Das gespaltene Verhältnis der AfD zur Wahrheit – und der Medien zur Autorisierung
In Deutschland ist es üblich, dass Zeitungs- und Zeitschrifteninterviews „autorisiert“ werden. Die Gesprächspartner bekommen die Möglichkeit, an ihren Antworten noch einmal zu feilen und zu schrauben, bevor sie veröffentlicht werden.
Was das konkret bei SPD-Chef Sigmar Gabriel bedeutet, hat der Parlamentskorrespondent Nico Fried vor zwei Jahren in der „Süddeutschen Zeitung“ verraten:
Ich habe mal 230 Zeilen Interview an ihn gemailt und 380 Zeilen zurückbekommen.
„Große Änderungen“ nehme Gabriel vor, schrieb Fried und schilderte mitleidig-amüsiert, dass er einmal im Flugzeug zusehen konnte, wie der Politiker eine Dreiviertelstunde lang ein Gespräch mit Kollegen nachbearbeitete.
Im vergangenen Jahr schrieb Fried über das Verfahren der Autorisierung:
Die Politiker können ihre Aussagen präzisieren, streichen, kürzen. Manchmal bleibt vom eigentlichen Gespräch kaum noch etwas übrig. Die Redaktion kann verhandeln, aber die Politiker haben über ihre Antworten das letzte Wort. Im schlimmsten Fall bleibt nur eins: Das ganze Interview wegschmeißen.
Nee, im schlimmsten Fall geht noch was ganz anderes.
In der vergangenen Woche führte die Koblenzer „Rhein-Zeitung“ ein Interview mit einer Politikerin und musste hinterher feststellen, dass die an einer nicht ganz unwesentlichen Stelle nicht mehr gesagt haben wollte, was sie gesagt hatte. Die Redaktion beschloss aber, das Interview dann nicht wegzuschmeißen – sondern den tatsächlichen Wortlaut gegen die Abmachung trotzdem zu veröffentlichen.
Die interviewte Politikerin heißt Frauke Petry, ist Bundessprecherin der AfD, und es ging um die Frage, ob sie dafür sei, die deutsche Grenze notfalls auch mit der Waffe zu sichern. Gesagt hatte sie:
Petry: Das ist geltende Rechtslage.
Rhein-Zeitung: Also notfalls schießen?
Petry: Als Ultima Ratio ist der Einsatz der Waffe zulässig. Das haben wir gerade schon besprochen. Es ist nichts, was sich irgendjemand von uns wünscht. Es müssten alle anderen Maßnahmen davor ausgeschöpft werden.
Nach der Autorisierung blieb von dieser Antwort nur:
Petry: Alle Beamten im Grenzdienst tragen eine große Verantwortung, kennen die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Sie wird wissen, warum sie auf der Änderung bestand: Im „Mannheimer Morgen“ hatte sie sich zuvor wörtlich fast genauso geäußert (und es damals auch so autorisiert), und als es daraufhin lautstarken Widerspruch gab, die Zeitung kritisiert. „Man wollte die Schlagzeile produzieren, dass die AfD auf Flüchtlinge schießen will“, sagte Petry. Das habe aber niemand gesagt. Sie halte das „für journalistisch total inakzeptabel“.
Insofern kann man verstehen, warum die Leute von der „Rhein-Zeitung“ besonders unglücklich über den Änderungswunsch waren, mit dem Frau Petry die ihr plötzlich nicht mehr opportun erscheinende Formulierung nachträglich entschärfte.
Sie veröffentlichten also den tatsächlichen Wortlaut und sogar den Mitschnitt dieser Stelle im Original. Richtig: Die Aufgabe von Journalisten ist es nicht, irgendeine geschönte, strategisch tagesaktuell passende Version einer Politikeräußerung zu veröffentlichen, sondern die Wahrheit.
