Herbert-Quandt-Medienpreis

Deutschlands höchstdotierter und höchst problematischer Journalistenpreis

Herbert Quandt
Herbert Quandt 1939 im Aufsichtsrat der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, einem der wichtigsten Rüstungskonzerne in der NS-Kriegsmaschinerie

Alle Jahre wieder wird in Deutschland ein Journalistenpreis zu Ehren eines schwerreichen Industriellen verliehen. Es ist ein Preis „im Gedenken an die Persönlichkeit und das Lebenswerk des Unternehmers Dr. h.c. Herbert Quandt“, wie es auf der Homepage der Johanna-Quandt-Stiftung heißt. Die Verleihung ist üblicherweise am 22. Juni, denn dieser Tag war Herbert Quandts Geburtstag.

In sommerlicher Atmosphäre wird dann eines Mannes gedacht, der Mitglied der NSDAP war und Fördermitglied der SS. Ein Journalistenpreis zum ehrenden Gedenken an einen Unternehmer, der während der NS-Diktatur mitverantwortlich war für das Leid Tausender ausgebeuteter Zwangsarbeiter, der eine führende Rolle in der Rüstungsindustrie einer kriegerischen Diktatur hatte und der überdies an mehreren sogenannten Arisierungen auf Kosten jüdischer Unternehmer mitwirkte.

Obwohl ihnen das alles eigentlich bekannt sein könnte, bewerben sich Jahr für Jahr Dutzende deutscher Journalistinnen und Journalisten mit ihren Beiträgen darum, mit dem Herbert-Quandt-Preis ausgezeichnet zu werden. Dabei ist inzwischen sogar historisch erwiesen und durch Akten belegt, dass der Namensträger des Preises 1944 persönlich ein Außenlager für KZ-Häftlinge in Schlesien geplant hat.

Wie ist das möglich? Hängt das große Interesse von Journalistinnen und Journalisten an diesem Preis mit der besonderen Eitelkeit ihres Berufsstandes zusammen? Oder rührt es daher, dass der 1986 von der Milliardärsfamilie Quandt gestiftete Medienpreis mit insgesamt 50.000 Euro Preisgeld der höchstdotierte in Deutschland ist? Und dass gutes Geld für guten Journalismus einfach nicht stinkt?

Dieser Artikel handelt davon, wie groß die Rolle war, die die Quandts in Hitlers Kriegsmaschinerie spielten, wie wenig Berührungsängste es auch nach dem Krieg mit Altnazis gab und wie widerwillig die Familie und ihre Unternehmen ihre Geschichte später aufarbeiteten. Er handelt aber auch von Journalisten, die keine Probleme damit haben, über eine Unternehmerfamilie zu berichten, von der sie Geld bekommen haben – und sich zum Teil einer PR-Strategie zu machen.

Das Schweigen der Quandts

Die NS-Verstrickungen der Industriellenfamilie sind erstmals 2002 von mir in dem Buch „Die Quandts. Ihr leiser Aufstieg zur mächtigsten deutschen Wirtschaftsdynastie“ dargestellt worden. Es bildete die Grundlage für den 2007 ausgestrahlten NDR-Dokumentarfilm „Das Schweigen der Quandts“. Erst durch den Fernsehfilm, der den Opfern der Zwangsarbeit Gesicht und Stimme gab, geriet die Familie in der deutschen Öffentlichkeit so unter Druck, dass sie sich ihrer braunen Vergangenheit stellen musste. Sie beauftragte den Bonner Historiker Joachim Scholtyseck, ihre Geschichte vor und während der NS-Zeit wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Quandts gewährten Scholtyseck einen Zugang zu den Akten ihres Archivs, die sie vorher streng unter Verschluss gehalten hatten.

Nach der Ausstrahlung des NDR-Films kam es 2008 zu einem Krach im Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung, die den Medienpreis verleiht. Drei Mitglieder waren damals der Meinung, man müsse die Preis-Vergabe aussetzen, bis die Ergebnisse der Studie vorlägen. Das waren die Chefredakteure Gabriele Fischer von „brand eins“, Mathias Müller von Blumencron vom „Spiegel“ und Christoph Keese von der „Welt am Sonntag“.

