Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Claus Strunz ist erst seit drei Wochen Chefredakteur und Interims-Geschäftsführer von Euronews, aber er scheint bereits größere Teile der Belegschaft gegen sich aufgebracht zu haben. In einem Brief an Strunz äußern Mitarbeiter aus den Newsrooms des pan-europäischen Nachrichtensenders in Brüssel und Lyon ihre „wachsende Besorgnis“ über seine Entscheidungen. Die Gewerkschaftsvertreter der Belegschaft mit Sitz in Lyon werfen Strunz vor, „gegen die Grundsätze der Neutralität und Unparteilichkeit“ zu verstoßen, „die für Euronews seit mehr als 30 Jahren von wesentlicher Bedeutung sind“. Er bedrohe die Integrität und das Ansehen des Senders und seiner Journalisten sowie seine Finanzierung.
Les élus du CSE d'Euronews ont voté ce vendredi 8 novembre une motion pour dénoncer les "prises de position partisanes et non sourcées" de leur nouveau directeur éditorial Claus Strunz, qui va jusqu'à exiger que ses tweets soient relayés par le compte officiel @euronews
😵😡 pic.twitter.com/GMUsh9zFqw— SNJ – premier syndicat de journalistes (@SNJ_national) November 9, 2024
Schon die Ernennung von Strunz war in den Redaktionen wegen vieler sehr meinungsstarker Äußerungen in den Sozialen Medien offenbar auf Unbehagen gestoßen. In einem ersten Treffen Mitte Oktober soll Strunz aber versichert haben, dass er sich in Zukunft zurückhaltender äußern und die Neutralität von Euronews gewährleisten werde. Darüber berichtete auch „Politico“.
Entgegen dieser Zusagen nannte er am 7. November aber nicht nur die deutsche Regierung auf X (ehemals Twitter) die „schlechteste in der Geschichte der Bundesrepublik“, sondern sorgte auch dafür, dass der Post vom offiziellen Euronews-Account geteilt wurde. Laut des Protestbriefes der Redaktion setzte er sich dabei über die Bedenken des Social-Media-Teams hinweg. Die Mitarbeiter werfen ihm vor, gegen die Trennung von Nachricht und Meinung verstoßen zu haben.
Es ist nur einer von mehreren Vorfällen, die alle darauf hindeuten, dass es Strunz wichtiger zu sein scheint, Euronews als Plattform zu nutzen, um seine eigenen politischen Ansichten zu teilen, als auch nur den Anschein von Neutralität zu wahren. Strunz hat auf eine Anfrage von Übermedien nicht reagiert.
Auf den Wahlsieg Trumps soll Strunz in der Redaktion nach Angaben von Beobachtern mit Champagner angestoßen haben. Euronews verbreitete das Glückwunschvideo des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán an Trump auf seinem Instagram-Account – als einziges und ohne jeden Kommentar.
Verstört hat die Redaktionen laut Protestbrief auch, dass Strunz dafür sorgte, dass sich Euronews nicht an die zuvor getroffene Absprache gehalten habe, sich beim Ausrufen eines Wahlsiegers an den allgemein anerkannten Zählungen der Nachrichtenagentur AP zu orientieren. Stattdessen habe Euronews auf Strunz‘ Betreiben hin Trump schon Stunden vorher zum Wahlsieger erklärt, nachdem der Trump-nahe Nachrichtensender Fox News damit vorpreschte. Strunz postete auf X, Trumps Sieg zeige, dass Wahlen „trotz des dominanten Einflusses der linksliberalen, ‚woken‘ Medien“ gewonnen werden können.
Ein Euronews-Mitarbeiter berichtet im Gespräch mit Übermedien von mehreren Interventionen von Strunz in die Berichterstattung, vor allem im Sinne Trumps, aber auch bei der Berichterstattung über die Ausschreitungen in der vergangenen Woche in Amsterdam, bei denen israelische Fans attackiert wurden. „Er folgt nicht den professionellen Abläufen, sondern zwingt Mitarbeiter, ihm bei seinen Eingriffen zu helfen. Ihm fehlt jeder Respekt für die Menschen, die hier arbeiten.“ Er sei dadurch intern ein „zerstörerischer Faktor“: Mitarbeiter seien verängstigt, was ihnen drohe, wenn sie ihm bei seinen politisch motivierten Eingriffen in die Quere kämen.
