Der Autor

Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Der Online-Marketing-Experte Steven Broschart hat eine Methode entdeckt, mit der sich für fast jede Verschwörungstheorie scheinbare Beweise produzieren lassen. Er nutzt Google Trends, ein Werkzeug der Suchmaschine, mit dem sich sehr grob nachvollziehen lässt, wann von wo nach was gesucht wurde. Dort gibt er Begriffe ein, die mit bestimmten spektakulären Ereignissen zusammenhängen, Anschläge, Attentate, Sabotageakte. Immer wieder zeigt Google Trends dann an, dass nach diesen Begriffen schon vor den jeweilige Ereignissen gesucht worden sei, zum Beispiel aus Russland.
Erklären lässt sich das eigentlich nur auf zwei Arten: Entweder weiß jemand hier schon vorab, was passieren wird; plant es eventuell sogar selbst. Oder die Orts- und Zeit-Angaben von Google Trends sind bei der Suche nach einzelnen, selten gesuchten Begriffen so ungenau, dass diese scheinbaren Auffälligkeiten in Wahrheit nichts zu bedeuten haben.
Viel spricht für die zweite Erklärung.
Steven Broschart hat dennoch ein ganzes Buch damit gefüllt, teils winzigste Ausschläge in Kurven, die Google Trends ausgibt, als deutliche Indizien zu interpretieren, dass jemand Täterwissen über einen bevorstehenden Angriff hatte, und dieser jemand in Russland sitzt.
Broschart ist seit vielen Jahren in der Suchmaschinenoptimierung tätig, er berät Unternehmen zu Themen wie Nutzerführung und Digitalstrategie. Seit 2018 macht er nach eigenen Angaben auch „forensische Analysen“ von digitalen Spuren für die Polizei.
Das ZDF hat mit seiner Hilfe und seiner Methode gerade große, sensationell klingende Schlagzeilen kreiert. In der Dokumentation „Spionage, Sabotage, Fake News – Putins Krieg gegen uns“ aus der Reihe „Terra X History“ wurde eine Verbindung hergestellt zwischen Russland und mehreren Anschlägen, unter anderem dem Angriff auf den rechtsradikalen Islamkritiker Michael Stürzenberger in Mannheim im Mai 2024, bei dem ein Polizist getötet wurde.
Das Indiz: Laut Google Trends soll schon Tage vorher aus „Putins Reich“ nach Begriffen wie „Terroranschlag in Mannheim“, „Anschlag in Deutschland“, „Michael Stürzenberger Anschlag“ und „Michael Stürzenberger erstochen“ gegoogelt worden sein.
Steckt Wladimir Putin hinter diesem Anschlag – und womöglich auch hinter den anderen, die auffälligerweise immer kurz vor Wahlen die Bevölkerung erschütterten?
Weder das ZDF noch Broschart behaupten das als Tatsache. Der ZDF-Film betont auch mehrmals, dass die (vermeintlichen) Auffälligkeiten bei Google Trends keinen Beweis für eine russische Mittäterschaft darstellen. Aber die Erzählung mit den Suchanfragen ist so eingängig und frappierend, dass sie trotz aller Relativierungen sehr überzeugend wirkt.
Dabei hat der BND, wie es aus Sicherheitskreisen heißt, dem ZDF schon weit im Vorfeld der Ausstrahlung „dringend davon abgeraten, Beobachtungen auf Google Trends für Berichterstattung heranzuziehen“. Man habe dem Sender „deutlich vermittelt“, dass die Ergebnisse aus Google Trends „für die dargestellten Analyse- und Auswertemethoden nicht geeignet und auch nicht valide einsetzbar“ seien. Das habe auch Google selbst bestätigt.
Die Argumentation der Sicherheitsexperten: Google Trends greife nicht auf die Anzahl der tatsächlich in einer gewählten Region und zur gewählten Zeit getätigten Suche zu, sondern auf Stichproben und daraus errechnete Wahrscheinlichkeiten.
Es würden dabei nicht zwangsläufig die eingegebenen exakten Begriffe untersucht, sondern auch Wortstämme oder auch nur einzelne Wörter der Abfrage. Wenn Begriffe analysiert würden, zu denen es nur wenige Suchanfragen gebe, entstünden sogenannte Artefakte. Die könnten auch für zahlreiche andere Länder reproduziert werden, was eine Zuweisung zu Russland als wenig plausibel erscheinen lässt.
