Der Mythos vom wertfreien Journalismus

Keine Haltung ist auch eine Haltung

Zum 80. Geburtstag seiner Zeitung erklärt der SZ-Meinungschef, warum Nachricht und Bewertung strikt getrennt bleiben müssen. Das ist ein falsches Verständnis von Journalismus – und in Zeiten von Trump auch gefährlich, findet unser Autor.
Zusammengerollte Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“
IMAGO / Schöning

Vor ein paar Tagen feierte die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) ihren 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass gewährte die Redaktion den Leserinnen und Lesern verschiedene „Einblicke in den Maschinenraum“ der SZ. Detlef Esslinger, Leiter des Ressorts „Meinung“, erläuterte die Haltung der Zeitung zur Trennung von Nachricht und Meinung. Ein Leser, berichtet Esslinger, hatte kürzlich in einer Mail kritisiert, dass sich „persönliche Wertungen einzelner Redakteurinnen und Redakteure zunehmend in Nachrichtenartikel“ einschleichen würden.

Gleich vorneweg macht Esslinger klar, wo er bei diesem Thema steht: Vermischung von Nachricht und Meinung gilt es tunlichst zu vermeiden. „Zu Recht“ reagiere das Publikum der SZ „auf kaum etwas so empfindlich“, es gäbe „im Politikjournalismus gar keinen Dissens dazu“ und auch in Journalistenschulen werde diese Trennung „praktisch an Tag eins“ gelehrt. Esslinger arbeitet laut Wikipedia selbst „als Dozent an Journalistenschulen in Deutschland und der Schweiz“.

Den Rest seines Beitrags widmet der SZ-Ressortchef den Gründen, warum diese vermeintlich klare Trennung zwischen Nachricht und Meinung im journalistischen Alltag dann doch bisweilen nicht klappt. Zum Beispiel, weil „manchmal die Schilderung eines Ereignisses in eine Bewertung desselben“ kippt oder sich „kommentierende Einsprengsel“ in einem „nachrichtlichen oder analysierenden Text“ finden.

Guter Journalismus, daran lässt Esslinger keinen Zweifel, verbannt Meinung und Bewertung in Kommentarspalten, während Nachrichtenmeldungen von auch noch so kleinen Meinungseinsprengseln gesäubert werden sollten: „Im Ideal-, wahrscheinlich sogar im Normalfall fällt die Vermischung von Nachricht und Kommentar denjenigen in der Redaktion auf, die einen Text anschließend redigieren, und sie fischen Formulierungen heraus, die darin nichts zu suchen haben.“

Das Missverständnis

Nachrichten berichten, was ist. Meinungsbeiträge dürfen kommentieren und einordnen. Vermischung ist verboten, strikte Trennung das hehre Ziel. Das Problem ist jedoch, dass es wertfreie Nachrichten genauso wenig geben kann wie wertfreie Wissenschaft. Ja, es ist nicht einmal möglich, sich Wertfreiheit auch nur anzunähern.

Der wichtigste und gleichzeitig notwendig normative Ausgangspunkt für jede Nachrichtenmeldung ist die Entscheidung, aus der unendlichen Zahl an möglichen Themen genau eines auszuwählen und zur Nachricht zu machen. Das ändert sich auch nicht, wenn sich diese Entscheidung an sogenannten Nachrichtenfaktoren orientiert, die selbst bzw. deren Auswahl, Gewichtung und Effektivität wiederum normativ geprägt sind.

Aber die Normativität (je)der Nachricht endet längst nicht bei der Themenauswahl. Ironischerweise lässt sich das gerade an dem von Esslinger selbst bemühten Beispiel, den Berichten über Donald Trump, besonders gut zeigen. Sprache an sich ist normativ und nicht – nie! – neutral. Egal ob Trump in einer Sache „mutmaßlich“, „angeblich“ oder ohne Adjektiv lügt, eine Wertung ist immer dabei.

Warum Berichte über Trump ein gutes Beispiel sind

Schlimmer noch: Grade das betonte Bemühen um bewertungsfreie Ausgewogenheit führt oft zu besonders fragwürdigen Bewertungen. Das zeigt auch ein aktueller Bericht der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenseite orf.at. Dort wird Trumps Begründung für den Einsatz der Nationalgarde in Chicago gleichwertig neben Aussagen von ungenannten „Kritikern“ berichtet. Dieses gleichgewichtige Nebeneinander ohne Einordnung ist nicht wertfrei. Ebenso wenig wertfrei wäre es gewesen, zu schreiben, dass Trump autoritär durchgreift, wenn auch bemäntelt mit vorgeschobenen Gründen. Eine von beiden Aussagen ist näher an der Wahrheit als die andere.

Auch Nachrichtenjournalismus muss bewerten. Das ist unvermeidbar – und auch gar nicht das Problem. Im Gegenteil. Mit dem US-Journalisten und Dozenten Jonathan Foster gesprochen:

„Wenn jemand sagt, dass es regnet, und ein anderer, dass es trocken ist, ist es nicht Ihre Aufgabe, beide zu zitieren. Es ist ihre Aufgabe, aus dem Fenster zu schauen und herauszufinden, was wahr ist.“

Was bleibt dann aber am Ende von der Trennung zwischen Nachricht und Meinung, wenn Bewertung in Nachrichten nicht zu vermeiden ist? Es sind immer noch zwei journalistische Genres mit unterschiedlichen stilistischen Imperativen. Bei Nachrichten geht es primär um das Berichten von Fakten, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Meinungsbeiträge hingegen sind viel persönlicher gefärbt und dürfen gerne auch zugespitzt und spekulativ sein.

Vermeintliche Positionslosigkeit

Das Ziel, möglichst wertfrei zu berichten, ist nicht nur überholt, es gefährdet auch die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Weil Werturteilsfreiheit unmöglich ist, lässt sich behauptete Ausgewogenheit im Einzelfall immer als falsch nachweisen, weil ja schon Wortwahl oder Fokus einer Nachricht wertend sind. Das liefert auch den „Lügenpresse“-Rufern Munition.

Der emeritierte NYU-Professor Jay Rosen kritisiert die Vorstellung des „View from Nowhere“ – Glaubwürdigkeit entstehe durch den Verzicht auf jede erkennbare Haltung – als falsch. Tatsächlich, so Rosen, sei diese Haltung selbst ideologisch. Der Versuch, sich zwischen allen Fronten zu positionieren und das als objektiv zu verkaufen. In Wahrheit sei das vor allem ein Schutzmechanismus gegen den Vorwurf, parteiisch zu sein. Man beansprucht damit universelle Legitimität, ohne sie zu verdienen.

Echte Autorität, schreibt Rosen, entsteht nicht aus vermeintlicher Distanz, sondern aus Arbeit: aus Recherche, Faktenprüfung, Kontextwissen, Verlässlichkeit. Glaubwürdigkeit erwächst nicht aus dem leeren Gestus der Neutralität, sondern aus der Fähigkeit, eine komplexe Lage zu verstehen und einzuordnen.

Ein Journalismus, der das anerkennt, muss nicht unfehlbar sein – aber er darf sich auch nicht hinter einer vermeintlich wertfreien Fassade verstecken. Der „View from Nowhere“ führt in die Irre. Statt sich auf eine vermeintlich neutrale Beobachterposition zurückzuziehen, geht es um Offenlegung des eigenen Standpunkts: Vertrauen entsteht nicht durch das Verstecken von Werten, sondern durch ihre Transparenz. Ein Journalismus, der Haltung zeigt, sie reflektiert und offenlegt, ist ehrlicher, demokratischer und letztlich glaubwürdiger als einer, der so tut, als stünde er über den Dingen.