Euronews war 1993 als pan-europäischer Nachrichtensender von mehreren öffentlich-rechtlichen Anstalten (aber nicht ARD und ZDF) gegründet worden. Inzwischen gehört er einem portugiesischen Investmentfonds, dessen Besitzer Pedro Vargas David persönliche und finanzielle Verbindungen zu engen Vertrauten von Viktor Orbán hat. Euronews erhält Subventionen von der Europäischen Kommission: Bis Mitte dieses Jahres waren es über 20 Millionen Euro jährlich; aktuell sind es noch 11 Millionen Euro. Über die zukünftigen Zuschüsse wird verhandelt.
In der Redaktionscharta von Euronews heißt es, dass seine Journalisten darauf achten müssen, alles zu vermeiden, was Zweifel an der Unparteilichkeit des Unternehmens und seiner Unabhängigkeit von Interessensgruppen und ideologischen und politischen Gruppen wecken kann. Die Redaktionen in Lyon und Brüssel haben Strunz zu einem Townhall-Meeting aufgefordert, um über ihre Bedenken zu diskutieren. Die Gewerkschaft in Lyon stellt einen „ethischen Verstoß“ fest und fordert, dass der Verwaltungsrat von Euronews die Situation untersucht.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Herr Strunz verhindert sicher nur, dass alle Sorten von „low-t people“ der Demokratie schaden.
https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/sep/07/elon-musk-women-testosterone
Es wird immer gefährlicher für unabhängige Medien. Wenn die Glaubwürdigkeit erst einmal angekratzt ist, wird es schwer die Wahrheit zu palcieren, sie könnte immer eine Lüge sein.
Darauf zielen Leute wie Orban, Putin und auch Trump ab.
Es ist eigentlich paradox, dass es in Europa Leute gibt, die Trump einerseits für einen guten Politiker halten und andererseits seine Wiederwahl begrüssen. Zumindest aus einer Perspektive von ausserhalb der USA schliesst sich beides aus. Schliesslich hat Trump immer wieder deutlich gemacht, dass er America first möchte und den Rest der Welt (bestenfalls) als Wettbewerber sieht. Jeder gegen jeden, der Stärkste setzt sich durch. Wer hierzulande diese Ansicht teilt, hat keinen Grund zur Freude, wenn in den USA ein politisches Genie an die Macht kommt, das deren Interessen nun besser zu vertreten in der Lage ist. Aus reinem Eigennutz sollten wir uns doch freuen, dass wir bisher so preisgünstig beschützt worden sind und unsere Waren in den USA gut verticken konnten. Und nach Auffassung der Trump-Fans wäre das doch mit Harris so weitergegangen, somit wäre ihre Wahl für uns doch besser gewesen.
@Max Strammer
Die USA hat seit dem 20. Jahrhundert die Rolle der beherrschenden globalen Weltmacht gespielt. Genau deshalb haben sie die NATO dominiert, auch auf der Ausgabenseite. Damit haben sie u.a. sichergestellt, dass die wichtigsten Waren auf dem globalen Markt in Dollar gehandelt wurden und noch werden. Das ist eine de facto Lizenz zum Gelddrucken. Kapitaleigner auf dem ganzen Globus sicherten ihre Vermögen u.a. mit Investitionen in den Dollar.
Die Kriege der Vergangenheit unter Beteiligung von NATO Mitgliedern waren idR Kriege für vitale Interessen der USA.
Nun kommt es zum echten Bündnisfall und Trump entdeckt, dass Europa das selber finanzieren sollte.
„America first“ , „UK first“ was auch immer first … das Resultat wird am Ende sein, dass alle schlechtere Geschäfte machen. Derjenige, der damit anfängt, verdient eine Zeit lang gut, weil er sich egoistisch durchsetzt, der nächste macht dasselbe, im Resultat schon weniger für beide, und mit jedem weiteren Staat wird der Handel immer schlechter für alle.
Also ohne die Rolle als Weltmacht ist auch die Herrschaft des Dollars mittelfristig obsolet.
Das Problem ist in erster Linie nur, wen diese Deppen alles mit ins Elend reissen, mit ihrem vorsinflutlichen Chauvinismus und der Verleugnung der Bedrohung des Klimawandels.