(Ohnehin gibt Google Trends nicht konkret an, wie oft nach einem bestimmten Begriff gesucht wurde, sondern zeigt nur relative Häufigkeiten auf einer Skala von 0 bis 100.)
Das ZDF hat sich von den Einwänden der Sicherheitsbehörden nicht abschrecken lassen, aber es erwähnt sie immerhin. Die ganze Art, wie der „Terra X History“-Film die vermeintlichen Indizien aus Suchabfragen präsentiert und ihre Bedeutung gleichzeitig relativiert, wirkt, als wolle man sich gegen berechtigte Kritik an der Methode immunisieren – aber nicht von ihr lassen.
Der Off-Sprecher sagt:
„Doch diese Methode der Datenerhebung ist nicht unumstritten. Zu ungenau, zu fehleranfällig, sagen manche Sicherheitsbehörden. Um die Fehler bei der Recherche zu minimieren, wurden bei unserer Recherche nicht nur einzelne Suchbegriffe zu den Vorfällen gecheckt, sondern viele überprüft, ähnliche Suchbegriffe verwendet. Je größer die Anzahl der Treffer, desto geringer die Anzahl möglicher Fehler. (…)
Wichtig ist: Die Erkenntnisse aus dem Datennetz liefern keine Beweise, sondern lediglich Hinweise für Fragen und neue Ermittlungsansätze. (…)
Wir informieren mehrere deutsche Sicherheitsbehörden vertraulich über unsere digitalen Rechercheergebnisse. Sie zeigen sich hochinteressiert. Zwei Dienste unterziehen das Recherchetool einer Untersuchung und halten es anschließend für zu ungenau.“
Später fragt der Sprecher, ob es möglich ist, dass die Spuren etwa beim Attentäter von Mannheim tatsächlich nach Russland führen. „Bisher gibt es darauf keine Hinweise, heißt es aus Ermittlerkreisen.“
Diese relativierenden Sätze kommen in ihrer Wirkung nicht an gegen den Eindruck, den der Film in diesem Teil sonst erweckt, mit all den eingeblendeten Grafiken von vermeintlich auffälligen Spitzen in Google-Trends-Kurven; mit den Aussagen von Steven Broschart und von dem Grünen-Politiker Konstantin von Notz, der mahnt, die deutschen Sicherheitsbehörden sollten „ihren Blick weiten“, was „Motivlagen hinter terroristischen Taten, Straftaten, Sabotageakten“ angeht, und „auf jeden Fall auch im Digitalen die Möglichkeiten nutzen, die es seriös gibt“.
Das ZDF hat seine zweifelhafte Recherche auch in seinen Nachrichtensendungen verbreitet. Im „heute-journal“ am 6. April kommt Steven Broschart als „renommierter Datenprofiler“ vor, dessen vermeintliche Ergebnisse der Beitrag so zusammenfasst:
„(…) schon vier Tage vor der Messerattacke googelt jemand offenbar auf Russisch und aus Russland heraus nach ‚Terroranschlag Mannheim‘. Am Abend vor der Tat gibt es aus Russland anscheinend Anfragen auf Deutsch nach ‚Michael Stürzenberger Anschlag‘.“
Broschart selbst sagt in dem Beitrag, es sei unwahrscheinlich, dass es sich bei all den Auffälligkeiten, die er entdeckt habe, um einen Zufall handele. Moderatorin Marietta Slomka betont im Anschluss, es handele sich nur um eine „nicht belegte Arbeitshypothese“, und fragt dann ausführlich einen ehemaligen BND-Mitarbeiter, ob so eine Vorgehensweise überhaupt denkbar sei. Der bejaht das, theoretisch, hypothetisch und historisch. Slomka sichert sich mit einer rhetorischen Frage nochmal gegen Kritik an der Unseriösität der Methode ab:
„So oder so, und auch wenn es dafür keine Beweise gibt, und es sich irgendwann als Unterstellung oder als falsch herausstellen würde, würden Sie sagen, es wäre naiv, wenn man solchen Fragen gar nicht erst nachginge?“
Auf Bluesky sieht sich Slomka durch die „Recherchen“ von „Terry X History“ bestätigt, dass sie zu Recht vor ein paar Monaten spekuliert hatte, ob jemand hinter den Anschlägen von München, Aschaffenburg und Magdeburg steckte, um „Einfluss auf den deutschen Wahlkampf zu nehmen“. Dem Vorwurf der FAZ, „faktenfreieste Spekulationen“ verbreitet zu haben, setzte sie entgegen, dass „Online-Forensiker Auffälligkeiten gefunden haben“. Sie meint offenbar Steven Broschart.
