Bahnhofskiosk

Wer bin ich, wenn nicht Steve McQueen?

Es ist Montagabend und ich sitze zufällig in einem Hotelzimmer in Berlin, nicht so weit weg von der Stelle, wo ein Lastwagen vor ein paar Stunden in einen Weihnachtsmarkt gefahren ist und dabei mindestens neun* Menschen getötet und eine Vielzahl weiterer verletzt hat. Es kommt mir einigermaßen absurd vor, über ein Magazin zu schreiben. In diesem Moment steht der Hintergrund des, wie soll ich es nennen, „Vorfall am Weihnachtsmarkt“ (Zitat Facebook) nicht fest, aber wahrscheinlich gibt es angesichts möglichen Terrors in Wahrheit nicht viel Vernünftigeres, als sich nicht beirren zu lassen. Das ist das eine: Keep calm and carry on – und es geht im Moment gar nicht viel calmer als das neue Männer-Lifestyle-Magazin „Wolf“ zu lesen.

„Wolf“ kommt aus der Redaktion von „Flow“, und wem der Witz noch nicht aufgefallen ist: Der eine Name ist der jeweils andere rückwärts gelesen, was ein Hamburger Jung wie ich, der mit der Band Slime aufgewachsen ist, die auch mal als Emils aufgetreten sind, schon irgendwie lustig findet. Es soll das Männermagazin sein, von dem ich seit mindestens 15 Jahre immer wieder reden höre: Ein ehrliches, das nicht auf diese vorkriegsmännlichen Klischees abfährt oder, Zitat aus dem Editorial, tut, „als ob wir alle Steve McQueen wären“.

Es soll um das echte Leben von Männern gehen, „in dem wir vieles sein sollen und wollen: Väter, die um 16 Uhr an der Kita stehen, ein Mann mit echten Freunden, der zu sagen schafft, wie es ihm wirklich geht, ohne vorher eine halbe Kiste Bier trinken zu müssen“. Abgesehen von dem komischen Plural „Väter“, der dann plötzlich „ein Mann“ wird: Da ist immanent eine Aufgabe formuliert, nämlich die Grundsatzentscheidung, ob „Wolf“ ein Magazin für diese Männer ist oder über diese Männer. Das ist eine Grundsatzentscheidung, die fast überall, wo es in Magazinen um Lebensentwürfe geht, um den so genannten Lifestyle, halbherzig getroffen wird.

Um zu erklären, was ich meine: „Independence Day“ sieht aus wie ein Film über eine Alieninvasion auf der Erde. Tatsächlich ist es eine Geschichte über Väter: Will Smith und der Sohn seiner Freundin, Jeff Goldblum und sein Vater, der Präsident und seine Tochter und natürlich der Alkoholiker-Versager-Pilot, der seinen Sohn endlich wieder stolz macht, als er sein Leben zur Rettung der Menschheit opfert. Die Aliens sind nur das sehr unterhaltende Vehikel, auf dem diese Geschichte transportiert wird. Gerade weil diese Geschichte zwar eine über Väter ist, das Vatersein aber nicht ihr offensichtliches Thema ist – die Alieninvasion kommt dazwischen –, ist „Independence Day“ auch ein Film für Väter. Das ist die Magie des Geschichtenerzählens: Wir lernen Dinge, indem wir sie erleben. Sie erlauben uns, zu überprüfen, welche Art Mensch wir sind, während wir das Gefühl haben, wir würden nur unterhalten.

„Wolf“ will ein Magazin sein für Männer, die in einer sich immer schneller drehenden Welt den Weg suchen, zwischen all den Anforderungen sie selbst zu sein. Der Appeal dieses, wie gesagt, seit vielen Jahren im Raum wabernden Konzeptes eines „ehrlichen“ Männerheftes ist ja, dass es auf die Frage „Was für ein Mann möchte ich sein“ Antworten geben müsste, die so komplex sind, wie Männer es eben auch sind. Der Anspruch ist immens.

Den ersten Eindruck des Heftes bestimmen ein zauberhaftes Cover mit einem der schönsten Modelle der jüngeren Geschichte, einem VW Bulli vom Typ 2, und eine schwelgerisch reiche Ausstattung an unterschiedlichen großartigen Papierarten, die hier zu einem sehr edlen Heft zusammengefügt sind. Im Heft finden sich neben dem offenen, rauen Grundpapier hochglänzende Fotoseiten, Einleger mit Quartettkarten und Postkarten, und eine eingeheftete Kurzgeschichte in einem kleinen Extraheft. Das ist stark.

