.
Das Argument gegen die Abschaffung der Gebührenfinanzierung von ARD und ZDF war ja der angeblich größere Staatseinfluss bei einer Finanzierung durch Steuermittel. Hat mir nie eingeleuchtet, und konkrete Ideen, wie es praktisch laufen könnte,, habe ich nie gehört. Aber nun nehme ich dieses Argument mal ernst: Wenn das Staats(finanzierte)fernsehen DW nun solch einen Beitrag veröffentlicht, in dem es viele Dissonanzen in der Wahrnehmung des Berichtsobjektes gibt – ist das jetzt die offizielle Linie des Staates? Oder, anders als in anderen Ländern mit Staatsfinanzierung, unabhängiger Journalismus?
@ 48: Musste über das Kürzel „LSBTTIQ“ schmunzeln, international lese ich immer von LGBTI, wobei das I erst kürzlich dazugekommen ist. Irgendwann ist das Alphabet hoffentlich komplett in der Auszählung, und dann sind alle (auch jene mit H am Anfang) hoffentlich gleichgestellt ;-)
Mal als allgemeine Frage : Das man andere in Ruhe lässt, wenn sie einem selbst (und anderen) nichts tun, braucht man dafür eine Handreichung?
Ich weiß nicht, ob Frau Zhang die Broschüre überhaupt gelesen hat. Nach dem Lesen der Kolumne habe ich aber auch nicht den Eindruck, dass der Pressesprecher die Kolumne auch gelesen bzw. verstanden hat. Jedenfalls interpretiert er da m. E. Dinge rein, die sich so nicht aus dem Text ergeben. Von daher wäre es schon interessant zu wissen, ob er vor seiner Antwort an Stefan Niggemeier nochmal Rücksprache mit der Autorin gehalten hat. Er hat einen schlechten Text so jedenfalls noch ein bisschen schlechter gemacht.
Das finde ich jetzt aber auch wieder eine übers Ziel hinausschießende Lesart. Die Deutsche Welle erläutert auf Nachfrage, was die Autorin gemeint hat (oder nach Meinung des Pressesprechers gemeint haben könnte). Nicht mehr und nicht weniger ist ihre Aufgabe. Gerade bei Kolumnen ist es doch üblich, dass diese in erster Linie die Meinung ihres Verfassers widerspiegeln, ohne dass sie notwendigerweise der des Herausgebers entspricht. Ich erwarte von Verlagen/Vorgesetzten auch nicht, dass sie sich sofort von einem Autor oder dessen Texten distanzieren oder sie verteidigen (tendenziell eher letzteres). Sie müssen sich nur mittel- bis langfristig überlegen, welchen (auch von ihren eigenen abweichenden) Meinungen sie eine Plattform bieten wollen.
@NocheinJurist: Die Handreichung geht davon aus, dass das Thema Trans- und Intersexualität viele Menschen verunsichert, und dass es da ein Informationsbedürfnis gibt. Das finde ich keinen abwegigen Gedanken.
@Nocheinjurist, #51: Einerseits braucht man so ’ne Handreichung schon, weil Kinder zwar lernfähig, aber nicht als gute Menschen auf die Welt kommen, und man ihnen Respekt und Umgang vorleben und beibringen muss.
Andererseits hätte ich auch schreiben können: Sie sehen ja, *offensichtlich* braucht man so eine Broschüre.
Schön, dass es diese Broschüre gibt. Aber sie ist doch nicht unfehlbar. Kritik daran sollte doch möglich sein. Ob diese nun sachlich oder unsachlich ist, liegt doch nur im Auge des Betrachters. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht, schon gar nicht bei diesem Thema.
Von einer Diffamierungskampagne zu sprechen, halte ich für sehr subjektiv. Die Deutsche Welle mit der Meinung einer Kolumnistin gleichzusetzen, ist ungerecht.
@Mirko Dengler: Der Artikel beschreibt sehr genau, worin bei Frau Zhangs Text die Unwahrheit liegt: Sie dichtet der Broschüre Aussagen und Adressaten an, die sie nicht trifft und nicht anspricht.
Wenn so ein Vorgehen – wie ich Sie verstehe – zum redlichen und vernünftigen Diskurs gehören soll (schließlich liegt es im Auge des Betrachters, ob eine Kritik sachlich oder unsachlich ist), dann verbitte ich mir Ihre Meinung, denn Sie tragen eine Unterhose auf dem Kopf.
(Das ist ebenfalls frei erfunden, aber Auge des Betrachters, Sie wissen schon)
@55 / M. Dengler
Kritik ist doch ganz offensichtlich möglich; warum implizieren Sie etwas anderes?
Aber es wäre doch sinnvoll, dann die Broschüre und ihre tatsächlichen Inhalte zu kritisieren. Stattdessen:
„Eine objektive Wahrheit gibt es nicht“ – Doch, eigentlich schon. Oder meinen Sie, das, was Sie beim Blick aus dem Fenster sehen, existiert nicht? Sind Sie Konstruktivist oder Radikalkonstruktivist?
Diese Idee, dass keine objektive Wahrheit existiere, wird ja immer gern von Leuten benutzt, die ihnen unangenehme Wahrheiten kleinreden wollen.
Auch Sachlichkeit ist durchaus messbar, z.B. daran, ob eine Kritik an der Sache bleibt oder sich auf Fiktionen beruft.
@46 – Stefan Pannor:
Woran erkennt man dann aber Journalismus, ob nun gut oder schlecht? Nur daran, dass es ein Journalist produziert? Aber was ist ein Journalist, immerhin ist das Ihrer Aussage nach ja eben keine Qualität, ein Journalist zu sein, kann also auch nicht mit einer etwaigen Ausbildung in diesem Felde begründet werden (was eine qualitative Zuschreibung wäre). Oder ist dann einfach alles Journalismus, nur weil es jemand bei einem Medienunternehmen arbeitend veröffentlicht?
@58 – Stefan Pannor:
Dass es existiert, heißt noch lange nicht, dass es so ist, wie es erscheint. Selbst Kant wusste schon, dass wir niemals in der Lage sind, Dinge an sich wahrzunehmen und zu erfassen, sondern immer nur ihre Wirkung auf uns (gut, eigtl. wusste sogar Platon das schon). Daher gibt es auch i.d.R. keine objektive Wahrheit, weil es in der Wirklichkeit gar keine Objektivität gibt, da wir immer Subjekte sind.
Und nein, das ist kein Konstruktivismus, da man sehr wohl davon ausgehen kann, dass die Welt existiert, nur eben anerkennen sollte, dass wir sie nur subjektiv wahrnehmen können und somit niemals eine objektive Wahrheit erfahren.
(ausgenommen davon sind reine Gedanken-Konstrukte, wie die theoretische Informatik, die Mathematik, Logik, etc.)
@59 Dominic Zander:
„…Dass es existiert, heißt noch lange nicht, dass es so ist, wie es erscheint….“.
Und was soll das jetzt hier, Herr Zander?