Eine Frage nur: Warum ist bei Frauke Petry die Strafe für einen solchen Schönungsversuch die Enthüllung dessen, was sie wirklich gesagt hat, und bei anderen Politikern nur, dass das Interview gar nicht erscheint? In den vergangenen Jahren gab es mehrere Fälle, in denen Medien öffentlich machten, dass ihre Gesprächspartner das Mittel der Autorisierung missbrauchten. Aber der Protest sah dabei so aus, nur die Fragen zu veröffentlichen, eine weiße Fläche abzudrucken oder die Antworten zu schwärzen. Das, was der Politiker oder Prominente ungesagt machen wollte, blieb in aller Regel – anders als bei Frauke Petry – geheim.
Der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, Christian Lindner, sagt, Autorisierung bedeute, dass „man ein Interview glättet und strafft“, aber nicht, „dass man den Sinn der Aussage völlig entstellt, wie Frau Petry es getan hat.“ Theoretisch hat er Recht, aber ist das auch die Praxis?
Viele Journalisten erleben in ihrer Arbeit, dass die Autorisierung von Interviews für genau die Art nachträglicher Entschärfung und Entstellung genutzt wird, wie sie Frauke Petry versucht hat.
Bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gab ein Drittel der befragten Journalisten an, dass sie es „häufiger“ erlebt hätten, dass Interviewantworten „vor der Autorisierung stark verändert wurden“; 29 Prozent machten diese Erfahrung „ab und zu“.
Die Erfahrung, dass die Autorisierung dafür genutzt wird, tatsächlich Gesagtes zurückzunehmen, ist alltäglich für viele Journalisten. Nicht alltäglich ist, wie die „Rhein-Zeitung“ damit umging. Sie nannte Petrys Autorisierungswunsch „dreist“ und prangerte ihn auf der Titelseite am Freitag als Beweis dafür an, dass sie ein „gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit“ habe. Chefredakteur Lindner warf ihr in einem Kommentar „Tricksen“ vor, und nicht nur das:
Jetzt aber hat Frauke Petry selbst gezeigt, wie sie die Wahrheit beugt. (…) Sie will vertuschen und unterdrücken, was sie gesagt hat – indem sie diese Passage komplett umschreibt.
Von einem „Täuschungsversuch“ sprach er.
Es liest sich plötzlich gar nicht mehr nach einer lustigen Anekdote wie bei dem Herrn Gabriel, wenn der das, was er gesagt hat, großflächig umarrangiert.
Branchendienste berichteten, dass der Journalistenverband DJV sich hinter die „Rhein-Zeitung“ gestellt habe. Tatsächlich wies der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall in einer Pressemitteilung auf die Leitlinien des Verbandes zur Autorisierung hin, in denen es heißt:
Autorisierungen dienen der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit. Änderungen müssen sich darauf beschränken.
Überall riet deshalb aber den Journalistinnen und Journalisten, im Zweifel auf die Veröffentlichung eines Interviews zu verzichten – vom Veröffentlichen des tatsächlich Gesagten war nicht die Rede. Im vom Verband verlinkten Leitfaden steht, dass Interviewer und Interviewte, ob formal festgehalten oder nicht, einen Vertrag eingingen und der Interviewte auch aufgrund des Urheber- und Persönlichkeitsrechtes in ein Nutzungsrecht seiner im Interview gesagten Worte einwilligen müsse.
Im Streitfall solle die Redaktion „argumentativ“ versuchen, „Einvernehmen mit dem Interviewpartner herzustellen“.
Gelingt dies nicht, sollte sie auf den Abdruck des Interviews verzichten. Sie behält sich vor, dies öffentlich zu machen. Im besonderen Einzelfall kann das öffentliche Informationsinteresse den Abdruck einer zurückgenommenen Aussage rechtfertigen.
Ist das hier ein solch „besonderer Einzelfall“? Weil Frauke Petry nicht noch einmal gesagt haben wollte, was sie kurz zuvor schon in einem Interview gesagt hatte – und andere führende Parteimitglieder auch gesagt hatten? Weil es, wie Lindner der FAZ sagte, eine „tiefe politische Symbolik“ habe, „dass Frau Petry die betreffende Passage völlig verfremdet hat, um die Öffentlichkeit zu manipulieren“? Weil die AfD und ihre Anhänger so gegen die angeblichen Lügen und Vertuschungen der Presse wettern, denen sie vorwerfen, nicht die „ganze Wahrheit“ zu schreiben – in diesem Fall aber die (auch sonst übliche) nachträgliche Glättung der „Wahrheit“ forderten?
