Suchmaschinenoptimierung

Das passiert, wenn Ippen mit Veröffentlichungsdaten trickst

Ein Artikel auf fr.de über Wladimir Putin scheint aktuell, ist aber schon über zwei Jahre alt. Die Zentralredaktion des Ippen-Verlags veröffentlicht ihn immer wieder neu. Was nichts mit Journalismus zu tun hat, sondern mit fragwürdigen Methoden zur Suchmaschinenoptimierung.

Man hat sich daran gewöhnt, dass Menschen, die unter Online-Artikeln Kommentare hinterlassen, immer alles besser wissen. Aber dass sie jetzt schon kommentieren, bevor ein Artikel überhaupt erschienen ist – wie kann das sein?

Auf fr.de, dem Online-Auftritt der „Frankfurter Rundschau“, erklärt ein Beitrag:

„Das passiert, wenn Wladimir Putin stirbt“

Der Text ist angeblich am 6. März 2025 erschienen, ein User hat ihn aber schon im Juli 2024 kommentiert. Ähnliche Beispiele finden sich auf fr.de zuhauf.

„Republishing“ von alten Texten

Dahinter stecken keine seherischen Fähigkeiten, sondern eine Strategie zur Suchmaschinenoptimierung. Um Google von ihren angeblich topaktuellen Inhalten zu überzeugen, veröffentlicht die Redaktion Texte immer wieder neu. „Republishing“ heißt diese fragwürdige Methode. Das aktuelle Datum gaukelt nicht nur den Leserinnen und Lesern, sondern auch Google vor, dass es sich um einen neuen Text handelt. Damit steigen die Chancen, dass er in den Suchergebnissen weit oben gelistet wird.

Zwei identische Überschriften aus dem Online-Angebot der "Frankfurter Rundschau" ("Das passiert, wenn Wladimir Putin stirbt"), bei denen nur das Datum der Veröffentlichung variiert.
Screenshots: fr.de

Bei dem Artikel über Putins Nachfolge ist der angebliche Veröffentlichungszeitpunkt in den vergangenen Monaten immer wieder aktualisiert worden. Der Inhalt und die Kommentare sind seit Monaten weitgehend gleich geblieben. Aktuell ist an dem Text außer dem Datum nichts: Die Expertenzitate stammen aus einem Nachrichtenpodcast des Fernsehsenders ntv, der im Oktober 2022 erschienen ist, also vor über zwei Jahren. Die älteste archivierte Version des Textes stammt aus dem April 2023.

Hauptsache, Google findet den Text

Das erneute Veröffentlichen von Texten ist nur einer von vielen Tricks zur sogenannten Suchmaschinenoptimierung. SEO, kurz für „Search Engine Optimization“, nennen Medienmacher es, wenn sie ihre Inhalte so anpassen, dass sie in Suchmaschinen möglichst prominent angezeigt werden.

Der durchschnittliche Internetnutzer begegnet (schlechtem) SEO oft auf Produkt- oder Ratgeberseiten, die mit Keywords, Synonymen und FAQ überladen sind, damit alle möglichen Suchbegriffe möglichst oft auf einer Seite auftauchen.

Die Suchmaschinenoptimierung bei Nachrichtenmedien ist im besten Fall subtiler. Redaktionen versuchen zum Beispiel mit prägnanten Titeln, Zwischenüberschriften und Schlüsselbegriffen zu punkten. Das ist sinnvoll und nutzerfreundlich: Was nützt der beste Text, wenn ihn niemand findet? Außerdem ist SEO längst zur wirtschaftlichen Notwendigkeit geworden: Kein privatwirtschaftliches Medienhaus kann es sich mehr leisten, darauf zu verzichten.

Schwierig wird es aber, wenn es Redaktionen völlig egal ist, ob sie überhaupt einen guten Text haben – Hauptsache, er wird gefunden, um Klicks und Werbeeinnahmen zu generieren. Mit journalistischer Qualität hat das wenig zu tun. Mehr damit, seine Seiten mit Inhalten zuzuballern über Themen, nach denen viele Menschen suchen. Statt journalistischer Relevanzkriterien bestimmen dann SEO-Anforderungen die Themenauswahl und die Anzahl der veröffentlichten Texte zu einem Ereignis.

