Zwei Wochen offline

Meine Dschungel­prüfung: Ohne Netz und doppelten Hoden

Mittwoch, 17. Januar. Tag 1.

Am Nachmittag müssen wir zum Zahnarzt. Nichts Ernstes, hoffentlich, nur nachgucken. Und nur beim Kind. Um uns (also: mich) vorher zu beruhigen, wollen wir noch ein Video gucken: „Tom der Abschleppwagen“, „Leo junior“ — man kennt das.

Doch der Fire-TV-Stick, der aus meinem leicht antiquierten Fernseher eine Abspielstation für alle denkbaren Streaming-Dienste macht, funktioniert nicht. Am Router leuchten nur noch die LEDs für W-LAN und – so schwach wie die Hoffnung eines Köln-Fans – für Power. Ich mache, was ich in so einem Fall immer mache: Stecker ziehen, kurz warten und neu einstöpseln. Es wird nicht besser. Vom iPhone aus erstatte ich eine Fehlermeldung bei der Telekom, dann müssen wir los.

Der Kinderzahnarzt hat keinen Behandlungsstuhl, sondern eine Liege, auf die sich die kleinen Patienten ganz entspannt legen können. Über ihrem Kopf hängt ein Fernseher unter der Decke und zeigt „Lars, der kleine Eisbär“. Die Zahnarzthelferinnen sagen, sie könnten das alles schon mitsprechen, aber für die Kinder ist es natürlich ein Traum — auch meins ist für heute versorgt. Ich überlege, ob ich meine Zähne auch nachgucken lassen soll, um ein bisschen Fernsehen zu können. Stellt sich raus: Ich bin zu groß für die Liege und meine Kasse würde die Behandlung nicht übernehmen.

Nachmittags ruft die Telekom an und sagt, dass morgen ein Techniker vorbeikommen würde. Ich denke zurück an meine Erfahrungen mit anderen Telefonanbietern, an Sauerstoffmasken zur Beruhigung und finde, 50 Euro im Monat sind ein total okayer Preis für ein bisschen Internet.

Abends sitze ich alleine auf meiner Couch. Monatelang (na gut: seit den ganzen Reisedokumentationen um Neujahr herum) habe ich kein Fernsehen geguckt, heute hätte ich natürlich Bock. Aus meinem Router kommen aber nicht nur Internet und Telefon, sondern auch das richtige Fernsehen — also: Erstes, Zweites, Drittes und die ganzen anderen Programme. Mein Receiver ist gleichzeitig ein Festplattenrekorder, auf dem noch einige ungesehene Spielfilme und Dokumentationen schlummern (und ganze Staffeln von Fernsehserien, aber wen versuche ich hier zu verarschen?!). Das Ding ist nur: ohne Internetverbindung kann ich auch die nicht abspielen. Sicherlich so ein Sicherheits- und Rechte-Ding.

Aber wozu habe ich noch hundert DVDs im Regal? Richtig: Aus dem gleichen Grund, warum ich 1.200 CDs im Regal stehen habe — um Leuten, die von „Leben entrümpeln“ und „Cloud“ reden, in solchen Momenten überlegen zuzulächeln und zu sagen: „Die Stadtbücherei hat auch um vier Uhr nachts geschlossen, also habe ich lieber vorsichtshalber auch noch eigene Bücher zuhause!“ Heute gucke ich „Sunset Boulevard“, einen über 50 Jahre alten Billy-Wilder-Film, der von einer alternden Stummfilmdiva handelt, die sich nicht damit abfinden will, dass ihre Karriere mit dem aufkommenden Tonfilm zu Ende gegangen ist.


Donnerstag, 18. Januar. Tag 2.

Für draußen herrscht Sturmwarnung. Ich weiß das, weil ich Jörg Kachelmann auf Twitter folge und WDR 2 sein übliches Programm aus austauschbarem deutschsprachigem Neo-Schlager und Eigen-Promotion zwischenzeitlich unterbricht, um über Sturmschäden „im Westen“ (gemeint ist das Sendegebiet, mithin ein Bundesland, das mit „Nordrhein-Westfalen“ und „NRW“ schon über zwei mehr oder weniger knackige Bezeichnungen verfügt) zu berichten. Absurd wird es, wenn „im Westen“ „vor allem der Norden von NRW betroffen ist“, aber das fällt jetzt nur mir auf, weil ich plötzlich Radio über UKW hören muss. Normalerweise höre ich nämlich Radioeins vom RBB, aber das natürlich auch über Internet.