Oder ist es vielleicht doch eher so, dass sich die Zeitung entschieden hat, dass es kein großer Verlust ist, Frauke Petry durch den Bruch der Abmachung zu verärgern – anders als etwa wenn man den SPD-Vorsitzenden interviewt oder vielleicht einen Unternehmensvertreter, bei dem man auch auf Dauer noch auf gute Kontakte oder gar Werbeerlöse angewiesen ist?
Die „Rhein-Zeitung“ hat ein starkes Signal gegen die Unsitte gesetzt, Interviews nachträglich wesentlich zu ändern. Wäre schön, wenn das Ausdruck eines veränderten Umgangs der deutschen Printjournalisten mit solchen Schönungsversuchen wäre. Und nicht nur Ausdruck ihres Umgangs mit der AfD.
Ja, volle Zustimmung.
Es darf keine Spezialbehandlung für AfD & Co. sein oder bleiben, dass Medien die nachträgliche Verfremdung oder gar Manipulation von Interviews nicht akzeptieren und geeignet darauf reagieren. Diese Linie muss generell gelten, auch und gerade bei großen Tieren.
Und keine Frage: Wir brauchen eine Branchendebatte zu diesem Thema.
Stimmt schon. Und im Grunde ist es auch eine Art Wettbewerbsverzerrung gegenüber Live-Interviews in Radio oder TV, bei denen eine Autorisierung logischerweise nicht möglich ist. Allerdings kann die »Rhein-Zeitung« nichts für die Unterwürfigkeit anderer Blätter.
Die Aufgabe der Medien ist es die Wahrheit zu finden, indem alle beteiligten Seiten zu Wort kommen und alle Perspektiven zu einem großen ganzen Bild zusammen gesetzt werden. Sachlich, neutral und ohne jede Wertung.
Erst nach der Darstellung eines sachlich neutralen und kompletten Gesamtbildes sollten sowohl Analysen für die Leser folgen (was würde dieser oder jener Weg für mich, meine Familie, mein Umfeld, meine Stadt, mein Land, die Welt bedeuten?) als auch Kommentare von Autoren (als Meinung gekennzeichnet).
Vor diesem Hintergrund sollten (alle!) Politiker damit leben können (müssen), dass ihre Äußerungen in Interviews im Wortlaut übernommen werden. Denn nur das wäre fair und ehrlich.
Nur eine solche Berichterstattug würde den Bürgern/Lesern tatsächlich helfen, sich selbst ein Bild machen zu können.
Doch was in unseren Medien stattfindet ist Stimmungsmache und Meinungsbildung, im Guten wie im Schlechten. Journalisten beugen sich den Interview-Änderungswünschen von Politikern in der Angst, dass sie später nie wieder ein Interview bekommen, wenn sie ihnen nicht nachkommen.
Und damit machen sie sich zum Sprachrohr und zu Wahlkampfhelfern. Und das können wir Leser nicht gebrauchen.
Was ich mich als Radiojournalist frage: Warum gibt es eine solche Autorisierungspraxis bei Radio- und Fernsehinterviews nicht? Da besteht doch sogar noch eher die Gefahr, dass die Interviewpartner sich unglücklich geäußert haben. Dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler wurde das zum Verhängnis, als er 2010 in einem Interview seinen umstrittenen Satz von der Durchsetzung deutscher Interessen mit militärischen Mitteln äußerte. Den hätte er in einem schriftlichen Interview möglicherweise herausstreichen lassen.
Ich teile die Einschätzung, dass Petrys Änderung nicht spektakulär genug war, um die Passage dennoch zu veröffentlichen. Aber warum gelten für Zeitungen andere Regeln als für andere Medien?