Hinter fr.de steht nicht die Zeitungsredaktion

Die Seite fr.de gehört zu den Negativ-Beispielen dieses Geschäftsmodells. Die Marke „Frankfurter Rundschau“ ist dabei irreführend: Die renommierte Redaktion ist zwar für die gleichnamige gedruckte Zeitung zuständig, die Webseite aber wird von einer Zentralredaktion befüllt, die zur Verlagsgruppe Ippen gehört. Ippen bestückt auch Nachrichtenseiten wie „Merkur“ und „tz“, diverse Lokalzeitungsseiten sowie lieblos zusammengestückelte Serviceportale wie „Extratipp.com“ oder „24Garten.de“.

Die Ippen-Mediengruppe ist Vorreiter im SEO-Business. „Google listet die Nachrichten unserer Portale ganz oben“, wirbt der Verlag in eigener Sache. Man sei „Marktführer der deutschen Medienlandschaft“ und erreiche jeden Monat mehr als 28 Millionen Leser, jubelte der Konzern im Dezember in einer PR-Mitteilung. Jan Ippen, der Digitalstratege der Gruppe, ist an der Organisation eines jährlichen exklusiven Expertenevents beteiligt, dem „SEOktoberfest“. Einem 2021 im Branchenmagazin „Meedia“ zitierten SEO-Experten zufolge, habe Ippen „selbst extrem tiefe technische Kenntnis“ in Sachen Suchmaschinenoptimierung.

Wie diese SEO-Strategie zum Beispiel aussieht, zeigt der Satz, der über dem Putin-Text gleich als Erstes steht:

„Wladimir Putin regiert Russland seit mehr als 24 Jahren. Um einen möglichen Nachfolger gibt es Gerüchte. Ein Experte äußert sich dazu.“

Sprachlich holprig werden hier alle relevanten Suchbegriffe in Stellung gebracht: Putin, Russland, Nachfolger, Gerüchte, Experte. Wer nun also per Google-Recherche herausfinden will, ob es Gerüchte über mögliche Nachfolger von Putin gibt oder – etwas fundierter – was ein Experte dazu sagt, landet mit großer Wahrscheinlichkeit auf der Seite der FR, die genau zu diesem Thema just einen scheinbar aktuellen Text veröffentlicht hat.

(Die Begriffe Krebs und Parkinson tauchen ebenfalls im Text auf, falls jemand danach suchen sollte – auch wenn im Artikel selbst steht, dass es „keinerlei Beweise“ dafür gibt, dass Putin erkrankt ist.)

Screenshot mit Bild von Putin und Bildunterschrift: "Wladimir Putin unterschreibt auf einer Scheibe"
Die Bilder im Putin-Text werden ab und zu geändert: Zwischenzeitlich stand diese nichtssagende Quatsch-Bildunterschrift im Text Screenshot: fr.de

Der Putin-Text auf fr.de ist ein so genannter „Evergreen“-Inhalt, der über einen langen Zeitraum immer wieder für Klicks sorgen soll, auch wenn er journalistisch kaum Relevanz hat. Texte zu aktuellen Ereignissen, die nach kurzer Zeit veraltet sind, bleiben kürzer auf fr.de stehen, aber auch sie werden oft innerhalb von wenigen Tagen immer wieder neu veröffentlicht.

Google kennt diese Strategie

Reichweite erreichen Redaktionen nicht nur über die klassische Google-Suche. Das Angebot „Google Discover“ empfiehlt Nutzenden ausgewählte Inhalte direkt beim Öffnen des Chrome-Browsers, basierend auf individuellen Interessen. SEO-Maßnahmen zielen außerdem darauf ab, dass Inhalte bei Google in den Nachrichtenrubriken auftauchen. Dazu gehören die „News“-Suche für Nachrichteninhalte und die „News“-Boxen, die Google bei aktuellen Themen über den normalen Suchergebnissen anzeigt. Diese Boxen präsentieren eine Auswahl der neuesten relevanten Texte zum Beispiel bei Wahlen, Anschlägen oder anderen viel diskutierten Ereignissen. Damit ein Inhalt als „aktuell“ eingestuft wird, muss er aber erst vor kurzem veröffentlicht worden sein – ein möglicher Grund für Republishing.

