Über Druck

Was von den 68ern in den Zeitschriften blieb. (Nichts.)

Vorweg ein paar Fragen:

Wann haben Sie das letzte Mal einen ganz nackten Mann in einer deutschen Zeitschrift gesehen?

Wann haben Sie das letzte Mal eine nackte Frau in einer deutschen Zeitschrift gesehen, die nicht „Playboy“ oder „Penthouse“ hieß?

Wann haben Sie das letzte Mal ein nacktes Kind in einer Zeitschrift gesehen?

Wann haben Sie das letzte Mal in einer Zeitschrift zwei Über-70-Jährige miteinander im Bett gesehen?

Wann zwei Lesben im Bett?

Wann ein behindertes Paar beim Küssen?

Ich kann auf all diese Fragen mit „letzte Woche“ antworten. Allerdings waren das allesamt keine aktuellen Magazine, sondern Zeitschriften aus den Jahren 1967 bis 1969. Sie hießen „Twen“, „Jasmin“, „Stern“ oder „Quick“.

Ich habe sie mir angeschaut, weil 50 Jahre nach dem Mord an Benno Ohnesorg gerade in sämtlichen Medien darüber räsoniert wird, was uns die 68er hinterlassen haben. Je nach politischer Ausrichtung heißt das Fazit, dass es ohne die Protestgeneration keine Homosexuellenrechte gegeben hätte, keine Emanzipation der Frauen und noch mehr alte Nazis in Politik und Wirtschaft als eh schon. Eher konservative Medien bedauern natürlich, dass die 68er die bürgerlichen Grundpfeiler des Zusammenlebens zerstört hätten. Anstand, familiärer Zusammenhalt, Patriotismus, Amerikaliebe – alles von den Hippies kaputt gemacht. So sagt es auch die AfD.

Was aber ist das publizistische Erbe dieser Zeit, in der einige der schönsten deutschen Magazine entstanden sind? Modern, stilbildend und sinnlich und unverklemmt. Ehrlich gesagt: Nicht viel.

Bis heute gilt das Erscheinungsbild des Magazins „twen“, das schon Ende der 50er Jahre gegründet wurde, als unerreicht. Gerade eben sind wieder Tausende Besucher ins Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gepilgert, um sich die Layouts des Artdirectors Willy Fleckhaus anzusehen. Sein Gespür für den Einsatz von Typografie, der an die Cover des Jazzlabels Blue Note erinnerte, seine traumwandlerische Sicherheit beim Anschneiden von Bildern, um ein Maximum an Emotion und Leseransprache herauszuholen.

Intuitive Grafiker wie Fleckhaus, die modern sein können, ohne die Leser zu verachten, gibt es heute kaum noch und wenn, dann arbeiten sie nicht für die großen Verlage. Dort wird mittlerweile oft Grafikdesign für Grafikdesigner gemacht: Hässliche Schriften, Striche durch Texte, aus dem Satzspiegel herauslaufende Zeilen, absurd große Seitenzahlen. Nicht die Leser sind diesen Artdirectoren wichtig, sondern der Applaus ihrer coolen Freunde ist es, die letztlich doch alles dasselbe Anti-Layout fabrizieren.

Alle Fotos: „Jasmin“

Es ist nicht nur eine Sehnsucht nach zeitloser Ästhetik, die mich beim Durchblättern der 68er-Zeitschriften überkommt, es ist auch dieser ungezwungene, angenehm temperierte Ton, der einen völlig einnimmt: Als die Amis auf dem Mond landeten, besuchte „Jasmin“ die Frau eines der Astronauten und schlagzeilte: „Mein Mann ist auf dem Mond, ich bin einsam.“ Dazu ein Foto von Frau Armstrong mit dem Staubsauger. Besser und leichter kann man den Geschlechterkampf kaum vermitteln. „Alles über das Küssen und den Körper des Mannes“ schrieb man unbeschwert auf das Cover, oder: „Warum die meisten Ehemänner so langweilig sind“. So etwas würde man gern mal auf „Nido“ lesen. Und jetzt kommt’s: Es gab sogar Schamhaare in Magazinen.

