Diese Woche steigt in Basel der Eurovision Song Contest. Mit dem Namen der Veranstaltung tun sich erstaunlich viele Journalisten schwer. Über einen seit Jahrzehnten wiederholten Fehler.
Probe für den ESC 2025 in Basel – hier der Act aus Irland Foto: Sarah Louise Bennett/EBU
1955 kam der Schweizer Marcel Bezençon auf die glorreiche Idee, einen europäischen Schlagerwettstreit nach dem Vorbild des italienischen Sanremo-Festivals zu entwickeln. Er erwartete damals vermutlich nicht, dass daraus einmal die größte Musikshow Europas werden würde.
Der Autor
Foto: Jürgen Haacks, CAU Kiel
Alexander Krei begeisterte sich schon als Kind für das Fernsehen und hat seine Faszination für das Medium zum Beruf gemacht. Seit 2009 berichtet er für das Medienmagazin DWDL.de über die deutsche Fernsehbranche. Er gehörte mehrere Jahre hinweg der Unterhaltungs-Jury des Grimme-Preises an und sitzt 2025 in der Jury des Deutschen Fernsehpreises.
Schätzungsweise mehr als 150 Millionen Zuschauer sollen jährlich vor dem Fernseher sitzen, um das Spektakel zu sehen. Allein in Deutschland wurden im vorigen Jahr beim Finale in der Spitze über neun Millionen Fans gezählt, die die Live-Übertragung im Ersten verfolgten.
Erst „Grand Prix“, dann ESC
Bloß mit dem Namen der Veranstaltung taten Bezençon und seine Mitstreiter zumindest vielen deutschen Anhängern keinen Gefallen. „Grand Prix Eurovision de la Chanson européenne“ erwies sich für Berichterstatter wie Fans als echter Zungenbrecher. Die meisten griffen lieber auf die Kurzform „Grand Prix“ zurück. Erst seit Beginn der Nullerjahre setzte sich allmählich eine andere Abkürzung durch: ESC.
Weniger fehleranfällig scheint allerdings auch dieser Name nicht zu sein – zumindest in seiner Langform. Wer in der Pressedatenbank Genios nach dem Begriff „European Song Contest“ sucht, stößt auf beinahe 6.300 Ergebnisse aus deutschsprachigen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen.
So erwähnte etwa der „Schwarzwälder Bote“ im Februar eine Band, die im Halbfinale des Vorentscheids das „Ticket zum European Song Contest“ gezogen habe. Wenige Tage zuvor schrieb der „Tagesspiegel“ in seinem Kulturteil darüber, wie es eine 25-jährige Modestylistin in die „Vorauswahl zum European Song Contest“ schaffte.
Nun, kurz bevor es wieder losgeht, hat der österreichische „Standard“ in einem Porträt von Hazel Brugger, die die Show in diesem Jahr moderiert, gleich dreimal auf den „European Song Contest“ verwiesen. Und die „Süddeutsche Zeitung“ stellte gerade erst das Wahlverfahren beim päpstlichen Konklave „weltlichen Wettstreiten wie dem European Song Contest“ gegenüber. Ganz zu schweigen von der „Bild“, die am Montagmorgen online einigermaßen prominent den „Countdown zum European Song Contest“ einläutete.
Screenshot: Bild.de
Nur einige Beispiele von vielen, in denen der ESC zum European Song Contest gemacht wird. Das Problem: Es ist gar nicht der European Song Contest – sondern der Eurovision Song Contest.
Auch „Mr. ESC“ macht den Fehler
Ein Fehler, der selbst vermeintlichen Profis unterläuft. Dem Schweizer „Tagesanzeiger“ gab der Züricher Tourismus-Chef, Thomas Wüthrich, im vorigen Jahr ein Interview, das mit der reichlich Kenntnis suggerierenden Überschrift „Man nennt mich bereits Mister ESC“ versehen war. Nach dem Sieg von Nemo für die Schweiz warb Wüthrich in dem Gespräch für seine Stadt als nächsten Austragungsort der Musikshow und sprach von Erinnerungen an 2016, „als ich beim European Song Contest in Stockholm in der Halle war“.
Dass die Züricher Bewerbung letztlich daran scheiterte, dass Wüthrich den offiziellen Namen der Veranstaltung nicht kannte, darf bezweifelt werden. Seine Aussage steht allerdings sinnbildlich für den seit Jahrzehnten selbst in Qualitätsmedien wiederholten Fehler. Der ESC ist, wenn man so will, das „Schalke 05“ deutscher Kulturjournalisten. (Zumindest im „Tagesanzeiger“ und in der SZ ist der Fehler inzwischen korrigiert.)