Angenommen, Sie hätten sich verletzt oder sonstwie starke Schmerzen und wären dringend hilfebedürftig, dann würden in Ihrer Welt die Passanten vorbeigehen und bestenfalls darüber nachsinnen, was hinter dem äußeren Erscheinungsbild eines schmerzverkrümmten Menschen wohl stecken mag. Sie könnten differenzieren zwischen dem bloßen Anblick – schmerzverkrümmte Gestalt – und dem, was bei all dem mutmaßlich Realität ist. Dann sind sie auch schon vorüber und setzen ihre – nur mutmaßlich reale – Shoppingtour fort…
Wenn Sie selber in einer solchen Welt leben wollen, bitte, geschenkt.
Glücklicherweise gibt es hier im Forum aber zupackende Leute, denen Ihre leeren Gedankenexperimente egal sind, Realität hin oder her, weil ihnen die Wirklichkeit (!) des Leidens eines jungen Menschen bedeutsam ist. Über diese Wirklichkeit hat Stefan Niggemeier geschrieben.
@60 – Peter Friedrich:
@61 Hallo Herr Zander, bei der Vielzahl der Kommentare zu diesem Thema ist es mir passiert, daß ich Ihren Namen anderen Textinhalten zugeordnet habe, tut mir leid. Nächstemal schaue ich nochmal genauer oben nach.
Vllt. ist diese Broschüre auch ein Frosch, und wir halten ihn bloß für eine Broschüre, weil wir die Wahrheit nicht erkennen können. Wer kann das wissen?
Funfact: Frösche ändern manchmal ihr Geschlecht, um mehr Sexpartner zu finden. Das wissen wir spätestens seit Einstein. Ähh, Jurassic Parc.
@ Domnic Zander:
Ohne hier zu sehr ins Philosophische abdriften zu wollen, möchte ich einige Ihrer erkenntnistheoretischen Aussagen doch respektvoll mit einem Fragezeichen versehen.
„… dass wir niemals in der Lage sind, Dinge an sich wahrzunehmen und zu erfassen, sondern immer nur ihre Wirkung auf uns…“
Wir nehmen Dinge zwar nicht „direkt“ wahr; wir ziehen aber Schlussfolgerungen aus der Wahrnehmung. Wir formen mithilfe zahlreicher Wahrnehmungen sowie rationaler und logischer Prinzipien eine Erkenntnis des entsprechenden Dinges. Das ist ein intellektueller, kein sinnlicher Prozess (auch wenn er wesentlich mit auf sinnlichen Prozessen fußt).
„Selbst Kant wusste schon…“
Das „selbst“ passt m.E. hier eher nicht, weil Kants Kritizismus eine recht radikale und letztlich skeptische Erkenntnistheorie darstellt.
„…weil es in der Wirklichkeit gar keine Objektivität gibt, da wir immer Subjekte sind.“
Hier käme es ganz darauf an, was man unter „subjektiv“ und „objektiv“ versteht; es gibt ja unterschiedliche Bedeutungen von „Subjektivität“ und „Objektivität“. Wir sind „Subjekte“ im ontologischen Sinne; das heißt wir sind selbstbewusste Personen im Gegensatz etwa zu leblosen Gegenständen. In DIESEM Sinne ist unsere Erkenntnis auch immer „subjektiv“ – das heißt: sie gehört dem Subjekt bzw. der Person an. Diese Art von Subjektivität schließt aber keineswegs aus, dass wir etwas „objektiv“ erkennen können, sofern „objektiv“ hier meint, dass wir die Dinge so erkennen, wie sie sind.
Tatsächlich ist die Behauptung, dass es keine Wahrheit und Objektivität gebe (wenn sie radikal gemeint ist), sogar implizit widersprüchlich. Denn diese Behauptung soll ja offenbar ihrerseits durchaus wahr und objektiv sein. Sie soll ja offenbar beschreiben, wie es „in Wirklichkeit“ um die Wahrheit, die Objektivität und das menschliche Erkenntnisvermögen bestellt ist. Wird nicht beansprucht, dass die Behauptung, dass es keine Wahrheit und keine Objektivität gebe, wahr und objektiv ist, dann ist diese Behauptung auch nicht relevant und interessant. (Dies ist auch ein Problem der Erkenntnistheorie Kants: Kant will uns ja offenbar sagen, wie es um das menschliche Erkenntnisvermögen und seine Grenzen tatsächlich (!) steht. Dies setzt jedoch voraus, dass wir eine ganze Menge über dieses menschliche Erkenntnisvermögen und die ihm gegenüberstehende Wirklichkeit wissen müssen, so wie sie jeweils tatsächlich (!) sind. Vermutlich müssen wir dazu mehr wissen, als wir nach Kants Theorie eigentlich wissen können.)
„Dass es existiert, heißt noch lange nicht, dass es so ist, wie es erscheint.“
Unsere Erkenntnis ist sicherlich weder vollständig noch perfekt. Aber wenn Ihr Satz bedeuten soll, dass ein Mensch oder ein Stein etwas grundlegend anderes wäre, als wir unter den Begriffen „Mensch“ oder „Stein“ verstehen, liefe dies auf einen radikalen und sehr kontraintuitiven Skeptizismus heraus. Wir würden dann nicht in einer Welt leben, die wir nur partiell und manchmal auch fehlerhaft erkennen, sondern in einer kompletten Fantasiewelt.
Natürlich kann man (mit guten Gründen) argumentieren, dass wir im Hinblick auf die empirische Welt nie eine absolut sichere Erkenntnis erreichen können. Aber in der Praxis ist das in vielen Fällen doch nicht sonderlich relevant, und es gibt genügend Erkenntnisse, denen genügend Sicherheit zukommt, damit an ihnen kein vernünftiger Mensch zweifeln wird. (Beispielsweise, dass der größte Teil der Erde von Wasser bedeckt ist, oder dass Konrad Adenauer der erste Bundeskanzler der BRD war.)
Und man kann normalerweise auch ziemlich verlässlich feststellen, was in einem Text drinsteht und was nicht (sonst spricht das gegen den Text). Und man wird gewöhnlich auch erkennen können, ob eine Kritik an einem bestimmten Text denselben angemessen referiert, oder ob sie sich stattdessen vorwiegend mit einem Strohmann beschäftigt. Eine Kritik der letzteren Art – eine, die sich eindeutig gegen einen Strohmann richtet – sollte ihrerseits (sachlich) kritisiert werden. Sie sollte nicht damit gerechtfertigt werden, dass alles doch nur „subjektiv“ (im Sinne von „beliebig“) sei.
@64 Mycroft
Nein, das ist so seitdem wir Atrazin in’s Wasser & auf’s Gemüse kippen…
Korrektur, wir in Europa ja nicht… aber die Amerikaner schon.
https://www.youtube.com/watch?v=X9NFPZGyDPg
Empiriker sagen: „Wir scheitern letztlich an der Realität.“ Konstruktivisten sagen: „Die Realität scheitert an uns.“
Empirie ist immer nur Annäherung an das Objekt, das bringt die Methodik der Empirie mit sich. Konstruktivismus dagegen ist entweder die Behauptung, man könne ein Objekt sowieso nicht erkennen, oder, im radikalen Fall, es existiere eigentlich gar nicht, man bilde es sich nur ein.