Mir gefällt auch das Layout, das unaufgeregt und edel ist, aber gleichzeitig verspielt genug, um nicht langweilig zu werden. Die Fotos, die Illustrationen, die Farben, die Typografie, das alles ergibt ein warmes, entspanntes und dabei für mein Gefühl eindeutig männliches Gesamtbild – was nicht zuletzt auch daran liegen kann, dass Frauen im Heft praktisch nicht abgebildet sind. Mir jedenfalls gefällt’s.

Womit wir zu der Frage kommen: Aber was steht drin in dem Ding? Worum geht’s? Worüber schreibt man, wenn man ein ehrliches, Zitat, „no bullshit“ Männermagazin macht?

Trotz der Ablehnung des unter Männermagazinmännern verbreiteten Steve-McQueen-Kults sind die hochglänzenden Fotoseiten des Heftes Männern gewidmet, die mit großem Bild und kleinem Text als Ikonen geehrt werden: David Bowie, Sean Penn, Ryan Gosling. Beim Blättern hätte ich noch gewettet, dass die Redaktion im Verlauf auch solche Männer abbilden würde, deren Charisma intellektueller wäre, Schriftsteller vielleicht oder einen Maler oder Wissenschaftler, jedenfalls einen mit einem weniger bekannten Gesicht. Die Wette hätte ich verloren. Es folgt noch der junge** Paul Newman. So ganz anders als Steve McQueen ist das nicht.

Die Geschichten in „Wolf“ handeln davon, wie schwierig und gleichzeitig wichtig es ist, den Kontakt zu den wirklichen, alten Freunden nicht zu verlieren. Es gibt ein Gespräch und eine Geschichte darüber, wie befreiend es ist, nicht zu viel zu besitzen. Es gibt eine poetische Strecke über die Freiheit, einfach loszufahren und zu tun, wofür man immer zu wenig Zeit hat. Über das Lernen von Achtsamkeit, über Meditation und über einen Mann, der hoch in den Bergen Wanderwege baut, meist mit der Hand, 15 Meter am Tag, immer offline.

Das ist, gemessen an dem, was ich vorhin als Maßstab deklariert habe, meist nur der halbe Weg. In weiten Teilen ist „Wolf“ ein Heft über das, was wir von uns selbst erwarten, und keines, in dem diese ehrliche neue Männlichkeit so selbstverständlich Teil der DNA ist, dass praktisch jede Geschichte sie atmet, egal wovon sie handelt. Wenn „Wolf“ ein Magazin über den modernen Mann ist, dann heißt das im Umkehrschluss eigentlich: Der moderne Mann weiß gerade selbst nicht so genau, was er eigentlich ist. In der beginnenden Post-Hipster-Ära gibt es keine klaren Regeln mehr, was ein Mann zu sein hat.

Das für mich Erstaunliche ist, dass ich beim Betrachten dieses diffusen, unbestimmt wirkenden Bildes von dem, was heute ein Mann sein soll, gar nicht so sehr an dem Heft gezweifelt habe wie an meinem Maßstab. Vielleicht ist es diese Berliner Nacht, die das macht, weil es so gut passt zu dem, was an Bild in mir wächst über den Kampf, den wir gerade erleben. Das ist jetzt sehr persönlich meine Meinung, und ich will sie nicht einmal zur Diskussion stellen, sondern wirklich nur meine ganz persönliche Wahrnehmung darstellen, das soll niemand anderen überzeugen. Also, was soll’s: Ich glaube, wir erleben gerade den gesellschaftlichen Kontrollverlust des Mannes. Männer erleben, dass sie die äußere Welt nicht mehr einfach gestalten können – sie bestellen kein Land mehr, formen kein Material mehr, nicht einmal die Frauen gehorchen ihnen noch –, und sie reagieren darauf extrem unterschiedlich.

Ich halte es für Fortschritt und eine Errungenschaft der Aufklärung, wenn wir einsehen, dass wir nur uns selbst formen und kontrollieren können. Das Gegenmodell ist, sich die äußere Welt mit den Mitteln der Verzweiflung zu unterwerfen: Wir erleben einen amerikanischen Präsidenten, der sich Frauen aufdrängt und sich Unterstützung durch Lügen und den Appell an niederste Instinkte sichert. Wir erleben Männer, die Allmachtsfantasien ausleben, indem sie wehrlose Frauen U-Bahn-Treppen hinunter treten. Und wenn mich nicht alles täuscht, haben wir gerade erlebt, dass ein Mann als zentrale Tat seines Lebens einer höheren Ordnung zu dienen glaubte, indem er friedliche Menschen unter Tonnen von Stahl zerquetschte.

Diese Männer übernehmen zumindest für den Augenblick die Kontrolle über die äußere Welt, indem sie alle Kontrolle über sich selbst verlieren. Was für ein Mann soll das sein, der einen Weihnachtsmarkt angreift? In welcher Definition von Mann soll das vorkommen? Aber es kommt vor, in der realen Welt, unter realen Männern***. Was für armselige, gedemütigte Kreaturen müssen das sein?