Es ist einigermaßen erstaunlich, dass Ippen mit dieser Strategie Erfolg zu haben scheint. Denn Google lehnt solche Tricks eigentlich ab. In einer Checkliste mit „Best Practice“-Hinweisen für Content-Anbieter schreibt der Konzern, dass das Datum von Seiten nicht geändert werden sollte, „damit sie aktuell erscheinen, wenn sich der Inhalt nicht wesentlich geändert hat“. SEO-Fachleute äußern allerdings im Gespräch mit Übermedien den Eindruck, dass Verstöße gegen diese Richtlinie von Google nicht strikt sanktioniert werden – sonst würde Ippen ja auch nicht darauf setzen.

Auf Anfrage bei Google teilt ein Sprecher dazu mit, einzelne Webseiten werde man nicht kommentieren. Allgemein schreibt er, die Strategie, bei Internetseiten das Datum zu aktualisieren, sei bekannt. Man habe Schutzmechanismen, um Manipulationen im Ranking zu verhindern. Alle Suchergebnisse würden auf Spam geprüft, bei Missbrauch ergreife man entsprechende Maßnahmen. Um das Datum einer Webseite festzustellen, nutze man viele verschiedene Faktoren.

KI hilft im Redaktionsalltag

Der Artikel über Putin steht trotzdem in Suchbegriffskombinationen wie „Putin Nachfolger“, „Putin Krebs“ und „Putin tot“ weit oben im Ranking. Und unabhängig davon, wie gut Google Täuschungen erkennt: Leserinnen und Leser wird mit dem Datum in jedem Fall eine falsche Aktualität vorgegaukelt.

Suchtreffer zu den Begriffen "Putin Nachfolger"
Google-Suche: fr.de mit scheinbar aktuellem Inhalt ganz oben Screenshot: Google.de

Was in dem Artikel auf fr.de über den russischen Präsidenten inhaltlich tatsächlich mehrmals angepasst wurde, ist Putins Alter. Irgendwie eine niedliche Vorstellung, dass Putins Geburtstag bei Ippen im Redaktionskalender steht, weil jedes Jahr diese Zeile in einem alten Text geändert werden muss. Wobei das natürlich ein naiver Gedanke ist: Im Branchenmagazin „Kress Pro“ war schon im vergangenen Sommer zu lesen, dass Ippen massiv mit KI-Tools experimentiert, „um den Redakteuren wiederkehrende Aufgaben zu erleichtern“ (auch Übermedien hat darüber berichtet). Das betrifft höchstwahrscheinlich auch SEO-Tätigkeiten.

„Republishing“ ist nicht immer schlecht

Auch bei anderen Redaktionen gehört es zum SEO-Repertoire, alte Texte noch einmal zu veröffentlichen. Qualitätsmedien haben aber nicht nur von vorneherein hochwertigere und lesenswerte Texte, die sich nicht nur an SEO-Kriterien ausrichten. Sie machen es auch kenntlich, wenn sie einen Artikel republishen. Vorbildlich ist die „Zeit“: Über ein kleines Uhrensymbol neben dem letzten Aktualisierungsdatum lässt sich anzeigen, wann Artikel zuerst veröffentlicht worden sind.

Was Ippen und andere klick-fixierten Portale hingegen betreiben, ist Lesertäuschung. Eine Anfrage von Übermedien dazu hat die Pressestelle von Ippen mit Verweis auf starke Auslastung nicht beantwortet.

Der letzte Satz im Putin-Text verlinkt übrigens direkt zum nächsten SEO-optimierten Artikel auf fr.de:

„Das passiert, wenn Trump stirbt“

5 Kommentare

  1. „Auf Anfrage bei Google teilt ein Sprecher dazu mit, einzelne Webseiten werde man nicht kommentieren.“

    Das ist offenkundig falsch, weil ich es schon anders erlebt habe.

