Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Das neue Jahr beginnt tatsächlich mit etwas Neuem: einer Zeitschrift, die ich im Bahnhofskiosk noch nie gesehen habe. Ich hatte sie in der Post, was nicht zum ersten Mal passiert ist, aber zum ersten Mal war die Post adressiert an „Bahnhofskiosk“, den Titel dieser Kolumne, was mir das gute Gefühl gibt, jetzt eine Institution zu repräsentieren. Yay!*
Aber das allein reicht ja nicht, damit mir Redaktionen ihre Magazine schicken. Dazu gehört erstens wahrscheinlich der Wunsch nach dem bisschen Werbung, das es bedeuten könnte, hier besprochen zu werden, zweitens der Stolz auf das eigene Magazin und drittens Kritikfähigkeit – ich bin ja nicht immer nur nett hier.
Es gibt kaum etwas, das ich mehr bewundere als Kritikfähigkeit, und deshalb kommt das zuallererst: Das eigenwillige und stellenweise auch eigentümliche Magazin „Transform – Magazin für das Gute Leben“, über das ich heute hier schreibe, ist das erste je von mir gelesene Magazin, das hinten im Heft eine Blattkritik zur aktuellen Ausgabe abdruckt. Es ist eine freundliche, wohlwollende Blattkritik, aber sie kritisiert auch, und ich finde die Idee irgendwie bezaubernd, auch wenn es eine von diesen Ideen ist, die besser klingen als sie am Ende umsetzbar sind. Wie dem aber auch immer sei: Kritikfähigkeit ist damit gleich mehrfach demonstriert. Eigentlich sogar der explizite Wunsch nach Kritik. Und das muss man mir nicht dreimal sagen.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
„Transform“ ist ein ursprünglich per Crowdfunding gestartetes Magazin für Leute, für die die Rechte den Begriff „Gutmenschen“ benutzt**. Eine Zeitschrift, in der Gedanken gewälzt werden dazu, wie man besser oder, wie im Claim angedeutet, „gut“ leben kann – für sich und andere, was ja alles andere als einfach ist. Das Thema liegt in der Luft, allerdings auch schon eine ganze Weile***, und nicht alles, was lange in der Luft liegt, ist Rosenduft.
Entsprechend ist das Thema dieser Ausgabe: „Widersprüche“ – denn, wie in einem Interview mit einem Professor für Umweltökonomie im Heft erwähnt wird, ist paradoxerweise die einzige Partei, von deren Anhängern jeder einzelne schon einmal mit einem Flugzeug geflogen ist, die der Grünen. Weil Grünen-Wähler gut gebildet sind und mehr Geld haben als andere – und entsprechend international und mobil sind. Solche Widersprüche eben.
Immer wieder taucht zum Beispiel die Frage auf, warum es so schwer ist, von dem, was man weiß, sein Verhalten beeinflussen zu lassen. „Transform“ ist an vielen Stellen eher eine Meditation über die Unmöglichkeit des guten Lebens, allerdings verbunden mit einem unaufhaltsamem Optimismus, der entgegen aller Vernunft wie diese Erdmännchen auf dem Jahrmarkt plötzlich aus einem neuen Loch auftaucht, bis man ihm einen Hammer auf den Kopf haut. Und man kann gar nicht so viel hämmern, wie diese Armee von Anti-Zynikern**** frohe Botschaften und gute Nachrichten raushaut.
Ich nehme an: Wer „Transform“ kauft, um es zu lesen, geht sowieso schon zumindest mit der Idee schwanger, seinen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten. Aber wer diesen Berg von vielen, vielen friedlichen, freundlichen, positiven Gedanken in sich kreisen lässt, der wird eine ganze Schar von hippiesk-friedens- und umweltbewegten Mäuseideen gebären. Und Mäuse sind ja Überlebenskünstler – ich habe neulich eine, die mein Kater in der Küche angeschleppt hat, nach vier Tagen zufällig aus dem Winterstiefel meiner kleinen Tochter retten und in die Freiheit entlassen können. Sie hat in einer Wohnung mit zwei Katzen überlebt. Insofern sind diese Ideen nicht totzukriegen, keep them coming!