Die Unverklemmtheit von damals ist komplett verschwunden. Heute ist Sexualität und Erotik meist etwas Cleanes. Stupide Pornografie wird eher geduldet als authentische Nacktheit. Der pädosexuelle Blick auf die Welt hat den natürlichen Umgang mit Sexualität unmöglich gemacht. Es herrscht nackte Panik, als pädophil zu gelten, gleichzeitig liest man viel von der Konjunktur schamhaarloser Kindermuschis bei älteren Frauen, die so dem Alter entkommen wollen.

Schizophrener ist eigentlich nur noch Facebook: Operierte Frauengenitalien, harter Sex, Gewaltdarstellungen – alles immer da, aber ein immens wichtiges Bild wie das des Kriegsfotografen Nick Út, auf dem ein nacktes vietnamesisches Mädchen vor einem Napalm-Angriff flieht, wird ruckzuck zensiert.

Es passt ganz gut, dass sich die Verlage in der sogenannten Freiwilligen Selbstkontrolle im Pressevertrieb organisiert haben. Anders, als der Name suggeriert, kontrollieren sie sich aber gar nicht selbst, sondern lassen den Job von einer Anwaltskanzlei in München erledigen, die ansonsten bekannt dafür ist, dass sie Menschen abmahnt, die im Internet auf dubiosen Dating-Portalen in Abofallen geraten sind. Diese Kanzlei also blättert in Deutschland Zeitschriften durch auf der Suche nach Dingen, die man dem Leser nicht zumuten darf. Mal ist das eine kopulierende Micky Maus, mal sind es Tätowierungen aus russischen Knästen. Beides eigentlich durch die Kunstfreiheit gedeckt, beides auch eher harmlos. Dennoch wurden die entsprechenden Hefte nicht ausgeliefert.

Dass die deutschen Zeitschriftenverlage eine halbseidene Kanzlei damit beauftragen, über die Presse- und Kunstfreiheit zu richten, spricht Bände. Mit den Verlagen von heute wäre kein „twen“ mehr zu machen.

15 Kommentare

  1. „Stupide Pornografie wird eher geduldet als authentische Nacktheit.“
    So ist es. Und Gewalt wird viel eher geduldet als offene Berichte über Gewalt, Verbrechen werden eher geduldet als Leaks über Verbrechen.
    Und nein, die 68er, besser die 67er, sind daran nicht schuld. Schuld sind diejenigen, die eine Restauration hinnehmen, die so tut, als sei sie die legitime Erbin einer Befreiung.

  2. Lieber Thomas
    Kann man so sehen, und ich hatte auch überlegt, das zu tun. Ich will hier allerdings keine Werbung für DUMMY machen und wollte DUMMY daher hier nicht erwähnen. Ich habe nach diesem absurden Erlebnis im Übrigen mit mehreren Vertriebsleuten gesprochen und angeregt, dieses klandestine Prozedere zu beendigen. Bis heute ist nichts passiert.

  3. @Ergänzung: zwei Lesben im Bett ist übrigens nicht so sehr von gestern wie zwei _rauchende_ Personen.
    Rauchen außerhalb von Zigarettenwerbung ist inzwischen deutlich seltener als nackte Babys.

    Früher war eben doch nicht alles besser.

  4. Hnngg. Es geht so vielversprechend und konkret los, und gleitet dann ab in raunendes Monieren über den Zeitgeist, gemischt mit Einfach-mal-so-Raushauen von… ich sag mal vorsichtig: argen Zuspitzungen, die offenbar keines weiteren Belegs bedürfen. Erinnert mich ein wenig an – ich sag’s nicht gerne – Martenstein.