Im Unterschied zum Radio wird das gesprochene Wort vom Journalisten verschriftlicht. Da kann es durchaus mal zu Missverständnissen kommen. Deshalb sehe ich die Autorisierung durchaus im gegenseitigen Interesse – wenn die Regel nicht missbraucht wird – auch im Interesse des Lesers. Was nützt ihm „Wahrheit“, wenn sie so nicht gesagt wurde. Bei Frau Petry allerdings ist die Sachlage klar. Ihre Korrektur geht absolut zu weit.
Nur drängt sich gleichzeitig der Eindruck auf, dass die „Rhein-Zeitung“ sich bei Frau Petry stark genug fühlte, ein Exempel zu statuieren. Diese Wirkung ist fatal. Denn die AfD-Anhänger können mit beiden Zitaten blendend leben. Ihre Sicht auf die Medien wird bestärkt. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen – unter diesen Umständen und wie bisher gehandhabt – die „Korrektur“ zu übernehmen, aber redaktionell darauf zu verweisen, dass die Aussage ursprünglich eine andere war. Dann wäre der Ball wieder bei Frau Petry gelandet.
„… und der Interviewte auch aufgrund des Urheber- und Persönlichkeitsrechtes in ein Nutzungsrecht seiner im Interview gesagten Worte einwilligen müsse.“
Das tut der Interviewte m. E. dadurch, dass er dieses Interview gibt. Oder gibt es anderslautende Urteile?
Um den konkreten Fall bez. Gleichbehandlung beurteilen zu können, müsste man wissen, wie die Rhein-Zeitung sonst verfährt.
Wieso sich diese Praxis bei Printmedien so etabliert hat, wüsste ich (s. #4 Stefan Fries) auch gern.
@Sarina: Wenn eine Autorisierung vereinbart ist, willigt der Interviewte aber eben nur unter diesen Voraussetzungen ein.
Ich glaube, dass die Unsitte des Autorisierens hierzulande vom „Spiegel“ stammt. Andernorts läuft’s anders. Die „New York Times“ hat ihren Redakteuren 2012 verboten, Interviews autorisieren zu lassen: http://publiceditor.blogs.nytimes.com/2012/09/20/in-new-policy-the-times-forbids-after-the-fact-quote-approval/?_r=0
Hallo Herr Niggemeier,
ich schätze Sie und Ihre Artikel sehr, bin seit Jahren Leser Ihres Blogs und des Bildblogs sowie ebenfalls enttäuschter Unterstützer des Projekts Krautreporter. Von daher dürfte es Sie nicht überraschen, dass ich auch von Übermedien sehr angetan war.
Da schmerzt es mich umso mehr, wenn ich ihren aktuellen Artikel zur AfD lesen muss.
Nach meinem Verständnis der deutschen Sprache hat Frau Petry ihre Aussage nicht geändert – insbesondere hat sie nicht, wie es die Rhein-Zeitung behauptet, einen Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge gefordert. Im Gegenteil: Sie hat geschrieben, dass das nichts sei, „was sich irgendjemand von uns wünscht“. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie man aufgrund dieser Aussage die Forderung nach einen Schießbefehl unterstellen kann. Ich kann nicht einmal nachvollziehen, wie man hier überhaupt irgendetwas wie eine Forderung erkennen möchte: Die Frau ist allein in dem Glauben, einem Journalisten die Rechtslage zu erläutern. Diese heißt sie nicht einmal gut, sondern gibt an, dass sich deren vermeintliche Folgen niemand wünsche. Der Umstand, dass dies dennoch geschehen ist, wäre etwas, mit dem Sie sich hätten auseinandersetzen sollen.
Frau Petry hatte (ursprünglich) gesagt, dass „als Ultima Ratio […] der Einsatz der Waffe zulässig“ sei und es „müssten alle anderen Maßnahmen davor ausgeschöpft werden“. Dies hat sie in Ihrer Autorisierung durch den Verweis darauf ersetzt, dass bei dem Einsatz von Schusswaffen der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ gelte.
