Der Autor
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Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Am frühen Montagmorgen erst stand fest, dass Union und SPD eine Mehrheit im neuen Bundestag haben, aber wenige Stunden später schon wurde der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in einer Pressekonferenz nach seinen Planungen für ein mögliches Kabinett gefragt. Merz bedankte sich ausdrücklich für die Frage und sagte:
„Da geistert durch die Social-Media-Kanäle eine gefakte dpa-Nachricht, eine gefälschte Nachricht von dpa, 9:17 Uhr heute Morgen, wir hätten angeblich im Präsidium bereits über die Verteilung der Ressorts gesprochen. Wir haben kein einziges Wort über Personal miteinander verloren, weil das zum jetzigen Zeitpunkt einfach viel zu früh ist.“
dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger hatte zuvor schon in den sozialen Medien klargestellt:
In Chatgruppen zirkuliert offensichtlich eine angebliche @dpa-Meldung, wonach sich CDU-Chef @_FriedrichMerz auf eine Ressortverteilung in einer möglichen schwarz-roten Regierung festgelegt habe. Es handelt sich hier um ein Fake. dpa hat keine Meldung dieses Inhalts gesendet.
Wer die Nachricht gefälscht hat, ist unklar, aber nachvollziehen lässt sich noch, wer sie verbreitet hat: zum Beispiel das rechte Online-Medium „Nius“ von Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt. In einem Live-Ticker berichtete „Nius“:
24.2.2025 – 10:38 UHR
Merz will Innenministerium der SPD überlassen
CDU-Chef Friedrich Merz soll sich bei einer Präsidiumssitzung festgelegt haben, welche Ressorts seine Partei beanspruchen will. Bei einer schwarz-roten Bundesregierung will die CDU das Auswärtige Amt und die Ressorts Wirtschaft und Finanzen für sich haben. Zwar wolle man beim Thema illegale Migration hart bleiben. Doch das Innenministerium könne der SPD überlassen werden, damit die Koalition den nötigen Rückhalt habe, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Damit könnte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Amt bleiben.
Die Falschmeldung hatte das Potential, bei der „Nius“-Leserschaft gewaltige Wut auszulösen, wie man an zahlreichen Kommentaren auf der Facebook-Seite des Mediums sehen kann:
Wow nicht mal 24 Stunden und schon die erste Wahllüge!
Ein Lügner wie er im Buche steht. Sein Wort gilt garnicht. Er ist und bleibt ein Wahlbetrüger.
Über 1000 Kommentare stehen unter dem Facebook-Eintrag. Aus dem verlinkten Live-Ticker hat die „Nius“-Redaktion die Ente irgendwann ohne jeden Hinweis gelöscht, aber die Kachel mit der Schlagzeile „Merz will Innenministerium der SPD überlassen“ wird auf Facebook auch jetzt noch eifrig geteilt.
Wir haben „Nius“ gefragt, was ihre Quelle für die gefälschte Nachricht ist, aber bislang keine Antwort bekommen. Eigentlich ist „Nius“ nach eigenen Angaben selbst Kunde von dpa und hat damit direkten Zugriff auf alle tatsächlich veröffentlichten Meldungen der Nachrichtenagentur. „Nius“ hätte also auf einfachste Weise selbst überprüfen können, ob eine angebliche dpa-Meldung eine tatsächliche dpa-Meldung ist – hat darauf aber ganz offensichtlich einfach verzichtet.
Auch unsere Frage nach einer Korrektur der Ente hat „Nius“ bislang nicht beantwortet.
Die gefälschte Meldung hat es also irgendwie aus dubiosen Quellen zu „Nius“ geschafft. „Nius“ selbst ist nun wiederum die dubiose Quelle für andere, wie diesen reichweiten X-Account, den auch das Dementi von dpa nicht beeindruckte:
Auch die AfD-nahe Zeitung „Junge Freiheit“, die sich gerne den Anschein gibt, rechtskonservativ, aber seriös zu sein, hat die Fälschung irgendwo aufgeschnappt und geglaubt. Sie verbreitet sie sogar jetzt noch. Unter der Überschrift „Warum Nancy Faeser Innenministerin bleiben könnte“ meldet das Blatt:
Laut Berichten der Nachrichtenagentur dpa will die CDU in erster Linie das Auswärtige Amt sowie die Ressorts für Wirtschaft und Finanzen für sich sichern.
Auch wenn die Union auf eine strikte Migrationspolitik pocht, könnte das Innenministerium weiter der SPD überlassen werden. Um die Stabilität der Koalition zu gewährleisten, würde somit Nancy Faeser weiterhin Bundesinnenministerin bleiben.
Auch hier reagiert die rechte Leserschaft in den Kommentaren mit Empörung und Abgesängen auf Deutschland.
Und anstatt die Fakten zu überprüfen, fachte die „Junge Freiheit“ die Wut noch weiter an, und legte heute einen eigenen aufgeregten Kommentar unter einer groben Laubsägearbeit nach:
Autor Frank Hauke (Eigenwerbung: „hochprofessionelle, elegante und maßgeschneiderte Texte“) empört sich darin, dass Merz in Rekordgeschwindigkeit „von ihm ausgesprochene ‚Garantien‘“ kippe:
Anders kann es niemand verstehen, wenn er der SPD noch vor Beginn von Sondierungsgesprächen kampflos das Innenministerium überlassen will. In der Migrationspolitik und inneren Sicherheit, die er im Wahlkampf zu zentralen Themen machte, bräuchte es einen grundsätzlichen „Politikwechsel“, tönte der CDU-Chef. Wie soll das mit der alten und mutmaßlich neuen Innenministerin Nancy Faeser gehen?
„Auf Merz können sich die Wähler nicht verlassen“, schreibt er. Worauf sich die Leser nicht verlassen können: die „Junge Freiheit“.
Nachtrag, 19:45 Uhr. Die „Junge Freiheit“ hat ihren Artikel von gestern gelöscht und den Kommentar von heute mit einem Transparenzhinweis geändert. Sie hat sich außerdem in einem eigenen Artikel berichtigt und entschuldigt.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
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