Die Gesprächspartnerin
Andrea Wolf ist Mitglied im Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen. Das Institut führt regelmäßig Umfragen für das ZDF-„Politbarometer“ durch und erstellt Wahlprognosen für das ZDF.
Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? Diese und andere Fragen zur politischen Stimmung in Deutschland stellt die Forschungsgruppe Wahlen regelmäßig für die Sendung „Politbarometer“ im ZDF. Doch wie werden die Befragten eigentlich ausgewählt? Wann ist eine Umfrage repräsentativ? Und kann man statistische Fehler von tatsächlichen Veränderungen bei Zustimmungswerten unterscheiden? Darüber haben wir mit Andrea Wolf, Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen, gesprochen.
Übermedien: Frau Wolf, die meisten Menschen haben noch nie an einer Wahlumfrage teilgenommen. Trotzdem treffen die Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen Aussagen über alle Wahlberechtigten. Wie geht das?
Andrea Wolf: Unser Ziel ist eine repräsentative Umfrage, es müssen also bei jeder Umfrage alle Wahlberechtigten die gleiche Chance haben, von uns befragt zu werden. Das passiert per Zufallsauswahl, die relativ aufwendig ist: Wir machen je eine Stichprobe für Festnetz- und Mobilfunknummern. Für die Festnetzstichprobe werden zufällig eingetragene Telefonnummern ausgewählt, die dann in den letzten drei Ziffern verändert werden, damit auch Anschlüsse, die nicht im Telefonbuch stehen, berücksichtigt werden. Wenn wir mit den Festnetznummern in einem Haushalt mit mehreren Personen landen, sprechen wir immer mit der Person, die als letzte Geburtstag hatte. Bei der Mobilfunkstichprobe werden Nummern zufällig generiert. Das alles ist entscheidend, damit wir hinterher sagen können: Die Umfrage ist repräsentativ.
Andrea Wolf ist Mitglied im Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen. Das Institut führt regelmäßig Umfragen für das ZDF-„Politbarometer“ durch und erstellt Wahlprognosen für das ZDF.
Woran erkennt man denn noch, ob eine Umfrage repräsentativ ist?
Das wesentliche Kriterium ist, wie gesagt, die strenge Zufallsauswahl. Es sollten aber immer auch weitere Informationen bei der Veröffentlichung von Umfragen angegeben werden, zum Beispiel der statistische Fehlerbereich. Bei einer Umfrage unter 1.250 Befragten, wie beim „Politbarometer“, liegt der Fehlerbereich bei einem Wert von 40 Prozent für eine Partei bei plus/minus 3 Prozentpunkten, wenn sie 10 Prozent bekommt, liegt er bei plus/minus 2 Prozentpunkten. Dieser Fehlerbereich ändert sich je nachdem, wie viele Menschen befragt werden. Die Stichprobengröße sollte man also auch angeben, genauso wie den Zeitraum, in dem befragt wurde und wie die Umfrage erhoben wurde: Also online oder per Mobilfunk oder Festnetz oder mit einer Kombination daraus. Uns bei der Forschungsgruppe Wahlen ist es wichtig, dass wir die Zufallsauswahl treffen. Bei Online-Umfragen hat man diese Kontrolle nicht, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen rekrutieren sich in der Regel selbst.
Aber nur weil ich das alles angebe und eine Zufallsauswahl treffe, sagt das doch noch nichts über die Qualität der Umfrage aus.
Für die Repräsentativität ist tatsächlich allein die Zufallsauswahl entscheidend. Aber natürlich muss eine Umfrage, um verlässliche Aussagen zu generieren, über eine bestimmte Fallzahl verfügen. In der Regel sollten es 1.000 Fälle sein, damit die Fehlerbereiche nicht zu groß sind.
Warum gibt es eigentlich Wahlumfragen?
Wir wollen eine Momentaufnahme erstellen. Wie ist die politische Stimmung gerade? Das ist interessant für alle Menschen, die sich für Politik interessieren. Aber natürlich auch für Politiker und Medien. Zur Frage „Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“ veröffentlicht die Forschungsgruppe zwei Werte: die politische Stimmung und die sogenannte Projektion. Die politische Stimmung gibt die Antworten auf die Frage oben wieder und ist oft stark von aktuellen Ereignissen geprägt. Vielleicht ärgert sich der Befragte zum Zeitpunkt der Umfrage gerade über die Partei, die er normalerweise wählt, und gibt sie deshalb nicht an…
Ich hätte da direkt mal einen Wunsch @Übermedien bzw. für diese Interview-Serie: Gleiches Thema, gleiche Fragen mit einer Expertin, welche wissenschaftlich unterwegs ist und nicht für oder bei einer Organisation arbeitet, die Wahlumfragen oder Konsumforschung betreibt.
Irgendwie finde ich solche Umfragen und noch mehr die Berichterstattung darüber zunehmend problematisch. Die Parteienlandschaft wird zunehmend diverser, Umfrageteilnehmer möglicherweise schwerer zu rekrutieren. Letzteres zumindest, wenn man tatsächliche Zufalls-Auswahlen machen möchte. Dazu dreht sich die Medienwelt gefühlt immer schneller. Da hätte ich die Vermutung, dass die „Stimmungslage“ der Befragten/der Bevölkerung sich auch häufiger ändert. Vielleicht auch nicht? Hier fände ich Studien interessant, die sich mit solchen oder ähnlichen Sachen beschäftigen.
Dazu kommt noch die vereinfachte – im meinen Augen häufig unterkomplexe und überspitzte – Kommunikation der Ergebnisse. Nicht nur die „Unschärfen“ werden häufig gar nicht oder nur im Kleingedruckten angegeben. Kleine aufstrebende Parteien haben es schwer. Sie sind nicht sichtbar. Oder nur dann, wenn sie schon sehr bekannte Personen als Anführer:innen haben. Auch sonst nehme ich wahr, dass man selbst bei kleinen Änderungen häufig versucht noch eine Überschrift und/oder Grafik zu erzeugen, die mehr Klicks bringt. Neulich gab es dazu ja auch schon einen Beitrag zur Befragung über die Beliebtheit von Politiker:innen.
Es fehlt die Frage zur „Wählerwanderung“ und warum diese ungenau und deshalb problematisch ist. Trotz der 10.000er-Schritte in der Grafik, die schlussendlich eine scheinbare Genauigkeit vortäuschen sollen.
Das ZDF hatte darauf früher noch verzichtet, macht aber mittlerweile leider bei dem Thema auch mit.