39 Kommentare

  1. Sorry, aber ich könnte mir vorstellen, dass mit „persönlichen Wertungen“ nicht das gemeint ist, was hier verteidigt ist.
    Wenn A sagt: „Es ist gut, dass es regnet.“ und B sagt: „Es ist schlecht, dass es regnet.“ ist es nicht die Aufgabe des Journalisten zu sagen, wie er denn den Regen findet, sondern tatsächlich, beide wertende Aussagen wiederzugeben und einzuordnen, ob dieser Regen wohl insgesamt mehr Vor- oder Nachteile hat. Was dann natürlich eine „(Be)Wertung“ ist, aber eben keine persönliche.

    Ob Trump lügt oder bloß die Unwahrheit sagt, ist natürlich auch dem Wahrheitsbeweis grundsätzlich unterworfen, auch, wenn er im Einzelfall nicht erbracht werden kann.

  2. #1 Ich bin mir nicht sicher, sie 100%ig richtig verstanden zu haben, aber ich glaube, ich möchte widersprechen.
    Wenn A sagt: „Die Sicherheitslage in Chicago ist zufriedenstellend und auf dem Wege der Besserung“ und B sagt: „Chicago ist ein Kriegsgebiet“, dann ist es nun mal nicht die Aufgabe eines Journalisten, diese Meinungen abzuwiegen, sondern die eine durch einen kurzen Blick aus dem Fenster als den hahnebüchenen, propagandistischen Unsinn zu benennen, den sie darstellt.
    Beide Aussagen „neutral“ nebeneinander als mögliche Varianten der Wahrheit zu transportieren ist schlicht ein Befördern der Unwahrheit.

  3. Off topic @Autor:
    Bitte den Komjunktiv I hochhalten – so ein schönes sprachliches Mittel! Manchmal klappt es hier („reagiere“), manchmal nicht („gäbe“, „kippt“).

  4. Kein Journalist kann völlig neutral und objektiv berichten. Aber er kann sich bemühen. Zugleich sollte er seinen weltanschaulichen Hintergrund transparent machen. Nicht im einzelnen Artikel, aber abrufbar für den Leser. Auch die Trennung zwischen Bericht und Kommentar sollte beibehalten werden. Die Süddeutsche Zeitung bemüht sich. Trotzdem bleibt ihre Grundhaltung erkennbar. Ähnlich sehe ich es bei der FAZ. Die hat natürlich eine andere Ausrichtung als die SZ. Bei Welt oder taz dominieren die rechte (konservative) bzw. die linke (grüne) Meinung. Auch das ist legitim. Jeder Leser kann entscheiden, was er liest und wem er vertraut. Der große Missstand betrifft den ÖRR. Hier muss sich dringend etwas ändern, sonst schaffen sich ARD, ZDF und Deutschlandradio ab.

  5. @#2:
    Wenn zwei Aussagen sich auf der Sachebene widersprechen, ja.
    Wenn zwei Aussagen in der Sache übereinstimmen, aber einander in der Wertung widersprechen, nicht unbedingt.
    Da die meisten Menschen es begrüßen würden, wenn sich Chicago in kein Kriegsgebiet verwandelte, würde eine persönliche Wertung „die Lage bessert sich zum Glück“ vermutlich auch nicht so stören, insofern halte ich das für kein gutes Beispiel.

  6. Zugespitzt: Nach diesem Text gibt es entweder „A sagt Dings und B sagt Bums“-Journalismus oder Haltungsjournalismus. Mir fiele noch einiges dazwischen ein. Festzustellen, dass Chicago kein Kriegsgebiet ist, hat jedenfalls nichts mit „Haltung“ zu tun, sondern mit nachprüfbaren Fakten.

    Die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar halte ich für eine große Errungenschaft. Sie möge nicht mit dem Argument aufgeweicht werden, dass ja alles irgendwie „Haltung“ sei. Es stimmt, dass es Wertungsfreiheit nicht gibt – aber das darf nicht bedeuten, seinen eigenen Werten (und Wertungen) in Nachrichtentexten freien Lauf zu lassen.

  7. #4,#5
    Dann mal Butter bei die Fische:
    Sollte man Ihrer Meinung nach schreiben, dass „Kristi Noem Chicago propagandistisch als Kriegsgebiet bezeichnet“ (aus meiner Sicht ein klarer Fakt) oder dass „Kristi Noem Chicago als Kriegsgebiet bezeichnet „?

    Ich behaupte, es sei keine Meinung, sondern ein objektiver Fakt, dass sie mit der Äußerung Propaganda betreibt, also müsse das so auch im Nachrichtenteil bezeichnet werden.

  8. „Wertfreiheit“ … Ein Wort, über das man generell mal nachdenken könnte. Z. B., ob das ein erstrebenswerter Zustand ist.

    https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/messerangriff-berufsschule-in-paderborn-100.html
    Hier noch ein Beispiel zum linksgrünen ÖRR:
    „Ein 25-jähriger Mann mit deutscher Staatsbürgerschaft ist dringend tatverdächtig (…)“
    Kein 25-jähriger Deutscher.
    Blaubraune Dogwhistles im linksgrünen ÖRR.

  9. @Peter Sievert (#7):

    Sollte man Ihrer Meinung nach schreiben, dass „Kristi Noem Chicago propagandistisch als Kriegsgebiet bezeichnet“ (aus meiner Sicht ein klarer Fakt) oder dass „Kristi Noem Chicago als Kriegsgebiet bezeichnet „?

    Ich nehme an, das bezieht sich auch auf mich, weil mein Beitrag gestern noch die #5 trug (deshalb bitte besser den Namen dazuschreiben).

    Also: Ich habe explizit geschrieben, dass es keine Frage von „Haltung“ ist, ob man Chicago als Kriegsgebiet sieht oder nicht. Also kann man in einem Nachrichtentext natürlich schreiben, dass Frau Noems Aussage falsch ist. Allerdings sollte man das besser mit Statistik oder mit aktuellen Bildern belegen, als es mit einem Adjektiv wie „propagandistisch“ bloß zu behaupten.

    Nochmal: Ich finde, der Text macht ein falsches Dilemma auf. Er tut so, als wäre in klassischen Nachrichtentexten nur „A sagt, B sagt“ erlaubt, und folgert daraus, die Grenze zwischen Nachrichten- und Meinungsjournalismus müsse fallen. Das stimmt aber nicht. Man kann „A sagt“ sehr wohl kritisch einordnen, indem man widersprechende Tatsachen nennt.

    Das Beispiel mit Chicago ist zudem ein bisschen billig (im Sinne des Autors: geschickt) gewählt, weil „A“ hier offenkundig lügt. So entsteht der Eindruck, Nachrichtentexte müssten selbst Lügen unwidersprochen wiedergeben. Das ist erstens, wie gesagt falsch, und zweitens ist Lüge vs. Wahrheit nicht der Regelfall. Im journalistischen Alltag hat man es viel häufiger mit Debatten zu tun, in denen beide Seiten valide Argumente haben.