Doch Stefan Quandt, Herbert Quandts jüngster Sohn und Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung, war zu einer solchen Preis-Pause nicht bereit und setzte sich mit seiner Haltung durch. Bei dieser Entscheidung hatte er neben seiner Mutter Johanna Quandt ein einziges Kuratoriumsmitglied auf seiner Seite: Helmut Reitze, damals Intendant des Hessischen Rundfunks. Fischer, Müller von Blumencron und Keese legten daraufhin ihre Mandate nieder. (Als Ersatzmann konnten die Quandts wenig später lediglich einen einzelnen Nachrücker präsentieren: Roland Tichy, damals noch Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“.)

Neue Belege für die Verstrickung

Drei Jahre später legte der Historiker Scholtyseck ein 1200-Seiten-Buch mit dem Titel „Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie“ vor. Wenn die Familie zuvor gehofft haben sollte, der Geschichtswissenschaftler werde das düstere Bild der Vorfahren aufhellen und sie von Vorwürfen entlasten, so ging der Schuss nach hinten los. Tatsächlich präsentierte Scholtyseck in seiner außerordentlich gründlichen Arbeit eine Vielzahl neuer Belege und Beweise für die Verstrickung der Familie Quandt in das NS-Unrecht.

Adolf Hitler und Hermann Göring besuchten 1938 den Messestand der Quandt-Batteriefirma AFA bei der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin. Firmenpatriarch Günther Quandt (links) schaute zu, sein Sohn Herbert (hinten mit Brille) gehörte mit 28 Jahren damals bereits zum Empfangskomitee.

Über den Patriarchen Günther Quandt (1881 – 1954) urteilte Scholtyseck zusammenfassend, er sei als Rüstungsfabrikant „Teil des NS-Regimes“ gewesen. Sein Unternehmertum habe sich „untrennbar mit den Verbrechen der Nationalsozialisten“ verbunden. Auch der Sohn Herbert Quandt (1910 – 1982) habe „unmittelbar Verantwortung für das begangene Unrecht getragen“. Als Personalchef der Pertrix, einer Tochterfirma des Quandtschen Batteriekonzerns AFA, war Herbert Quandt für das Schicksal der dort eingesetzten Zwangsarbeiter mitverantwortlich. Gegen Ende des Krieges kümmerte er sich persönlich um den Bau eines Barackenlagers für KZ-Häftlinge, die in Schlesien für eine Quandt-Firma arbeiten sollten.

Die historischen Fakten trübten die Verehrung des Sohnes für den Vater nur wenig. In einem „Zeit“-Interview zur Veröffentlichung der Studie verteidigte Stefan Quandt 2011 seinen Vater. Dieser habe damals „im Schatten“ seines eigenen Vaters gestanden. Der „Zeitabschnitt“ der NS-Diktatur sei im Übrigen zu kurz, um Herbert Quandts „gesamte Persönlichkeit aus den Handlungen“ zu verstehen, befand der Sohn.

Tatsächlich war Herbert Quandt bei Kriegsende allerdings schon fast 35 Jahre alt. Bereits im Jahr 1938 hatte er als Sohn des Großaktionärs zu den Spitzenleuten der AFA gehört, die Adolf Hitler an einem Stand auf der Automobilmesse in Berlin empfingen und ihm Batterien zeigten. Von 1940 an war Herbert Quandt selbst im Vorstand des überaus kriegswichtigen AFA-Konzerns tätig. Das Unternehmen fertigte neben vielem anderen die riesigen Batterien für die deutschen U-Boote, die dazu eingesetzt wurden, um Großbritannien abzuriegeln und auszuhungern. Die AFA rüstete auch die sogenannten Vergeltungswaffen V1 und V2 aus, die auf englische Städte niedergingen.