Dazwischen gibt es keinen gemeinsamen Boden, und es ist genau dieser Konstruktivismus, dem wir heutzutage in Form „alternativer Fakten“ und „berechtigter Zweifel“ an klaren Aussagen immer wieder begegnen, wenn man eigentlich keine Gegenargumente hat, aber auch nicht will, dass klare Argumente und Fakten als solche durchgehen. Wenn man also diese Kritik an Frau Zhangs Text nicht als sachlichen Debattenbeitrag akzeptieren will und die Studie, um die es geht, nicht als Handreiche, sondern als *hier irgendwas mit Frühsexualisierung einfügen*
„Woran erkennt man dann aber Journalismus, ob nun gut oder schlecht? Nur daran, dass es ein Journalist produziert? Aber was ist ein Journalist, immerhin ist das Ihrer Aussage nach ja eben keine Qualität, ein Journalist zu sein, kann also auch nicht mit einer etwaigen Ausbildung in diesem Felde begründet werden (was eine qualitative Zuschreibung wäre). Oder ist dann einfach alles Journalismus, nur weil es jemand bei einem Medienunternehmen arbeitend veröffentlicht?“
Sie wissen ja, so denke ich, dass das Berufsbild des Journalisten in Deutschland nicht geschützt ist, was sich wiederum aus dem GG herleitet. Das heißt ja im Umkehrschluß nicht, dass einfach jeder in jedwedem Verlagshaus anheuern kann.
Es ist doch ganz simpel so: wenn wir sagen, BILD/ Springer sei kein Journalismus, berauben wir uns des zentralen Maßstabs, die Publikationen dort zu bewerten, einzuordnen, einzuteilen. Denn nur wenn wir diese Arbeit als Journalismus ansehen, können wir die Maßstäbe des Journalismus dort anlegen. Das hat ethische, aber auch juristische Konsequenzen, die sich aus der Verantwortung für journalistische Produkte ergeben. All das wäre hinfällig, wenn wir etwa die BILD davon befreien könnten, Journalismus zu sein. Sie wären dann endgültig nicht mehr an die juristischen Schranken, die sich daraus ergeben, gebunden. (Was, wie ich vermute, Herrn Reichelt durchaus gefiele.) Etwas Journalismus zu nennen, ist eben nicht nur eine Zuordnung, wie man meinetwegen ein Genre oder eine Teesorte zuordnet, sondern es ist eine Konsequenz, die sich auf die gesamte weitere Bewertung des Objektes und rückwirkend natürlich auch auf das Verhalten von Journalisten auswirkt.
Oder sehr simpel, tautologisch, aber korrekt: Journalismuskritik wäre ohne Journalismus nicht möglich.
Darum ist es zentral, dass wir hier von Journalismus reden, egal ob DW oder Springer oder was weiß ich.
@64 – LLL:
… und es dann aber doch zu tun ;-)
Das ist genau, was ich geschrieben habe. Sie erklären hier etwas, was von niemandem infrage gestellt wurde.
Gemeint war, dass das schon vor gut 200 Jahren diskutiert wurde. Da würde ich mir doch eine differenziertere Sichtweise wünschen.
Subjektiv: Wahrnehmung eines Subjektes (d.h. u.a. eines Menschen)
Objektiv: Tatsächliche Beschaffenheit eines Objektes
Da unsere Wahrnehmung, wie Sie ja oben selbst zugegeben haben, nicht direkt, also indirekt, erfolgt und zwar insofern, als dass bspw. ein Photon eine Reaktion auf der Retina auslöst, die wiederum eine elektrische Reaktion im Sehnerv innveriert, die ihrerseits dann zu verschiedenen bio-elektrischen Reaktionen im Gehirn führt, was uns z.B. ein grünes Auto sehen lässt. Ist man aber evtl. rot-grün-blind, ist also diese Kette von Reizverarbeitungen verändert, so kann man den gleichen Reiz auch als graues Auto wahrnehmen. Niemand ist indes in der Lage, die tatsächliche Farbe des Autos zu bennenen, da das Konzept Farbe allein schon immer rein subjektiv ist. Man kann diese Qualität des Objektes nicht objektivieren.
Dem stimme ich zu und möchte gleichzeitig meine Erleichterung kundtun, dass ich sowas niemals behauptet habe, ganz im Gegenteil sogar.
Soll er nicht. Dann hätte ich das schon geschrieben. Bedeutet aber nicht, dass es nicht so wäre, nur, dass ich es nicht für wahrscheinlich halte.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger, habe ich behauptet.
Ihnen scheint es jedenfalls bezogen auf meinen Text grundlegend misslungen zu sein. Und dies liegt sicher nicht an der Komplexität meines Posts.
Es wäre viel einfacher, wenn Sie nicht versuchten, mir eine Agenda zu unterstellen. Nirgends habe ich „subjektiv“ im Sinne von „beliebig“ verwendet. Ich habe lediglich die falsche Behauptung korrigiert, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt. Mehr habe ich nicht geschrieben. Mehr ist daraus also auch nicht zu lesen. Denn ich habe mir angewöhnt, vor allem in schriftsprachlichen Diskussionen mich derart auszudrücken, dass ich genau das schreibe, was ich auch meine, eben damit es nicht der (fehleranfälligen) Interpretation durch den Leser bedarf. Hätten Sie dies berücksichtigt, hätten Sie sich (und auch mir) eine Menge Zeit gespart, die nun für das Abfertigen Ihres bzw. meines Textes draufgegangen ist.
@66 – Stefan Pannor:
Auch an Sie: mehr habe ich niemals behauptet.
Mir wäre es neu, dass ein Verlagshaus nicht einfach jeden, den die entsprechenden dafür verantwortlichen Personen geeignet finden, anstellen oder in freier Mitarbeit beschäftigen dürfte. Ist dem wirklich so?
Möglicherweise liegt es doch an mir, dass niemand aufmerksam liest, was ich schreibe. Denn ich habe nicht behauptet – ganz im Gegenteil sogar -, dass Springer kein Journalismus sei, sondern dass Springer z.T. und alles, was Herr Reichelt verantwortet sehr häufig eben kein Journalismus mehr ist, sondern bloßer Schund.
Da die Axel Springer SE aber behauptet, journalistische Produkte anzubieten, müssen die sich so oder so an journalistischen Maßstäben messen lassen. Vor allem, was genau bedeutet das? Dass der Presse-Rat bei mangelhafter Arbeit eine Rüge ausspricht, die man auch einfach ignorieren kann, wie es die BILD sehr gern tut? Dass die BILD trotz etlicher verlorener Verfahren weiterhin regelmäßig auf Persönlichkeitsrechte scheißt und damit seit Jahrzehnten durchkommt, ohne jede wirkliche Konsequenz? Tut mir leid, aber so etwas pauschal als Journalismus zu bezeichnen beleidigt in meinen Augen jeden echten Journalisten.