    Auf Facebook ist also „harter Sex“ „immer da“? „Stupide Pornografie“ ist in der deutschen Zeitschriftenlandschaft (ich nehme mal an gemeint ist nicht die dezidierte Erotik-Nische, sondern sowas wie der Stern) eher zu haben als „authentische Nacktheit“?* Und über ältere Frauen zu schreiben, die der – nun auch schon um die 20 Jahre andauernden! – Modeerscheinung der Schamhaar(komplett)entfernung nachgehen, ist irgendwie per se „verklemmt“, oder wie muss ich den Satz (in den sich außerdem ein grammatisch überflüssiges „zu“ eingeschlichen hat) verstehen?

    * These: Auch in den alten „Jasmin“-Ausgaben war Nacktheit nicht wirklich authentisch, sondern kaum weniger inszeniert als heute – vielleicht anders inszeniert, vielleicht geschmackvoller, und bestimmt mit mehr Schamhaar, was ja eine Art Qualitätsmerkmal zu sein scheint. Aber authentisch..?

  5. Hmm.
    Viel mehr als „früher war alles besser“ lese ich ehrlich gesagt auch nicht aus dem Text.
    Und wenn es dann an fehlendem Schamhaar festgemacht wird fällt mir garnichts mehr ein. Aber naja, jedem das seine…

  6. @Ichbinich, #8:
    Die Zeitschriften seien früher besser gewesen, lese ich daraus. Weniger verklemmt, allgemein offener.
    Allerdings: Zeitungen mit Facebook zu vergleichen ist für beide Parteien nicht direkt fair.
    Der Kampf gegen Nazis war damals ein anderer als heute, der Geschlechterkampf war damals ein anderer als heute, und diverse Probleme von heute gab es damals _so_ noch gar nicht (oder wurden nicht so sehr wahrgenommen), von daher, warum sollten heutige Zeitschriften sein wie die damaligen?

  7. @Mycroft
    Das „alles“ in meinem Statement war sicher überspitzt. Klar geht es in dieser Kolumne um Zeitungen. Aber auch da sind die Argumente mMn sehr dünn. Überfall hat es ja auch schon genannt: wenn hier geschrieben wird dass auf Facebook „harter Sex“ und „Frauengenitalien“ gezeigt werden aber Kriegsbilder zensiert werden zeugt das eher von ziemlichen Unwissen.
    Und auch das Argument „früher wurde Sexualität ehrlicher dargestellt“ halte ich für sehr fragwürdig. Und das dann mit Schamhaaren zu begründen ist einfach nur — sorry — dämlich.

  8. Vielleicht sollte man sich nicht ganz so am Schamhaar aufhängen. Das ist auch ein Sinnbild und steht als Gegenentwurf zur Konjunktur glatten Oberflächen. Oder besteht tatsächlich Zweifel daran, dass diese Gesellschaft fast schon obsessiv die körperliche Optimierung propagiert – auch mittels Rasierapparat, Bikinizonewächtern und Photoshop?

  9. Das Thema Sexualität ist ja auch irgendwie langweilig geworden, was m. E. an der Allgegenwärtigkeit und ungehindertem Zugang zu Pornos, etc. liegt, bzw. dem Internet als Medium generell – Keine Wertung.
    Ein/e junge/r/r Smartphone user/in (welches Einstiegs-Alter wäre hier „normal?) tippt auf Browser, tippt eine recht bekannte URL ein und hat Zugang zu Allem. Einzige Beschränkungen sind das Wissen um die URLs und/oder Eltern, die das a) interessiert bzw. es sehen wollen und b) in der Lage sind, dies technisch effektiv zu kontrollieren (und auch das wollen).

    Pornos sind für die Einen nicht mehr schmuddelig und für die Anderen so schmuddelig, dass sie so tun, als existierten sie nicht – Was gleichzeitig auch den Vorteil hat, das ganze Thema nur verteufeln zu müssen, statt darüber zu debattieren. Auch mit seinen Kindern.

    Spielt sich die monierte „Unverklemmtheit“ eher in Form von „dick pics“ und „pm me your xxx“ auf Snapchat ab? Oder beim Aufnehmen eines Pussy-Slapping Videos für den „Totally SFW BFF VLOG“)?
    Kann das wenig-Vorhandensein von Sexualität in Print-Magazinen also evtl. an der Irrelevanz von Print-Magazinen innerhalb der jüngeren Zielgruppe liegen?
    (Fragezeichen durchaus unrhetorisch.)
    Wie #4 schon sagt, die ursprünglich Zielgruppe von TWEN und JASMIN erhalten heute Google-Ads von Viagra und Granu-Fink auf ihr Doro Liberto („Nein Schatz, ich habe nie danach gegugelt“).

