Hasswort (48)

Gratismut

Exklusiv für Übonnenten

Die Regenbogenfahne wurde in den 1970er Jahren zum Symbol für die Lesben- und Schwulenbewegung. Sie steht für Vielfalt, Stolz und Toleranz. Aber für einige ist sie in den vergangenen Jahren auch zu einem Symbol für etwas ganz anderes geworden: für „Gratismut“.

Wann immer Organisationen, Unternehmen oder Prominente das Regenbogensymbol zeigen, müssen sie sich vorwerfen lassen, dass das nur eine leere Geste sei. Eine öffentliche Demonstration, auf der richtigen Seite zu stehen, zu den Guten zu gehören, eine beifallheischende Anbiederung in einer Umgebung, in der die Akzeptanz von LGBT eh längst zum guten Ton gehört.

Der Begriff „Gratismut“ kritisiert genau das: dass jemand so tut, als würde er oder sie in einer kontroversen Frage Haltung bekennen und dabei etwas riskieren, dabei aber nur eine billige moralische Pose einnimmt.

Am ehesten hat der Begriff seine Berechtigung bei offensichtlichen doppelten Standards. Wenn globale Unternehmen etwa im Pride-Monat ihre Logos in den sozialen Medien in den westlichen Ländern symbolisch in Regenbogenfarben leuchten lassen – und in konservativen oder islamischen Regionen der Welt davon Abstand nehmen. Wenn das Bekenntnis zu Toleranz und sexueller Vielfalt also dort endet, wo es mit tatsächlichen Problemen oder Nachteilen verbunden sein könnte.

„Versucht das mal im Islam!“

Es ist richtig, das zu kritisieren, aber die Art, wie das passiert, erweckt bei mir häufig den Eindruck, dass die Kritiker den fehlenden Mut nur als Vorwand nutzen, um ein Bekenntnis angreifen zu können, das sie ohnehin ablehnen. Sie rufen Unternehmen zu: „Versucht erst mal in islamischen Ländern, euch für die Rechte von Schwulen und Lesben einzusetzen“, weil es sie ärgert, dass sie sich hierzulande für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen.

„Versucht das mal im Islam“ ist ein klassischer Move der „Gratismut“-Rufer. Als der „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt glaubte, dass bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris das letzte Abendmahl von Jesus Christus durch Drag Queens nachgestellt wurde, twitterte er:

„wirklich aufregend wäre gewesen den propheten mohammed hier mal heiter zu verhöhnen. aber im elfenbeinturm wird nur gratismut serviert, kein wirklicher mut.“

Er hatte, wie viele andere Beobachter vor allem aus rechten Kreisen, die Szene missverstanden, die nicht das Abendmahl verhöhnte, sondern offenkundig eine Feier mit Bacchus zeigte, dem Gott der Gelage. Aber Poschardts scheinbare Forderung, bei einer solchen Eröffnungsfeier etwas wirklich Aufregendes, etwas wirklich Mutiges zu tun, ist nur ein rhetorischer Trick. In Wahrheit ärgert …

3 Kommentare

  1. Ich hatte eine unterhaltsame Polemik erwartet. Und bekam einen tiefsinnigen, nachdenklich stimmenden Text mit überraschendem Ausflug zu Enzensberger. Vielen Dank für diesen großartigen Artikel!

  2. Dabei sind regelmäßig beide Bestandteile des Wortes falsch. Zum einen die Behauptung, dass es überhaupt darum geht, als „mutig“ dazustehen oder wahrgenommen zu werden. Es ist die Unterstellung einer Motivation, die gar nicht vorhanden sein muss.

    Ich glaube nicht, dass die Motivation Mut unterstellt wird. Die überangepassten Feiglinge sind nicht mutig.
    Die Feststellung des Gratismuts bezieht sich auf die Selbstdarstellung der sich selbst als couragiert gebenden Gratismutigen.

    Das erste Mal ist mir diese Verlogenheit vor 15 (oder so) Jahren aufgefallen, als sich alle Fernseh- und Rundfunksender, alle Zeitungen und Zeitschriften, alle A-, B- und C-Promis aus Politik und Showbusiness dem islamophoben Mainstream in den Weg gestellt haben. Hallo?

    Heute kämpft dieselbe Meute gegen Homo-, Trans- und wasweisichnochso-Phobien.
    Couragiert selbstverständlich. Aber nicht mutig?

  3. Das ist ein guter, einleuchtender Artikel.
    Ich finde „Gratismut“ immer dann einen treffenden Begriff, wenn Menschen in der großartigen Meinungsfreiheit hier anderen Menschen moralisch aufgeladen erklären, dass sie sich jetzt in den sozialen Medien öffentlich sofort von zB Putin oder Kopftuch oder Antisemitismus distanzieren müssen, einfach weil sie aus Russland oder islamischen Ländern kommen. Oder auch für Menschen hier, die ganz ergriffen davon sind, dass sie risikolos irgendeine Resolution unterschrieben haben und sich dabei mutig und edel fühlen. Es sind so viele Sach- und Meinungsfragen jetzt moralisch von einigen aufgeladen, dafür mochte ich das Wort ganz gerne.
    Aber es ist klug wie das im Artikel dargestellt ist. Scheint dann in der gleichen Weise verräterisch, wie Leute, die ungefragt immer wieder erklären, dass sie es natürlich total ok finden, dass jemand zB queer, trans oder homosexuell ist, aber sie das halt so überhaupt gar nicht interessiert. Oder die betonen, wie tolerant sie sind, nur Pride Parade muss nicht sein, weil es angeblich Werbung für diese Lebensweise macht.

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