Vom ZDF verbreitete sich die Geschichte in viele Medien und führte zu Schlagzeilen wie:
„Steckt Putin hinter dem Messer-Mord von Mannheim?“
„Anschläge in Deutschland: Neue Spur führt zu Putin“
„Mannheimer Polizistenmord – Spuren führen nach Russland“
Viele Medien meldeten, dass das Bundesinnenministerium möglichen Hinweisen nach einer gezielten Steuerung aus dem Ausland nachgehe, es dafür aber nach bisherigem Kenntnisstand „keine klaren Anhaltspunkte“ gebe.
Andere dokumentierten ausführlich die Zweifel der Sicherheitsbehörden an der Recherchemethode.
Das ZDF betont auf Anfrage von Übermedien, dass die „gefundenen Auffälligkeiten, wie in der Berichterstattung dargestellt, keine Beweise, sondern Hinweise“ darstellten, „die laut verschiedener Experten und Sicherheitsbehörden Anlass dazu geben, weitere Prüfungen bzw. Ermittlungen dazu anzustellen“. Die Methodik sei national und international bereits erfolgreich in der Aufklärung verschiedener Kriminalfälle angewandt worden, unter anderem im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Steven Broschart antwortet auf die Frage von Übermedien, was ihn sicher mache, dass die vermeintlichen Suchanfragen aus Russland vor den Anschlägen in Deutschland nicht bloß Artefakte sind, unter anderem:
„Wir haben im Rahmen der Recherche eine Vielzahl an Suchvorgängen untersucht, von denen nur ein Bruchteil in die ZDF-Dokumentation fanden. Insgesamt existiert eine über 50-seitige Analyse des Sachverhalts.“
Für die Analysen habe er immer auf die Livedaten von Google Trends zurückgegriffen, die bis zu sieben Tage in die Vergangenheit reichen. „Die Datenerhebung erfolgte also unmittelbar nach der Tat. In Summe haben wir mit diesem Vorgehen Daten beobachten können, die ein Vorwissen implizieren können. (…) Darüber hinaus muss man einen Aspekt aber ganz deutlich unterstreichen: Sie liefern keine Beweise.“
Und warum sollte jemand in Russland überhaupt vor dem Anschlag in Mannheim nach „Anschlag Mannheim“ googeln? Broschart antwortet:
„Ich arbeite seit vielen Jahren mit Ermittlungsbehörden zusammen. Wenn im Vorfeld zumindest eine diffuse Information verbreitet wurde oder eine konkrete Erwartungshaltung vorliegt, dann liegt die Suche nach Pressemeldungen oder vergleichbaren Informationen nahe. Dieses Phänomen ist in der Praxis bekannt.“
Die Einschätzung des BND, dass Google Trends nicht für seine Art der Auswertung geeignet sei, werde von „zahlreichen Strafverfolgungsbehörden nicht geteilt, die seit Jahren mit Google Trends oder der Google-Stichwortsuche als ein Instrument zur Verfolgung von Tätern arbeiten“.
Broschart fügt hinzu:
„In der ZDF-Dokumentation war die Vorsicht, die bei Einsatz von Google-Trends-Daten als Ermittlungsinstrument geboten ist, Gegenstand der Berichterstattung. Diese Vorsicht halte ich auch für angemessen, und Google Trends kann keine andere Funktion haben, als den Horizont auf einen bestimmten Sachverhalt zu erweitern. Trotzdem wäre es ein Versäumnis, auf Ermittlungen mit Google Trends gänzlich zu verzichten.“
Selbst wenn man dem zustimmt: Google Trends ist in diesem Fall eben nicht dazu verwendet worden, den Horizont auf einen bestimmten Sachverhalt zu erweitern. Die Theorie, dass Russland in irgendeiner Weise hinter Angriffen in Deutschland steckt, gab ja vorher schon. Das ZDF hat, im Gegenteil, Google Trends dazu benutzt, den Eindruck zu erwecken, dass es klare Anhaltspunkte gibt, die diese Theorie bestätigen.