Aber man merkt schon das Problem hier: Ich versuche etwas durchweg Positives zu sagen und kriege meinen eigenen Sarkasmus dabei nicht unter Kontrolle. Es klingt, als wollte ich mich lustig machen, weil ich mein Herz nicht weit genug aufkriege, um einfach mal anzuerkennen, dass es da ein Heer von Mitbürgern gibt, die von guten Gedanken getrieben und mit riesigem Aufwand ein Heft machen, weil sie daran glauben, dass selbst Menschen wie ich belehrbar und veränderbar sind.
Es ist immenser Aufwand: In Zeiten, in denen wir Taschencomputer mit uns herumtragen, die bessere Bilder schießen können als die gesamte Crew von „Citizen Kane“, haben sie fast keine Fotos im Heft – weil sie praktisch JEDE Geschichte aufwendig und liebevoll illustrieren! Sie haben so viel zu sagen, dass sie die Schrift teilweise fast unleserlich klein machen müssen*****! Und am Ende machen sie eine Blattkritik in ihr eigenes Heft!
Was soll ich sagen? Groß!
Abgesehen davon, dass die Welt sicher nicht schlechter und wahrscheinlich besser wird, wenn wir alle „Transform“ lesen, sind alle Nicht-Transformer unter uns – und da schließe ich mich ein – aufgefordert, das zu tun, was wir tun können. Deshalb mein Vorschlag: Wir sollten alle zusehen, dass wir so oft wie möglich mit „Transform“-Mitarbeitern schlafen. Ernsthaft. Ich wünsche ihnen, dass sie mehr und besseren Sex haben als alle anderen. Es muss das sexieste auf der Welt sein, sich unzynisch Gedanken darüber zu machen, wie wir besser leben können. Dabei können wir alle helfen. Auf sie mit Gefühl!
Transform
Carnivora Verlagsservice
10 Euro
* Diese Institution wurde in keiner Weise von mir geschaffen, sondern von Peter Breuer, und natürlich Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz von Übermedien – das man abonnieren sollte. [Anmerkung der Herausgeber: Hier lang.]
** Nur nebenbei: Ich entfreunde, blockiere und ignoriere ohne weitere Ansicht von irgendwas jeden, der den Begriff Gutmensch abfällig benutzt, weil ich für mich festgestellt habe, dass sich keine einzige Diskussion mit solchen Leuten lohnt. Insofern ist es ein sehr hilfreiches Wort. I like!
*** Offenlegung: Ich habe selbst einmal gemeinsam mit einem Partner 2007 und 2008 ein Magazin mit genau dem gleichen Thema für die Verlagsgruppe Milchstrasse entwickelt („Ivy“) und zwei Ausgaben (regional begrenzt) am Markt getestet. Stefan Niggemeier hat damals eine Geschichte für eine Ausgabe geschrieben. Trotzdem wurde das Projekt eingestellt.
**** Es sind so unfassbar viele Fotos von Menschen auf den vier Seiten mit „Mitwirkenden“, dass ich die Zahl zwischen eben, als ich sie gezählt habe, und jetzt, wo ich sie hinschreiben will, schon wieder vergessen habe. Ich glaube, es sind 36. Und da sind die Gastautoren noch gar nicht mitgezählt. Und, was das Lustigste ist: Keiner von denen hat – wie ich es selbstverständlich gemacht hätte – ein mysteriös beleuchtetes Hipstagram-Schwarzweiß-Selfie von sich abgegeben, sondern alle nur Fotos, auf denen sie aussehen wie normale Menschen. Wie meta ist das, bitte?
***** Musterbeispiel für liebevolle Kritik. Nein?
Yay!! :)
Vorschlag: Jetzt, da die Kolumne eine Institution ist, kannst du das gesammelte publizistische Kapital bei den Herausgebern sicher gegen ein WordPress-Fußnoten-Plugin eintauschen, das die wie immer sehr lesenswerte Kolumne noch ein bisschen besser lesbar machen würde :)
Wir alle…
Bist du denn sicher, dass es mehr Leser hier Zeitschriftenmacherinnen dort gibt?
Und dann wäre ja immer noch der Teil mit dem “besser“ offen, sogar wenn es mit dem “mehr“ klappen sollte. Also, ich zum Beispiel bin gar nicht sicher, wie gut ich…
Naja. Einfach mal ausprobieren, schätze ich. Hast schon recht. Kann ja nicht…
Naja. Einfach mal ausprobieren, schätze ich.