Ich weiß nicht, ob Sie oder die Kollegen bei der Rhein-Zeitung mal auf die Idee gekommen sind, bei rechtlichen Themen jemanden zu Rate zu ziehen, der davon Ahnung hat – auf mich macht es aber nicht den Eindruck, als ob das erfolgt sei. Bereits wenn Sie einfach nach „Schusswaffengebrauch“ und „ultima ratio“ gegoogelt hätten, hätten Sie diese Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit gefunden:
„Allgemeine Grundsätze, die für einen Einsatz von Schusswaffengebrauch insbesondere zu beachten sind:
Schusswaffeneinsatz als ultima ratio: Danach dürfen Schusswaffen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen (Beispiel: kein Schusswaffengebrauch gegen flüchtenden Bankräuber, wenn diesem der Fluchtweg durch die Errichtung von Straßensperren abgeschnitten werden kann).“
Sie schildert (nach meiner Auffassung) demnach nach wie vor das, was sie für die Rechtslage hält – nur juristischen Laien vielleicht weniger verständlich.
Der wesentliche Fehler von Petry ist dabei, dass sie die Rechtslage nicht kennt – Udo Vetter hat das in seinem Blog im Eintrag „Auf Einreisende darf nicht geschossen werden“ gut zusammengefasst:
„§ 11 gestattet es Grenzpolizisten über die normalen Polizeibefugnisse des § 10 (z.B. Verbrechensverhinderung, Ergreifen Flüchtiger), Schußwaffen gegen Personen zu „gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen.“
Das bloße Übertreten der Grenze genügt demnach nicht, damit überhaupt prinzipiell der Einsatz der Schusswaffe zulässig wäre. Und allgemein beginnt die deutsche Staatsgewalt erst auf deutschem Staatsgebiet: Wenn er der Einreisende schon auf deutschem Staatsgebiet ist, ist es zu spät die Einreise zu verhindern. Und solange er nicht da ist, hat es die deutschen Behörden nicht zu interessieren.
Und – was Herr Vetter in einem Nebensatz anspricht – die Einreise durch Flüchtlinge, um einen Asylantrag, ist straflos! Auch ohne Visum!
Nach § 95 AufenthG wird bestraft, wer „entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist“, wobei „Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge […] unberührt bleibt]“. In Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention heiß es:
1. Die vertragschließenden Staaten werden wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen.
Und auch das „Unmittelbar“ ist hier kein Problem: In der juristischen Kommentierung heißt es dazu, dass eine Einreise nur dann nicht mehr unmittelbar ist, wenn der Einreise sich zwischenzeitlich in einem anderen Land niedergelassen hat. Wer also über die Balkanroute von Syrien nach Deutschland kommt reist demnach immer noch unmittelbar im Sinne der Vorschrift ein und kann wegen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht bestraft werden.
Wenn man der Petry eines vorwerfen muss, dann dass sie offenbar die Genfer Flüchtlingskonvention nicht kennt. Aber einen Politiker vorzuwerfen nicht zu wissen, worüber er spricht, ist natürlich weit weniger interessant als ihm die Forderung nach einen Schießbefehl anzudichten.
So etwas, dass aufgezeigt wird, wo sich einzelne Journalisten völlig unnötig in Scheinproblemen verbeißen, wäre etwas, was ich mir für Übermedien gewünscht hätte.
Ich frage mich nur, weshalb die Öffentlichkeit von den führenden Zeitungen sehr lange Zeit durch Unterdrückung wichtiger Tatsachen unzureichend informiert wurde. Man darf nicht so tun, als ob es die Medien mit ihrem Informations-Auftrag so ernst nehmen und ihre Interviewpartner sozusagen hinterher alleinig die Wahrheit neu erfinden wollen. Die Medien biegen sich ihre Wahrheit ebenfalls gewaltig zu Recht.
Und ganz ehrlich : Petrys Aussage war ungeschickt, aber allemal ehrlicher als das Geschwätz von Merkel, Altmaier, Tauber , kauder und co.
