Medienhype

Verfolgt in Berlin: Die irre Jagd auf Harry Styles

Der britische Musiker läuft durch die Hauptstadt und alle rasten aus. Aber nicht nur Fans stalken ihn, auch Medien heizen die Jagd an. Über ein problematisches Spektakel und die schützenswerte Privatsphäre von Stars.
Harry Styles auf einem Fahrrad in Berlin, von uns unkenntlich gemacht.
Weltbekannter Fahrradfahrer in Berlin. Screenshot: tiktok, neil_durand, Montage: Übermedien

Seit Monaten starrt halb Berlin nun schon auf Bilder und Videos, die den britischen Musiker Harry Styles irgendwo in der Hauptstadt zeigen: vor einem Café, auf einem Leihfahrrad, man kann auch betrachten, wie er eine Straße überquert, von hinten gefilmt. Was immer Styles auch macht, in Nullkommanix ist es auf Tiktok, Instagram und X. Wo er joggt, feiert, was er im Späti angeblich erworben hat. Nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand eilmeldet, dass sich Harry Styles am Knie gejuckt hat, in Berlin!

Natürlich gibt es solche heimlich aufgenommenen Fotos und Videos von Styles auch aus anderen Metropolen, aus London, Rom, L.A. Aber in Berlin ist es zu einem absurden Sport geworden, ihm nachzustellen. Wie das Magazin „Glamour“ schreibt, soll es Fans geben, die ihn stundenlang verfolgen. Die verbreiten, wo er im Moment ist. Die sogar verraten, wo er angeblich wohnt. Was auch deshalb heikel ist, weil Styles in der Vergangenheit häufiger Probleme mit Stalkern hatte; er selbst gibt kaum Privates preis, auch nicht auf Social Media.

1.000 Euro Finderlohn

Doch es sind nicht nur Fans, die ihn stalken. Angeheizt wird die Jagd auch von Medien, die sich Star-staunend am Wegesrand rumdrücken. Bereits im Februar kündigte der Berliner Radiosender 104,6 RTL einen „Finderlohn“ an: 1.000 Euro für ein gemeinsames Video mit Harry Styles in Berlin! Schon da hätte man mal vorsichtig fragen können, ob die eigentlich noch alle Styles-Alben im Schrank haben – ernsthaft Geld dafür zu bieten, dass Leute einem Musiker auf die Promipelle rücken, ob der will oder nicht.

Ausrisse aus dem "OK! Magazin" und der "Gala" mit Artikeln über Harry Styles, in denen auf Karten eingezeichnet ist, wo der Sänger sich aufhält.
Harry-Spots in „OK! Magazin“ (l.) und „Gala“ Ausrisse: „OK!“, „Gala“

Spätestens seit die „Bild“-Zeitung Anfang Mai verkündet hat, Styles habe eine Immobilie in Berlin gekauft, gibt es kein Halten mehr. Die Zeitschrift „Gala“ hat eine Stadtkarte abgedruckt, auf der Styles-Spots verzeichnet sind; auch andere Medien listen solche Orte auf. Die Volontärin der „Berliner Morgenpost“ hat sich auf die Lauer gelegt, eine RTL-Reporterin war auf „Spurensuche“, das ProSieben-Magazin „taff“ auch. Und die investigative „Berliner Zeitung“ will sogar wissen, wie es dort, wo Styles war, riecht:

„An diesen Orten liegt sein Vanilleparfüm noch in der Luft“.

Der Panorama-Redakteur hat das exklusiv erschnüffelt: Es handle sich „nach Informationen der ,Berliner Zeitung’“ (!) um „ein süßliches Eau de Parfum aus dunklen Hölzern, Kaffee-Absolue und gerösteter Gerste“.

Ist das nicht? Das ist doch …

Kurz mal reinzappen bei „taff“. Die Reporterin, knarzt der Sprecher, habe eine „Mission“. Also läuft sie durch Mitte, guckt, fragt und … Moment. Ist das nicht? Das ist doch … Also, ich bin mir nicht ganz sicher, aber, hey, ich poste das hier einfach mal: Das ist doch Tita von Hardenberg!

Brünette Frau mit Sonnenbrille vor einem Café, die in ein ProSieben-Mikrofon spricht.
Ist das nicht … Tita von Hardenberg? Screenshot: ProSieben

Sieht so aus. Tita von Hardenberg, die Fernsehproduzentin, die früher (viel früher) mal „Polylux“ moderiert hat, das edgy Nullerjahre-Zeitgeistmagazin im Ersten. Und die nun „taff“ erzählt, dass ihre Tochter ihr erzählt hat, dass Harry Styles in der Gegend ist. Und die, während sie das sagt, vor einem Café an der Torstraße in Mitte sitzt, vor dem auch mal, Sie ahnen es vielleicht, Harry Styles gesessen haben soll! So verrückt alles.