@ Dominic Zander:
„Niemand ist indes in der Lage, die tatsächliche Farbe des Autos zu bennenen, da das Konzept Farbe allein schon immer rein subjektiv ist. Man kann diese Qualität des Objektes nicht objektivieren.“
Das stimmt – aber Farbe (verstanden als „Quale“) ist eine sekundäre Sinnesqualität. Sie existiert tatsächlich nicht an den Dingen selbst, sondern nur „im“ Subjekt. Deswegen besitzt ein Auto auch keine „tatsächliche“ resp. „objektive“ Farbe. Allerdings hat ein Auto die tatsächliche oder „objektive“ Eigenschaft, unter bestimmten Bedingungen bestimmte elektromagnetische Wellen zu absorbieren und andere nicht. (Und dies wiederum führt zu dem „objektiven“ Sachverhalt, dass normalsichtige Menschen unter bestimmten Lichtbedingungen bestimmte „Farb-Qualia“ an einem Auto wahrnehmen, und Menschen mit einer bestimmten Farbschwäche vielleicht wieder andere.) Dies – oder etwa der Umstand, dass ein Auto eine bestimmte erkennbare „tatsächliche“ geometrische Form und eine bestimmte (messbare) Masse hat – wären dann durchaus objektive Wahrheiten. Würde man sie abstreiten, so müsste man Dinge behaupten, die darauf hinausliefen, dass wir geistig in einer Matrix leben. die mit der „wirklichen Welt“ kaum etwas zu tun hat.
„Hätten Sie dies berücksichtigt, hätten Sie sich (und auch mir) eine Menge Zeit gespart, die nun für das Abfertigen Ihres bzw. meines Textes draufgegangen ist.“
Ich zugeben, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich Ihre Position richtig verstehe. Auf meine Bemerkung, dass die strikte These, dass es „keine Wahrheit und Objektivität gebe“, selbtwidersprüchlich sei, reagieren Sie mit ausdrücklicher Zustimmung und erklären, dass Sie eine solche These (nach der es keine Wahrheit und Objektivität gebe) auch niemals eingenommen hätten – „ganz im Gegenteil sogar“. Dies scheint nahezulegen, dass Sie der Meinung sind, dass es sehr wohl Wahrheit und Objektivität gebe. Zugleich schreiben Sie jedoch beispielsweise:
„Daher gibt es auch i.d.R. keine objektive Wahrheit, weil es in der Wirklichkeit gar keine Objektivität gibt…“
„Ich habe lediglich die falsche Behauptung korrigiert, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt.“
Hier scheint mir (jedenfalls prima facie) ein Widerspruch zu bestehen.
Sie schreiben:
„Es wäre viel einfacher, wenn Sie nicht versuchten, mir eine Agenda zu unterstellen. Nirgends habe ich ’subjektiv‘ im Sinne von ‚beliebig‘ verwendet.“
Das habe ich so auch nicht getan. Mirko Dengler, mit dem diese Diskussion begonnen hatte, hatte allerdings das (vermeintliche) Fehlen von Objektivität offenbar mehr oder weniger mit „Beliebigkeit“ gleichgesetzt:
„Ob diese [Kritik] nun sachlich oder unsachlich ist, liegt doch nur im Auge des Betrachters. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht, schon gar nicht bei diesem Thema.“
Meine Erwiderung, dass man normalerweise feststellen könne, was in einem Text stehe, bezog sich primär hierauf.
Allerdings war (und bin) ich mir nicht sicher, inwieweit Sie sich die Position von Herrn Dengler zueigen machen, weshalb ich meine Kritik an Herrn Denglers Position auch im an Sie gerichteten Beitrag artikuliert habe (ohne damit definitiv implizieren zu wollen, dass Sie sich Herrn Denglers Kritik tatsächlich zueigen gemacht haben).
Ihre Äußerung, dass wir die Welt „nur subjektiv wahrnehmen können und somit niemals eine objektive Wahrheit erfahren“ könne, kann man nämlich leicht so verstehen, als sei es auch eine Frage der subjektiven Wahrnehmung und nicht der objektiven Wahrheit, ob eine Kritik (wie die der deutschen Welle) ihren Gegenstand (wie die Kita-Broschüre) akkurat darstellt oder nicht. (Schließlich ist ja auch die Kritik der Deutschen Welle eine Teil unserer Welt.)
Diese Interpretation wird m.E. auch durch den Diskussionszusammenhang nahegelgt:
– Herr Dengler sagt, dass es keine objektive Wahrheit gebe und es daher im Auge des Betrachters liege, ob die Kritik der Deutschen Welle sachlich oder unsachlich sei.
– Herr Pannor widerspricht und macht geltend, dass es durchaus eine objektive Wahrheit gebe.
– Sie widersprechen dann Herrn Pannor und erklären, dass es „i.d.R. keine objektive Wahrheit“ gebe.
Okay, ich glaube wir nähern uns der Problematik.
Sie sehen einen Widerspruch zwischen den Aussagen:
1. Daher gibt es auch i.d.R. keine objektive Wahrheit, weil es in der Wirklichkeit gar keine Objektivität gibt
2. Meine Aussage, dass ich keineswegs die Existenz von Wahrheit und Objektivität abstreite.
Sie sehen da einen Widerspruch, wo keiner ist. Denn obwohl es in der Regel(!) keine objektive Wahrheit gibt, gibt es sehr wohl in einigen Punkten Wahrheiten, genannt hatte ich da vor allem Mathematik, Logik, theoretische Informatik.
Und auch sonst gibt es natürlich eine objektive Wahrheit der Wirklichkeit, die wir nur nie erfahren können, oder selbst wenn, es niemals mit Sicherheit wüssten.
Der zweite Fehler ihrerseits ist die Verbindung, dass wenn ich Herrn Pannor in diesem Punkte widerspreche, ich mir auch irgendwie die Position desjenigen zu eigen mache, dem Herr Pannor widersprochen hat. Das ist nicht korrekt. Ich kann Herrn Pannor in diesem einen Punkte durchaus widersprechen und gleichzeitig auch die Position von Herrn Dengler ablehnen. Deswegen bat ich darum, keine Agenda zu unterstellen, da es eine solche einfach nicht gibt. Ich habe lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass die Behauptung Herrn Pannors in meinen Augen nicht korrekt ist und so auch nicht unwidersprochen bleiben sollte. Das war alles. Herr Dengler spielte dabei keine Rolle.
Zur Beurteilung, ob die Kritik der DW oder an der DW nun gerechtfertigt ist oder nicht, bedarf es keine objektiven Wahrheit. Unsere subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit reicht da völlig aus.
„Da die Axel Springer SE aber behauptet, journalistische Produkte anzubieten, müssen die sich so oder so an journalistischen Maßstäben messen lassen. Vor allem, was genau bedeutet das? Dass der Presse-Rat bei mangelhafter Arbeit eine Rüge ausspricht, die man auch einfach ignorieren kann, wie es die BILD sehr gern tut? Dass die BILD trotz etlicher verlorener Verfahren weiterhin regelmäßig auf Persönlichkeitsrechte scheißt und damit seit Jahrzehnten durchkommt, ohne jede wirkliche Konsequenz? Tut mir leid, aber so etwas pauschal als Journalismus zu bezeichnen beleidigt in meinen Augen jeden echten Journalisten.“
Der so schon weitgehend entzahnte Presserat wäre völlig zahnlos, wenn wir es nicht Journalismus nennen. Sie denken die Konsequenz Ihrer eigenen Aussage nicht zu Ende, die auf eine völlige Entfesselung des schlechten Journalismus hinaus liefe.