Ich vermisse in Eurem Artikel die genaue zeitliche Abfolge, die hier doch offenbar eine Rolle spielte. War es nicht so, dass die Rhein-Zeitung das Interview viel früher führte als der Mannheimer Morgen und es dann liegen blieb? Ich habe gehört, dass der Änderungswunsch von Frau Petry daher rührte, dass ihr Interview im „Mannheimer Morgen“ so heftige Reaktionen hervorrief und dass sie deshalb die entsprechende Passage vermutlich geändert hat. Das scheint mir für einen Politiker keine ungewöhnliche Praxis, dass man zurückrudert, wenn man sich mit Reaktionen konfrontiert sieht, die man vielleicht so nicht erwartet hat. Hätte sie die Passage stehen gelassen, hätte das doch so gewirkt, als bestätige sie die umstrittenen Äußerungen aus dem früheren Interview im „Mannheimer Morgen“ noch einmal.
Dass die Kollegen der Rhein-Zeitung auf diesen PR-Effekt setzten, weil ihr Interview vielleicht zu wenig spektakulär ausfiel, finde ich ein fragwürdiges Vorgehen, dass man sich bei Politikern anderer Parteien vermutlich nicht erlaubt hätte. Es stand ihnen ja frei, es nicht zu veröffentlichen. Aber so…
Ich habe mal einen ganz anderen Aspekt und mal drei Beispiele, in dem eine Autorisierung nicht möglich war und das Gesagte eine Menge Wellen schlug.
1. Das Heiner Geißler Interview im Deutschlandfunk über Stuttgart 21.
2. Sigmar Gabriel im ZDF-Heute-Journal
3. Die freie Mitarbeiterin des WDR-Studios Aachen die im niederländischen Radio ein Interview gegeben hat, dass den Kritikern des ÖR Auftrieb gegeben hat.
Ich möchte auf die drei Beispiele nicht verzichten müssen, weil sie eine Diskussion in Gang gesetzt haben , die fruchtbar war. Liebe Politiker, liebe Journalisten Mut zum Fettnäpfchen. Es kann Bewegung in eine Sache bringen.
@Gemma: Laut FAZ fanden beide Interviews am selben Tag statt, am 29. Januar. In der „Rhein-Zeitung“ erschien es allerdings erst deutlich später. Das passt zu der Interpretation, dass Frau Petry nicht den Eindruck erwecken wollte, sie würde noch einmal die Äußerungen wiederholen, die den Wirbel ausgelöst hatten – obwohl sie sie vor dem Wirbel gemacht hatte.
Und, ja, das lässt das Vorgehen der „Rhein-Zeitung“ in keinem guten Licht erscheinen.
@Nold
Vielen Dank für ihre Erläuterungen.
Dies hätte ich eigentlich auch von den „Qualitäts“-Medien sowie von den Politikern jeder Couleur (falls sie es überhaupt selber wussten) erwartet. Auch bei Talkrunden/Diskussionen wäre dies ein hoch interessantes und lehrreiches Thema.
Die Praxis der Autorisierung von Interviews ist meiner Ansicht nach generell fragwürdig. Aber das ist nicht das Problem dieses Falles.
Beim konkreten Fall sollte man nämlich unbedingt beachten, daß diese Vereinbarung ja auch Gegenseitigkeit beruht und der Interviewte gefälligst zum der von ihm geprüften und freigegebenen Version stehen sollte.
In diesem Fall geht man sogar über den Presserat gegen den selbst abgenickten Text im Mannheimer Morgen vor:
http://meedia.de/2016/02/08/frauke-petry-vs-mannheimer-morgen-schusswaffen-interview-wird-zum-fall-fuer-den-presserat/
Und so ist eine Erklärung für das Verhalten der Rhein-Zeitung, daß man hier dem Mannheimer Morgen, der das autorisierte Interview gedruckt hatte und dem Petry trotzdem allerlei „Pinocchiopresse“-Vorwürfe machte, zur Seite gesprungen ist und es um den Angriff Petrys gegen die Glaubwürdigkeit der Medien geht.
