PR-Helfer

Viel Rauch um Rauch: Philip Morris macht Medien süchtig

Ausgerechnet der Zigarettenriese inszeniert sich als um die Gesundheit besorgter Vorkämpfer gegen das Verbrennen von Tabak. Und etliche Medien lassen sich von der netten PR-Geschichte einnebeln. Sie helfen dem Konzern mit unkritischen Interviews und jubelnden Produktempfehlungen.

Das wünscht man sich üblicherweise nicht als Unternehmen: ein Porträt in einer Wirtschaftszeitung über die neue Chefin, das durchzogen ist von einem Ton des Mitleids – dass die sich diesen Job antut! Einen Text, der notiert, dass „jeder Verständnis hätte“, wenn sie sich nach ihren früheren Stellen zurücksehnte. Und der zwischen den Zeilen die Frage andeutet, wie viel Lust an der Selbstgeißelung man wohl mitbringen muss, um in dieser Branche arbeiten zu wollen.

Philip-Morris-Managerin im „Handelsblatt“-Porträt in der Rubrik „Unternehmerin des Tages“
„Unternehmerin des Tages“ im „Handelsblatt“: Veronika RostAusriss: „Handelsblatt“

Bei Philip Morris werden sie dennoch glücklich gewesen sein über den Artikel, den das „Handelsblatt“ Anfang März über die deutsche Geschäftsführerin Veronika Rost brachte. Denn die scheinbare Unmöglichkeit ihrer Aufgabe, die sich in der Überschrift „Tabak-Managerin will Kunden das Qualmen abgewöhnen“ andeutet, ist ein wesentlicher Teil der Geschichte, die der Konzern seit einigen Jahren über sich erzählt. Und die ganzen vermeintlichen Widersprüche, die darin enthalten sind, machen die Geschichte für viele Journalisten zu einer guten Geschichte – und unwiderstehlich.

Das beginnt schon mit dem Detail, dass Veronika Rost nach eigener Aussage keine Raucherin ist. Oder wie es das „Handelsblatt“ gleich zu Beginn seines Portraits formuliert:

„Veronika Rost raucht nicht, hat nie geraucht und wird wohl auch nicht mehr damit anfangen. Sie weiß also nicht genau, was sie verkauft, hat ihr Produkt nie am eigenen Leib erlebt.“

Das Pathos regelt der Autor gleich danach noch ein bisschen nach oben, wenn er Raucher beschreibt, die

„im schlimmsten Fall so süchtig [sind], dass Gollums Suche nach dem Ring, der sie in J.R.R. Tolkiens ‚Herr der Ringe‘ alle eint, wie die Vertriebstour eines Händlers für Modeschmuck wirkt.

Für nicht wenige Menschen verkörpert Veronika Rost wohl nahezu Sauron, den finsteren Herrscher aus Tolkiens Fantasy-Epos.“

Naja, vielleicht aber auch für nicht viele.

Die PR-Strategie von Philip Morris

Weltweit wird Rauchen gesetzlich immer weiter eingeschränkt. Philip Morris hat darauf mit der Entwicklung von rauchfreien Alternativen reagiert. Dazu gehören vor allem Geräte, die Tabak nicht verbrennen, sondern nur erhitzen und unter der Marke IQOS vermarktet werden. Sie sollen deutlich weniger Schadstoffe enthalten; wie viel weniger gesundheitsschädlich sie sind, ist allerdings umstritten.

Das ist zunächst einmal eine durchschnittlich interessante Geschichte über eine Firma, die auf veränderte Bedingungen mit zusätzlichen Produkten reagiert, um in Zukunft noch erfolgreich sein zu können. Aber Philip Morris ist in seiner Kommunikation noch einen Schritt weiter gegangen: Das Unternehmen wirbt nicht nur für seine neuen Produkte, sondern aktiv gegen das Rauchen. Es verkauft zwar nach wie vor Zigaretten, und mit den traditionellen Produkten von Marken wie Marlboro und Chesterfield macht es immer noch den größten Teil seines Umsatzes. Aber gleichzeitig positioniert sich die Firma als Vorkämpfer gegen das Verbrennen von Tabak. Und das ist für Medien mehr als nur eine durchschnittlich interessante Geschichte und sorgt für bemerkenswerte Effekte in der Berichterstattung. Von denen das Unternehmen profitiert.