1940 trat Herbert Quandt in die NSDAP ein. In der SS war er schon seit 1935, wenn auch nicht aktiv, sondern als „förderndes Mitglied“. Während des gesamten Weltkriegs gehörte er überdies dem Aufsichtsrat der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) an, die sein Vater als Großaktionär führte und die einer der wichtigsten Ausrüster von Hitlers Angriffskriegen waren.

Ein positives Gesamtbild?

Dass die Familie trotz alledem auch weiterhin einen Medienpreis zu Ehren Herbert Quandts verleihen wollte, das erklärte Stefan Quandt in dem „Zeit“-Interview 2011 so:

„Wenn man sein Lebenswerk sieht, denke ich nach wie vor, dass man zu einem Gesamtbild kommt, das es rechtfertigt, einen Herbert-Quandt-Medien-Preis zu verleihen.“

Worin bestand Herbert Quandts Lebenswerk? Er hat zusammen mit seinem Halbbruder Harald ein großes industrielles Erbe von seinem 1954 verstorbenen Vater Günther Quandt übernommen, er hat es fast drei Jahrzehnte erfolgreich verwaltet und sauber portioniert an sechs Nachkommen aus drei Ehen weitergegeben. Zum umfangreichen Familienbesitz gehörten unter anderem große Beteiligungen an Daimler-Benz, Varta, Wintershall, Altana und an den Industrie-Werken Karlsruhe. Die Daimler-Beteiligung verkauften die Quandts 1974 an Kuwait; Wintershall ging an die BASF. Der Batteriekonzern Varta (wie die AFA seit 1962 hieß) wurde unter der Aufsicht der Quandt-Erben heruntergewirtschaftet, bevor er in Einzelteilen verkauft wurde.

Zugeschrieben wird Herbert Quandt heute vor allem die sogenannte „Rettung von BMW“. Tatsächlich vergrößerte der Industrielle in einer Krise dieses Unternehmens 1959/1960 Jahre seinen Aktienbesitz bei BMW und übernahm dort aus dem Hintergrund die industrielle Führung. Obwohl er weder in den Vorstand noch in den Aufsichtsrat des Unternehmens eintrat, wirkte Quandt an der Sanierung des Unternehmens mit. Dabei nutzte ihm besonders sein gutes Verhältnis zum damaligen Bundesverteidigungsminister und CSU-Politiker Franz Josef Strauß. Ein wichtige Rolle spielte, dass BMW damals auch Triebwerke für Starfighter-Kampfflugzeuge produzierte.

Für BMW erwies sich der neue Großaktionär zweifellos als segensreich. Dass das Unternehmen damals ohne das Engagement Quandts untergegangen wäre, wie heute oft behauptet wird, ist aber wohl eine Legende. Quandt war auch nicht der größte Geldgeber des Unternehmens in der damaligen Krise, die Mittel zu Sanierung kamen vom Freistaat Bayern und den Banken.

Keine Berührungsängste

Herbert Quandt kümmerte sich bei BMW vor allem um die Auswahl neuen Führungspersonals. Einen entscheidenden Anteil am Wiederaufstieg der Automobilfirma sollte Paul G. Hahnemann haben. Ihn holte Quandt 1961 zu BMW und machte ihn zum Vertriebsvorstand.

Dieser durchsetzungsstarke Manager verstand viel von Marketing, aber er hatte auch eine tiefbraune Vergangenheit. Hahnemann war schon 1931 Mitglied der SA geworden und hatte in der Reichsführung des NS-Studentenbundes mitgearbeitet. 1938 beantragte er den Übertritt von der SA in die SS. Eine Zeitlang arbeitete er in deren Sicherheitsdienst als Wirtschaftsreferent. Während des Krieges arbeitete Hahnemann als Rüstungsmanager für Opel. Anschließend internierten die Franzosen ihn für mehr als drei Jahre.

Herbert Quandt war nach dem Krieg glimpflicher davon gekommen und hatte sogleich die Führung der AFA übernehmen können, die nun für die Besatzungsmächte in Hannover Starterbatterien produzierte. Er hatte keine Berührungsängste gegenüber früheren Nationalsozialisten, eher war das Gegenteil der Fall, wie sich in zahlreichen Personalentscheidungen zeigte. Das schloss sogar solche Männer ein, die eine führende Rolle in Hitlers Regime gespielt hatten.