Wir bleiben zuhause, das Kind geht nicht in die Kita — und das bedeutet heute natürlich vor allem: der Lagerkoller ist vorprogrammiert. Ein paar Stunden schaffen wir mit Holzeisenbahn, Playmobil, Bilderbüchern und UNO (das Spiel, nicht die Organisation — wie sollten wir gerade mit New York kommunizieren?!) zu überbrücken, dann kommt doch die gefürchtete Frage: „Papa, darf ich ein Video gucken?“

Das Kind guckt am Liebsten abgeschlossene Geschichten von fünf Minuten Länge — eine Anforderung, die in unserem Haushalt exakt eine DVD erfüllt: Die gesammelten Abenteuer der Maus auf dem Mars. Meine erste und bisher einzige Begegnung mit diesem Klassiker des animierten Kinderfernsehens hatte ich vor fast 30 Jahren, als ich mal einen ganzen Tag beim mir eher unbekannten Kind von Freunden meiner Eltern verbrachte und wir Folge um Folge auf VHS schauten, bis die Mutter irgendwas von „viereckigen Augen“ geraunt und den Fernseher ausgeschaltet hatte. Jahrzehnte später hatte ich die DVD in einem Anfall von Nostalgie auf meinen Amazon-Wunschzettel gepackt und tatsächlich zu Weihnachten von meinen Geschwistern bekommen — noch bevor ich selbst Vater werden sollte. Seitdem ist diese Box mit zwei DVDs ungeöffnet zweimal mit umgezogen, heute ist ihr großer Tag!

IIch kenne jetzt alle 52 Folgen der „Abenteuer der Maus auf dem Mars“. Die Leute, die früher Kinderfernsehen gemacht haben, haben offenbar genauso viele Drogen genommen wie die, die heute Kinderfernsehen machen — nur völlig andere.

Nachmittags klingelt es an der Haustür. Es ist der angekündigte Telekom-Techniker, der trotz Sturm seine Runde macht. Er sieht aus wie 14, was meine Vatergefühle, die kurzzeitig dem Lagerkoller mit dem eigenen Kind zum Opfer gefallen waren, wieder voll entfacht, weiß aber offenbar sehr genau, was er da tut: Telefondose im Wohnzimmer vermessen, Verteilerdose im Keller suchen und vermessen, zum Verteilerkasten draußen auf der Straße stapfen und irgendwas messen. Das Kind erklärt ihm währenddessen, dass es heute nicht in der Kita war und was die Maus auf dem Mars so alles erlebt hat.

Von meiner Großmutter habe ich gelernt, Handwerker anständig zu versorgen, also hole ich aus unserem Vorratsschrank eine Tafel Schokolade und sage zu meinem Kind, dass es die gleich dem Handwerker geben soll, wenn der wieder reinkommt: „Wir haben auch noch mehr Schokolade für uns da.“ Der Techniker kommt wieder, misst noch mal alles durch und muss noch mal an den Verteilerkasten. Das Kind gibt ihm die Tafel Schokolade mit und erklärt, er könne die ruhig mitnehmen, wir hätten noch mehr da.

Der Techniker kommt wieder — aber nicht, um noch mehr Schokolade zu holen, sondern um zerknirscht zu erklären, dass er da jetzt leider nichts machen könne: Das Erdkabel sei irgendwo unterwegs „abgesoffen“, er werde direkt die zuständige Abteilung und „den Tiefbau“ verständigen, aber – dafür, dass er aussieht wie 14, ist er mit den Jovialitäten des bürgerlichen Alltags bestens vertraut – „Stadt Bochum, dat kennense ja: Dat kann dauern!“

Wir müssten uns auf etwa eine Woche ohne Internet einstellen, sagt der Mann, und gerade als er fragt, wie das eigentlich bei meinen Nachbarn aussehe, erscheint wie in einer guten Boulevardkomödie eine meiner Nachbarinnen im Treppenhaus und fragt, ob ich noch Internet hätte. Der Telekom-Techniker fasst die Situation zusammen, meine Nachbarin all ihre negativen Erfahrungen mit der Deutschen Telekom in den letzten zwanzig Jahren. Das Kind will rein.

Als wir am Abendbrottisch sitzen, denke ich: „Och, eigentlich voll gemütlich! Ich wollte ja eh viel weniger Zeit am Computer – und damit: bei Facebook und Twitter – verbringen und wieder mehr lesen und Musik hören.“ Ich schreibe einen Zettel mit den wichtigsten Informationen für alle Nachbarn und hänge ihn im Treppenhaus auf. Um sieben Uhr bringe ich das Kind ins Bett und schlafe mit ein.


Freitag, 19. Januar. Tag 3.

