Weidermanns Abschiedsmail

„So viel Angst, Misstrauen, Beharrungswillen, Unmut, Kontrollwahn“ beim „Spiegel“

Volker Weidermann in der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett" auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2019
Volker Weidermann in der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“ auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2019. Foto: Steffen Matthes/ZDF

Der Literaturkritiker Volker Weidermann verlässt den „Spiegel“ und wird im Oktober Feuilletonchef der „Zeit“. In dieser Woche hat er beim Nachrichtenmagazin gekündigt – und seine Unzufriedenheit mit dem Arbeitsumfeld dokumentiert. In einer Mail, die er an alle Kolleginnen und Kollegen im Haus geschickt hat, schreibt er über die Gründe für seinen Abschied:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe – einige haben es schon gehört – in dieser Woche gekündigt. Der Schritt ist mir leicht gefallen. Ich habe in diesen sechs Jahren hier im Spiegel oft darüber gestaunt, wie schwer man sich einfache Dinge machen kann. Wie schwer wir uns hier im Hause vieles machen. Wie lang kurze Wege sein können, wie wenig Vertrauen wir in Menschen setzen, die besten Willens sind. Ich habe hier im Haus in den Jahren nur einen sehr kleinen Ausschnitt, einen kleinen Teil des Spiegels kennen gelernt. Meinen kleinen Bereich. Ich habe aber auch in diesem kleinen Bereich so viele großartige Leute kennen gelernt, so viele tolle Journalistinnen und Journalisten, so viele großartige Kolleginnen und Kollegen. Und so viel Angst, Misstrauen, Beharrungswillen, Unmut, Kontrollwahn. Ich bin hier sehr, sehr oft gegen Gummiwände gelaufen, habe unglaublich viel Energie für nichts aufgewendet. Der Spiegel ist so eine große Macht. So ein großes, unglaublich einflussreiches Haus.

Ich bin hier nicht glücklich gewesen. Ich weiß schon, viele sagen: Na, darauf kommt‘s doch nicht an. Ich glaube doch, dass es darauf ankommt. Ich glaube einfach, dass man bessere Arbeit macht, wenn man glücklich ist und stolz, auf das, was man macht. Der Teil des Hauses, in dem ich die letzten sechs Jahre gearbeitet habe, hat es einem damit nicht leicht gemacht. Ich habe aber oft auch einfach gedacht: ich passe hier halt vielleicht einfach nicht her.

Das silbern-glänzende Grundgesetz im Atrium „Sagen, was ist“, Augsteins Gesetz – das ist ganz einfach nicht für mich geschrieben worden. Ich komme eben aus der Literatur. Und da gilt nun mal: Sagen, was nicht ist. Sagen, was sonst noch so sein könnte. Sagen, wie es besser wäre. Sagen, was niemand sonst sich zu sagen traut. Einfach mal was anderes sagen…. Das sind so die Literatur-Gesetze. Ich habe hierfür zu wenig Raum für mich gefunden.

Ich bin da gewiss ein Sonderfall. Und ich wollte ja hier in dieser Mail vor allem Danke sagen. Danke an all Euch wundervollen Leute, die Ihr hier arbeitet – mit so vielen von Euch hat es immer wieder großen Spaß gemacht!

Am 1.10. fange ich als Feuilleton-Chef bei der Zeit an. Mal sehen, ob ich meine privaten Grundgesetze da anwenden kann.

Ich wünsch Euch jede Menge Glück und dem ganzen Haus auch.
Euer
Volker

Weidermann wollte sich auf Nachfrage von Übermedien nicht weiter dazu oder zu seiner Kündigung äußern.

Seine Mail soll im Haus für einigen Wirbel gesorgt haben – nicht nur wegen der seltenen Offenheit, sondern auch, weil er ein offenbar verbreitetes Gefühl anspricht. Trotz aller immer noch einzigartigen Möglichkeiten, die das Nachrichtenmagazin bietet, wird der Apparat immer wieder als erstaunliche Kreativitätsverhinderungsmaschine wahrgenommen.

Weidermann war ebenso wie sein Feuilleton-Kollege Nils Minkmar 2015 von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ abgeworben worden. Minkmar hatte sich vor einigen Monaten schon vom „Spiegel“ verabschiedet und schreibt seit Anfang des Monats für die „Süddeutsche Zeitung“.

Auch zahlreiche andere Mitarbeiter haben in den vergangenen Monaten das Haus verlassen. In der Branchenzeitung „Horizont“ war von einer „Entintellektualisierung“ die Rede. Chefredakteurin Barbara Hans ging – offenbar im Streit mit Chef-Chefredakteur Steffen Klusmann – Ende April.

Offenlegung: Ich habe 2011 bis 2013 für den „Spiegel“ gearbeitet und war vorher gemeinsam mit Weidermann und Minkmar im Feuilleton der FAS.

7 Kommentare

  1. „Der Schritt ist mir leicht gefallen.“

    Beeindruckend, welche Kraft und starke Aussage so ein einfacher Satz haben kann, nur weil er die syntaktische und semantische Negation der ansonsten verwendeten platten Formel ist.

  2. Stimmt. Beim ersten Lesen las ich ein „nicht“, obwohl es gar nicht da steht.

  3. @#1 #2 #3 #4
    Ein echter Stolperstein der Satz.
    Aber die sonstigen Aussagen des Künders sind sehr feuilletonlastig.
    „Sagen, was ist“, nicht, was sein könnte oder sollte, wäre z.B für die „Wissenschaft“ unter Olaf Stampf durchaus eine Rückbesinnung wert. Das Ressort bemüht sich derzeit vor allem, eine sehr schlechte Phase gegen berechtigte Kritik zu verteidigen.
    Nils Minkmar hat also das schnell sinkende Schlachtschiff auch verlassen: Schreibt Kevin Kühnert deshalb jetzt Beiträge unter eigenem Namen?

  4. Da er nichts konkret benennt kann seine Kritik alles sein. Vom aufrechten Statement eines Vollblut-Journalisten der entäuscht ist über journalistische Mutlosigkeit und Verlagsbürokratie bis hin zum beleidgten Querdenker der statt Drosten lieber mehr Wodarg gelesen hätte im letzten Jahr.

  5. Der Pingback von MEEDIA in diese Spiegel-Geschichte mit den „rauchenden Trümmern“ beim Tagesspiegel finde ich übrigens auch richtig urig. Ein Wink mit dem Zaunpfahl?
    Wäre das nicht auch ein schönes Thema für Übermedien?

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