Wie Jeff Bezos bei der „Washington Post“ das Licht ausknipst
Jeff Bezos galt einmal als Trump-Kritiker. Doch jetzt beschneidet der „Washington Post“-Eigentümer die Freiheit seiner Redaktion, um dem US-Präsidenten zu gefallen. Ein weiteres Beispiel dafür, warum Medienkritik mehr denn je auch wirtschaftliche Abhängigkeiten hinterfragen muss.
Milliardär und „Washington Post“-Eigentümer Jeff Bezos bei der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump. Foto: IMAGO/Julia Demaree Nikhinson
Jeff Bezos ist nicht nur der Gründer von Amazon und einer der reichsten Männer der Welt, sondern seit 2013 auch der Besitzer der traditionsreichen „Washington Post“, deren Ruf er in den letzten Monaten im Schnelldurchlauf vollständig ruiniert hat.
So kassierte er im Winter 2024 kurz vor der Präsidentschaftswahl das „Endorsement“ der Zeitung für die demokratische Kandidatin Kamala Harris. Angeblich, um den Eindruck mangelnder Objektivität zu vermeiden. In seiner Begründung berief er sich auf das gut eingeübte Lied vom Vertrauensverlust der Medien. Die traurige Wahrheit („hard truth“) sei, dass Menschen eine Zeitung wie die „Washington Post“ für parteiisch hielten. Der Verzicht auf eine offene Wahlempfehlung könnte dabei helfen, das Vertrauen wieder zurückzuerlangen.
Es handelt sich um eine Vorstellung, die lange auch im liberalen Bürgertum herrschte. In diesem Fall wurde der Eingriff in die redaktionelle Freiheit allerdings klar als das verstanden, was sie war: Eine trumpfreundliche Geste, die dem potentiellen Herrscher der Zukunft ein Signal der Versöhnung (oder Unterwerfung) senden sollte. Verstanden wurde diese Geste auf allen Seiten: Hundertausende kündigten entsetzt ihr Abonnement, Bezos hingegen saß beim Amtsantritt Trumps in der ersten Reihe der Tech-Oligarchen.
Bezos‘ Maske ist gefallen
Nun hat der Milliardär die Maske des linksliberalen Medienmoguls endgültig fallen gelassen. Am 26. Februar veröffentlichte er ein groteskes Schreiben an die Redaktion der „Washington Post“, in dem er nun gerade den Anspruch auf „Objektivität“ kassierte, mit dem der vorherige Eingriff in die Redaktionsarbeit noch begründet worden war.
Ab jetzt, heißt es in der Stellungnahme, die für die aktuellen Machthaber gut sichtbar auf der Plattform X veröffentlicht wurde, sei die Meinungsseite der Zeitung auf zwei Säulen festgelegt: persönliche Freiheit und freie Märkte. Es habe eine Zeit gegeben, in der Medien ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zur Verfügung stellen mussten. Diese Zeit sei nun aber vorbei. Das Internet würde diese Dienstleistung übernehmen. Als stolzer Amerikaner sei er überzeugt, dass Freiheit das wichtigste Gut sei. Der entsprechende Satz ist ausgesprochen seltsam, fast ungrammatisch und kaum zu übersetzen: „Freedom is ethical — it minimizes coercion — and practical — it drives creativity, invention, and prosperity.“
Die Kolumne
Johannes Franzen ist Literaturwissenschaftler und Kulturjournalist. Er arbeitet an der Universität Siegen, wo er zu kulturellen Konflikten und ihrer medialen und gesellschaftlichen Bedeutung forscht. Zudem schreibt er Essays für FAZ, taz, Zeit Online u.a. und ist Mitbegründer des Online-Feuilletons 54books. Für Übermedien blickt er einmal im Monat auf die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie.