Heute machen wir Waffeln! Meine beste Freundin kommt zum Kaffee und ich erzähle ihr von dem ganzen Elend mit Internet und Fernsehen — und dass mir gerade erst aufgefallen sei, dass ja heute das Dschungelcamp startet. Jene RTL-Unterhaltungssendung, die auch mit meinem Leben verbunden ist, seit ich vor fünf Jahren in der Nominierungskommission für den Adolf-Grimme-Preis saß und den altehrwürdigen Preis und das ihn verleihende Institut mit einer Nominierung für „Ich bin ein Star — holt mich hier raus!“ fast in den Abgrund stürzte. Jene zwei Wochen im Jahr, wo ich wirklich mal Fernsehen gucke! Selbst ein Ausfall bei der Fußball-WM wäre erträglicher — die wird ja auch im Hörfunk übertragen, wo die Kommentatoren weniger nervtötend und das Geschehen viel spannender ist!

Als ich wehmütig auf den Router im Wohnzimmer blicke, stelle ich fest, dass alle LEDs wieder leuchten — wir haben wieder Netz!

Abends sitze ich gespannt vor dem Fernseher, den Laptop mit meiner Twitter-Timeline auf dem Schoß. Ich stelle fest, dass ich von den letzten Staffeln Dschungel jeweils maximal die Hälfte mitbekommen habe, weil mich Nachtschichten, Umzüge und Kinderversorgung vom richtig engagierten, womöglich gar gemeinschaftlichen Schauen abgehalten haben. Jedenfalls hatte ich erfolgreich verdrängt, wie öde die ersten Folgen meist sind: Die wahnsinnig augenzwinkernde Vorstellung der Kandidat*innen, das Wecken durch die Ranger, der betont originelle Transport in den Dschungel (nicht ohne vorherige Leibesvisitation, bei der die Ranger jedes Jahr immer noch etwas entdecken). Es scheint so, als seien die einzigen Menschen auf diesem Planeten, die das nicht schon ein paar Mal zu oft gesehen haben, exakt die zwölf, die gerade in den Dschungel einziehen. Dennoch ertappe ich mich dabei, wie ich mir den Namen Matthias Mangiapane merke und für einige Sekunden Sympathie für Natascha Ochsenknecht empfinde.

Weil die Musikauswahl wieder so sensationell gut ist, twittere ich dann irgendwann doch mal was mit dem Hashtag #IBES — und merke gleich wieder, dass „Second Screen“ und ich nicht zusammenpassen: ich kann weder der Sendung noch den anderen Tweets folgen und fühle mich sehr, sehr alt. Nicht so alt wie die Leute, die meinen, dem inneren Bildungsbürger Auslauf verschaffen zu müssen, indem sie jetzt behaupten, dass sie den Hashtag #IBES stumm geschaltet hätten oder jeden entfolgen würden, der dazu twittert, aber doch alt. (Richtig alt wäre natürlich, die Medienseite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ handschriftlich darüber zu informieren, dass man seit Jahren keinen Fernseher mehr besitzt, aber das wäre auch fast schon wieder cool.)

Ein bisschen enttäuscht gehe ich nach der Sendung ins Bett: Und das ist jetzt dieses Entertainment, das sich die Leute abends geben?


Samstag, 20. Januar. Tag 4.

Das Internet ist wieder weg! Wir haben es offenbar mit einem Wackelkontakt zu tun, der das Kabel nur bei bestimmten Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen im Erdreich leitfähig hält.

Wir gehen ins Schwimmbad, spielen UNO und gehen um sieben Uhr schlafen.


Sonntag, 21. Januar. Tag 5.

Wenn ich darauf gehofft hatte, wenigstens jeden zweiten Tag Internet zu haben, so werde ich heute enttäuscht.

Auf unserem Fernseher ist heute trotzdem der Dschungel zu sehen: Wir gucken ein bisschen „Tarzan“ aus dem Hause Disney. Dort wird das Lager der Menschen von den Tieren zerstört, dazu singt Phil Collins — zwar auf deutsch, aber doch besser verständlich als die meisten Dschungel-Kandidat*innen der letzten Staffeln.

Einer Karikatur, die der Dschungelcamp-Autor Micky Beisenherz gezeichnet hat, entnehme ich, dass Kandidat Matthias offenbar einen Bade-Einteiler mit Mais-Muster mit in den Dschungel genommen hat. Vielleicht möchte ich das alles gar nicht wissen.

Statt Dschungel gönne ich mir abends ein paar Megabyte meines Datenvolumens, um meinen Lieblingspodcast „Pop Culture Happy Hour“ zu hören. Nach der Hälfte der Folge bin ich eingeschlafen.


Montag, 22. Januar. Tag 6.

Nachdem ich das Kind in die Kita gebracht habe, setze ich mich in ein Café, in dem es W-LAN gibt. Ich möchte nicht unhöflich sein und für meinen Cappuccino überproportional lange wie ein langhaariger, bärtiger Medien-Hipster mit meinem MacBook in dem Laden rumsitzen, deswegen arbeite ich erstaunlich fokussiert. Vielleicht eine Idee für die Zukunft?