Ein paar Anmerkungen zu den Kommentaren, die meinen, die Änderung der Aussage sei gar nicht so gravierend:
Frauke Petry hat, das ergibt sich aus dem Kontext des Interviews, den Gebrauch der Schusswaffe bei illegalen Grenzübertritten als „letztes Mittel“ für zulässig erklärt. Man tut ihr unrecht, wenn man daraus die Forderung eines Schießbefehls gegen Flüchtlinge ableitet, man darf aber daraus ableiten, dass sie den Einsatz von Waffen gegen Flüchtlinge als letzte Wahl für legitim hält.
Der Vorwurf der Unmenschlichkeit gegen einen Politiker ist hart, kann aber bei entsprechender Rhetorik und plausibler Argumentation umgemünzt werden, und dem Betreffenden sogar zum Vorteil gereichen.
Für den Vorwurf der Inkompetenz gilt das gleiche.
Nun ist es aber so, dass medial schon an verschiedenen Stellen plausibel erklärt wurde, warum der Einsatz von Schusswaffen bei illegalen Grenzübertritten nicht rechtens ist (vgl. § 10 UZWG und Kommentar Nr.9).
Damit ist die Originalaussage schlicht Blödsinn, aus dem sich dann neben dem Nachweis der Inkompetenz auch ein berechtigter Vorwurf der Unmenschlichkeit ableiten lässt, denn wenn man exponiert ist und das freiwillig, dann sollte man vorher mal nachlesen, bevor man über Schusswaffengebrauch als letztes Mittel fabuliert.
Die geänderte Antwort ist letztlich korrekt, bleibt in der eigentlichen Aussage nebulös, lässt aber nicht den Vorwurf zu, der Interviewte wisse nicht, wovon er rede bzw. hätte Bockmist geredet.
Deswegen kann ich beim besten Willen nicht erkennen, dass Frauke Petry ihre eigentliche Aussage „eigentlich nicht“ geändert hat.
Was die Rhein-Zeitung hier gemacht hat würde man im Fußball „ein Foul“ nennen. Wenn sie in gleichem Maß auch Politiker anderer Parteien öffentlich mit geänderten Aussagen bloßstellt wäre das noch in Ordnung, allerdings würde die Rhein Zeitung dann bald keine Interviewpartner mehr bekommen. Nur der AfD gegenüber, sozusagen im Maintream medialer Ablehnung, sich so zu verhalten ist billig und zeigt wenig journalistischen Ethos. So gesehen sagt das auch viel über die Rhein-Zeitung aus!
Ich hoffe ja immer noch, dass von der ganzen AfD/GIDA und dem „Lügenpresse“ Vorwurf, nur eine gestärkte Branche mit eindeutigeren Leitlinien übrig bleibt.
Dass sich der Vorwuf quasi dadurch entkräftet, sachorientiert und branchenumfassend über allzu lang feststehende Gesetzmäßigkeiten ergebnisoffen und ohne Eittelkeiten zu debattieren und alternative Lösungen zu finden.
Ansatzpunkte wären sicher der digitale Wandel und die Monetarisierung von Journalismus im Web, Freigabekultur, Lobbyarbeit der Verlage (denn ohne Transparenz kanm na den Intranzparenz-Vorwurf nicht entkräften), Offenlegung der Redaktionsstukturen, Offenlegung der persönlichen Vernetzung von Journalisten (Lobbygruppen, etc.), der ö-r Rundfunk und alternative Finanzierungsmodelle um den Vorwurf der „Staatspresse“ zu entkräften, etc.
Die AfD gibt dem Journalismus die Chance, sich neu zu formieren und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Jetzt noch den Dogmatismus über Bord werfen!
Also, über die Praxis der Authorisierung kann man geteilter Meinung sein. Aus meiner Erfahrung als Pressesprecher ist sie ein Vorteil, weil oft über eine Frage länger gesprochen wird, und der Journalist u.U. eine länger in einen Gesamtzusammenhang eingebette Erklärung in wenige Zeilen komprimieren muss. Das ist aber zwingend eine Verkürzung, die durchaus (ohne bösen Willen) sinnentstellend sein kann. Aber egal, denn das ist nicht das Thema. So sind die Spielregeln bei uns nun einmal. Deswegen tue ich bei aller Distanz zu Frau Petry auch schwer damit, wenn eine Zeitung die Spielregeln ändert. Angemessen wäre die Reaktion der sonst sehr geschätzten RZ gewesen, wenn Frau Petry der Zeitung vorgeworfen hätte, die Aussagen verfälscht zu haben. Dann wäre es ok, aufzuzeigen, dass jede Zeile so authorisiert war. So aber hat das den schalen Beigeschmack, dass die RZ den Comment dann bricht, wenn es ihr gefällt, und wenn sie glaubt, dafür Beifall zu bekommen. Das aber ist, sorry: Journalistisch unprofessionell.