Die Meinungsfreiheit des Meinungsressorts wird abgeschafft
Bezos‘ Stellungnahme ist ein perfektes Beispiel für die Paradoxie des libertären Autoritarismus, der Freiheitsrechte unter Verweis auf einen angeblichen Freiheitsmangel einschränkt. Man kann sich kaum vorstellen, dass dieser Text ohne ein unterdrücktes Lachen aufgeschrieben wurde: Die Meinungsfreiheit des Meinungsressorts wird abgeschafft, die Minimalisierung von Zwang („coercion“) umgesetzt, indem direkt die Entlassung des bisherigen Leiters des Meinungsressorts bekannt gegeben wird, der sich nicht in der Lage gesehen habe, zu diesem neuen Weg ‚hell yes‘ zu sagen. Es gehört zum Humor der Macht, ihre Entscheidungen, gegen die niemand etwas ausrichten kann, betont lächerlich zu begründen.
Mit dem Umbau der Meinungsseite endet auch die eigentümliche Phase, in der einer der reichsten Menschen der Welt sich als mutiger Verteidiger der Pressefreiheit inszenieren konnte. Seit Bezos die Zeitung 2013 für den günstigen Preis von 250 Millionen Dollar gekauft hat, wurde er als „Retter“ einer Institution gefeiert, die in der allgemeinen Medienkrise unterzugehen drohte. In einem Artikel für „The Atlantic“, in dem er Bezos‘ Karriere vom Retter zum Zerstörer analysiert, beschreibt Martin Baron – Chefredakteur der „Washington Post“ bis 2021 – wie Bezos anfangs den Angriffen Trumps und seiner Leute widerstanden habe.
Immer wieder sprach Bezos sich öffentlich für Pressefreiheit aus und kritisierte Trump. Damit verkörperte er die liberale Wunschvorstellung des aufgeklärten Superreichen, der die Demokratie und ihre Werte mutig verteidigt. Die Übernahme der „Washington Post“ bereitete die perfekte Bühne, um diese Rolle einzunehmen.
In Trumps erster Amtszeit war Kritik noch lukrativ
Die Haltung war für Bezos damals noch lukrativ: Denn in Donald Trumps erster Amtszeit stand Journalismus nicht nur unter Beschuss, sondern erlebte auch – gerade deswegen – einen großen Legitimationsschub. Berichtet wurde über einen „Trump Bump“, ein Zuwachs an Abonnements bei Medien wie der „New York Times“ oder dem „New Yorker“. Das fieberhafte Bedürfnis, im Angesicht der Bedrohung etwas zu tun, schlug sich in der Unterstützung von Qualitätsmedien nieder, die sich als wichtige Bollwerke gegen den Ansturm der postfaktischen Hooligans feiern ließen.
2017 gab sich die „Washington Post“ das Motto „Democracy Dies in Darkness“ – ein Satz, der mit dem Journalisten Bob Woodward assoziiert wird, einer mythischen Heldenfigur seiner Zunft. Er ist der bekannteste journalistische Protagonist der Recherchen zum Watergate-Skandal, der Präsident Nixon und seine korrupte und intransparente Regierung zu Fall brachte.
Das Motto wurde 2019 in einem pompösen Werbespot beim Superbowl noch einmal groß inszeniert. Darin spricht Tom Hanks weihevoll über Geschichte und Verantwortung, gezeigt werden Bilder von historischen Ereignissen und ermordeten Journalist:innen. Hanks spielte auch eine wichtige Rolle im Film The Post von 2017, in dem es um die mutige Entscheidung geht, gegen heftige Widerstände die „Pentagon Papers“ zu veröffentlichen. Dieser hochkarätig besetzte Film ist einer der Höhepunkte der Heroisierung von Journalismus im Zeitalter Donald Trumps. Das liberale Bürgertum feierte so eine seiner wichtigsten Institutionen, die „unabhängigen Medien“, die der Wahrheit und journalistischen Integrität verpflichtet sind.