„1. Daher gibt es auch i.d.R. keine objektive Wahrheit, weil es in der Wirklichkeit gar keine Objektivität gibt“
Nur weil das Subjekt keine objektive Position einnehmen kann, heisst das nicht, dass ein objektiver Standpunkt oder eine objektive Realität nicht existieren.
Das heisst aber nicht, dass wir uns dem objektiven Standpunkt nicht annähern können, etwa indem wir die Wellenlängen des Lichts messen und feststellen: das was Herrn Meier rot erscheint und das, was Herrn Müller rot erscheint, hat beides die gleiche Wellenlänge, auch wenn Herr Schmidt, der eine rot-grün-Blindheit besitzt, das nicht erkennen kann.
Und anders gesagt: Der Satz „Merkel ist Kanzlerin“ würde wohl nur von extrem harten Konstruktivisten angezweifelt werden. Ist der Satz „Merkel ist Kanzlerin“ denn keine objektive Wahrheit?
Konstruktivismus ist nichts anderes als ein Turmbau zu Babel durch ein paar durchgeknallte Erkenntnistheoretiker.
@71/72 – Stefan Pannor:
Welche metaphorischen Zähne hat der Presserat denn noch, um diese Entfesselung zu verhindern? Missbilligungen und Rügen, die jeder ignorieren darf, der kein Interesse daran hat, so etwas abzudrucken? Nein, der Presserat ist nicht weitgehend entzahnt, er war von Anfang an vollständig ohne jedes Gebiss. Es ist viel mehr die deutsche Gerichtsbarkeit, die diese Entfesselung bisher verhindert hat, indem sie nämlich immer wieder auch und vor allem den Springer Medien klarmacht, dass Persönlichkeitsrechte wichtig sind und nicht ignoriert werden dürfen.
Korrekt, da war ich offenbar nicht eindeutig genug. Mein Fehler, den ich zu entschuldigen bitte.
Nein, aber eine subjektive Wahrheit, die sehr viele Menschen teilen, die meisten indes vermutlich nicht, weil in ihrer Welt eine Angela Merkel oder das deutsche Bundeskanzler-Amt nicht existieren. Was jetzt an subjektiven Wahrheiten so furchtbar sein soll, erschließt sich mir noch nicht.
Soso, und das beurteilen Sie jetzt en passant aufgrund Ihrer jahrelangen philosophischen Ausbildung? Sie maßen sich hier wirklich an, jeden, der sich mit diesem Thema befasst hat und einen konstruktivistischen Standpunkt einnimmt, als durchgeknallt? Wenn diese Sicht der Dinge also so durchgeknallt ist, dann wird es Ihnen ja ein Leichtes sein, sie hier mal zu widerlegen, oder?
@ Dominic Zander:
Dass ich in einem an Sie gerichteten Beitrag Herrn Denglers Position kritisiert habe, impliziert nicht zwingend, dass ich als gesichert annehme oder behaupte, dass Sie Herrn Denglers Position teilen. Man kann meine Äußerung auch so interpretieren, dass ich – aus den dargelegten naheliegenden Gründen – einfach vermutet hatte, dass Sie sich Herrn Denglers Interpretation zueigen gemacht hatten, und dass ich für diesen Fall geantwortet habe (und so ist es auch in der Tat). Insofern kann man Ihnen selbst „vorhalten“, dass Sie meine Beiträge etwas „überinterpretieren“. Davon abgesehen bin ich mir nicht sicher, wie ich Ihre Position verstehen kann (s.u).
„…[objektive Wahrheit] gibt es sehr wohl in einigen Punkten Wahrheiten, genannt hatte ich da vor allem Mathematik, Logik, theoretische Informatik.“
Damit Ihre Position rational begründbar oder auch nur konsistent ist, muss es auch in der Erkenntnistheorie objektive und erkennbare Wahrheiten geben. Ihre Position setzt insbesondere voraus, dass wir so einiges über die Natur der menschlichen Erkenntnis und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit wissen (so dass wir sie beispielsweise zwischen erkennbaren und nicht-erkennbaren Bereichen der Wirklichkeit unterscheiden können). Dies wiederum dürfte etliches mit sich bringen, was wir ebenfalls wissen müssen – etwa über die Natur des menschlichen Geistes im Allgemeinen, und über die Wirklichkeit und ihre „Bereiche“.
„Und auch sonst gibt es natürlich eine objektive Wahrheit der Wirklichkeit, die wir nur nie erfahren können, oder selbst wenn, es niemals mit Sicherheit wüssten.“
Ich kann diese Position nicht nachvollziehen. Nehmen wir mal an, ich bin der Meinung, dass sich in der XY-Straße in der Stadt Z eine Apotheke befindet, und mein Nachbar bezweifelt es. Dann können mein Nachbar und ich doch einfach einen Spaziergang durch die Straße XY machen, und ich kann ihm die Apotheke zeigen. (Falls er dann immer noch nicht überzeugt ist, könnte man den Apotheker eventuell bitten, entsprechende Urkunden vorzulegen usw.) Wieso sollten wir unter Normal-Bedingungen nicht in Wahrheit, objektiv und sicher wissen können, ob sich in der XY-Straße eine Apotheke befindet oder nicht? (Jedenfalls mit einer Sicherheit, die jenseits aller vernünftigen und praktisch relevanten Zweifel liegt?)
Entsprechend kann ich doch auch feststellen, dass der Text, unter dem wir gerade Kommentare verfassen, über einem Beitrag der deutschen Welle (und am Rande über andere Medienberichte) handelt, und nicht etwa über die Musik eines Johann Sebastian Bach. Was sollte daran „subjektiv“ im Gegensatz zu „objektiv und erkennbar wahr“ sein? Sollte es so sein, dass der Text in Wahrheit doch über etwas ganz anderes handelt als über den Bericht der Deutschen Welle handelt? Oder dass selbst dann, wenn er wirklich über den Bericht der Deutschen Welle handelt, ich das niemals wissen kann?
„Zur Beurteilung, ob die Kritik der DW oder an der DW nun gerechtfertigt ist oder nicht, bedarf es keine objektiven Wahrheit.“
Wenn wir nicht feststellen können, ob eine Kritik in ihren zentralen Teilen etwas Wahres oder etwas Falsches über ihren Genstand behauptet, wie soll man dann feststellen können, ob die entsprechende Kritik ihrem Gegenstand gerecht wird oder nicht?
„Unsere subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit reicht da völlig aus.“
Wofür reicht sie aus?
Wenn unsere subjektive Wahrnehmung einen Sachverhalt nicht so erfasst, wie er ist, wie könnte sie dann als Maß dafür dienen, ob eine Kritik ebendiesem Sachverhalt gerecht wird oder nicht?
Abgesehen davon muss ich für ein Urteil, das auf „unserer subjektiven Wahrnehmung“ basiert, ja wenigstens wissen, wie „unsere subjektive Wahrnehmung“ TATSCHLICH aussieht – also objektiv und in Wahrheit, und nicht „allein subjektiv“. * Dazu muss ich aber nicht nur über mich, sondern auch über andere Menschen einiges „objektiv“ wissen. Genauso plausibel ist es dann aber doch auch, dass ich „objektiv“ feststellen kann, was in einer Broschüre drinsteht und was nicht, sofern dies Formulierungen dort hinreichend klar sind.