Im Treppenhaus fragt mich eine Nachbarin, ob mein Zettel mit dem Verweis auf die Internetstörungen weg könne. Sie und alle anderen Nachbarn hätten jedenfalls wieder Internet.

Ich habe keins und bin amüsiert, traurig und genervt. Dafür hab ich Schimmel am Rolladenkasten im Wohnzimmer, und man kann ja nun wirklich nicht alles haben. Interessant aber, dass alle meine Nachbarn offensichtlich bei anderen Telekommunikationsanbietern sind — interessant deshalb, weil mir der Vertreter meiner Wohnungsbaugesellschaft bei der Wohnungsbesichtigung vor zwei Jahren erklärt hatte, man müsse in diesem Haus leider Telekom-Kunde sein. Die Rechtmäßigkeit solcher Bedingungen habe ich damals schwer angezweifelt, sie waren mir aber egal, da ich eh schon bei der Telekom war und Nummer und Anschluss mitbringen wollte (wie lustig und erfolgreich das war, lesen Sie vielleicht später mal in einem anderen Text, wenn ich das therapeutisch aufgearbeitet habe).

Nachmittags gehen wir zum Kinderturnen, was als Bezeichnung mindestens so irreführend ist wie „Star“ für die Bewohner des Dschungelcamps: Hier dürfen die Eltern (und Großeltern) noch selbst rennen, hüpfen und klettern. Nichts für Versager. Heute geht es in den Wald — aber „nicht in echt“, wie das Kind es nennt. Wir müssen alle so tun, als wären hier Bäume und gefährliche Tiere. Also alles wie im Fernsehen.

Abends reime ich mir aus meiner Twitter-Timeline zusammen, dass die Moderatoren im Dschungel einen Witz über Sarah Kuttner gemacht haben müssen:

https://twitter.com/KuttnerSarah/status/955550592340021248

https://twitter.com/KuttnerSarah/status/955551634121265153

Anja Rützel, zu Recht gefeierte Trash-TV-Beauftragte von „Spiegel Online“, legt bei Twitter den Verdacht nahe, dass die aktuelle Staffel wohl ähnlich prickelnd sei wie die Auftakt-Folge am Freitag:

Diese Twitter-Lektüre ist so, wie wenn man Joggen geht, während Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft im Halbfinale gegen Italien spielt: Man bekommt nur die Reaktionen der Menschen hinter ihren geöffneten Wohnzimmerfenstern mit.


Dienstag, 23. Januar. Tag 7.

Um 11:07 bekomme ich folgende SMS:

Sehr geehrter Kunde, wir haben die Störungsbearbeitung am Anschluss […] abgeschlossen. Sollte es wider Erwarten noch Probleme geben, rufen Sie uns bitte unter […] an. Freundliche Grüße, Ihre Telekom Deutschland GmbH

Das ist vor allem deshalb überraschend, weil es noch massive Probleme gibt — wenn auch zumindest nicht wider mein Erwarten. Ich rufe also bei der technischen Hotline an und referiere kurz die Ereignisse der letzten Tage bis hin zu der soeben erhaltenen SMS. Der Mann am Telefon ist sehr freundlich und erzählt mir, während er auf das Ergebnis der technischen Überprüfung (Spoiler: „immer noch kaputt!“) wartet, dass er früher auch in Bochum gewohnt habe, jetzt aber in Oberhausen.

Nach allen Messungen wissen wir (wieder einmal): Es muss wirklich das Kabel ausgebuddelt werden. Der Mann am Telefon guckt mal rasch, wann der nächste Techniker-Termin frei ist, und als er anfängt „sechs, sieben, acht“ vorzulesen, bricht mir doch kurz der Schweiß aus. Heute ist der 23., das wären noch zwei Wochen. „Leider alles ausgebucht“, sagt er, als hätte ich gerade nach einem bezahlbaren Hotelzimmer zu Messe-Zeiten gefragt. Und dann: „Ah, da! Am 2. Februar ist was frei!“ „Dann nehme ich das doch!“, rufe ich übertrieben gut gelaunt und hoffe, dass sie wenigstens mit einem riesigen Bagger anrollen, das Kind zu dem Zeitpunkt zuhause ist — und wir dann bitte gefälligst zur Entschädigung wenigstens beide ins Führerhaus dürfen. Zur Not würde ich auch alleine gehen.