    Nehmen wir, in einem Kreistag wird über eine geplante Umgehungsstraße gestritten: Sie soll Anwohner in einem Ort vom nächtlichen Schwerlastverkehr erlösen, hätte aber gleichzeitig schwere Eingriffe in ein Naturschutzgebiet zur Folge. Hier wünschte ich mir als Leser Berichte, die alle Argumente und Fakten sachlich darstellen – vom aktuellen Lärm- und Schadstoffpegel im Ort über die Zahl der zu fällenden Bäume bis hin zu möglichen Alternativen.

    Ein Journalist der „Haltung zeigen“ und wahlweise von der „Klimakiller-Politik der CDU“ oder von der „autofeindlichen Hetze der Grünen“ schreiben will, kann das gerne tun. Nur halt im Kommentar.

  10. @ Peter Sievert:
    Warum Noem Chicago als Kriegsgebiet tituliert, obwohl es das offenbar nicht ist, würde mich tatsächlich interessieren. Vielleicht soll das Propaganda sein, vielleicht eine Metapher, vielleicht will sie wirklich Panzer einsetzen.
    Wenn der Journalist dazu eine Meinung oder Vermutung hat, mag er die gerne mitteilen, aber diese Mutmaßung ist kein Widerspruch zu dem, was ich unter „Wertfreiheit“ verstehe.

    Ansonsten hätte man die ultimative Ausrede: „Weil es keinen wertfreien Text geben kann, darf ich schreiben, was ich will, ihr dummen Leser!“

  11. Meines Erachtens schlimmster Auswuchs dieser Pseudo-Neutralität sind dann die Redakteure mit Sonderschwerpunkt Meinung.
    Toll, Nachricht und Kommentar getrennt, mit dem Ergebnis, dass die Nachrichten genauso biased sind, wie vorher auch, aber zusätzlich noch ein(e) Redakteur(in) die meinungsstarke Luftpumpe mimt.

    Das ist dann richtig albern.

  12. P.S.: Ich liebe die Überschrift:
    „Keine Haltung ist auch eine Haltung“!

    Die Unschärferelation angewandt auf die schiere Existenz als Teil der Gesellschaft. Ich lasse gerne mal die Behauptung fallen, dass es nichts politischeres gibt, als unpolitische Menschen. Deren Einfluss auf die Politik schlägt jedes Engagement.
    Nur eben in negativ.

  13. #9 (KK)
    Ja, gebe ich zu, dass das Beispiel eher eindeutig ist. Das Beispiel mit dem Kreistag ist dann halt aber auch etwas „billig“ in die andere Richtung, weil es ein an eher überparteiliches Problem darstellt und eine Werte in jede Richtung etwas irritierend wird.
    Aber was, wenn dort ein hochrangiger MdK eine Aussage tätigt wie: „Nur ein verbohrter Öko-Idealist könnte gegen dieses Projekt sein.“ Sollte man dies tatsächlich dann ohne weitere Einordnung stehen lassen? Diese Äußerung nur im Kommentarteil aufgreifen? Irgendwo wird es immer schwammig werden im Grenzbereich.

  14. @Peter Sievert:
    Wenn eine Zeitung über eine Debatte berichtet und dabei jemanden zitiert mit „Nur ein verbohrter Öko-Idealist könnte gegen dieses Projekt sein.“, dann unterstelle ich mal, dass der Großteil der Leserschaft auch ohne fremde Hilfe diese Polemik als Polemik erkennt und nicht als Tatsache. Oder wenn sich der eine oder andere das doch zu eigen macht, dann auch aus eigener Überzeugung, und dann nutzt es auch wenig, wenn die Zeitung Argumente gegen das Projekt liefert, weil die Zeitung dann ja wohl auch ein verbohrter Öko-Idealist sein muss. Ein Leser weniger.
    Im Zweifel kann die Zeitung ja einfach weniger Zitate und mehr Fakten bringen.

    Ich argumentiere ja nicht, dass ein Journalist keine Meinung haben darf, aber möglicherweise interessiert sie mich einfach nicht.
    Es ist mir bspw. egal, ob der Reporter es gut oder schlecht findet, dass es gerade regnet, er soll mir sagen, wie das Wetter ist. Dass irgendein Politiker den Regen als Beleg pro oder kontra Klimawandel verwendet, liegt ausschließlich an dessen Parteibuch.

  15. @ #14:
    Was aber, wenn die Meinung so in den Artikel reingewurstet wird, dass sie wie ein Fakt erscheint?
    Ein gutes Beispiel wäre da z. B. die Berichterstattung über kriminelle Flüchtlinge, die extrem überproportional zur tatsächlichen Kriminalitätsstatistik ist.
    Ist der Hinweis darauf nun des Journalisten Parteibuch oder wäre das Weglassen dieser Information Parteibuch?
    Passt auch auf Ihr Beispiel Klimawandel: Der menschgemachte Klimawandel ist 99,95%-iger wissenschaftlicher Konsens. Ist das Weglassen dieses Fakts Parteibuch?
    Das Regen-Beispiel ist, und das wissen Sie auch selbst, Unsinn.
    Kein kurzfristiges Wetterereignis kann als (alleiniger) Indikator für langfristige Klimaveränderungen herhalten.
    So eine Aussage wäre unseriös und ich kenne diesen polemischen Blödsinn auch nur aus der rechten Ecke: „Dieser Juni war kälter als der letzte, Checkmate Klimawandel-Merkelschafe!“
    Ist halt dumm und daher passend für die Zielgruppe.

  16. Ich würde das sogar noch weiter spinnen in Richtung Politik: Wenn Merz, Söder, Linnemann und Co. sagen, dass eine „Verschlankung“ (Top Euphemismus) des Sozialstaats nötig sein, weil die Hartzer ja alle nur faule Schweine sind und das Sozialsystem belasten, dann verschweigen diese Menschen schlicht, dass im Bereich Sozialbetrug so gut wie nichts zu holen ist:
    https://www.linkedin.com/posts/marcel-fratzscher_baesrgergeld-steuerhinterziehung-activity-7120340110985814018-Q_Ik
    Im Gegensatz zu Steuerhinterziehern, bei denen man sehr viel mehr für den Staatssäckel rausholen könnte (wenn man denn wollte).

    Erst ging es um einen „zweistelligen Milliardenbetrag“, dann um „ca. 30 Milliarden“, dann waren es „bis zu 10 Milliarden“, dann „6 Milliarden“, dann „bis zu 10%“, also 5 Milliarden.
    https://www.youtube.com/shorts/KBt8w21qtgY
    Mal schauen, ob die Reforminvestitionen überhaupt durch die Mehreinnahmen gedeckt werden.

    Ist es also nun Aufgabe von Jornalisten, hier die Zusammenhänge der offensichtlichen Falschbehauptungen aufzuschreiben oder wäre das schon politischer Aktivismus, wenn man darlegt, dass sich unser Kanzler an der Kante der Lüge bewegt? Ich meine ganz klar: Nein.

  17. @Peter Sievert (#13):

    Das Beispiel kam mir in den Sinn, weil ich es so oder ähnlich in meiner Zeit als Radiojournalist mehrfach erlebt habe. Man staunt, wie schnell es in solchen Debatten um die großen Menschheitsfragen geht.

    Aber was, wenn dort ein hochrangiger MdK eine Aussage tätigt wie: „Nur ein verbohrter Öko-Idealist könnte gegen dieses Projekt sein.“ Sollte man dies tatsächlich dann ohne weitere Einordnung stehen lassen?