Ein Krebsforscher beim Tabakkonzern? Geile Geschichte!

Veronika Rost, die Tabak-Konzern-Chefin, die nicht raucht, ist dabei noch nicht einmal die aufregendste Figur. Das ist vermutlich Alexander Nussbaum, der medizinisch-wissenschaftliche Leiter bei Philip Morris International. Er ist nicht bloß Nichtraucher, sondern kommt sogar aus der Krebsforschung. Er hat Biochemie studiert und zehn Jahre lang in der Immunologie gearbeitet, unter anderem an Impfstoffen gegen Virusinfektionen und Tumore. Dann machte Philip Morris ihn 2016 zu seinem wissenschaftlichen Sprecher, Head of Scientific & Medical Affairs.

Der Zeitschrift „Business Punk“ sagt er in einem Interview, er sei damals „vor Schreck fast vom Stuhl gefallen“, als er erfuhr, wer hinter dem Job-Angebot steckte. „Das hätte nicht weiter weg sein können von mir.“ Um seine Einstellung zum Rauchen zu illustrieren, erzählt er dem Magazin, er sei mit seiner Frau nur unter der Bedingung zusammengezogen, dass sie mit dem Rauchen aufhört. So einer ist das!

Die Anekdote mit seiner Frau passt auch perfekt zu der großen Geschichte, die Philip Morris erzählt. Nussbaum sagt im „Business Punk“-Interview, er wisse, wie schwer es seiner Frau gefallen sei, mit dem Rauchen aufzuhören. Sein Vater habe dagegen nie aufgehört und stehe damit für die stabile Zahl von 17 Millionen Rauchern in Deutschland. Wenn es so viele Menschen gebe, die vom Rauchen nicht ganz lassen können oder wollen, sei es besser, wenigstens die Schadstoffe zu reduzieren, indem sie das Nikotin per Tabakerhitzer aufnehmen. Eine Studie zeige, dass der Effekt einer solchen Umstellung „nicht mehr so weit weg“ sei von einem Rauchstopp. Seine Aufgabe bei Philip Morris betrachte er als „große Präventionsarbeit“.

Indem er beim Zigarettenkonzern arbeitet und für den Verkauf von Tabakerhitzern wirbt, tut er mehr gegen den Krebs als er es als Krebsforscher könnte? Geile Geschichte.

Das „SZ-Magazin“ hat Alexander Nussbaum 2018 als Aushängeschild der Branche böse-treffend in die Tradition des HB-Männchens und des Marlboro-Cowboys gestellt: „auch er ist eine perfekt auf die Bedürfnisse des Zeitgeistes abgestimmte Werbefigur – irgendwie zweifelnd, irgendwie gesundheitsbewusst und mit einer klaren Botschaft: Rauchen ist ein Problem.“

„Normalisierung“ für Image und Gewinn

Till Krause beschreibt in seinem Artikel ausführlich den „milliardenschweren Plan“ der Zigarettenhersteller, mit dem sie ihr Image und ihre Gewinne retten wollen. Dabei geht es nicht nur um Marketing, sondern auch um Lobbyarbeit. Er zitiert aus internen Dokumenten von Philip Morris, die der Nachrichtenagentur Reuters zugespielt wurden, mit einem Merkblatt über die Firmenstrategie. „Normalisierung“ war darin ein zentraler Begriff. Die Produkte sollen künftig wieder als etwas Normales angesehen werden – damit auch die Firma wieder als „vertrauenswürdiger und unabkömmlicher Partner“ für Medien und Politik aufgebaut werden kann.