Auch die Wochenzeitung „Die Zeit“ ist inzwischen mit von der Partie. Dort musste die Hospitantin los: „Ganz Berlin sucht Harry Styles. Wir suchen mit“. Aber die Reporterin, die Harry Styles sucht, findet nur Leute, die Harry Styles suchen. Und hat auch Pech in einer Bäckerei. Dort war er mal, aber seither tauchen dort vor allem nervige Leute auf: „Vor Ort sagt man mir“, schreibt die Reporterin, „nach Styles frage eigentlich nie jemand – außer Journalisten.“

Vielleicht mal drüber nachdenken.

Und vielleicht auch noch mal über diese Berlin-Legende: Es heißt ja gerne, Prominente würden hier quasi ignoriert, weil die Berliner so super lässig sind. Das steht nun auch ironischerweise in Texten über Harry Styles: Die „Berliner Morgenpost“ schreibt, in der Hauptstadt könnten „selbst internationale Superstars anonym bleiben“, und Styles würde „nicht mit Blitzlicht überfallen“, die Berliner ließen ihn einfach „gewähren“. Ja?

„Tagesspiegel“, lass Harry Styles in Ruhe!

Der „Tagesspiegel“ hat beobachtet, dass sich Styles „frei durch die Stadt“ bewege, ohne Bodyguards offenbar, was in New York oder Los Angeles ja undenkbar sei, wegen der vielen Paparazzi. „Vielleicht ist diese Anonymität auch ein Grund, weswegen es den Superstar in die Hauptstadt zieht.“ Was ausgerechnet in einem Text über Harry Styles in Berlin steht, in den der „Tagesspiegel“ Fotos und Videos eingebunden hat von Harry Styles in Berlin. So viel zur beschworenen Anonymität.

Aber nun haben sie auch beim „Tagesspiegel“ gemerkt, dass Berlin gar nicht so diskret ist, und am Wochenende einen genervten „Rant“ über den Harry-Hype veröffentlicht, über diese „Mischung aus britischem Paparazzitum und deutscher Provinzialität“, der bereits in der Überschrift fordert: „Berlin, lass Harry Styles in Ruhe!“

Als Beleg für den Irrsinn nennt Redakteurin Anne-Kathrin Hipp auch, was Medien so über Styles‘ Berlin-Aufenthalt berichten – ohne zu erwähnen, dass halt auch der „Tagesspiegel“ nicht ganz uninteressiert war und zwischendurch mitspekulierte, was der Ex-One-Direction-Sänger hier wohl so macht.

Recht auf Privatsphäre

Kritik an dem Spektakel, oder auch nur leise Zweifel, finden sich sonst kaum. „Watson“ wundert sich ein wenig über die Aufregung, in der Frauenzeitschrift „Glamour“ mahnt eine Autorin, die selbst Fan des Sängers ist, dass er „auch ein Mensch“ sei, und dass man die Privatsphäre von Superstars respektieren solle. Wobei sich die Autorin, andererseits, nicht vollkommen sicher ist: „Würde ich auch ein Bild machen? Vielleicht.“

Privatsphäre bedeutet auch bei Prominenten nicht: ab nach Hause, Rollläden runter. Auch sie haben ein Recht darauf, in der Öffentlichkeit unbehelligt Dinge zu tun, was deutsche Gerichte immer wieder bestätigen: Helene Fischer etwa erstritt vor zwei Jahren eine Entschädigung von insgesamt 80.000 Euro, weil „Bild“ und „B.Z.“ Fotos von ihr und ihrem Baby gedruckt hatten – heimlich aufgenommen von einem Paparazzo, der sie offenbar längere Zeit durch die Münchner Innenstadt verfolgt hatte.

Aber die Privatsphäre Prominenter ist insbesondere für Boulevardjournalisten und Paparazzi eben kein Sperrgebiet, sondern ein Vergnügungspark. Nicht wenige meinen, das sei halt part of the job bei Stars: immer und überall verfügbar zu sein. Und wie der Rummel um Harry Styles zeigt, scheinen das nicht nur Boulevardjournalisten zu denken. Dass es irgendwie ein Anrecht darauf gäbe, einen Prominenten zu beobachten, zu wissen, was er so macht und tut, auch in seiner Freizeit. Im „Berlin Playbook“, dem „Politico“-Newsletter aus der Hauptstadt, ist es ja auch eine News, wenn Angela Merkel in „einem ihrer berühmten Blazer, diesmal in grasgrün“ beim Bäcker „gespottet“ wird.

Die Volontärin der „Berliner Morgenpost“ hat es jedenfalls nach eigenen Angaben noch geschafft: „Unsere Autorin will Harry Styles treffen – und kann ihr Glück kaum fassen, als es wirklich passiert.“ Mit Matcha Latte (Berlin!) in der Hand, sah sie ihn: „Es gab keinen Zweifel, nicht eine Sekunde. Mir war sofort klar, dass der große, schlanke Mann nur er sein konnte“. Da lief er also. Durch Berlin. „Nicht mal ein Meter trennte uns.“ Und dann war er auch schon wieder verschwunden – ohne dass sie ein Foto schießen konnte.

1 Kommentare

  1. Es ist furchtbar. Traue mich seit Wochen kaum noch vor die Tür, aus Angst, von einer Horde kreischender Styles-Fans über den Haufen gerannt zu werden.

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