( * Sonst würden wir über die subjektive Wahrnehmung sprechen, so wie wir sie subjektiv wahrnehmen. Und wenn die dann ebenfalls nur subjektiv sein soll usw., kämen so in einen unendlichen Regress, in dem sich alles auflöst. Im Sinne von: „Ich nehme rein subjektiv wahr, dass ich rein subjektiv wahrnehme, dass ich rein subjektiv wahrnehme, dass…“ Es käme dann überhaupt keine Aussage mehr zustande, die irgendetwas über die Wirklichkeit (und sei es über die der menschlichen Wahrnehmung) behauptet und somit relevant und wahrheitsfähig wäre.)
@ Dominic Zander:
„Nein, aber eine subjektive Wahrheit, die sehr viele Menschen teilen, die meisten indes vermutlich nicht, weil in ihrer Welt eine Angela Merkel oder das deutsche Bundeskanzler-Amt nicht existieren.“
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was eine „subjektive Wahrheit“ sein könnte.
Dass ein Satz S wahr (bzw. falsch) sei, bedeutet doch nach allgemeinen Verständnis einfach, dass der von S behauptete Sachverhalt tatsächlich existiert (bzw. tatsächlich nicht existiert). Das „objektive“ Bestehen eines Sachverhaltes entscheidet demnach darüber, was Wahrheit ist oder nicht, und nichts „Subjektives“.
Die Aussage, dass Angela Merkel die Bundeskanzlerin der BRD ist ist demnach genau dann wahr, wenn Angela Merkel tatsächlich (objektiv) die Bundeskanzlerin der BRD ist – und sie ist genau dann falsch, wenn Angela Merkel tatsächlich (objektiv) nicht die Bundeskanzlerin der BRD ist. Ob die Mehrheit der Menschen etwas von Angela Merkel weiß, ist diesbezüglich nicht relevant.
Man muss doch unterscheiden zwischen „Wahrheit“ und „Wissen um die Wahrheit“.
Im Übrigen kommen doch auch viele theoretische Aussagen der Mathematik in der Welt der meisten Menschen nicht vor, und doch anerkennen Sie, dass es sich um objektive Wahrheiten handelt.
Ansonsten:
Ob man den die Fabrikate etwa einer Bild-Zeitung als „Journalismus“ wertet oder nicht, unter welcher Rücksicht man diese Frage stellt.
Geht es darum, dass die Bild eine Zeitung ist und über die Welt berichtet, dann fabriziert sie Journalismus. Ebenso ist die Bild nach ihrem Selbstverständnis und juristisch betrachtet eine Zeitung, die Journalismus betreibt.
Geht es darum, ob Bild den grundlegenden Ansprüchen gerecht wird, die nach allgemeinem Verständnis den Journalismus ausmachen und ihn beispielsweise gegen Agitation, Propaganda und Hetze abgrenzen, dann kann man sich allerdings durchaus fragen, ob die Bild tatsächlich „Journalismus“ (im vollen und eigentlichen Sinne) betreibt. Dass Bild keinen Journalismus macht, ist wohl eine polemische Überspitzung, aber sie kommt nicht von ungefähr.
@74 – LLL:
Vorab: Das geht sicherlich auch kürzer und prägnanter, oder? Übermedien.de ist jetzt ja kein Portal für Hobbyphilosophen ^^
Und das war eine Vermutung zu viel. Mehr hatte ich Ihnen auch nicht unterstellt, vor allem also auch nicht, dass Sie diese Vermutung als gesichert annehmen, sondern bloß, dass Sie vermuten. Aber offenbar muss ich doch noch deutlicher werden.
Ja. Man kann sehr wohl Wahrheiten bzgl. des „Geistes“ finden. Allerdings ist jede Annahme über die Wirklichkeit immer nur eine Annahme und keine gesicherte, d.h. objektiv wahre, Erkenntnis. Da liegt ein großer Unterschied. Die Mathematik ist ein schönes Beispiel, denn mathematische Sätze sind echt objektive Wahrheiten, haben aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Auch jede Erkenntnis über den menschlichen Geist ist in diesem Sinne eine subjektive Wahrheit. Subjektive Wahrheiten sind aber nichts Schlimmes, insbesondere dann, wenn sehr viele Menschen in dieser subjektiven Sicht auf die Wirklichkeit zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. Die Naturwissenschaften sind dafür ein gutes Beispiel. Es wird kaum jemanden geben, der die Relativitätstheorie als Unsinn ansieht, weil sie „nur“ durch empirische, d.h. subjektive, Daten untermauert wird und keine Wahrheit, sondern Theorie (nicht Hypothese!) ist.
Es ist nur wichtig, zu akzeptieren, dass unsere Erkenntnis Grenzen hat und dass wir eben nicht in der Lage sind eine objektive Wirklichkeit zu erleben.
Und nun beweisen Sie doch mal bitte, dass Sie existieren, dass Ihr Nachbar existiert, dass dieser Spaziergang stattgefunden hat, etc. Das können Sie nicht. Sie nehmen an, dass es so ist. Das ist auch vernünftig, da es gute Gründe gibt, dies anzunehmen und keinen Grund, der dagegen spricht. Aber Sie sind niemals in der Lage diese Behauptungen zu verifizieren. Und daher können diese Behauptungen zwar durchaus die Wirklichkeit beschreiben, aber niemand wird es jemals wissen(!).
Das ist der Knackpunkt. Nur weil etwas nicht bewiesen ist, muss man es nicht als Unsinn verwerfen. Siehe auch meine Ausführungen zur RT von Einstein. Nicht bewiesen, aber es ist vernünftig, die Gültigkeit (zumindest in einem gewissen Rahmen) anzunehmen. Dennoch ist es nahezu sicher, dass die RT nicht korrekt ist.
Und Goethes „Prometheus“ handelt also von einem Titanen der den obersten Olymper anklagt? Oder doch vielleicht auch von etwas Anderem?
Es gibt da eine einfache Methode: wir testen. Wir versuchen also zu falsifizieren, dass die Kritik etwas Wahres oder Falsche behauptet. In einem solchen binären Fall kann man dann übrigens indirekt echte Erkenntnis gewinnen, da die Falsifikation des einen aufgrund des tertium non datur die Verifizierung des anderen bedingt.
Weil die ontologische Wahrheit einer Sache irrelevant ist, nur die epistemologische ist wichtig.
Falsch. Denn wir können über unsere Wahrnehmung auch derart sprechen, wie wir sie gar nicht wahrnehmen. Ich kann auch über die Wahrnehmung von Rot-Grün-Blinden sprechen und sogar versuchen, mir diese Wahrnehmung vorzustellen und dann über diese dennoch subjektive Wahrnehmung sprechen. Ich sehe da kein Problem.
„Nur weil etwas nicht bewiesen ist, muss man es nicht als Unsinn verwerfen.“
Karl Popper rotiert in seinem Grab.