Philip Morris steckt auch hinter einer Organisation, die sich zuerst „Foundation for a Smoke-Free World“ nannte und inzwischen „Global Action to End Smoking“ heißt. Sie gibt an (oder vor), mit wissenschaftlicher Forschung und Aufklärung gegen das Rauchen zu kämpfen. Zahlreiche medizinische Organisationen lehnen die Zusammenarbeit mit ihr allerdings wegen des Interessenskonflikts ab. Anstatt sich gegen den Konsum von Tabak und Nikotin einzusetzen, promote sie Produkte, die weiterhin Tabak und Nikotin erhalten.

Auch das Wirken des „nichtrauchenden Tabaklobbyisten“ Alexander Nussbaum in Deutschland stieß offenbar nicht nur auf Gegenliebe: Politiker und „seriöse Wissenschaftler“ sollen bei seiner Namensnennung die Augen verdreht haben, schrieb das „SZ-Magazin“ 2018: „Der Typ dränge sich auf, verstopfe Postfächer mit Studien der Tabakindustrie, wiederhole gebetsmühlenhaft die Werbesprüche von Philip Morris und sei deshalb bei wissenschaftlichen Kongressen unerwünscht.“

Ob das noch stimmt, sei einmal dahingestellt: In vielen Medien war und ist Nussbaum jedenfalls sehr erwünscht.

Screenshot von „Focus Online“: Interview mit und Foto von Alexander Nussbaum
Gerügtes Interview mit Alexander Nussbaum Screenshot: „Focus Online“

„Focus Online“ zum Beispiel ist gerade erst vom Presserat für ein Interview mit ihm gerügt worden. Das Online-Magazin hatte sich treuherzig „die Vorteile von Nikotinprodukten ohne Verbrennung“ erklären lassen und warum es für die Gesundheit der Menschen gut wäre, wenn in Deutschland Snus legalisiert würden. Das sind kleine Tabakbeutel, die man sich unter die Oberlippe schiebt – und die zum rauchlosen Nikotin-Produktrepertoire von Philip Morris gehören. Fast in der ganzen EU ist ihr Verkauf aber verboten.

Der Presserat bemängelte, dass Nussbaums Aussagen in keiner Weise eingeordnet wurden. Das „einseitige Interview“ stelle einen „gravierenden Mangel an journalistischer Sorgfalt“ und „eine unangemessene Darstellung im Bereich der Medizinberichterstattung“ dar.

„Focus Online“-Leser könnten Nussbaum auch schon aus einem Interview kennen, das derselbe Redakteur ein Jahr zuvor geführt hatte und ähnlich unkritisch war.

Ausrisse aus zwei „Hörzu“-Ausgaben mit den Überschriften „Endlich weniger rauchen“ und „Wie Europa rauchfrei wird“.
„Hörzu“-Artikel, die wie Werbung wirken Ausrisse: „Hörzu“

Nussbaum taucht auch häufiger auf den Ratgeber- oder Gesundheitsseiten der Programmzeitschriften aus der Funke-Mediengruppe auf. Zum Beispiel in der „Hörzu“: „Endlich weniger rauchen“, versprach ein großer Artikel 2023, der sich der Frage widmete, ob die neuen Alternativen zur Zigarette „wirklich so viel besser“ sind. Er stellte die Frage originellerweise ausschließlich jemandem, der für einen Hersteller dieser Alternativen arbeitet: Alexander Nussbaum. Und der sagte seine üblichen Sätze: Dass Tabakerhitzer die Schadstoffe um angeblich 95 Prozent reduzieren und ein „Rauchstopp“ natürlich am besten sei. „Hörzu“ ergänzte dann hilfreich, dass ein Umstieg auf eine Alternative ja ein guter Zwischenschritt sein könne – und stellte entsprechende Produkte aus dem Haus Philip Morris vor.