Und so oft alle Beteiligten betonen, dass es sich nicht um „Beweise“ handelt, muss man festhalten: Es spricht aufgrund der vielen Unzulänglichkeiten von Google Trends wenig dafür, dass es sich auch nur um Indizien handelt.
In den vergangenen Tagen haben mehrere Leute in den sozialen Medien geradezu einen Sport daraus gemacht, zu zeigen, wie leicht sich falsche Ergebnisse in Google Trends selbst produzieren lassen – auch in der angeblich überlegenen 7-Tage-Live-Version, die Broschart benutzt haben will.
All das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Russland nicht in irgendeiner Weise involviert wäre. Es gibt viele andere Belege und Indizien dafür, dass Russland einen hybriden Krieg gegen Deutschland führt. Wenn man diese Bedrohung ernst nimmt, ist es umso wichtiger, nicht selbst Verschwörungstheorien zu verbreiten, die sich auf Schein-Belege stützen, deren Aussagekraft leicht und zu Recht angezweifelt werden kann. Wer sich im Kampf gegen „Fake News“ auf Methoden verlässt, die selbst an „Fake News“ grenzen, wird ihn nicht gewinnen können.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Ungeachtet der Zuverlässigkeit von Google Trends muss man sich vor Augen führen, dass Redakteure hier angeblich dachten, eine Steuerung von einzelnen Terroristen aus Russland sei möglich, ohne das auf deren Handys, Computern etc irgendeine Spur zurückbleibt. Ohne, dass die Täter in Vernehmungen irgendein Indiz liefern. ABER in Google Trends, da ist auf einmal das Indiz. Völlig absurd.
Man sollte sich besser u.a. mit stochastischen Terrorismus befassen und die Frage stellen, ob unablässige Medienberichterstattung einen Beitrag zu Anschlagsserien leistet.
Also Putin habe hunderte Agenten mit diesen Anschlägen beauftragt, die dann völlig hippelig wie kleine Kinder immer wieder nach ihrem Erfolg googeln, ungeduldig bevor und nachdem es eintrat und so die Google Trends beeinflussen?
Den Worten des BND ist wirklich nichts hinzuzufügen.
(Etwas plausibler erschiene mir da noch eher, dass Troll-Fabriken versuchen, die Nachricht zu pushen. )
Eigentlich zeigt der TerraX-Beitrag ebenso wie der Artikel hier, wie groß die Herausforderung ist, Dinge einzuordnen und zu sortieren.
Erstmal werden ja im Beitrag selbst immer wieder die Zweifel an der Methode genannt und die Methode trotzdem als interessant oder ähnliches herausgestellt.
Dann besteht der Beitrag aber nicht nur aus den „Ergebnissen“ aus Google-Trends, sondern auch aus Verweisen auf zurückliegende Cyberthreads wie Gostwriter oder die Doppelgänger-Kampagne, bei denen eine Beteiligung aus Russlands so viel ich weiß ziemlich sicher ist.
Nun liest sich der Artikel von Niggemeier hier so, als sei der ganze Beitrag eine einzige Verschwörungstheorie, weil die weiteren Themen nicht angesprochen werden.
Also da (TerraX-Beitrag) wie dort (Niggemeiers Artikel) fällt es einem als Rezipient schwer, Schlüsse daraus zu ziehen.
Ich glaube die Geschichte.
Wenn das Tool so klug ist, dass es die Lottozahlen vorhersagen kann, dann ist die Erhebung der Beweise für den Putinterror ein Klacks.
„Der Online-Marketing-Experte…“ ab da brauchen LeserInnen die wenig Zeit mitbringen eigentlich nicht weiter lesen, denn danach ist klar, dass es sich nicht um einen echten Experten für irgendwas wichtiges handelt. Ich habe aus Interesse weitergelesen, aber wie gesagt, die Punch-Line steht im ersten Satz…