SM-Praktiken

Sand an die Ostsee tragen

Kennen Sie Senad Hasani? Keine Sorge. Ich kannte ihn auch nicht.

Senad ist ein junger Sänger. Aber ehe ich etwas Falsches sage, lesen wir lieber auf seiner Facebookseite:

Senad Hasani, 18 Jahre alt aus Minden (NRW) widmet sich bereits während der Grundschulzeit verstärkt der Musik. Bis jetzt hat er noch nie Gesangsunterricht genommen, er war zunächst nur auf kleinen Bühnen zu sehen ist. Senad Hasani fing im Jahre 2009 mit YouTube Videos an, jetzt fängt er mit Videos auf Facebook an.

Auf seinem Youtube-Kanal postet er vor allem Coverversionen erfolgreicher Hits. Die Abrufzahlen belaufen sich auf vierstellige Werte, mal kratzen sie die Grenze zum Fünfstelligen, und in einem Fall ist ihm mit einer Musikparodie sogar ein kleiner Hit mit mehr als 50.000 Aufrufen gelungen. Doch für Youtube-Dimensionen sind derlei Zahlen zumindest nicht außergewöhnlich.

Auf Facebook ist Senad Hasani zweimal: Als Privatperson mit einem Profil, als Künstler mit einer Page. Ganz so, wie es alle machen und Facebook es sich wünscht. Beide Facebook-Auftritte sind, was die Zahlen anbelangt, noch eher unauffällig. Der „offizielle“ hat etwa 14.000 Likes, der „private“ etwa 5.400 Abonnenten. Senad findet Usher, Justin Timberlake, R. Kelly, Chris Brown und Justin Bieber toll. Seine Interessen gibt er mit „Frauen & Musik“ an.

Doch warum erzähle ich das alles?

Nun, vorgestern hat Senad ein Rätsel auf seinem privaten Account gepostet:

Senad Hasani Facebook
Screenshot: facebook.com/SenadHasani

Das Rätsel erinnert an die unseligen Callin-Gewinnspiele, die einige Zeit zur Haupterlösquelle dubioser Privatsender gehörten. Kinderleicht aussehende Aufgaben, die rätselhafterweise von keinem Anrufer gelöst wurden, weil die Sender nachträglich absurde Zusatz-Spielregeln angaben.

Senad hat also dieses Rätsel gepostet. Ganz ohne Gewinnerzielungsabsicht und nur von einem herausfordernden „Wetten keiner schafft es ??“ begleitet.

Und nun passiert etwas Außergewöhnliches.

Während seine sonstigen Facebook-Beiträge meist dreistellige Likes erhalten, macht dieser Post Furore. Er bekam bisher mehr als 11.000 Likes und wurde mehr als 2.000 Mal geteilt, was für sich genommen schon eine Sensation ist.

Doch schauen wir uns die Kommentare an:

Screenshot Kommentare
Screenshot: facebook.com/SenadHasani

Das Rätselbild wurde innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 130.000-mal kommentiert. Inzwischen sind es rund 150.000 – und das ist das eigentliche Rätsel: Warum hinterlassen 130.000 Personen einen Kommentar mit einer Zahl (meist zwischen 18 und 21)?

Die Kommentare gehen unter, sind Sekunden nach der Eingabe bereits aus dem Sichtfeld. Eine Lösung wird nicht verraten. Eine Kommunikation der Kommentierer untereinander findet nicht statt. Durch mehr als 100.000 Kommentare zu scrollen, ist bei Facebook schlicht unmöglich. Dort also etwas zu hinterlassen, ist wie ein Sandkorn an die Ostsee zu tragen.

Da nicht anzunehmen ist, dass es sich um mehr als 100.000 Metaphysiker handelt, die derlei Aufgaben zur meditativen Sinnfindung brauchen, muss die Erklärung irgendwo anders liegen. Aber wo?

Ist es die Selbstversicherung für Leute mit Mathe-Schwäche? („Zahlenraum bis 20? Hab ich voll drauf!“)

Ist es die abgegrenzte Einfachheit der Aufgabe? („Oh toll, was zum Zählen, was ich ganz allein mit zehn Fingern und zehn Zehen hinbekomme!“)

Ist es das lang ersehnte Erfolgserlebnis? („Endlich kann ich Feierabend machen! Hab schließlich was geschafft.“)

Oder handelt es sich um eine viral übertragene Krankheit?

Ich weiß es beim besten Willen nicht. Ich hab auch keine Zeit. Ich muss da schnell hin und die Lösung eingeben. Ich glaub (auch), es ist die 19.

 

8 Kommentare

  1. Aus demselben Grund, warum jemand hier posten würde:
    Weil er eine Frage zwanghaft beantworten muss, weil es ein Spiel ist, das man einfachst gewinnen kann, weil etwas Offenes abgeschlossen werden muss.
    Es ist ein Grundprinzip der Wahrnehmung, die in den Medien als „Exploit“ ausgenutzt wird, dass ein Abschluss zu einer Andeutung gefunden werden soll. Türen lässt man nicht offen stehen, Klammern muss man zu machen. Es zieht eben sonst durch. Mental. Dass ist DIE beliebte Methode, um Klicks zu generieren. Achtet mal drauf.

  2. Die Frage ist eher: Warum ist so ein Artikel auf übermedien?

    Irgendwie habe ich das Konzept (glaube ich) noch nicht verstanden. Um Medienkritik scheint es nur selten zu gehen. Was schade ist denn dafür hatte ich abonniert.
    Naja, mal sehen was sonst noch so kommt. Ab und zu mal ein seichter Artikel ist ja in Ordnung, aber die hauptsächliche Ausrichtung sollte sich auch in der Anzahl der Artikel spiegeln. Das ist MMn derzeit nicht der Fall.

  3. Lorenz Meyer: „Doch warum erzähle ich das alles?“
    Tja, weiß ich auch nicht.
    Übrigens, von der übersichtlichkeit ist Übermedien jetzt schon fast so
    gut wie Krautreporter.
    Was mir auch gefällt:
    Für den fall, dass ich vergesse, abonniert zu haben, werde ich immer
    wieder im text darauf hingewiesen, dass ich ja auch abonnieren
    könnte.
    Ausserdem wurde auch bei Krautreporter von vielen seiten und auch zu recht darauf hingewiesen, dass alles eine anlaufzeit benötigt; das gilt
    auch für Übermedien. Dem einen oder anderen ist vielleicht noch das
    abschreckende beispiel von TransAtlantik im gedächtnis geblieben:
    Da haben Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore als
    Herausgeber zwei jahre lang zwar ein wunderschönes magazin produziert, dann aber wurden beide entlassen, und das ist doch ein
    abschreckendes beispiel.
    Soll heissen: Immer mit der ruhe.

  4. Begründung
    ~~~~~~~
    a) Rästelbilder manchen Spaß
    b) freche Anmerkung, das Bild kenn ich doch woher
    c) Du misst Dir jetzt mal kurz Zeit
    d) Schaff ich bestimmt, schwieriger als gedacht
    e) Verdammt, wo ist hier die Auflösung, weiterleiten
    f) 18
    g) darum

  5. Eine gute Frage, auf die vermutlich Psychologen eine Antwort geben müssen ;-)

    Ich vermute, es sind noch viel mehr Dreien als 18 bis 21. Wenn ich mich an diese merkwürdigen Rätsel im TV erinnere, hätten die alleine aus den letzten drei Ziffern der „Telefonnummer“ eine 333 und eine 33 und eine 3 gelesen, also da schon insgesamt 6 mal die 3!

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