Im Mai 2025 berichtete „Hörzu“ erneut über den „Abschied von der Zigarette“ und „Wie Europa RAUCHFREI wird“. Auch in diesem Stück kam ausschließlich Philip-Morris-Mann Alexander Nussbaum vor, und „Hörzu“ empfahl Philip-Morris-Produkte.

Auch in den Funke-Zeitschriften „TV Digital“ und „TV Direkt“ erschienen im Mai „Reports“ mit ähnlichen Überschriften und mit Alexander Nussbaum. 2020 hatte die Funke-Zeitschrift „Bild der Frau“ ihn gefragt: „Weniger schädlich rauchen – geht das wirklich?“

All das ist einerseits nicht besonders überraschend: Dass die Funke-Zeitschriften insbesondere bei Gesundheitsthemen voller Schleichwerbung sind, haben wir bei Übermedien immer wieder thematisiert.

Andererseits steckt dahinter auch ein bemerkenswerter PR-Erfolg von Philip Morris: Ein Vertreter der Firma, die daran arbeitet, dass die Leute auch in Zukunft stark süchtig machende Nikotin-Produkte konsumieren, wird plötzlich von Medien wie der führende Experte fürs Nicht-Rauchen behandelt. Die Frauenzeitschrift „Für Sie“ aus dem Klambt-Verlag fragte Nussbaum im vergangenen Jahr, ob die Ersatzprodukte, die sein Unternehmen herstellt, zu empfehlen seien. Und Nussbaum ist gut darin, Antworten zu geben, die Werbung sind, aber nicht so klingen – weil er zum Beispiel darauf hinweist, dass auch die anderen Nikotinprodukte aus seinem Haus „weder schadstoff- noch risikofrei“ seien und bislang Langzeitstudien fehlten, um abschließend bewerten zu können, wie sie auf „Mundraum, Zähne, Haut, Lungenfunktion und die allgemeine körperliche Fitness“ wirken.

Die Schweden-Erzählung

Gerne erzählen Medien seit einiger Zeit auch, dass Schweden es geschafft habe, „rauchfrei“ zu werden – gemeint ist damit, dass weniger als 5 Prozent der Schweden rauchen. Schweden hat bereits früher als viele andere Länder das Rauchen an verschiedenen Orten verboten.

Tabakkonzerne wie Philip Morris verbreiten aber noch eine andere Geschichte vom erfolgreichen Kampf Schwedens gegen das Rauchen (und den Lungenkrebs!): Sie schwärmen von der angeblich entscheidenden Rolle, die Snus dabei spielen, jene Tabakbeutel, über die Nussbaum im frisch gerügten „Focus Online“-Interview spricht. Ihr Konsum ist in Schweden Tradition, dort gilt deshalb eine Ausnahmeregelung, die ihren Verkauf – anders als im Rest der EU – legal macht.

Philip Morris führt die niedrige Raucherquote auf diese Produkte zurück und hat eine eindrucksvolle Zahl im Repertoire: Wenn andere Länder, in denen Snus verboten sind, eine so niedrige Rate an rauchbedingten Todesfällen hätte wie Schweden, könnten jährlich 355.000 Todesfälle unter Männern über 30 Jahren vermieden werden. Das klingt nach der plakativen Botschaft: Das Snus-Verbot tötet.

Die Zahl stammt von der schwedischen „Snus-Kommission“, die sich als „unabhängig“ bezeichnet – aber zufällig von der schwedischen Snus-Industrie finanziert wird, zu der auch Philip Morris gehört.

Ob die schwedischen Erfolge im Kampf gegen das Rauchen und den Lungenkrebs wirklich so eindeutig auf den Konsum von Snus zurückzuführen ist und der Tabak insofern als Ausstiegsdroge funktioniert, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Kritiker dieser Erzählung weisen unter anderem darauf hin, dass es laut schwedischer Krebs-Gesellschaft keinen statistischen Beweis dafür gebe, dass der Rückgang der Raucher-Zahlen auf Snus zurückzuführen sei. Snus seien kein Produkt, um mit dem Rauchen aufzuhören.