Ich bedanke mich artig, lege auf und wundere mich selbst, wie entspannt ich immer noch bin. Der junge, wilde Blogger-Lukas hätte schon lange angefangen, seine zunehmende Wut in einem Video zu dokumentieren, ich denke nur: „Wenigstens ist das Kind gesund!“

Ich hole das gesunde Kind aus dem Kindergarten ab, und wir gehen zusammen in die Stadtbücherei und suchen uns neue Kinder-DVDs aus, weil wir langsam genug von extraterrestrischen Nagetieren haben. Und vielleicht liegt es daran, dass ich doch ganz langsam ein bisschen wahnsinnig werde, aber: „Willi Wiberg“ ist wirklich eine ganz tolle, liebevoll umgesetzte Kinderserie!


Mittwoch, 24. Januar. Tag 8.

Endlich Nachtschichten! Endlich Tage, an denen ich sowieso nicht gucken könnte, selbst wenn ich könnte.

Meiner Twitter-Mauerschau entnehme ich, dass Matthias Mangiapane vom Publikum offenbar bisher in jede Dschungelprüfung gewählt wurde:

Das ist schön, denn an andere Kandidat*innen kann ich mich eh nicht mehr erinnern.


Donnerstag, 25. Januar. Tag 9.

Nächste Nachtschicht beim „ARD Morgenmagazin“. Meine Behauptung, dass ich nur das Fernsehen gucken würde, was ich selber mache, ist aktuell vollkommen zutreffend.

Mein Mobilfunkanbieter informiert mich, dass ich jetzt 80% meines aktuell gebuchten Datenvolumens erreicht hätte. Das finde ich okay, weil ich auch ziemlich genau 80% meines aktuell gebuchten Monats erreicht habe.

In der Bochumer Innenstadt ist bei Straßenbauarbeiten eine Zehn-Zentner-Bombe aus dem zweiten Weltkrieg gefunden worden, die jetzt zeitnahe entschärft werden muss. Dafür wird die halbe Innenstadt geräumt. Ich verfolge die Ereignisse, so gut das auf einem sechs Jahre alten iPhones 4S eben geht, via Twitter.

Man könnte an solchen Tagen medientheoretische Seminararbeiten in Echtzeit verfassen: Erst kommen die offiziellen Verlautbarungen via Stadt und Lokalmedien; dann die ersten Scherzkekse (Menschen, die bei einem Bombenfund von „Bombenstimmung“ schreiben, sollten sich sofort selbst löschen — nicht, weil der Witz sonderlich geschmacklos wäre, sondern weil Dieter Hallervorden in einem grobkarierten Sakko von Peter Frankenfeld einen handschriftlichen Notizzettel von Lou van Burg gefunden hat, auf dem dieser Kalauer bereits durchgestrichen war); dann die Trolle, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik für die Funde von Weltkriegsbomben verantwortlich machen und das vermutlich – vielleicht aber auch nicht – für einen großen Spaß halten, auf den dann wahlweise die AfD-Anhänger oder die Leute aufspringen, die ein bisschen Ernsthaftigkeit im öffentlichen Diskurs für angezeigt halten. Dann kommen die Pornoseiten, die den Hashtag verwenden, weil er in Deutschland „trendet“ und wenn das nicht der beste Zeitpunkt ist, um spätestens ins Bett zu gehen, dann weiß ich auch nicht.

Andererseits habe ich auch nicht das Gefühl, viel zu verpassen:


Freitag, 26. Januar. Tag 10.

Heute wird die neue Staffel von „Pastewka“, der Fernsehserie, in der Bastian Pastewka Bastian Pastewka spielt, veröffentlicht — und zwar nicht im Fernsehen, sondern bei Amazon Prime. Für mich ist das egal, ich kann bekanntlich beides gerade nicht sehen.

Abends fahre ich zum kettcar-Konzert in Dortmund. Noch besser als Musik von CD hören zu können, obwohl man kein Internet hat, ist es, Musik live zu hören. Ich treffe Freunde, alte Bekannte und hinterher die Band und wir reden über das, über was man jetzt in unserem Lebensabschnitt halt so redet: Kindergartenplätze und Serien. Die Musiker erzählen, was sie im Nightliner so gucken, und ich denke: „Voll doof, dass ich nicht mal zuhause Serien gucken könnte, wenn ich Serien gucken wollen würde!“


Samstag, 27. Januar. Tag 11.

Viel scheine ich auch gestern nicht verpasst zu haben:

https://twitter.com/KuttnerSarah/status/957011839094788096

Das Kind ist wieder da, wir bekommen Besuch. Die Freundin, die da ist, hat seit der Abschaltung von DVB-T im vergangenen Jahr gar kein lineares Fernsehen mehr zuhause — ein Zustand, der für mich undenkbar wäre, obwohl ich so wenig Fernsehen gucke: Das ist ja, als ob man kein fließend Warmwasser zuhause hätte! Sie erzählt, dass sie sich extra den Freimonat in der „TV Now“-App von RTL gesichert hätte, um abends das Dschungelcamp gucken zu können, nun aber festgestellt hat, dass man als junge Eltern um 22:15 viel zu müde ist, um eine Fernsehsendung einzuschalten.