Ich lade das hier alles gerade wahrscheinlich künstlich auf, ich hoffe, man kann mir das an diesem Tag nachsehen. Was ich sagen will, ist nur: In den weiten Teilen, in denen „Wolf“ das versprochen ehrliche Heft ist, ist es das nicht trotz sondern wegen seiner stellenweisen Vagheit. Ich lese es als den Versuch, den Weg zur Antwort auf die Frage zu genießen, was für ein Mann ich sein will – selbst wenn ich von der Antwort noch sehr weit entfernt bin. Sie steht auch in diesem Heft nicht. Und das wäre ehrlich auch gar nicht anders möglich.

Ich werde nachher zumindest mal kurz auf einen dieser von mir ansonsten zutiefst gehassten Weihnachtsmärkte gehen und einen fucking ekelhaften Glühwein trinken. Denn möglicherweise hat jeder Idiot da draußen es potenziell in der Hand zu bestimmen, wann und wie ich sterbe. Aber was davor kommt, bestimme immer noch ich.

Wolf
G+J Food & Living GmbH & Co. KG
8,50 Euro

*) Inzwischen sind es mindestens zwölf

**) Okay, auf dem Bild ist er 42, was vielleicht nicht im Wortsinn jung ist, aber das absolut perfekte Alter. Besser als 42 geht einfach nicht.

***) Und für mich ganz persönlich, wieder ohne Anspruch darauf, dass es irgendjemand anders so sieht, ist Terror eine sehr, sehr männlich geprägte Angelegenheit

9 Kommentare

  1. Ich hab‘ die Identitätsfrage nie richtig gehabt, weil mir „Mann“ sein sehr unwichtig ist, aber auch Vorbilder leicht zu finden waren. Naheliegende Wahl: Jean-Luc Picard. Aber auch (und klar, ist komisch das hier zu sagen, ist aber eben so) der Niggi, der mir seit ich 15 bin ein Vorbild ist.

    Und was ist mit Ron Swanson? Wenn der das weithin akzeptierte Bild eines modernisierten „klassischen Mannes“ wäre, hätte ich kein Problem damit.

  2. wie sehr ich es hasse, wenn Steve McQueen missbraucht wird :-)

    Mann ist ein Mann. Wenn man ein Magazin dafür braucht, dann stimmt mit Mann etwas nicht. Da kann man gerne mal Steve McQueen fragen – im Jenseits

  3. Es hat nur am Rande (allerdings einem interessanten Rande) damit zu tun.
    Aber ich hab mal – liegt länger zurück – einen Satz gelesen und präsentiere ihn hiermit
    A. Der Behauptung, dass dieser Satz extrem viel erklärt ( von Landlust bis YouTube)
    Und
    B. Der inständigen Bitte, jemand möge den Verfasser eruieren.
    (ich meine der stammt von so Politikberater, vor hundert Jahren in Talkshows gewesen, Nadelstreifen, dicklich… Kock oder so? Wäre für Antwort sehr dankbar.)

    Satz :

    „Authentizität ist eine Form der Inszenierung, auf die wir mit der Zubilligung von Vertrauen reagieren“

  4. Es hat ja was Entspannendes, immer erst dann zu kommentieren, wenn niemand mehr da ist.
    Interessante, bizarrerweise nicht irgendwie direkt wertend gemeinte Beobachtung: Es ist dir zum ersten Mal in dieser Reihe nicht gelungen (Oder sollte ich sagen: passiert, oder so? Ich hab immer den Eindruck, dass es deine Absicht ist, aber eigentlich weiß ich das gar nicht.), in mir Interesse daran wecken, das Produkt zu lesen. Wird sicher teilweise an meiner sehr starken Abneigung gegen geschlechtsspezifische Produkte liegen, aber ich glaube nicht mal, dass das alles ist.
    Es hat auch damit zu tun, dass ich (zugegeben, meine Geduld ist eh nicht so ausgeprägt) inzwischen schon einen Würgereiz bekomme, wenn jemand mir schon wieder zu erklären versucht, wie befreiend es ist, nichts zu besitzen, und Achtsamkeit und Meditation und blah.
    Und, natürlich auch nicht ohne Zusammenhang, aber eigentlich als eigenständige, vor allem inhaltlich gemeinte These: Wenn es schwierig ist, den Kontakt zu jemandem nicht zu verlieren, halte ich es für irreführend, diese Person als „wirklichen […] Freund“ zu bezeichnen. Aber das hat vielleicht auch mit meiner mangelnden Geduld zu tun. Ich sehs aber jedenfalls so.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.