Rücktritt von Kevin Kühnert

Exklusiv auf Instagram!

Ein Bild des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Kevon Kühnert.
Kevin Kühnert gab am Montag, 7. Oktober, seinen Rücktritt als SPD-Generalsekretär bekannt. Foto: Imago/Ipon

Am Montag ist Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD zurückgetreten. Das Medienecho war erwartbar groß, allerdings verbreiteten manche Redaktionen dabei auch ein paar kecke Behauptungen: nämlich, dass sie diese Information gerade exklusiv vermeldeten. Exklusiv, das hieß im Journalismus früher mal: allein, zuerst und damit auch selbst recherchiert.

Michael Bröcker etwa ist Chefredakteur des Newsletter-Mediums „Table Media“. Dort wirbt man damit, mit den eigenen „Professional Briefings“ den entscheidenden Köpfen der Republik einen „Informationsvorsprung“ zu liefern. Und so twitterte Bröcker um 13:41 Uhr:

„+++Table.Exklusiv++++ Kevin Kühnert tritt als Generalsekretär aus gesundheitlichen Gründen zurück..“

(Da machen einen natürlich gleich mehrere Dinge wahnsinnig, etwa die ungleiche Pluszeichenverteilung und der überflüssige Punkt.)

Auch die unmittelbare Konkurrenz von „Table Media“ schlief nicht. Bröckers früherer Kollege bei „The Pioneer“, Gordon Repinski, lenkt seit einiger Zeit „Politico Deutschland“. Er twitterte schon um 13:40 Uhr praktisch denselben Inhalt mit dem Hinweis „Quelle: Politico“, was Exklusivität zumindest impliziert. Kühnert ist allerdings ein moderner Mensch, er postete seine Rücktrittserklärung schlicht auf Instagram, und zwar laut Quelltext bereits um 13:39 Uhr.

Die Erkenntnis war damit so exklusiv wie ein leichter Schnupfen im Oktober. Dem SPD-Talent Kühnert folgen auf Instagram mehr als 100.000 Menschen. Wer also gerade dringliche Lebensorganisationsangelegenheiten vor sich herschob und deshalb den lieben langen Tag durch Insta scrollte, konnte zwischen Videos von Katzen, die Rennwagengeräusche machen (so niedlich!) und Sportfans, die dem Vordermann auf der Tribüne in den Nacken kotzen (voll ekelig!) auch die Rücktrittserklärung von Herrn Kühnert sehen – und das noch vor den Exklusiv-Posts der umtriebigen Chefredakteure.

Nun schließt Kühnerts Posting nicht aus, dass sein Brief vorab (etwa mit Sperrfrist) unter Journalisten kursierte. Dies würde durchaus der üblichen Praxis entsprechen. Nur: Exklusiv war die Nachricht ab 13:39 Uhr nicht mehr.

Des Exklusivitäts-Wahnsinns fette Beute

Exklusivität, das war mal wie Balenciaga: hatte nicht jeder. Im Journalismus hieß das etwa, Menschen mit heiserer Stimme in der Tiefgarage treffen, um einen amerikanischen Präsidenten zu fällen. Exklusiv ist ein Interview mit dem Papst. Exklusiv ist mit Ach und Krach auch noch, irgendeine öde Studie einer Stiftung „vorab“ zu bekommen, also einen Tag vor der offiziellen Verbreitung, damit man mit etwas Brimborium über sie berichten kann.

Zugegeben: Die Welt ist schneller geworden, exklusiv sind viele Geschichten nur noch für eine halbe Stunde. Dann rufen die etwas langsameren Journalisten die mutmaßliche Quelle der etwas schnelleren Journalisten an, fragen, ob das so stimmt, und ob man die Info bitte auch schnell … gut, danke, und dann schreibt man die Meldung genauso auf wie das schnellere Medium. Vorbei ist’s mit der Exklusivität. Faire Medien nennen dann immerhin das Schnellere und schreiben: „Zuerst berichtete …“.

Auch zugegeben: Der Wettbewerb zwischen jenen Medienprodukten, deren Kernversprechen in etwa lautet, gewohnheitsmäßig in wichtigen Hauptstadtakten zu wühlen und zuerst Bescheid zu wissen, ist hart wie nie. Und dass von den zahlreichen neuen Polit-Newslettern alle überleben, glaubt wohl niemand. Da heißt es Männchen machen für die Metrik und das Marketing – ob Schnelligkeit als journalistisches Qualitätskriterium nun gewöhnliche Leserinnen und Leser überhaupt interessiert oder nicht.

Denn das „Zitiertwerden“ ist zumindest im politischen Berlin der Gradmesser für Relevanz und journalistische Strahlkraft. Das Szenemagazin „Politik und Kommunikation“ etwa kürte „Table Media“ im September zum Spitzenreiter in Sachen Erwähnungen durch andere innerhalb der letzten zwölf Monate. Dicht darauf folgten „The Pioneer“ und „Politico“, dann „Tagesspiegel Background“ und „FAZ Pro“ (Transparenzhinweis: für letztere habe ich auch gelegentlich geschrieben).

PR-Leute wissen den Exklusivitäts-Wahnsinn der Branche auszubeuten. Das könnte auch hier zur Massenexklusivität geführt haben. So ist zu hören, dass manche einer, der Kühnerts Brief allein zu haben meinte, über die Exklusiv-Meldung der anderen dann doch überrascht war. Die Narretei um Exklusivität nützt also vor allem berufsmäßigen Mediendompteuren.

Das größte Problem hat derjenige, der allein den Papst interviewt: Wie nennt man das denn nun, wenn vom Begriff „exklusiv“ nichts mehr übrig ist?

5 Kommentare

  1. Da würde mich ja interessieren, wie Repinsi und Bröcker das mit dem „exklusiv“ begründen oder wie sie den Begriff so für sich definieren, dass er noch stimmt. Habt Ihr sie mal gefragt?

  2. »+++Table.Exklusiv++++ Kevin Kühnert tritt als Generalsekretär aus gesundheitlichen Gründen zurück..

    (Da machen einen natürlich gleich mehrere Dinge wahnsinnig, etwa die ungleiche Pluszeichenverteilung und der überflüssige Punkt.)«

    Tja, in Zeiten von Twitter – Verzeihung X – kommt die Interpunktion halt schon mal bei der Tipp-Geschwindigkeit von unglaublichen Exklusiv-News unter die Räder. ;o)

    Ich wünsche mir einen Timer, der eine Minute rückwärts läuft, bevor ein Tweet bei X live geschaltet wird. Zum noch mal drauf schauen. Aber das würde Journalisten wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben.

  3. @#2: ich wünsche mir einen Führerschein für die Nutzung sozialer Netzwerke, aber der wird wohl auch nie kommen. Dabei kann man(n) genug Macht und Reichweite heutzutage schon mit seinem geistig Erbrochenen eine Staatskrise auslösen.

  4. Ich fände nachfragen, statt überPhänomene zu berichten ganz gut. Die interessanteste Frage ist doch: Gab es dieInformation vorab? Und wann, für wen?

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