Das Kind geht um 19:30 ins Bett — ich auch.


Sonntag, 28. Januar. Tag 12.

„Willi Wiberg“ ist die beste Kinderserie, die jemals produziert wurde! Außerdem ist heute Kindergottesdienst, da gehen wir doch glatt hin! Kirche ist ja auch irgendwie wie Fernsehen, denke ich — und stelle fest, dass ich in den letzten Jahren noch nie so viel über Fernsehen nachgedacht habe (also: aus Zuschauersicht) wie jetzt, wo ich keins gucken kann.

Abends sitze ich auf dem Sofa und überlege, was ich jetzt machen würde, wenn ich Fernsehen und Internet hätte. Die traurige Wahrheit: Ich würde vermutlich mit dem MacBook auf dem Sofa sitzen und – wie die letzten zehn Jahre – nichts Konkretes machen. Einfach so online rumhängen, mich darüber ärgern, dass so viele Leute über den „Tatort“ twittern, aber ganz sicher nichts Sinnvolles tun. Ich sollte also dankbar sein, dass äußere Faktoren für etwas sorgen, das ich alleine viel zu selten hinkriege: Ich habe Zeit zum Lesen, Musik hören und/oder Filme gucken. Um neun Uhr schlafe ich auf der Couch ein, um zehn gehe ich ins Bett.


Montag, 29. Januar. Tag 13.

Ich hab den Mittag frei und putze erst mal das Badezimmer.

Nachmittags erhalte ich eine SMS:

Sie surfen jetzt mit reduzierter Geschwindigkeit, da Ihr inkludiertes Datenvolumen verbraucht ist. Es fallen keine Zusatzkosten an und zu Beginn des nächsten Monats steht Ihnen wieder die volle Geschwindigkeit zur Verfügung. Sie haben die Möglichkeit zusätzliches Highspeed Datenvolumen zu buchen. Weitere Informationen erhalten Sie unter http://datapass.de. Zur direkten Buchung von SpeedOn mit 500 MB für 4,90 € schicken Sie eine SMS mit „speed“ an die 7277.

Es sind noch 55 Stunden bis zum Beginn des nächsten Monats. WhatsApp, E-Mail und Twitter funktionieren auch mit langsamerer Verbindung und zu mehr ist mein iPhone eh nicht mehr in der Lage. Mir wird die Welt da draußen zunehmend egal, das Dschungelcamp sowieso.

Abends will ich mal wieder eine DVD gucken und entscheide mich bei all der Auswahl ausgerechnet für „Tomorrow Never Dies“, einen der James-Bond-Filme mit Pierce Brosnan — also leicht schwachsinnige, aber okaye Unterhaltung, bei der man vielleicht hängen bleibt, wenn man sie beim Zappen entdeckt, aber eigentlich nichts, was man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte bewusst in den DVD-Player einlegt. Storytechnisch ist es definitiv einer der realistischeren Bond-Filme: Ein bösartiger Medienmogul versucht, einen Krieg anzuzetteln, um mit seinen Zeitungen und Fernsehsendern groß darüber berichten zu können, und sich die exklusiven Verbreitungsrechte für den chinesischen Markt zu sichern. Der Film ist von 1997, das Internet und Social Media spielen darin keine Rolle und ich erwische mich bei Gedankenspielen, ob ein einzelner Rupert Murdoch (der im Film Elliot Carver heißt) wohl mehreren Millionen Franz Josef Wagners (die bei Facebook Peter Müller heißen) vorzuziehen sei.


Dienstag, 30. Januar. Tag 14.

Vormittags sitze ich in der Stadtbücherei und nutze das dortige W-LAN, um ein bisschen Bürokram zu erledigen und ein paar Artikel zu lesen.

Nachmittags bekommen wir Besuch, der bis nach dem Abendessen bleibt. Als der weg ist, gehe ich auch ins Bett. Die Idee, um 22:15 noch den Fernseher einzuschalten, erscheint mir inzwischen vollkommen abwegig. Selbst bei Twitter schreibt inzwischen niemand mehr über #IBES. Ansgar Brinkmann hat, das habe ich mitbekommen, irgendwann in den letzten Tagen das Camp verlassen, irgendwelche anderen Leute, deren Namen ich mich nicht erinnern kann, in der Auftaktfolge gehört zu haben, auch.


Mittwoch, 31. Januar. Tag 15.