Aber einige deutsche Medien erzählen die Philip-Morris-Geschichte unkritisch weiter – und helfen damit dem Unternehmen auch bei der Lobbyarbeit in Europa. Bemerkenswert ist dabei, dass die Tabakbeutel in Publikumszeitschriften wie etwa der „Hörzu“ als „Alternativen zum Zigarettenrauchen“ aufgelistet werden – obwohl man sie in Deutschland gar nicht legal erwerben kann.

Ein anderer Talking Point von Philip Morris, der in Medien immer wieder auftaucht, sind die angeblich 95 Prozent Schadstoffreduktion von Tabakerhitzern im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten. Schon die Zahl an sich ist nicht unumstritten; vor allem aber fehlt in vielen Artikeln ein relativierender Zusatz, der sich sogar auf der IQOS-Seite findet: „Die Reduktion von Schadstoffen ist nicht gleichzustellen mit einer Reduktion des Risikos.“

Angeblich attraktive Genussmittel

Auf den (vermeintlichen) Gesundheitsseiten werden die Tabakerhitzer als geradezu medizinisch induzierte Alternativen angepriesen, die eigentlich nur Raucher nutzen sollen, um von der schädlichsten Art, Nikotin zu konsumieren, herunterzukommen. Auf den Lifestyle-Seiten von Magazinen tauchen sie hingegen als attraktive Genussmittel für jede und jeden auf.

Die Frauenzeitschrift „Grazia“ aus dem Klambt-Verlag feiert einen IQOS-Tabakerhitzer unter der Überschrift „Was unser Leben schöner macht“ mit den Worten:

„LILA LAUNE

Kein Rauchgeruch, 95 Prozent weniger Schadstoffe im Vergleich zur Zigarette und 100 Prozent mehr Style. Was will man mehr?“

Die Frauenzeitschrift „Jolie“ feiert ein IQOS-Modell („und das bei vollem Geschmack“) in einer Übersicht mit der Überschrift: „10 Dinge, die wir einfach nur lieben!“

Ausriss aus der Zeitschrift „Bild der Frau“ mit der Überschrift „Das gönn ich mir jetzt“.
„Bild der Frau“-Redakteurin gönnt sich. Ausriss: „Bild der Frau“

Die Funke-Zeitschrift „Bild der Frau“ meint, dass „jeder Alltag ein bisschen Luxus braucht“ und lässt unter der Überschrift „DAS gönn’ ich mir jetzt“ drei Menschen erzählen, wie das „für sie ganz persönlich aussieht“. Eine davon ist Julia Rebstock (50). „Dampfen entspannt mich“, sagt sie und: „Ich habe aufgehört zu rauchen, aber ab und zu gönne ich mir mal eine IQOS Terea und lese dabei ein spannendes Buch. Herrlich!“

(Julia Rebstock ist Redakteurin von „Bild der Frau“. Herrlich!)

Und im Technik-Teil (!) der Funke-Zeitschrift „TV Digital“ sind zwei Raucher zu sehen, die offenbar glücklich und cool am Strand an ihren klassischen Zigaretten ziehen – ein Motiv, wie es in der Zigarettenwerbung längst verboten ist. Der Artikel preist – samt der üblichen Zitate von Philip-Morris-Werbefigur Alexander Nussbaum – Tabakerhitzer, Verdampfer und Einweg-E-Zigaretten unter der Überschrift „Neuer Genuss“ an.

Tabakkonzerne als Vorkämpfer gegen das Rauchen?

Jenseits der Schleichwerbung, des Marketings und des Lobbyings geht es um eine grundsätzliche Frage: Ist es im Sinne der Gesundheit der Menschen besser und erfolgversprechender, Raucher dazu zu bringen, möglicherweise weniger schädliche Nikotinprodukte zu nutzen? Oder sollte der Kampf nicht gegen das Rauchen, sondern gegen gefährliche und süchtig machende Stoffe wie Nikotin geführt werden?