@75 – LLL:
Etwas, was ein Subjekt als Wahrheit ansieht.
Nein, entscheident ist, wie wir als Menschen, die darüber sprechen, diesen Sachverhalt wahrnehmen. Und in diesem Diskurs arbeiten wir dann heraus, wie der Sachverhalt vermutlich wirklich ist, ohne jedoch jemals tatsächlich zu wissen, ob es stimmt.
Außerdem wäre es dann noch hilfreich, dass Angela Merkel existiert, das Amt der Bundeskanzlerin existiert, die BRD existiert, etc. Nichts davon kann bewiesen werden, ist also immer nur – durchaus gut begründete – Annahme und demnach kein objektives Wissen, d.h. keine objektive Wahrheit.
Doch, denn für Subjekte ohne Kenntnis, existiert Angela Merkel evtl. gar nicht. Und da es keine Möglichkeit gibt, die Existenz zu beweisen, darf man nicht einfach sagen „Ist aber so und du hast Unrecht, weil du es nicht weißt“.
Ja, weil die Mathematik auch keine Aussagen über die Wirklichkeit trifft, sondern nur über sich selbst. Dadurch ist es für die Mathematik egal. Das ist auch der große Unterschied zwischen der Geisteswissenschaft Mathematik und bspw. den Naturwissenschaften.
Deswegen habe ich das auch nie so allgemein pauschalisierend geschrieben, sondern selbst bei dem, was Herr Reichelt da produziert, nur behauptet, dass es sehr häufig kein Journalismus im o.g. Sinne ist.
@77 – Stefan Pannor:
Ja, weil hier viel zu viele noch immer glauben, man könnte Aussagen über die Wirklichkeit beweisen. Dem hat Karl Popper mehr als ausdrücklich widersprochen.
Richtig. Nur folgt daraus eben nicht, dass etwas Unbewiesenes automatisch immer Wahrheitswert hat. Ihre Darlegungen grenzen ans Esoterische, freundlich gesagt. (Ich bin verblüfft: Sie und ich erkennen Popper gleich, obwohl das laut Ihrer Aussage nicht geht?)
@79 – Stefan Pannor:
Sie sollten wirklich an Ihrer Lesekompetenz arbeiten. Was Sie aus meinen Texten zu lesen glauben, ist einfach nur hanebüchen.
1. Ich habe niemals behauptet, dass etwas Unbewiesenes automatisch immer Wahrheitswert hat. Ich habe nur geschrieben, dass etwas Unbewiesenes deswegen nicht automatisch Unsinn ist. Das ist ein elementarer Unterschied. Dass Sie diesen nicht zu erkennen in der Lage sind, ist für mich die einzige Überraschung.
2. Ich habe niemals geschrieben, dass es nicht ginge, dass zwei Menschen die Texte eines dritten gleich interpretieren können.
@ Dominic Zander:
„Mehr hatte ich Ihnen auch nicht unterstellt, vor allem also auch nicht, dass Sie diese Vermutung als gesichert annehmen, sondern bloß, dass Sie vermuten.“
Ich hatte Sie so verstanden, als würden Sie meinen, dass ich Ihnen eine „Agenda“ unterstellen wolle. Das wollte ich aber in der Tat nicht, sondern nur eine – aus meiner Sicht plausible – Vermutung indirekt in den Raum stellen. Wenn Sie mir sagen, dass diese Vermutung falsch ist, akzeptiere und respektiere ich das selbstredend. Ich will Ihnen – auch wenn wir teilweise unterschiedliche Meinungen haben – sicher nicht zu nahe treten.
„Allerdings ist jede Annahme über die Wirklichkeit immer nur eine Annahme und keine gesicherte, d.h. objektiv wahre, Erkenntnis.“
Wobei dieser Satz für mich so rüberkommt, als wolle er eine objektiv wahre Erkenntnis über die Natur des Erkennens transportieren; als wolle er sagen, dass es TATSÄCHLICH der Fall ist, dass unser Denken über die Wirklichkeit immer nur eine Annahme und nie eine gesicherte objektiv wahre Erkenntnis sei. Wenn dies so gemeint wäre, würde ich mich fragen, ob hier kein Selbstwiderspruch vorliegt.
Vielleicht werden Sie jetzt sagen, dass Ihre Äußerungen über die Natur der Erkenntnis ebenfalls nur „Annahmen“ seien, die nicht objektiv wahr seien. Dann würde ich mich zum einen fragen, wieso man über Aussagen ohne Erkenntnis- und Wahrheitsanspruch überhaupt „streiten“ sollte.
Zum anderen würde ich fragen, ob es dann zumindest „objektiv“ wahr ist, dass Ihre Aussagen nur „Annahmen“ darstellen die nicht objektiv wahr sind. Wenn ja, dann nehmen Sie für sich eben doch in Anspruch, etwas über die Wirklichkeit zu wissen (nämlich über die Natur Ihres Erkennens bzw. Ihrer Aussagen). Wenn nicht, dann formulieren Sie eine Annahme ohne Wahrheitsanspruch über eine Annahme ohne Wahrheitsanspruch. Und wenn die dann auch nicht wahr ist usw., dann kommt etwas raus wie: „Ich nehme ohne Anspruch auf Wahrheit an, dass ich ohne Anspruch auf Wahrheit annehme, dass ich…“, und zwar in infinitum. Dies wäre überhaupt keine sinnvolle Aussage mehr, und erst recht keine, mit der irgendetwas Wahrheitsfähiges behauptet würde.
Dass ich existiere brauche ich nicht zu „beweisen“, da mir die Tatsache meiner Existenz unmittelbar in meinem Selbstbewusstsein gegeben ist, und zwar mit mindestens derselben Sicherheit wie alles mittelbar Beweisbare (siehe Descartes „Cogito ergo sum“). Dass andere Menschen oder beispielsweise Apotheken existieren, kann ich wohl nicht mit absoluter Sicherheit wissen oder beweisen.
Es besteht hier aber – das sagte ich schon – nach meiner Überzeugung dennoch eine Sicherheit, die jeden vernünftigen, praktisch relevanten Zweifel als absurd erscheinen lässt. Daher sehe ich nicht ein, wieso man hier nicht durchaus von „Wissen“ und „Beweisen“ sprechen kann. Das scheint mir auch der übliche Sprachgebrauch zu sein. Wir sehen im Alltag und auch in den empirischen Wissenschaften vieles als „bewiesen“ an, auch wenn ein letzter „theoretischer“ oder „philosopischer“ Zweifel bleiben mag. Der Begriff des „Beweises“ setzt auch dem üblichen Verständnis keine absolute Sicherheit voraus. Deshalb sprechen wir ja beispielsweise auch in der Physik oder der Justiz von „Beweisen“.
Sie definieren „subjektive Wahrheit“ wie folgt:
„Etwas, was ein Subjekt als Wahrheit ansieht.“
Ich weiß nicht, worin der Unterschied zu einer reinen Meinung, Ansicht, Auffassung oder Überzeugung bestehen sollte – es scheint mir vielmehr eindeutig dasselbe zu sein. (Wenn ich „meine“, dass die Venus näher an der Sonne ist als der Uranus, dann sehe ich es auch als Wahrheit an, dass das (vermutlich) so ist; und vice versa.)