    Google hat mit zwei Updates, genauer gesagt im September 2023 und im März 2024, sowie nochmal im Mai 2024 explizit gegen kleine Publisher, und unabhängige Seiten einen großen Coup gelandet. Kleinere Seiten schaffen es heute, unabhängig von ihrer Qualität oder Expertise in diesem Bereich, nicht mehr in den Newstab und oft immer schlechter oder gar nicht mehr in die Suchergebnisseiten.

    Man kann oder will dem bewussten Ausnutzen von SEO nicht Herr werden, sondern schießt im Gegenteil eher in die andere Richtung. Das hier genannte Beispiel steht dafür quasi exemplarisch, zumal es ein Meer an Seiten des Verlages gibt.

    Bis so ca. 2022 konnte Google das Monopol auf die Suchmaschine für sich entscheiden, eben weil sie besser als die anderen Suchmaschinen waren. Seit 2023 bröckelt dieses Image, seit 2024 massiv. Google verliert erstmals wieder Nutzer an andere (und sinkt unter 90% Marktanteil). Das hat auch nicht nur mit ChatGPT zu tun, es geht ja um den Marktanteil bei Suchmaschinen.

    Ein wichtiger Schritt wäre es, das Monopol um Google ernst zu nehmen und offensichtliche Interessenskonflikte zwischen Suchergebnissen und Anzeigen genauer anzuschauen. Und nicht vielen großen Seiten den Freifahrtschein zu erteilen.

  2. Sehr aufschlussreich! :-)
    btw: „Man hat sich daran gewöhnt, dass Menschen, die unter Online-Artikeln Kommentare hinterlassen, immer alles besser wissen.“ -> Besonders betroffen hier leider auch Übermedien

  3. @fakirsessel:
    Wenn man sich viel beruflich damit beschäftigt, dann sei einem diese Expertise vielleicht auch gegönnt. Niemand zwingt Sie dazu, gerade wenn Sie sich thematisch gar nicht auskennen, die Kommentare zu lesen. Also falls Sie sich auf mich beziehen, lesen Sie sich einfach mal in die Themen ein, bevor Sie so ein Feld aufmachen.

  4. #3 ich beziehe mich nicht auf Sie, sondern auf die Klugscheißer, die gerne mal zehn Kommentare unter einen Post donnern mit einem zum Teil unerträgluches Habitus der Rechthaberei.
    Ihr Kommentar gehört da definitiv nicht dazu.

  5. Mit dieser Methode ist Ippen aber nicht alleine. Fast alle Onlineredaktuonen für dich ich gearbeitet habe, agieren so. Meist reicht es aus, nur die Überschrift zu ändern und der Text klettert im Ranking nach oben. Leser und Leserin werden dadurch natürlich getäuscht. Sie lesen einen alten Text mehrfach. Fragt man Redaktionen, warum sie ihre Leser veräppeln, behaupten sie gerne, der Text habe ein Update bekommen. Das ist eine glatte Lüge.

    Aus meiner Sicht schadet die SEO-Optimierung auch dem Journalismus. Sie führt dazu, dass der Grundsatz „Aktuelles nach oben“ nicht mehr gilt. Stattdessen werden Leser und LeserInnen gezwungen, sich durch allgemeine Betrachtungen zu diesem und jenem zu kämpfen, bevor die News erzählt wird. Grund dafür ist natürlich OnlinenutzerInnen zu zwingen, länger auf der Seite zu bleiben. Das nervt aus LeserInnensicht, ist journalistisch schlecht, optimiert aber die Vermarktung des Textes.

    Unangenehm ist auch, dass viele Texte deutlich zu lang sind. Auch wenn strittig ist, ob es eine Mindestlänge für Texte gibt, die Google findet. Ich selber habe festgestellt, dass Google kürzere Texte schlechter rankt als lange. Genau deshalb haben mich „meine“Redaktionen auch angehalten, längere Texte zu liefern. Es hat den meisten nicht gut getan.

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