Das Verhalten des aktuellen „Washington Post“-Eigentümers konfrontiert die Feiernden nun mit einem heftigen Realitätsschock. Denn in der nostalgischen Erinnerung an Woodward & Co. wird immer wieder vergessen, dass Medien Wirtschaftsunternehmen sind, deren Unabhängigkeit von ihrer finanziellen Lage abhängig ist. Auch das Licht, das die Demokratie am Leben halten soll, geht dann aus, wenn die Stromrechnung nicht mehr bezahlt werden kann. Die Tatsache, dass ein Milliardär wie Jeff Bezos, der sein Geld vor allem als Gemischtwarenhändler verdient hat, überhaupt eine traditionsreiche Zeitung kaufen konnte, verweist auf das tieferliegende Problem einer Medienkrise, die in den letzten Jahrzehnten den etablierten Medienbetrieb vollständig verheert hat.
Medien sind heute sehr verletztlich
Das liegt gar nicht in erster Linie an den einbrechenden Leserzahlen, sondern vor allem daran, dass die Digitalisierung das Werbegeschäft zerstört hat. Das Geld, das früher in teure Anzeigen in etablierten Medien floss, geht heute an Google oder Facebook. Es handelt sich um die wahrscheinlich wichtigste medienhistorische Entwicklung der Gegenwart. Wie der Medienwissenschaftler Tim Wu in seinem Buch The Attention Merchants beschreibt, lebte das Finanzierungsmodell modernen Medien vor allem davon, die Aufmerksamkeit ihrer Leser:innen an die Werbekunden zu verkaufen. Das Produkt selbst konnte deshalb sehr preiswert sein. Dieses Modell ist zusammengebrochen und macht die Medien extrem verletzlich.
Damit lässt sich auch Bezos‘ Sinneswandel erklären. So schreibt Martin Baron in seiner Analyse des Falls, dass Bezos‘ Sorge vor allem der geschäftlichen Grundlage seiner Unternehmen gilt. Und eine Zeitung, die die Regierung kritisiert, wird eben zum Hemmschuh im Kampf um Ressourcen, die in einem korrupten Herrschaftssystem über die Nähe zum Herrscher vergeben werden. Der Fall Bezos zeigt also, dass wir einen aufgeklärten, nicht-lähmenden, kritischen Zynismus brauchen, der die finanziellen Grundlagen der Berichterstattung immer mitbedenkt.
Medienkritik muss wirtschaftliche Abhängigkeiten mitdenken
Journalistische Unabhängigkeit und Integrität sind keine Frage der individuellen Moral, sondern beruhen auf einer materiellen Grundlage. Der Spruch „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ gilt auch und gerade auch für den Journalismus. Das Geld schreibt immer mit am Text. Hauskredite müssen bezahlt, Kinder in die Ferien geschickt, Kühlschränke gefüllt werden. Eine Medienkritik, die diesen Aspekt nicht immer mitbedenkt, bleibt blind für die strukturellen Voraussetzungen dessen, was sie an den Inhalten stört.
Die erste Frage muss lauten: Wer bezahlt für den Journalismus? Wer ist in der Lage, Menschen, die ihre Miete bezahlen und ihren Kühlschrank füllen müssen, zu feuern oder zu beeinflussen? Wer kann nach der Medienkrise überhaupt noch die finanzielle Infrastruktur zur Verfügung stellen, die dazu nötig ist, um Texte zu veröffentlichen und wie wird diese Infrastruktur genutzt?
Der Fall Jeff Bezos ist nur einer von zahlreichen Fällen, die diese Fragen herausfordern sollten (einen ähnlichen Umbau gab es auch bei der „L.A. Times“, die sich seit 2018 im Besitz des Pharmaunternehmers Patrick Soon-Shiong befindet). Dazu gehört auch, dass ein Milliardär wie Elon Musk einfach einen wichtigen Teil der digitalen Öffentlichkeit kaufen und politisch umbauen kann, oder dass der Unternehmer Frank Gotthardt mit großzügigen Mitteln die rechte Plattform „Nius“ von Julian Reichelt finanziert.
Genau jener Julian Reichelt, der 2021 als Chefredakteur der „Bild“-Zeitung von seinem Chef Mathias Döpfner per SMS angewiesen wurde: „Please stärke die FDP“. Ein Fall, der überdeutlich machte, wie stark mächtige Interessen in redaktionelle Zusammenhänge hineinwirken.