Und ich sehe auch nicht, wie man aufgrund „reiner Meinungen“ (Meinungen ohne echte Wahrheitserkenntnis) zu einem fundierten, rational begründeten Urteil über irgendeine Sache kommen könnte – und sei es die Interpretation eines Textes.
„Und Goethes ‚Prometheus‘ handelt also von einem Titanen der den obersten Olymper anklagt? Oder doch vielleicht auch von etwas Anderem?“
Sicherlich zumindest das erste. Ob auch etwas anderes metaphorisch mit ausgesagt wird, darüber kann man diskutieren.
Man kann sich ja normalerweise erst mal darüber verständigen, was in einem Text direkt gesagt wird. Bei manchen Texten gibt es dann auch noch eine symbolische Ebene, die oft nicht so klar fassbar ist, und gerade Gedichte fallen in diese Kategorie. Das heißt aber nicht, dass bei der Diskussion jedes beliebigen Textes alles „subjektiv“ wäre. Es steht beispielsweise ohne jeden vernünftigen Zweifel fest, dass Herr Niggemeier sich mit seinem obigen Text kritisch auf einen Beitrag der Deutschen Welle bezieht, und nicht (auch) auf die Geschichte des römischen Reiches in Gallien. Wir werden bei der Interpretation von Texten nicht immer, aber doch sehr häufig zu klaren und wahren Erkenntnissen kommen.
„Es gibt da eine einfache Methode: wir testen…In einem solchen binären Fall kann man dann übrigens indirekt echte Erkenntnis gewinnen…“
Hier scheint mir ein Widerspruch vorzuliegen, weil ich dachte, dass man über die reale Wirklichkeit nie echte/objektive Erkenntnis gewinnen könne. Wenn Sie das jetzt aber so schreiben, dann haben wir vielleicht gar keine wirkliche Kontroverse?
Klar ist jedenfalls, dass man für einen Test bereits sicheres Wissen braucht, denn sonst kann man ihn gar nicht durchführen oder interpretieren (siehe auch unten zu Popper).
„Weil die ontologische Wahrheit einer Sache irrelevant ist, nur die epistemologische ist wichtig.“
Was das (im konkreten Zusammenhang) bedeuten soll, erschließt sich mir offen gesagt nicht.
„Denn wir können über unsere Wahrnehmung auch derart sprechen, wie wir sie gar nicht wahrnehmen. Ich kann auch über die Wahrnehmung von Rot-Grün-Blinden sprechen und sogar versuchen, mir diese Wahrnehmung vorzustellen und dann über diese dennoch subjektive Wahrnehmung sprechen.“
Ja, aber dann sprechen wir doch über die tatsächliche (!) Wahrnehmung von Rot-Grün-Blinden. Wir sprechen über diese Wahrnehmung, so wie sie nach unserer Auffassung „in Wirklichkeit“ ist. Wir mögen uns täuschen und etwas Falsches sagen – so oder so aber beziehen wir uns in unserem Urteil auf einen objektiven Sachverhalt (die Wahrnehmung von Farbenblinden). Ich kann natürlich auch etwas zu meiner Meinung meinen, aber auch da muss ich dann mal zu einem Abschluss kommen, denn sonst habe ich eine unendliche Kette, die ins Nichts führt (s.o.).
„Nein, entscheident ist, wie wir als Menschen, die darüber sprechen, diesen Sachverhalt wahrnehmen.“
Damit geben Sie dem Begriff „Wahrheit“ eine neue, unkonventionelle Bedeutung. Die „übliche“ Definition der Wahrheit impliziert, dass die Wirklichkeit selbst darüber entscheidet, ob das Sprechen der Menschen wahr oder falsch ist (selbst wenn die Menschen die Wirklichkeit nicht erkennen können). Wie schon Aristoteles es formulierte:
„Das Wahre hat der, der das Getrennte als getrennt und das Verbundene als verbunden denkt; das Falsche ergreift, wer eben dieses Verhältnis anders auffaßt als es in Wirklichkeit ist….es ist jemand nicht deshalb in Wahrheit bleich, weil wir meinen, er sei bleich, sondern umgekehrt: weil er bleich ist, ist unsere Aussage wahr, wenn wir das von ihm aussagen.“
Sie selbst benutzen diesen „normalen“ Wahrheitsbegriff vermutlich ebenfalls zumindest implizit: Sie würden doch wohl sagen, dass Ihre bisherigen Ausführungen (vermutlich) wahr sind. Damit würden Sie aber dann doch wohl meinen, dass die Dinge sich tatsächlich so verhalten, wie Sie es behaupten, und nicht, dass die Menschen so sprechen.
„Außerdem wäre es dann noch hilfreich, dass Angela Merkel existiert, das Amt der Bundeskanzlerin existiert, die BRD existiert, etc.“
Die Aussage, dass die Angela Merkel die Bundeskanzlerin der BRD ist, präsupponiert bereits, dass sie, ihr Amt und die BRD existieren. Und die Wahrheit der Aussage „Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin der BRD“ hinge auch dann von den Tatsachen ab, wenn wir diese Tatsachen nicht zu erkennen und zu beweisen imstande wären. (Wir können diese Tatsachen jedoch jenseits aller vernünftigen Zweifel erkennen.)
Ich weiß auch nicht, ob es im Andromedanebel Leben gibt; und wenn es welches gibt, kann ich es nicht beweisen. Ob die Aussage „Im Andromedanebel gibt es Leben“ aber wahr oder falsch ist, hängt dennoch davon ab, ob es dort tatsächlich Leben gibt oder nicht. Jedenfalls, wenn wir Begriffe wie „wahr“ und „falsch“ in ihrer üblichen Bedeutung verstehen.
„Doch, denn für Subjekte ohne Kenntnis, existiert Angela Merkel evtl. gar nicht.“
Ich weiß nicht, was es bedeuten soll, dass ein Phänomen X „für“ eine Person P nicht existiert. Ist damit einfach gemeint, dass Person P nichts von X weiß, und/oder dass X keine direkten Auswirkungen auf P hat? Was hätte dies aber für eine Relevanz im Zusammenhang mit der Wahrheit?
„Dem hat Karl Popper mehr als ausdrücklich widersprochen.“
Karl Popper hat der These widersprochen, dass man allgemeine Gesetze beweisen könne. (Wie berechtigt oder ihrerseits kritikwürdig seine Meinung in diesem Punkt war, möchte ich hier nicht vertiefen.)
Dass hingegen einzelne Tatsachen beweisbar sind, wird von der Popperschen Falsifikations-Theorie sogar explizit vorausgesetzt. Beispielsweise kann ich die These, dass alle Schwäne weiß sind, nur dann falsifizieren, wenn ich wissen bzw. beweisen kann, dass es nicht-weiße Schwäne gibt (es gibt in Australien offenbar tatsächlich schwarze Schwäne). Kann ich nichts objektiv wissen bzw. objektiv beweisen, weil ich immer nur Annahmen habe, dann kann ich auch nichts objektiv falsifizieren. Dann bin ich im Reich der radikalen Skepsis.