    Was ich im ersten Absatz schrieb, gilt natürlich auch für „schlimmere“ Dinge, als Pornos, das Internet bietet da ne ganze Menge – Wenn man sich selbst seine Augen zuhält sollte zumindest in Betracht zieht, dass die eigenen Kinder es nicht tun, denn sonst geht die Debatte nachher am Thema vorbei.

    Wenn die Zugangsbeschränkung nur pro forma existiert, wen interessiert dann, was wo von wem zensiert wurde?
    Wenn Pornografie mein einziger Zugang zu Sexualität ist (und kein künstlich konstruierter Gegensatz zu „authentischer Nacktheit“), wieso sollte mich intessieren, ob jemand diese für stupide, steril hält?

    Die Augen vor diesen Themen zu verschließen (höhere Strafen / Netzsperren / Ad-Blocker-Verbote fordern), löst die Probleme nicht – Sofern man darin überhaupt eines sieht, sehen will oder nur die Debatte darüber für sich instrumentalisieren will.

  10. @Ichbinich:
    Ich bin ja nicht der Meinung, dass früher alles besser war. Ich bin noch nicht mal der Meinung, dass alles, was im Artikel als „besser“ geframt wird, besser ist. Also ich stimme dem Artikel nicht völlig zu.
    Aber das mit den Schamhaaren habe ich mehr als beispielhaftes „Symptom“ verstanden.
    Aber ja, Zeitungen haben die Wirklichkeit abzubilden, wenn es in der Wirklichkeit keine Schamhaare mehr gibt, ist das nicht die Schuld der Zeitungen.

  11. > Vielleicht sollte man sich nicht ganz so am Schamhaar aufhängen. Das ist auch ein Sinnbild und steht als Gegenentwurf zur Konjunktur glatten Oberflächen.

    Oh, ok. Wenn’s so meta wird, bin ich halt raus. ;)

    > Oder besteht tatsächlich Zweifel daran, dass diese Gesellschaft fast schon obsessiv die körperliche Optimierung propagiert – auch mittels Rasierapparat, Bikinizonewächtern und Photoshop?

    Das mag schon sein, auch wenn ich nicht unbedingt unterschreiben würde, dass a) „obsessiv“ das treffendste Wort dafür ist und dass b) es sich um ein gesellschaftsumspannendes Phänomen handelt – gibt haufenweise Leute, die sich nen feuchten Kehricht um Bikinizone und Bauchmuskeln scheren.

    Vor allem war mir aber nicht klar, dass _das_ Gegenstand des Artikels war. ;)

  12. @11
    Ah, dann sind es also gar nicht die Verlage, sondern es ist die Gesellschaft selbst, die so wenig 68er-haft ist und eine Schamhaar-Phobie hat?
    Wenn „diese Gesellschaft fast schon obsessiv die körperliche Optimierung propagiert“, dann müssten Medien doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie ausgiebig suboptimale, weil behaarte Menschen ausstellen. Der Zeitgeist hat sich halt gewandelt und die Twens und Nidos immer hinterher. Ihre Argumentation ist nicht zu Ende gedacht, sondern lediglich eine Sentimental Journey.

    Das „Erbe dieser Zeit“ ist meiner Meinung, eine allgemeine Ablehnung von Autorität, Respekt, Traditionen, Werten, sozialer Kontrolle, also mithin allem, was dem eigenen Wollen und Spaß entgegensteht. Man könnte es auch den großen Egoismus nennen, bzw. die große Rücksichtslosigkeit. Das können Sie in der Gesellschaft at large beobachten und dito in den Medien (siehe nur den letzten Scherz von Böhmermann, den wirklich allerletzten …).

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