4 Kommentare
Typo: „das Vertrauen wieder zurückerlangen.“
-> zurückzuerlangen
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert.
Guter, einordnender Kommentar – danke!
Es zeigt sich mal wieder, dass es Milliardäre eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn die nutzen ihre Macht immer nach eigenem Willen. Wozu hätten sie die Macht sonst?
Was mir dabei immer noch im Ohr klingt, ist die Klage, dass alle Journalist:innen so links-grün seien!
Ja, aber die Medien gehören Menschen, die idR eher nicht linksgrün sind.
Und auch bei den ÖRR werden die Chefposten anders besetzt.
Zudem geht es überall ums Verkaufen. Auch die, die eigentlich nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben sein sollten, müssen sich letztlich über Zu-schauer/hörer-zahlen legitimieren.
Und natürlich ist für alle, die rechts von sich nur noch eine Wand haben, jeder andere irgendwie links.
Wir haben ein echtes Problem mit Döpfner/Springer, Murdoch, Berlusconi und wie sie alle heissen. Und nun noch die Tech-Oligarchen ( vor einigen Monaten habe ich schon mal gemutmaßt, was sich da im Silicon Valley zusammenbraut und wurde dafür noch belächelt ), die die social media korrumpieren und nun auch noch die klassischen Medien spoilen!
Dabei reicht das Problem, das da Kapitalismus heisst, ja eigentlich schon.
Die Aufmerksamkeitsalgorithmen haben ganz pragmatisch herausgefunden, dass Negatives zu längerem Verweilen verleitet.
Die Presse weiss, dass Gewalt und Kriminalität sich besser verkauft und wenn dann noch Xenophobie getriggert wird, kommt bei der Mehrheit der confirmation bias dazu.
Schwurbel-Themen und umstrittene „Experten“ verkaufen sich gut, also rein in die Talkshows.
Und insgesamt führt der Kurs volle Lotte gegen die Wand.
Typo: „das Vertrauen wieder zurückerlangen.“
-> zurückzuerlangen
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert.
Guter, einordnender Kommentar – danke!
Es zeigt sich mal wieder, dass es Milliardäre eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn die nutzen ihre Macht immer nach eigenem Willen. Wozu hätten sie die Macht sonst?
Was mir dabei immer noch im Ohr klingt, ist die Klage, dass alle Journalist:innen so links-grün seien!
Ja, aber die Medien gehören Menschen, die idR eher nicht linksgrün sind.
Und auch bei den ÖRR werden die Chefposten anders besetzt.
Zudem geht es überall ums Verkaufen. Auch die, die eigentlich nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben sein sollten, müssen sich letztlich über Zu-schauer/hörer-zahlen legitimieren.
Und natürlich ist für alle, die rechts von sich nur noch eine Wand haben, jeder andere irgendwie links.
Wir haben ein echtes Problem mit Döpfner/Springer, Murdoch, Berlusconi und wie sie alle heissen. Und nun noch die Tech-Oligarchen ( vor einigen Monaten habe ich schon mal gemutmaßt, was sich da im Silicon Valley zusammenbraut und wurde dafür noch belächelt ), die die social media korrumpieren und nun auch noch die klassischen Medien spoilen!
Dabei reicht das Problem, das da Kapitalismus heisst, ja eigentlich schon.
Die Aufmerksamkeitsalgorithmen haben ganz pragmatisch herausgefunden, dass Negatives zu längerem Verweilen verleitet.
Die Presse weiss, dass Gewalt und Kriminalität sich besser verkauft und wenn dann noch Xenophobie getriggert wird, kommt bei der Mehrheit der confirmation bias dazu.
Schwurbel-Themen und umstrittene „Experten“ verkaufen sich gut, also rein in die Talkshows.
Und insgesamt führt der Kurs volle Lotte gegen die Wand.
Und nu?