Verschiedene Staaten geben darauf unterschiedliche Antworten, aber Tabak-Konzerne wie Philip Morris profitieren nur von der ersten Variante. Sie haben ein finanzielles Interesse daran, dass auch in Zukunft genug Menschen nikotinabhängig sind. Das stellen sie aber in der Kommunikation selbstverständnis nicht in den Vordergrund, sondern die Behauptung, für die Gesundheit der Menschen zu kämpfen.

Tabakkonzerne als Vorkämpfer gegen das Rauchen? Das ist natürlich die alte Geschichte vom Bock, den man zum Gärtner macht. Aber dieser Bock sagt, dass er sich mit dem Fressen von Blumen halt wirklich so gut auskennt wie niemand sonst. Und Philip Morris stellt reihenweise Experten wie Nussbaum ein, die eine eigene Expertise als Gesundheitsforscher mitbringen: Beweist das, wie ernst und gut der Konzern es inzwischen meint? Oder kauft er damit nur im wörtlichen und übertragenen Sinne Wissenschaftler, die dann entsprechend interessensgeleitet forschen?

Dass man es ausgerechnet Tabakkonzernen abnehmen soll, dass sie es jetzt aber gut mit der Menschheit meinen, ist eine besondere Ironie. Kaum eine andere Industrie hat die Menschen in ihrer Geschichte so konsequent belogen und über die Gefahren ihrer Produkte in die Irre geführt wie die Tabakindustrie. Schon in der berüchtigten Anzeige „A Frank Statement to Cigarette Smokers“ 1954, in der sie die Verbindung zwischen Krebs und dem Rauchen herunterspielte, gab sie vor, um die Gesundheit der Menschen besorgt zu sein – um sie in den folgenden Jahrzehnten möglichst ungestört weiter zerstören zu können.

Noch vor wenigen Jahren kämpfte Philip Morris erbittert gegen jeden Versuch, das Rauchen einzuschränken. 1995 schaltete der Konzern Anzeigen, die nicht vor Nazi-Vergleichen zurückschreckten und die schrumpfenden Gebiete, in denen man noch Rauchen kann, wie jüdische Gettos darstellten.

Medien als Resozialisierungshelfer

Natürlich ist Philip Morris diese Geschichte bewusst. In einem Interview mit der Fachzeitschrift „werben & verkaufen“, die 2019 nicht weniger als fünf Philip-Morris-Manager zum Thema „Change“ befragte, sagte die Kommunikationschefin Marian Salzman (außer, dass sie – wer ist überrascht? – noch nie geraucht habe):

„Es gibt Menschen, die hassen uns dafür, dass wir Philip Morris sind. Dies ist das Jahr, in dem wir in die zivilisierte Gesellschaft zurückkehren müssen. Wir müssen ihnen erklären, dass dies ein anderes Unternehmen ist als früher. Menschen haben das Recht, sich zu verändern und sich zu resozialisieren. Unternehmen sollten das auch haben.“

Der Vergleich mit der Resozialisierung ist stark, humpelt aber erheblich. Schon deshalb, weil Philip Morris ja weiterhin Menschen klassische Zigaretten verkauft: Produkte, die sie abhängig machen und tödlich sind. Der Nettoumsatz von Philip Morris in Europa mit klassischen Tabakprodukten ist in den vergangenen Jahren nicht eingebrochen, er stagniert. Die rasant wachsenden Umsätze mit rauchfreien Produkten kommen dazu. Kein Wunder, dass der Aktienkurs des Unternehmens in den vergangenen eineinhalb Jahren rasant gestiegen ist.

Dem Unternehmen geht es blendend, und das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich einige Medien gerne als Resozialisierungshelfer anbieten. Das ist eine ebenso abwegige wie naheliegende Rolle, denn sie waren ja auch in den Jahrzehnten zuvor schon Komplizen und profitierten von den Anzeigen der Branche. Die Zeitschriftenverleger kämpften bis zuletzt gegen Werbeverbote für Tabakprodukte. Ihr damaliger Präsident Hubert Burda positionierte sich vor 20 Jahren an der Spitze der Gegner.