    Kommt auf den Kontext an. So eine Aussage fällt ja unter politische Rhetorik und ist eher indifferent gegenüber wahr und falsch (a.k.a. Bullshit). Drei Varianten:

    1. In einem Bericht über die Kreistagssitzung selbst kann man den O-Ton bringen, wenn man ihn mit widersprechenden Stimmen gegenschneidet („Wer dieses Projekt unterstützt, hat nicht begriffen, dass die Zukunft unseres Planeten auf dem Spiel steht!“, oder so). Bei uns war es Regel, dass in solchen Berichten jede Fraktion im O-Ton zu Wort kommt (damals Linke bis CDU), selten allerdings mit solchen Phrasen. Das ist dann „A sagt, B sagt, C sagt, D sagt“, aber als Zusammenfassung einer Kreistagsdebatte finde ich das – außer bei Lügen – legitim.

    2. In einem inhaltlichen Bericht über die politischen Positionen zu dem Projekt kann man die Pro- und die Contraseite (z.B. Kreisverwaltung vs. Grüne) interviewen und Auszüge aus den Interviews in einem Beitrag präsentieren bzw. einordnen. In solchen Interviews ist der Ton in der Regel wesentlich moderater und näher an der Sache; Schaufensterbeleidigungen wie am Redepult habe ich dort nie erlebt.

    3. Für einen inhaltlichen Bericht über die Vor- und Nachteile des Projekts muss man gar keine Polit-Zitate verwenden; man kann mit Anwohnern, BIs beider Seiten, Naturschützern und Verkehrsplanern sprechen, außerdem selbst recherchieren und evtl. vor Ort den Straßenlärm (das müssen die Anwohner ertragen) bzw. die Naturidylle (das ist bedroht) als Atmo dokumentieren. Die Positionen der Kreistagsfraktionen kann man dann sachlich referieren, muss sie aber nicht zitieren.

    (In Kommentaren war ich übrigens gegen solche Projekte, auch wenn ich die Probleme der Anwohner durchaus gesehen und mit abgewogen habe.)

  18. „Was aber, wenn die Meinung so in den Artikel reingewurstet wird, dass sie wie ein Fakt erscheint?“ Dann ist das entweder ein Fehler oder Betrug.

    „Das Regen-Beispiel ist, und das wissen Sie auch selbst, Unsinn.“ Überspitzt.

    Der obige Artikel hat als Ausgangspunkt einen Leserbrief, der bemängelt,

    dass sich „persönliche Wertungen einzelner Redakteurinnen und Redakteure zunehmend in Nachrichtenartikel“ einschleichen würden.

    Ich verstehe hier „persönliche Wertung“ nicht so, dass X bspw. schreibt: „Y sagt nur die halbe Wahrheit, wenn soe A sagt, weil Sachverhalt B soundso ist.“, denn die Sachverhalte A und B sind nicht die persönliche Meinung von X, sondern Fakten, die Z genausogut sehen und sagen würde. X und Z sind in meinem Beispiel Journalistenmwd und Y Politikermwd.
    Eine Einordnung, dass Y tatsächlich lügt (oder irrtümlich die Unwahrheit sagt), ist natürlich auch eine „Wertung“, aber eben keine _persönliche_, sofern sie auf entgegenstehenden Fakten beruht und nicht einfach auf einer anderen persönlichen Meinung.
    Insofern gehen die ganzen vielen Beispiele, wo Politiker „an der Kante zur Lüge“ stehen, völlig an der Ausgangsfrage vorbei.

    Persönliche Wertungen wären „Schade, dass es regnet, ich wollte ins Freibad.“ – „Gut, dass der FC gewonnen hat, bin Fan seit Kindergarten!“, aber natürlich auch persönliche Ansichten zu wichtigeren Themen. Eben alles, was X und Z anders sehen könnten.

    „Ist es also nun Aufgabe von Jornalisten, hier die Zusammenhänge der offensichtlichen Falschbehauptungen aufzuschreiben oder wäre das schon politischer Aktivismus, …“ Da die Zusammenhänge meistens nicht sooo offensichtlich sind, sollten sie sie aufschreiben. Aber das wäre dann – nicht, dass ich mich nicht erklären wollte – eben keine persönliche Wertung.

    Gegenfrage: Halten Sie es für zumutbar, dass Journalisten selber wissen, was ihre persönlichen Meinung ist und was Tatsachen?

  19. Sorry, musste heißen: „Eben alles, was X und Z unterschiedlich sehen könnten.“
    Nicht, dass ich missverstanden werde.

  20. Was soll dieser Beitrag? Ich erweitere die These: Korruption lässt sich nie ganz ausschliessen, dann lassen wir sie doch zu! 100%ige Sicherheit gibt es nicht, also weg mit den Gurten usw..
    Ich möchte möglichst objektiv und faktenbasiert informiert werden, eine „Meinung“ gern als Beilage, aber extra. Bin ich damit alleine? Ist das zuviel verlangt? Ich denke nicht. Das es nie vollständig gelingen kann, die Erkenntnis ist doch nun wirklich ein Allgemeinplatz.
    Und ich wette, der Autor schüttet seinen süssen Nachtisch auch nicht ins Hauptgericht, weil es aus derselben Küche kommt.

  21. Dass Sprache normativ ist und die Süddeutsche Zeitung sich selbst betrügt, kann man unschön an der Verwendung des Kampfbegriffes „Verbrenner-Aus“ ablesen.

    Googelt mal „Verbrenner-Aus“ und Süddeutsche! Die schreiben das in Überschriften und Artikel, als wäre das ein Fakt. Damit täuschen sie natürlich auch ihre Lesenden, aber merken es in ihrer neutralen Selbstbeweihräucherung nicht.

  22. Moin,

    wenn man sich mehrfach auf „the view if nowhere“ (Der Blick von nitgendwo) beruft, sillte man selbst zumindest zeigen, dass man recherchiert hat, auf wen Rosen sich bezieht, nämlich auf das gleichnamige Buch des Philosophen Thomas Nagel. Der Blick von nirgendwo ist eine tiefgreifende und umfassende Studie über die Frage, „Wie kann man die subjektive, interne Perspektive einer Person auf die Welt mit der objektiven, externen Auffassung auf dieselbe Welt verbinden?“. Dahinter steht eine Theorie des Realismus. Wenn Jay Rosen sich darauf bezieht, muss man annehmen, dass er als New Yorker den New Yorker Philosophen Nagel kennt.

    Mit freundlichen Grüßen

  23. Viele Kommentatoren hier hängen im Kern in einem Missverständnis fest: Sie verwechseln Haltung mit Parteilichkeit und Einordnung mit Meinung.

    Mycroft & Kritischer Kritiker: Sie verteidigen eine „Trennung“, die es längst nicht mehr gibt.
    Sie argumentieren, man könne ja sachlich einordnen, ohne Haltung zu zeigen – und verweisen darauf, dass man Falschaussagen durch Fakten kontern könne.
    Das klingt plausibel, übersieht aber, dass bereits die Auswahl, welche Fakten man nennt, eine Haltung ist.
    Fakten sind nie „roh“ – sie werden gewichtet, sprachlich gefasst, kontextualisiert. Schon die Entscheidung, Trump „lügt“ oder „behauptet“ zu schreiben, ist eine Form von Haltung, keine bloße Faktendarstellung.
    Sie unterschätzen also den unvermeidlichen normativen Filter in jeder journalistischen Auswahl.