Man sollte Interviews im Radio hören. Die sind – insbesondere live – echt und nicht bearbeitet. Dass sich Zeitungen das so angewöhnt haben, spricht eher dafür, Zeitungsinterviews nicht ernst zu nehmen. Marktlücke also für Print: „Dieses Interview haben wir genau so geführt. Das Audio dazu können Sie nachhören.“ Wie wär’s?
Ich sehe das wie #15. Sascha Rheker: die Rhein-Zeitung wies nach, dass Petry nicht vom Mannheimer Morgen hereingelegt wurde, sondern ihre These sogar zweimal verzapfte. Dass die Rhein-Zeitung offenkundig zunächst das wunschgemäß redigierte Interview veröffentlichte und später nachtrat, wirft allerdings kein gutes Licht auf das Blatt.
Der in #20. empfohlene Glaube an das Radiointerview wurde leider bereits demaskiert – s. Tutzinger Appell.
@Bernd Oehler: Die Rhein-Zeitung hat nicht zuerst das autorisierte Interview veröffentlicht und dann die Änderungswünsche, sondern alles gleichzeitig.
Nochmal als Hinweis an alle, die von einem Foul oder einer Regelverletzung sprechen.
Die Rhein-Zeitung hat die Absprache mit Frau Petry erst verletzt nachdem Frau Petry, indem sie dem Mannheimer Morgen, wegen des, 1:1 wie von Ihr selbst autorisiert gedruckten, Interviews Manipulation vorgeworfen hat.
Einen Text zu autorisieren und nachher dem anderen Manipulation vorzuwerfen, gerade wenn man „Lügenpresse“ und „Pinocchiopresse“ rufend durch’s Land zieht, das ist auch eine Regelverletzung. Und in diesem Fall die erste Regelverletzung.
Hätte die Rhein-Zeitung in dieser Situation das Petry-Interview mit der ursprünglich gleichlautenden, hier aber in der Autorisation geänderten Antwort gedruckt, dann hatte man damit zum einen Munition für die Behauptung der Mannheimer Morgen habe sein Interview manipuliert geliefert.
Zum anderen hat die Rhein-Zeitung auch eine Verpflichtung ihren Lesern gegenüber. Denn da muß man sich dann ja auch die Frage stellen, ob der Abdruck des autorisierten Interviews, das im Widerspruch zur Version die für den Mannheimer Morgen autorisiert wurde steht, der Information oder der Desinformation des Lesers dient.
Wenn ihr Euch das ganze Interview durchlest, dann ist klar, dass die Journalisten Petry in diese Richtung gedrängt haben. Es ist einfach mieser Journalismus. Noch mieserer Journalismus das so zu verkürzen. Und ich bin kein AfD Sympathisant. Medien sollten fair sein mit Leuten wie Petry.
Bei Merkel bleibt nach der Autorisierung kein Wort stehen.
Messen wir die Leute nicht mit verschiedenen Maßstäben, bleiben wir fair und unvoreingenommen.
@Chris: Wer oder was hat denn Petry daran gehindert, klipp und klar zu sagen, dass Sie gegen jeglichen Schusswaffengebrauch an der Grenze ist? (Wegen DDR 2.0 und so, Sie erinnern sich?)
Zu Ihrer hübschen Forderung, »Medien sollten fair sein mit Leuten wie Petry«: Öh, nur mit Leuten »wie Petry«? Und wie sind Leute, die »wie Petry« sind? Und gilt das auch vice versa?
Oh weh, ein Rechtschreibfehler …