Die Zeitschriften seines Verlages geben einem Konzern wie Philip Morris auch heute noch eine schöne Bühne. In den vergangenen Wochen erschienen in „Bunte“, „Focus“ und „Focus Money“ große, freundliche Interviews mit Philip-Morris-Chefin Veronika Rost.

Drei Interviews mit Philip-Morris-Managerin Veronika Rost: Ausrisse aus „Bunte“, „Focus Money“ und „Focus“ (v.l.).
Dreimal Rost (v.l.): „Bunte“, „Focus Money“ und „Focus“.

Man möchte sie fast beneiden um diesen Job und um die Art, wie Medien ihn feiern – und sei es, wie im Fall des „Handelsblatts“, mit einer Portion Mitleid. Das Portrait im März endete mit den Worten:

„Sie mag die Herausforderungen. Jene, die sie kontrollieren kann. Bungee-Jumping ja, Wingsuit-Flug nein. 200 auf der Autobahn, ja, freihändig Fahrrad fahren – „Kann ich gut“. Dass sie nicht zuletzt dank ihrer Jahre in Asien auch zwei statt nur einer scharfen Chili nehmen würde, glaubt der Besucher ihr sofort.

Am Ende will man es ihr glauben, egal ob aus Sympathie, Mitleid, einer Mischung aus beidem oder dem schlichten Umstand, dass sich das alles niemand antun würde, der nicht entweder starker Raucher ist und seine Sucht retten will oder wirklich davon überzeugt ist, das Richtige zu tun, selbst wenn es für andere falsch wirkt. Dafür, so ahnt der Besucher später, brauchte Philipp Morris wohl eine Nichtraucherin.“

Und natürlich dafür, dass Journalisten ihr nicht widerstehen können wie Raucher der nächsten Zigarette.

7 Kommentare

  1. Dies scheint der richtige Artikel zu sein, um den Film „Thank you for Smoking“ an’s Herz zu legen.

  2. Hab selbst ca 25 Jahre geraucht aber seit knapp über einem Jahr endlich rauchfrei.
    Hab also schon Grund genug Tabakkonzerne zu verachten.
    Und dass die früher viel gelogen haben um ihre Sargnägel an den Mensch zu bringen ist auch absolut verachtenswert. Aber was die da jetzt abziehen setzt den ganzen noch die Krone auf. Sich als Heilsbringer gegen das Rauchen zu inszenieren ist sowas von absurd und bösartig, dass wird nur noch von dem nächsten Punkt getoppt: Die Vermüllung unserer Umwelt und Verschwendung von Ressourcen durch diese Einmal-Vapes.
    Aber es sind ja solch interessante Interview Partner…. ich kotz im Strahl

  3. Ihr seht das nur nicht richtig. Die Ölkonzerne sind auch alle total grün und tun alles gegen die Klimakrise.

    Und Tabakkonzerne sind natürlich gegen Rauchen. Also von Zigaretten, nicht von bunten Geräten mit Einwegakku, damit die Kids billig produzierte Geschmacksstoffe mit Suchtmittel reinziehen.

    Die Tatsache, dass man jederzeit einen Zug griffbereit hat, ist aber auch verführerisch.

  4. Es ist schon lange her, daß ich das „Handelsblatt“ mehr oder minder regelmäßig konsumiert habe, das ich eigentlich für eine seriöse Publikation gehalten hatte. So kann man sich täuschen.