    Peter Sievert & Kritischer Kritiker: Sie fordern Einordnung – aber nur, wenn sie sich „objektiv beweisen“ lässt.
    Man dürfe sehr wohl sagen, dass z. B. Chicago kein Kriegsgebiet ist – aber man müsse es mit Statistiken belegen, nicht mit Adjektiven wie „propagandistisch“.
    Sie sehen nicht, dass auch der Akt des Belegens eine Form der Wertung ist.
    Denn zu entscheiden, welche Statistiken relevant sind, welcher Zeitraum, welche Quelle – das ist journalistische Interpretation.
    Das ist keine „neutrale“ Beschreibung, sondern ein bewertender Erkenntnisakt.
    Das heißt: Sie befürworten „Einordnung“, aber tun so, als wäre sie keine Haltung. Das ist Selbsttäuschung.

    Und dann diejenigen, die fürchten, Haltung sei gleich Aktivismus, also wenn Journalisten Haltung zeigen, machen sie sich zu Aktivisten.
    Das ist eine falsche Dichotomie.
    Transparente Haltung ≠ Aktivismus.
    Wer offenlegt, wie er zu einer Bewertung kommt, betreibt methodische Ehrlichkeit, nicht Propaganda.
    Aktivismus beginnt erst dort, wo man Belege unterdrückt, um eine Meinung zu stützen.
    Die meisten Kommentatoren setzen „Haltung zeigen“ automatisch mit „moralisch agitieren“ gleich – und verkennen so den Unterschied zwischen Reflexion und Mission.

    Wenn jemand schreibt, „die Meinungsspalte ist eh nur noch Luftpumpe“, dann ist das – natürlich – selbst eine Haltung.
    Der Witz ist: Sie wollen Neutralität im Journalismus, aber werten selbst permanent.
    Sie übersehen, dass auch Misstrauen eine Haltung ist.

    Die Trennung von Nachricht und Meinung war vielleicht sinnvoll, als Leser keine Suchmaschinen hatten. Heute ist Transparenz wichtiger als Reinheit. Journalismus muss nicht unfehlbar sein – er muss zeigen, wie er zu seinen Urteilen kommt. Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Filter, sondern durch Offenlegung. Der Leser ist längst mündiger als der Mythos der Objektivität erlaubt.

  24. @Dagobert:
    Wenn jemand schreibt: „Die Meinungsspalte ist eh nur noch Luftpumpe“, dann ist das – natürlich – selbst eine Haltung.
    Und wenn derselbe zuvor den Nachrichten „Pseudoneutralität“ vorwirft, dann weiß er das vermutlich auch.

    Mir geht es gar nicht um die Kommentare an sich, sondern darum, dass manche Redaktionen offenbar das Gefühl haben, ein Haltungsdefizit in den „normalen“ Nachrichten durch besonders meinungsstarke Kolumnen ausgleichen zu müssen.

    So entstehen dann bizarre Rollen wie „Chefredakteurin Freiheit“ oder „Redakteur für besondere Aufgaben (Meinung)“. Und die so Berufenen glauben, besonders vom Leder ziehen zu müssen.

    Imho: furchtbar.

  25. Ich lese hier nirgends den Ruf nach „mehr Haltung“ in den Nachrichten. Der Punkt ist: Meldungen sind immer gerahmt, auch durch das, was nicht gemeldet wird. Maja Göpel beschrieb kürzlich in einem Interview, wie Trumps Ausstieg aus Paris und die politische Definanzierung/Diskreditierung von Wissenschaft global die Energiewende aus Agenda und Berichterstattung verdrängten. Gleichzeitig laufen „flood the zone“-Talking-Points in Wellen durch die Medien.
    Wie sollen Redaktionen reagieren? Widerspruch ist Haltung, Nicht-Widerspruch auch. Die „nackte Nachricht“ ohne Kontext wirkt manipulativ; Einordnung wiederum ist nie haltungslos.
    Fazit: Wir brauchen medienkompetente Konsument:innen. Kritisch aktiv und passiv.

  26. #24: Ja, da haben sie auf jeden Fall recht. Das Verhältnis von journalistischen Inhalten ist zu Gunsten von Meinungsstücken aus dem Gleichgewicht geraten mancherorts. Nicht zu vergessen alle Social Media, die größtenteils aus Meinung bestehen.

    Leider ist der Aufstieg von Online-Inhalten und deren Bezahl-Logiken der große Treiber hier.

    Wo fängt man also an, da mal gegen zu arbeiten?
    Aus ihrem anderen Post entnehme ich das Rezept „Lautere Gegenwehr“ inkl. Nachvollziehbarer Haltung, was sicher ein sinnvoller Punkt wäre.

  27. „Mycroft & Kritischer Kritiker: Sie verteidigen eine „Trennung“, die es längst nicht mehr gibt.“
    Dass es die Trennung gar nicht mehr gäbe, bezweifle ich, aber wenn es so wäre, wäre das schlecht.
    „Sie argumentieren, man könne ja sachlich einordnen, ohne Haltung zu zeigen – und verweisen darauf, dass man Falschaussagen durch Fakten kontern könne.“
    Natürlich kann man Falschaussagen auch durch andere Falschaussagen kontern, aber das wäre falsch. Mein Argument ist, dass man als Journalist die Aussagen von Politikern auf Richtigkeit überprüfen und andernfalls mit Fakten kontern MUSS. Das ist keine Haltung. Das ist die Jobbeschreibung.
    „Das klingt plausibel, übersieht aber, dass bereits die Auswahl, welche Fakten man nennt, eine Haltung ist.“ Wenn man Trumps Falschaussagen kontern will, nimmt man am besten solche Fakten, die seinen Aussagen widerlegen. Das ist keine Haltung, sondern journalistische Tätigkeit.
    „Schon die Entscheidung, Trump „lügt“ oder „behauptet“ zu schreiben, ist eine Form von Haltung, keine bloße Faktendarstellung.“ Nun, es ist natürlich leichter zu beweisen, dass eine Aussage bloß falsch ist; ob sie auch eine Lüge ist, unterliegt aber ebenso grundsätzlich der Beweisbarkeit, insofern können beide Aussagen „bloße Faktendarstellungen“ sein. Nur, wenn die Aussage „Trump lügt“ nicht auf widersprechenden Fakten besteht, sondern auf der anderen Meinung des Journalisten, ist sie eine „persönliche Wertung“ oder meinetwegen „Haltung“. Das wird kritisiert.
    „Sie unterschätzen also den unvermeidlichen normativen Filter in jeder journalistischen Auswahl.“ Wenn ein Journalist statt über Trump über den Präsidenten seines Kleingartenvereines schreibt, kann ich daran leider auch nichts ändern, werde aber nichts davon kaufen.
    Wenn Trump sagt „Es regnet“ ist es die Aufgabe der Journalisten, die darüber berichten (wollen), zu prüfen, ob es tatsächlich regnet oder nicht. Zu sagen „Ich darf ja gar nicht mehr sagen, dass Trump über das Wetter lügt, wenn genau DANN die Sonne schien, als er das Gegenteil behauptete!“ ist ein Strohmann.