Die Eurovision ist viel größer als Europa
Dabei hat es einen guten Grund, dass der zweifelsohne europäisch geprägte Wettbewerb in seinem Titel auf die „Eurovision“ verweist. Die Eurovision ist eine Einrichtung der Europäischen Rundfunkunion, kurz EBU, und wurde schon 1954 mit dem Ziel des Austauschs von Fernseh- und Hörfunkprogrammen verschiedener Länder gegründet. Und auch wenn die EBU Europa im Namen trägt, so reicht sie längst über die Grenzen des Kontinents hinaus: Der Zusammenschluss umfasst inzwischen über 100 Fernsehsender und Medienhäuser in 56 Ländern, darunter unter anderem ARD und ZDF in Deutschland, aber auch Mitglieder in Algerien und Tunesien. Gleichwohl schicken nicht alle von ihnen einen Teilnehmer zum Eurovision Song Contest, beispielsweise weil ihnen die Veranstaltung zu teuer oder schlicht egal ist.
Der Einflussbereich der EBU ist in Wirklichkeit aber sogar größer, denn erweitert wird ihr Kreis um mehr als 30 assoziierte Sender in Asien, Afrika oder Amerika. Selbst Rundfunkanstalten in Neuseeland, Nepal oder auf Mauritius sind auf diese Weise mit der EBU verbunden, auch wenn diese nicht als vollwertige Mitglieder gelten.
Das erklärt, weshalb der australische Fernsehsender ABC, selbst einer der sogenannten EBU-„Associates“, seit einigen Jahren einen eigenen Teilnehmer zum Eurovision Song Contest schickt, obwohl das Land denkbar weit von Europa entfernt ist.
Fehler auch andersrum
Dass sich der Namensfehler auch in die andere Richtung machen lässt, stellten einige Medien unter Beweis, als sie in den Jahren 2020 und 2021 über den „Free European Song Contest“ berichteten. Das war eine von Stefan Raab für ProSieben erdachte Show, die als Ersatz für den zwischenzeitlich wegen der Pandemie ausgefallenen ESC vorgesehen war. Raabs Show hatte mit der Eurovision zwar nichts am Hut, wurde von Deutscher Welle, der „Ostsee-Zeitung“ und vielen weiteren Blättern jedoch kurzerhand zum „Free Eurovision Song Contest“ befördert.
Marcel Bezençon bekommt von alledem nichts mehr mit. Der Erfinder des ESC, der auch maßgeblich für die Gründung der Eurovision verantwortlich war, ist bereits vor über 40 Jahren gestorben.
Diesen Beitrag hat DWDL.de exklusiv für Übermedien verfasst. Das Medienmagazin ist Gesellschafter der Übermedien GmbH.
7 Kommentare
Manchmal machen sich Abkürzungen selbstständig.
DIN heißt z.B. nicht „Deutsche Industrienorm“.
#1 Offenbar hieß es aber ursprünglich „Deutsche Industrie Norm“ und in dem Sinne müsste man eher sagen, dass die neue Abkürzung noch nicht die alte verdrängt hat.
Erhellend
Wie kann ich erwarten, dass in der Presse korrekt über teilweise komplexe Sachverhalte berichtet wird, wenn man noch nicht mal in der Lage ist, den Titel einer Musikshow richtig zu benennen.
Gibt es einen Kommentar von euchdazu, dass dieses Jahr nur die jeweiligen Länderfahnen erlaubt sind, aber keine (zusätzlichen) Regenbogen- oder QueerPride-Fahnen?
Hihi, sehr lustig das ihr zu Recht auf den Fehler hinweist, gleichzeitig aber im Artikel wiederholt den „Klassiker“ Fehler von „Züricher“ statt Zürcher macht. Zum Glück hats bisher kein Schweizer hier gelesen ;-)
Ich finde, dass mittlerweile das „S“ immer mehr für „Show“ als „Song“ stehen sollte. Es wäre interessant zu wissen, wie die Songs nach einer „Blindverkostung“ bewertet würden.
Manchmal machen sich Abkürzungen selbstständig.
DIN heißt z.B. nicht „Deutsche Industrienorm“.
#1 Offenbar hieß es aber ursprünglich „Deutsche Industrie Norm“ und in dem Sinne müsste man eher sagen, dass die neue Abkürzung noch nicht die alte verdrängt hat.
Erhellend
Wie kann ich erwarten, dass in der Presse korrekt über teilweise komplexe Sachverhalte berichtet wird, wenn man noch nicht mal in der Lage ist, den Titel einer Musikshow richtig zu benennen.
Gibt es einen Kommentar von euchdazu, dass dieses Jahr nur die jeweiligen Länderfahnen erlaubt sind, aber keine (zusätzlichen) Regenbogen- oder QueerPride-Fahnen?
Hihi, sehr lustig das ihr zu Recht auf den Fehler hinweist, gleichzeitig aber im Artikel wiederholt den „Klassiker“ Fehler von „Züricher“ statt Zürcher macht. Zum Glück hats bisher kein Schweizer hier gelesen ;-)
Ich finde, dass mittlerweile das „S“ immer mehr für „Show“ als „Song“ stehen sollte. Es wäre interessant zu wissen, wie die Songs nach einer „Blindverkostung“ bewertet würden.