  5. Danke für den Artikel (mit 3 Abstrichen). Es ist so wichtig, diese Marketing-Masche zu verstehen. Das perfide ist allerdings, dass es sich die Tabaklobby dreht und wendet, wie es ihnen ins Marketing passt, egal ob es ein schadensminderndes Produkt gibt oder nicht und egal, wie reagiert wird. In den USA kann man erkennen, dass das Vaping-Verbote ebenfalls nach hinten losgehen (https://filtermag.org/?s=nicotine&post_type=post). Dann wird halt wieder mehr Zigarette geraucht. Gesetzliche Regulierung, legal oder illegal, egal, Hauptsache, die Leute bleiben abhängig und die Tabaklobby erhält sich ihre Legitmation und Nähe zur Politik, um Maßnahmen, die ihr tatsächlich schaden könnten, zu vermeiden. Darum geht es im Kern und davon lässt sich gerade auch Deutschland munter mit unwesentlichen und nicht hilfreichen Debatten ablenken. Der Artikel lädt zu drei falschen Schlussfolgerungen ein:
    1. Dass Snus in der EU weitreichend nicht legal zugänglich ist, sagt nichts über die Sinnhaftigkeit dieser Regelung aus.
    2. Nikotin und Tabak sind unterschiedliche Dinge. Dass die Tabaklobby mit den neuen Produkten (die sie schon länger kannte und entwickelt hatte) eine problematische Marketingkampagne und schwierige Wissenschaft pusht, heißt nicht, dass nicht viele davon tatsächlich profitieren könnten. In diesen Studien den Überblick zu behalten, ist wirklich schwierig. Aber Nikotin hat nicht nur negative Eigenschaften, sondern auch positive, von denen einige Menschen im Alltag profitieren. Verbrannter Tabakrauch ist wiederum im Gegensatz zu Nikotin eindeutig ein Problem, auch für Umstehende. (Snus erzeugt keinen Passivrauch!) Diese Unklarheit und Vermischung zwischen Tabak und Nikotin führt dazu, dass Tabakraucher*innen sich denken, na dann macht der Umstieg auf Nikotinprodukte ja gar keinen Sinn, dann kann ich es eh lassen und bei der Tabak-Zigarette bleiben. Die Tabaklobby kann sich freuen.
    3. Nikotinabhängige sind nicht nur süchtige Opfer der Industrie, wie es in diesen Debatten oft und auch in diesem Artikel wirkt. Die Realtität der Motivationen zum Weiterrauchen und Aufhören anzuerkennen, braucht es aber, damit die Debatte nicht an den Raucher*innen vorbeigeht, von denen ja viele gerne aufhören würden, die aber von der ungestörten lobbynahen Politik im Stich gelassen werden.

  6. Nein, Beweise kann ich nicht vorlegen. Aber mein Gefühl sagt mir, dass der Artikel nicht nur auf Initiative des Handelsblatts zustande kam. Insoweit passt das, wenn ein Medienmagazin das aufspießt.

    Allerdings glaube ich nicht, dass der Artikel (und die anderen Marketing-Instrumente) viel erreicht. Auf mich wirkt das Verhalten des Konzerns mehr wie ein Rückzugsgefecht. Den Laden zusammenhalten, bis ein neues Geschäftsmodell gefunden ist

    In den 80ern konnte es noch passieren, dass man sich in einer Räucherhöhle wiederfand. Die Luft so dick, dass ich raus musste, so haben die Augen gebrannt.
    Heute kann man suchen wie man will, das gibt es einfach nicht mehr.
    Ja, ich weiß, Gesetz. Aber die Mühelosigkeit, mit der das Gesetz etabliert wurde, zeigt doch, dass das nur ein Add-On auf die schon etablierten Sitten und Wertvorstellungen war.
    Die Welt hat sich weitergedreht.
    In den 70ern haben die noch solche Dinger lanciert.
    Das war die Zeit, als der Marlboro-Cowboy noch vermitteln konnte, dass man rauchen muss um dazuzugehören. Hat funktioniert, leider.

    Heute vermittelt der Konzern: Das nichtrauchende Nikotin ist weniger gefährlich als das rauchende.
    Wen reißt das vom Hocker?

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