    Ansonsten fühle ich auch mich hiermit mitgemeint:
    „Man dürfe sehr wohl sagen, dass z. B. Chicago kein Kriegsgebiet ist – aber man müsse es mit Statistiken belegen, nicht mit Adjektiven wie „propagandistisch“.“ Wieso Statistiken? Hinfahren, nachgucken, Fotos machen. Und man „darf“ es nicht, sagen, sondern man MUSS es, wenn man die Fakten kennt. Wenn man die Fakten nicht kennt, sollte man einfach gar nichts sagen.
    „Sie sehen nicht, dass auch der Akt des Belegens eine Form der Wertung ist.“ Ja, aber DAS ist eine Form der Wertung, gegen die niemand etwas hat. Bzw., auch da gibt es sicher Grenzfälle – angenommen, Chicago wäre wirklich Kriegsgebiet, aber jemand macht Fotos von einem bislang verschont gebliebenen Vorort – aber die Argumentation „Weil sowohl persönliche Meinung als auch faktenbasierte Analysen zu einer Wertung führen, ist Wertung unvermeidbar, und weil Wertung unvermeidbar ist, kann ich machen, was ich will, wie z.B. meine persönliche Meinung als Faktum darzustellen.“ ist trotzdem falsch.

  28. @Dagobert (#23):

    Sie verteidigen eine „Trennung“, die es längst nicht mehr gibt.

    Gab es sie je? Ich glaube nicht, denn in Reinform ist das nicht möglich, wie sie zurecht darlegen. Die Frage ist, ob man die Trennung zwischen Information und Meinung anstreben sollte. Und da sag ich: Ja, bitte. Unbedingt.

    Fakten sind nie „roh“ – sie werden gewichtet, sprachlich gefasst, kontextualisiert. Schon die Entscheidung, Trump „lügt“ oder „behauptet“ zu schreiben, ist eine Form von Haltung, keine bloße Faktendarstellung.

    Stimmt. Deshalb ist es wichtig, sich solcher Feinheiten bewusst zu sein. Gute journalistische Haltung (pun intended) in diesem Kontext ist: Ich weiß nicht, was Lars Klingbeil gerade meint und denkt, ich weiß nur, was er gesagt hat. Also schreibe ich das auch so auf und mache die Unsicherheit klar. (Das Beispiel Trump ist wieder billig, weil er – mutmaßlich wie erwiesenermaßen – dauernd Quatsch erzählt.)

    Man dürfe sehr wohl sagen, dass z. B. Chicago kein Kriegsgebiet ist – aber man müsse es mit Statistiken belegen, nicht mit Adjektiven wie „propagandistisch“.

    Hier haben Sie aus meinem „sollte besser“ ein „muss“ gemacht. Und natürlich sollte man eine Behauptung („Kriegsgebiet“) besser mit Fakten widerlegen, statt mit Adjektiven einfach das Gegenteil zu behaupten.

    Sie sehen nicht, dass auch der Akt des Belegens eine Form der Wertung ist.
    Denn zu entscheiden, welche Statistiken relevant sind, welcher Zeitraum, welche Quelle – das ist journalistische Interpretation.
    Das ist keine „neutrale“ Beschreibung, sondern ein bewertender Erkenntnisakt.

    Nein. Das ist mir viel zu relativistisch. Man mag sich über die Definition des Begriffs „Kriegsgebiet“ streiten. Aber jede sinnvolle Defintion sagt mir, dass Chicago nicht darunter fällt. So wie es keine „journalistische Interpretation“ des Wetters ist, ob es gerade regnet oder nicht.

    Das ist gerade die Logik des Trumplagers – man kann behaupten, was man will, denn „Wahrheit“ oder „Objektivität“ existieren nicht. Ich gestehe gerne zu, dass es mit der Darstellung der Wirklichkeit in den Medien schwieriger ist, als es die naive Vorstellung einer „reinen“ Trennbarkeit zwischen Meinung und Information annimmt. Daraus ziehe ich aber noch lange nicht den Schluss, dass man diese Trennung einfach ignorieren sollte, weil es Objektivität ohnehin nicht gebe.

  29. #28 Ich teile Ihr Ziel der klaren Trennung von Information und Meinung als Ideal im Journalismus.
    Allerdings geht dieser Trennung auch eine Interpretationsleistung voraus. Ihre Argumentation gegen den Relativismus des Trumplagers tendiert dazu, die Unmöglichkeit der „rohen“ Fakten und die daraus resultierende unvermeidbare journalistische Wertung zu unterschätzen. Die bloße Ablehnung des Relativismus bedeutet noch nicht, dass wir in der Lage wären, Fakten ohne Filter zu präsentieren.
    Wenn Sie die Wahl der Statistik zur Widerlegung des „Kriegsgebiet“-Arguments nicht als Wertung ansehen, übersehen Sie: Der Akt, welche Statistiken (Mordrate, Völkerrecht, Gewaltereignisse…) als relevant erachtet werden, ist die primäre journalistische Interpretation.

  30. @Dagobert:
    Die Interpretationsleistung beginnt schon da, wo man entscheidet, ob jemand „Krieg in Chicago“ wortwörtlich gemeint hat.
    Dann mag man noch darüber sinnieren, ob das Publikum das wörtlich nehmen könnte, wenn man da als Journalist nicht extra „Quatsch“ zu sagt, aber dann – allerdings das ist jetzt meine Interpretation zu – entsteht solche Kritik wie der Leserbrief im Artikel zu „persönlicher Wertung“, die überhand nehme:
    Nicht etwa nur die Trumpfans sind genervt, wenn zu jedem Quatsch der Trumpregierung extra „Quatsch“ gesagt wird, sondern auch die, die den Quatsch als Quatsch erkennen.
    Aber ja, ob man den fraglichen Krieg in Chicago mittels Inaugenscheinnahme bestätigt oder widerlegt, oder mit Statistiken, oder vielleicht auch mit noch mehr Politikerzitaten ist die Entscheidung der Journalisten, und wie sie sie treffen, hat sehr mit ihrer zukünftigen Glaubwürdigkeit zu tun.

  31. In den Kommentaren liest man an manchen Stellen Sätze, die andeuten, Haltung und Meinung hätten erst in jüngerer Zeit Einzug in unsere Nachrichten – oder zumindest in seriöse Nachrichtenquellen – gehalten.
    Als jemand, der 1961 geboren wurde, kann ich dazu nur sagen: Meiner Erfahrung nach waren die Nachrichten früher, etwa während des Kalten Krieges, in weit größerem Maße von Haltung und Meinung geprägt als heute.

    Die Springermedien sind sich da wohl am treuesten geblieben. Sie waren immer gleich biased und manipulativ – ohne jeden Skrupel.
    Wie stark wir heute jeweils voreingenommen sind, wird sich wahrscheinlich erst mit zeitlichem Abstand erkennen lassen.

    Andere haben diesen Mechanismus längst erkannt und nutzen ihn gezielt, um Medien im Sinne eigener Interessen zu beeinflussen.
    Die fossilen Energiekonzerne sind in der westlichen Hemisphäre wohl immer noch die größten Fische in diesem Teich, doch Tech-Oligarchen und libertäre Antidemokraten holen auf.
    Von der anderen Seite erscheinen die Methoden autoritärer Regime zwar grober, doch das liegt vermutlich nur daran, dass wir nicht alles wahrnehmen.

    Gute Vorsätze aus der Sonntagsschule des Journalismus werden imho nicht ausreichen, um dem zu begegnen.
    Jeder politisch aufgeklärte Mensch muss sich aus unterschiedlichsten Quellen informieren – und bei jeder einzelnen den Bias in die eigene Bewertung mit einrechnen.