Den Vormittag verbringe ich zuhause und schreibe an meinem Offline-Protokoll. Ja, das, was Sie gerade lesen! Ja, das wird nicht alles immer schon an dem Tag aufgeschrieben, wo es passiert ist — ich musste ja DVDs gucken oder schlafen! Ich bin erstaunt, wie gut ich voran komme — so fokussiert kenne ich mich selbst gar nicht. Aber, klar: Ich werde ja auch nicht abgelenkt von offenen Browserfenstern und einem E-Mail-Posteingang. Störungen während der Arbeit reduzieren die menschliche Produktivität um mindestens 20% [Hidden Brain on Multitasking], ich bin also gerade produktiver als weite Teile der Volkswirtschaft. Oh Gott, das hätte ich jetzt nicht denken sollen!

Jonathan Franzen hat extra Software auf dem Computer, die ihn vom Internet abklemmt, damit er sich ganz auf das Schreiben von Bestsellern konzentrieren kann. Moderner Quatsch! Einfach mal einen Spaten ins Erdkabel rammen, und die Sache ist geritzt.

Abends fahre ich zum sogenannten Bergfest des Grimme-Instituts in Marl. Die Reise mit U-Bahn, S-Bahn und Schnellbus über Herne und Recklinghausen wird zusätzlich unnötig dadurch aufgepeppt, dass meine Powerbank leer ist, mein iPhone sowieso bei 40% steht und ich ja auch nur noch langsames Internet habe. Schöne Metapher, denke ich: Der Kontakt mit der Außenwelt versiegt nach und nach und am Ende steht der Held unserer Erzählung alleine in der nieselregnerischen Dunkelheit vor dem Rathaus in Marl, diesem westfälischen Brasília, und versucht sich zu erinnern, wo der Durchgang zum Grimme-Institut ist. Drinnen treffe ich mehrere Kollegen, die vor fünf Jahren mit mir in der Nominierungskommission saßen, als wir das Dschungelcamp nominiert haben. Niemand von ihnen hat irgendetwas von der aktuellen Staffel gesehen.


Donnerstag, 1. Februar. Tag 16.

Ein neuer Monat! Zumindest wieder schnelles Internet auf dem Handy!

Es klingelt an der Tür, und ein Techniker steht davor. Das ist deshalb überraschend, weil mir der Mann an der Telekom-Hotline vor neun Tagen gesagt hatte, es müsse niemand ins Haus. Der neue Techniker macht im Wesentlichen nochmal das, was der alte Techniker vor zwei Wochen gemacht hatte: Telefondose im Wohnzimmer vermessen, Verteilerdose im Keller suchen und vermessen, zum Verteilerkasten draußen auf der Straße stapfen und irgendwas messen.

Seine Diagnose: „Da stimmt auf alle Fälle wat ganz gewaltig nicht!“ Das müsste an „den Tiefbau“ weitergegeben werden und da müsste das Kabel ausgebuddelt werden. Ich erkläre ihm, dass nach meinem Verständnis des Gesprächs mit der Hotline genau das heute erfolgen sollte. Er sagt, davon stünde nichts in seinen Unterlagen. Gut, der Name „Telekom“ leitet sich ja ab von Tele- also Fernkommunikation, von interner ist da nicht die Rede.

Ich denke mir, dass Oberhausen noch gar nicht ausreicht als Strafe für den Mann am Telefon. Wanne-Eickel! Gelsenkirchen! Köln-Mülheim!

Der Techniker sagt, er würde es noch mal am Verteilerkasten gucken, aber es sehe schlecht aus. Nachdem er gegangen ist, ist mir die innere Ruhe, die mich zu meiner eigenen Verwunderung die letzten zwei Wochen begleitet hat, doch etwas abhanden gekommen. Jedenfalls wissen meine Nachbarn jetzt sicher, dass mein Internet immer noch nicht funktioniert. Und der Idiot in Oberhausen vielleicht auch.

Nach einer Viertelstunde, in der ich meinen Puls beinahe schon wieder auf da Niveau einer Maus reduziert habe, klingelt es unverhofft noch mal und der Techniker strahlt mich an: Es sehe gut aus, der Kollege habe da irgendwas am Verteilerkasten verbockt. Er geht noch mal an meine Telefondose, schließt ein Gerät an und — dann habe ich wieder Netz. Leider habe ich keine ungeöffneten Tafeln Schokolade mehr zuhause, die ich ihm jetzt mitgeben könnte, aber am Montag schicke ich das Kind los, die Tafel von letzten Techniker zurückzuholen.

Das erste, was ich mache, als ich nach fast zwei Wochen erstmals wieder Internet zuhause habe, ist dieses Video anzusehen:

Human Fountains from Human Founains on Vimeo.