  32. Guten Tag,

    drei Punkte fallen mir bei dieser Diskussion auf:

    1) Die Trennung von Nachricht und Kommentar ist nach meiner Beobachtung ein Kind der Zeit, als im Journalismus Mode wurde, jede Nachricht und jeden Bericht „anzufeatschern“. Damit war das Tor offen, vieles einfach zu vermischen – und die spätere Tendenz zum „Storytelling“ erweiterten dieses Spektrum.

    2) Haltung ist zwar neueren Datums und stark von der zunehmenden Moralisierung des Journalismus beeinflusst. Aber egal wessen Moralseite man sich zuschlägt, man „fühlt“ sich da immer auf der richtigen Seite. Ob aber Moral und damit Haltung dem Journalismus gut tun und seine Unabhängigkeit zu wahren helfen, daran wage ich zu zweifeln und das wäre eine lohnende Diskussion.

    3) Wahrheit und Lüge, insbesondere in Bezug zu Trump und Populisten, so wie sie hier diskutiert werden, sind keine Kategorien, die greifen. Der größte Teil der Äußerungen Trumps und Konsorten ist schlicht „Bullshit“ (Harry Frankfurt, „Bullshit“, jedem Journalisten zu empfehlen). Man sollte also Bullshit identifizieren, anstatt im Populismus Trumps noch den Kern der Wahrheit suchen.

    Grüße, JK

  33. @Josef König (#32):

    Die Trennung von Nachricht und Kommentar ist nach meiner Beobachtung ein Kind der Zeit, als im Journalismus Mode wurde, jede Nachricht und jeden Bericht „anzufeatschern“.

    Eigentlich stammt diese Trennung, was Deutschland betrifft, aus der frühen Nachkriegszeit. Sie wurde in der BRD aus dem angelsächsischen Raum (zunächst nicht ganz freiwillig) übernommen – als Reaktion auf die NS-Propaganda und die stark parteilich geprägte Presse der Weimarer Republik.

    Gerade deshalb finde ich den Tenor hier irgendwie schräg. Es klingt, als wäre es irgendwie „rechts“, eine Trennung von Information und Meinung für richtig zu halten.

    Zum ganzen Bild gehört allerdings auch, dass es die Trennung gerade in den großen Magazinen nie gegeben hat. Den süffisant-manipulativen Spiegel-Stil hat Enzensberger bekanntlich bereits in den 50ern kritisiert. Und die Boulevardmedien haben sich eh nie dran gehalten.

    Dennoch, oder gerade deshalb: Als Konsument wünsche ich mir möglichst ungefärbte Information, damit ich mir selbst Gedanken machen kann (auch wenn das ein unerreichbares Ziel ist).

  34. Nehmen wir das Beispiel Gaza-Krieg:
    Wie stark die Berichterstattung, besonders in Deutschland, eingefärbt wurde, lässt bereits die Analyse der Quellen erahnen.

    https://www.schantall-und-scharia.de/nahostnachrichten/

    „Nahost-Berichterstattung: Mehr Israel pro Woche als Palästina im halben Jahr“
    Exegese, 25. September 2025
    […]
    Die Ergebnisse habe ich zunächst nach Ländern ausgewertet. Israel oder Palästina? Die Antwort deutscher Nachrichtenredaktionen auf die Gretchenfrage des Nahost-Diskurses ist eindeutig: Von den 4.853 untersuchten Schlagzeilen ließen sich 2.100 (43,3 Prozent) auf israelische Quellen zurückführen. Auf palästinensischen Angaben beruhten hingegen nur 244 Überschriften (5,0 Prozent).
    Auf jede Überschrift, die sich auf palästinensische Quellen bezog, kamen bei Spiegel und Zeit etwa sieben und bei der Tagesschau acht aus israelischen Quellen. Bei Bild lag das Verhältnis sogar bei eins zu achtzehn.

    Was letztlich bedeutet: Wir wurden weit überwiegend direkt von einer Kriegspartei und deren Propagandaapparat versorgt.
    Und selbst die wenigen Reste an Kritik reichten noch aus, um den deutschen Medien Antisemitismus zu unterstellen.

    Irak und Libyen waren überhaupt die ersten US-Nachkriegskriege, in denen US-kritische Stimmen bei uns in den Mainstream sickern konnten.

    Über Jahrzehnte schaffte es die Fossil-Industrie, die globalen Narrative so zu steuern, dass unser aller Zukunft ihren Profiten geopfert wurde.

    Die 70er-Strategie:
    Nicht handeln, nicht informieren, Forschung intern behalten, öffentliches Bewusstsein vermeiden.

    Die 80er-Strategie:
    „Die Wissenschaft ist sich gar nicht einig – wir brauchen mehr Forschung.“ Ziel: Zeit gewinnen.

    Die 90er-Strategie:
    „Klimaschutz ist Wirtschaftsschädigung“, „Regierungen wollen Kontrolle“, „Persönliche Freiheit steht auf dem Spiel.“

    Die 2000er-Strategie:
    „Jeder muss bei sich selbst anfangen“ – nicht: „Konzerne und Staaten müssen ihre Energiepolitik ändern.“

    Die 2010er-Strategie:
    Greenwashing und Komplexitätsmanagement. „Es ist kompliziert, ein Mix ist notwendig, Verantwortung ist verteilt.“

    Die 2020er-Strategie:
    Algorithmen, Fragmentierung, Framing. „Nicht die Konzerne sind das Problem, sondern die radikalen Aktivisten, die übertreiben.“

    Und so wurde es möglich, dass wir ungebremst jedes Klimaziel reißen.
    Diese Woche wurde bekannt gegeben, dass alle tropischen Riffe aussterben werden – der Kipppunkt ist überschritten.

    Lustigerweise sind die Kommentare hier eigentlich gar nicht so kontrovers.
    Niemand fordert, die Nachrichten künftig stärker mit Meinung einzufärben, niemand behauptet, es gebe objektive Nachrichteninhalte.
    Dass KK daraus nun auch noch eine Links-Rechts-Geschichte machen will, dient dem Diskurs sicher nicht.

    Mir geht es darum, dass das Bewusstsein geschärft wird, dass Nachrichten immer auch Haltung transportieren – so sehr wir uns auch bemühen, das zu verhindern.
    In der Linken wird diskutiert, ob man dem Populismus von rechts einen bewussten linken Populismus entgegensetzen müsse.
    Auf der Rechten gibt es erwiesenermaßen mediale Strategien (Bannon und andere im Hintergrund), die gezielt solche Frames und Narrative bedienen.

    Ich bin komplett gegen Populismus. Man muss ihn aber dennoch sehen und begreifen wollen.

  35. Persönlich stört mich am obigen Text die Gleichsetzung von „persönlicher Wertung“ mit „jede Art von Wertung“, aber der Knackpunkt ist der Satz hier:
    „… es ist nicht einmal möglich, sich Wertfreiheit auch nur anzunähern.“
    Ein Arzt oder Apotheker könnte auch darüber referieren, dass es kein wirksames Madikament ohne Nebenwirkungen gibt, und dass es ein solches auch nicht geben kann.
    Trotzdem ist es möglich, sich dem _anzunähern_.
    Bei den Medikamenten gibt es eines, das das beste Verhältnis aus Wirkung/Nebenwirkungen hat, dieses zu suchen und zu finden, ist die Annäherung an das (unerreichbare) Ideal.
    Auch in anderen Bereichen gibt es oft nie die perfekte Lösung, aber eben typischerweise eine bestmögliche Annäherung.

    Aber im Journalismus soll das nicht gehen? Es kann keine Annäherung an die _komplette_ Trennung von Nachricht und Meinung geben, denn jeder Journalist hat ja mehr als einen Bias? Ich denke schon, dass ein Journalist, der sich diesbezüglich Mühe gibt, auch mehr erreicht als einer, der das nicht tut, und somit sich auch mehr Glaubwürdigkeit verdient.
    Deshalb ist das
    „Ein Journalismus, der Haltung zeigt, … ist … glaubwürdiger als einer, der so tut, als stünde er über den Dingen.“
    eine falsche Dichotomie – niemand hat gefordert, dass Journalisten vortäuschen sollten, „über den Dingen“ zu stehen.

    Natürlich ist ein Journalismus, der mir die Dinge sagt, die mich interessieren, und dann auch gerne seine Meinung dazu in Meinungsartikeln, glaubwürdiger als einer, der mir erst seine Meinung erzählt und dann die Dinge nennt, die ihn zu seiner Meinung gebracht haben.

    Oder „glaubwürdiger“ ist das falsche Wort. Leute, die mir ihre Meinung erzählen und dann Dinge nennen, weshalb sie diese Meinung haben, gibt es ohne Ende in der Politik, bei Twitter oder in der Nachbarschaft. Ist ja auch legitim, transparent, ehrlich, demokratisch und so.
    Aber warum dann dafür Geld ausgeben?

  36. Auch dass man sich nicht annähern sollte, hat wieder überhaupt niemand behauptet.

    Es ist doch ganz simpel. Es geht darum, dass man sich bewusst machen muss, dass Nachrichten, so sorgfältig sie im Einzelfall auch gemacht sind, dennoch einen Bias aufweisen.
    Natürlich erwarten wir von allen ernsthaften Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich diesem Ideal so weit wie irgend möglich annähern. Aber Manipulationen sind oft sehr subtil. Man denke nur an den individuellen CO₂-Footprint. Eine geniale Idee, um die Verantwortung weg von den Konzernen hin zum Individuum zu verschieben. Und alle sind wir darauf hereingefallen.

    Was hat das denn damit zu tun, dass wir dennoch aufgefordert sind, uns aus einem möglichst breiten Spektrum an Quellen zu informieren, um gewollte oder ungewollte Manipulationen unserer Wahrnehmung zu erkennen und auszugleichen?
    Was ist das bitte für eine Argumentation?

  37. „Auch dass man sich nicht annähern sollte, hat wieder überhaupt niemand behauptet.“ Unmögliches kann nicht verlangt sein. Wenn also jemand behauptet, dass man etwas nicht könne – hier also die „Annäherung“, nicht nur das Ideal – ist die logische Konsequenz, dass derjenige das nicht versuchen wird und auch von niemanden verlangt.

    „Was hat das denn damit zu tun, dass wir dennoch aufgefordert sind, uns aus einem möglichst breiten Spektrum an Quellen zu informieren?“ Wir sind nicht aufgefordert, wir tun das aus Eigennutz. Aber nicht-journalistische Quellen haben auch eine Haltung, mit der sie zwar offen umgehen, aber ein teils recht einseitiges „erkenntnisleitendes Interesse“ darstellt. Was ist dann der Unterschied zu einem Journalismus, der nicht mehr versucht, Meinung und Meldung zu trennen?

  38. Ok, ein letztes:

    „Unmögliches kann nicht verlangt sein. Wenn also jemand behauptet, dass man etwas nicht könne – hier also die „Annäherung“, nicht nur das Ideal – ist die logische Konsequenz, dass derjenige das nicht versuchen wird und auch von niemanden verlangt.“

    Das ist logisch falsch:
    „Unmögliches kann nicht verlangt sein“ – geschenkt. Aber aus der bloßen Behauptung der Unmöglichkeit folgt logisch nicht, dass man es weder versuchen noch verlangen dürfe. Die absolute Wertfreiheit ist tatsächlich unerreichbar; sie bleibt ein regulatives Ideal. Genau deshalb ist die Annäherung geboten: methodische Wertfreiheit im Sinne Webers – Transparenz, Replikation, systematische Bias-Kontrolle – statt rhetorischer Reinheitsversprechen. Dass Wertfreiheit selbst ein Wert ist, widerlegt nicht das Ideal, sondern begründet seine annähernde Verfolgung. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ hat noch niemanden davon abgehalten, nach Erkenntnis zu streben.

    Stichworte aus der Recherche:

    – Wer aus der (behaupteten) Unmöglichkeit den Verzicht aufs Versuchen ableitet, begeht einen Non sequitur.
    – Performative Spannung: „Wertfreiheit“ ist selbst ein Wert. Das zeigt nur: Absolute Reinheit ist unerreichbar – aber regulative Ideale bleiben verbindliche Leitnormen (Transparenz, Replikation, Bias-Kontrolle).
    – Nirvana-Fallacy: Aus der Unmöglichkeit des Ideals (absolute Wertfreiheit) folgt nicht, dass Annäherungen sinnlos oder unzulässig wären.

    Der Autor kommt aus der Wissenschaft. Er wird die oben angedeuteten Paradoxien der Epistemologie kennen.

  39. 1.: Niemand hat „Wertfreiheit“ gefordert, das ist ein Strohmann. Gesagt wurde in dem Leserbrief, der Auslöser für den SZ-Artikel war, der seinerseits Ausgangspunkt von diesem Artikel ist, dass eine „persönlicher Wertung“ in Nachrichtenartikeln störend sei. Nicht, dass andere Formen der Wertung auch nicht vorkommen sollten. Nicht, dass persönliche Wertung grundsätzlich unerwünscht sei. Nur dies: die persönliche, wertende Meinung einer Redakteurin oder eines Redakteures ist keine Nachricht und keine Tatsache und stört daher _innerhalb_ eines Nachrichtentextes. (Gegenfrage: wer findet sowas gut?)
    1.a: Wenn überhaupt, wäre „Wert_ungs_freiheit“ die Forderung, wenn diese Erbsenzählerei erlaubt ist, also das Fehlen von wertenden Kommentaren, nicht das Fehlen von Werten.
    2.: Die Annäherung an das geforderter Ideal, nämlich“persönliche Wertung“ und „Nachricht“ zu trennen, ist nicht so schwierig. Wenn Trump bspw. sagt, dass es regnet, und man anhand von Fotos belegt, dass in Wahrheit die Sonne scheint, ist das – wie schon mehrfach vorgetragen – keine _persönliche_ Wertung. Die persönliche Wertung wäre bspw. ein Kommentar, dass Trump sich vom Klima(wandel)leugner zum Wetterleugner gewandelt habe.
    3.: Ich bin weiterhin der Auffassung, dass mit oben gewählter Formulierung nicht nur das Erreichen des (wie auch immer definierten) Idealzustandes ausgeschlossen wird, sondern auch dessen Annäherung. Letzteres halte ich für falsch, insofern ist es mir eher nebensächlich, ob damit wirklich gemeint ist, dass man es gar nicht versuchen solle. Aber wenn nicht, warum steht das dann da?
    Man kann sich einer vollständigen Trennung sehr gut annähern, man soll es bitte versuchen, und schon der Versuch – nicht der Erfolg – macht Journalismus glaubwürdig. Insbesondere steht ein offener Umgang mit einer persönlichen Haltung dieser Trennung nicht im Wege, insofern weiß ich nicht, wo überhaupt das Problem ist?

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