Abends dann endlich das Dschungelcamp. Ich muss fast zwei Wochen aufholen, aber nur noch fünf statt zwölf Namen googeln. Dass Daniele Negroni unter starkem Nikotinentzug litt, hatte ich zahlreichen Tweets entnehmen können. Dann denke ich: Diese Leute da sind jetzt auch alle seit zwei Wochen ohne Internet. Wenn einer weiß, wie sich das anfühlt, dann ich.

Ein Bild, das mich noch lange verfolgen wird, ist Matthias Mangiapane bei der Schatzsuche, für die er sich als Pantomine verkleiden muss. Er sieht aus wie Michael Myers, der Killer aus den „Halloween“-Filmen.


Freitag, 2. Februar. Tag 17.

Abends gehe ich zu Freunden zum Fußball gucken, was man ja heute absurderweise auch über das Internet macht. Dadurch kann ich erst um Viertel nach Elf das Dschungelcamp einschalten, wo gerade ein Mann namens David Friedrich rausgewählt wurde.


Samstag, 3. Februar. Tag 18.

Ich hätte eigentlich gewettet, dass ich für mehrere Stunden einschlafe, wenn ich das Kind ins Bett bringe. Aber um kurz nach Zehn schalte den Fernseher ein, höre ein paar Takte schlimmer Musik und nehme mir vor, ein paar gehässige Sätze über „Deutschland sucht den Superstar“ in meinen Text einzubauen. Dann stelle ich fest, dass ich in die „Klubbb3-Hüttenparty“ im MDR geraten bin.

Das „große Dschungel-Finale“ beginnt dankenswerterweise mit einer Zusammenfassung, die nahelegt, dass ich in den vergangenen zwei Wochen nichts verpasst habe, was nicht in ein paar Tweets gepasst hat.

Um 23:07 sitze ich auf meiner Couch, als die Frage anklopft: „Warum gucke ich das eigentlich?“ Es ist keine rhetorische Frage. In den folgenden Minuten mache ich eine innere Bestandsaufnahme: Nicht wegen der Dschungelprüfungen, auch nur bedingt wegen der Moderationen — aber durchaus schon wegen der vielen schönen Dialoge am Lagerfeuer. Und natürlich wegen der Musikauswahl.

Am Ende gewinnt Jenny Frankhauser, laut Wikipedia „bekannt als“ „Reality-TV-Teilnehmerin, Halbschwester von Daniela Katzenberger“, und ich frage mich, ob diese Erklärung für meine Eltern irgendetwas erklären würde. Aber es ist ja eigentlich auch egal. Wie so vieles. Wenn ich nur den Einzug und das Finale gesehen hätte (und viel mehr war es ja wirklich nicht), hätte das auch gereicht. Wofür auch immer.

Alle Fotos [M]: RTL

8 Kommentare

  1. „Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe!“

  2. Schön, eine Art Let’s play „internet fällt aus“ in Schriftform. Fast so spannend wie der Einwohnermeldeamtsimulator.

  3. Ein Text, den zu lesen einfach Spaß macht. Die Service-Rubrik „Spaß mit der Telekom“ in der Sendung „Wie bitte?!“ (kennt das eigentlich noch jemand?) existierte definitiv nicht zu unrecht: Wir haben bei technischen Problemen vier verschiedene Techniker verbraucht, der beste Lösungsvorschlag kam vom dritten: „Ja, da müssen sie auf jeden Fall einen neuen Router kaufen, mit dem funktioniert das wegen eines Systemwechsels nicht mehr“ – „Aber unsere Nachbarn haben exakt den Gleichen und da geht‘s!“ – „Trotzdem.“
    Der vierte hat dann irgendwo ein Häkchen gesetzt und schon ging‘s wieder.

    Aber „Boulevard der Dämmerung“ ist wirklich ein verdammt guter Film, das wollte ich eigentlich erwähnen.

  4. Tut mir leid, aber das liest sich weder gut noch kann ich irgendeinen Sinn erkennen. Das Leben klingt ziemlich traurig, ob mit oder ohne Fernseher.

  5. Nein, der Fernseher bleibt autark, so lange es das noch gibt. Aber das mit der Telekom kenne ich – monatelang Abbrüche. Endlich der Techniker – wechselt die Telefondose, jackelt an allen Kabeln, sagt er findet nichts – und es funktioniert seither. Möglichst wenig Netz, Fernsehen geht zur Not mit ’ner Wurfantenne. Aber Dschungelcamp? Das nie wieder!

  6. Vielen vielen Dank für den Text.
    Das Ende hätte vielleicht mehr bieten können, aber ich habe bei „Das erste, was ich mache, als ich nach fast zwei Wochen erstmals wieder Internet zuhause habe, ist dieses Video anzusehen:“
    Tränen gelacht.
    Das haben sicher die Nachbarn mitbekommen.
    Herrlich!

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