Goebbels Referent macht Karriere

Herbert Quandt stimmte zu, als sein Bruder Harald, mit dem er die Geschäfte gemeinsam führte, in den fünfziger Jahren einen besonders fanatischen Nazi mit einem gut dotierten Führungsposten in einem von der Familie beherrschten Unternehmen versorgte. Der Mann hieß Werner Naumann. Er war unter Joseph Goebbels zunächst persönlicher Referent und später Staatssekretär im Propagandaministerium gewesen. Naumann war überdies SS-Brigadeführer, bekleidete also einen Generalsrang in Heinrich Himmlers „Schutzstaffel“. Welche wichtige Rolle er im NS-Regime hatte und noch hätte spielen sollen, zeigt sich darin, dass Hitler ihn in seinem politischen Testament zum Nachfolger von Goebbels bestimmte, während Goebbels sein eigener Nachfolger hätte werden sollen.

Bei Kriegsende zog es Naumann allerdings vor unterzutauchen. Ein Nazi blieb er, auch nachdem er wieder auf der Bildfläche erschien. In den frühen fünfziger Jahren knüpfte er ein Netzwerk von früheren NS-Führungsleuten und versuchte, die FDP in Nordrhein-Westfalen zu unterwandern. Die damalige britische Besatzungsmacht fürchtete eine Verschwörung und verhaftete Naumann Anfang 1953. Zu einem Prozess kam es jedoch nicht.

Einige Jahre später, vermutlich 1958, fing Naumann im Firmenimperium der Quandts an, zunächst bei den Wildfang Metallwerken in Gelsenkirchen. In den sechziger Jahren stieg er zum Vorstandsvorsitzenden der Busch-Jaeger Lüdenscheider Metallwerke auf. Harald Quandt, der als Stiefsohn von Joseph Goebbels aufgewachsen war, hatte zu dessen früheren Staatssekretär ein persönliches Verhältnis. Seine Mutter Magda war mit Naumann eng befreundet gewesen und hatte mit ihm vermutlich auch eine Affäre. Als Manager leistete Naumann den Quandts dann offenbar gute Dienste. Auch nach dem Tod Harald Quandts, der 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, beließ Herbert Quandt Naumann auf seinem Posten. 1974 ging er in Pension.

Nazi-Größen im Konzern

Dass die Quandts nach dem Krieg keineswegs vollständig mit dem Nationalsozialismus brachen, zeigte sich vielfach in ihrer Personalwahl. 1952 stellte Herbert Quandt einen Mann namens Gerd Hamel als persönlichen Referenten ein. So jedenfalls hat es Quandts Hausbiograf Wilhelm Treue in seiner autorisierten Biografie von 1980 geschrieben. Was darin nicht stand: Auch Hamel hatte unter Joseph Goebbels im NS-Propaganda-Ministerium Karriere gemacht hat und war bis zum persönlichen Referenten im Ministerbüro aufgestiegen.

Laut dem Historiker Scholtyseck arbeitete Hamel nicht für Herbert Quandt, sondern für dessen jüngeren Halbbruder. Er sei bis 1973 „im engsten Arbeitsbereich von Harald Quandt“ geblieben, so Scholtyseck – was aber nicht stimmen kann, denn Harald Quandt verunglückte ja bereits 1967. Spätestens nach dessen Tod muss Hamel also für Herbert Quandt gearbeitet haben. Dass Hamel nach dem Krieg geläutert gewesen sein könnte, kann ausgeschlossen werden. In den fünfziger Jahren gehörte er jedenfalls nachweislich zum Naumann-Kreis von Altnazis.

Eine weitere frühere Nazi-Größe, die für die Quandts nach dem Krieg tätig sein durfte, war Heinrich Hunke. Der Ökonom, der schon 1928 der NSDAP beigetreten war und das Amt eines NS-Gauwirtschaftsberaters in Berlin bekleidete, gilt als „der einflussreichste nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker“ (Scholtyseck). Er half Günther Quandt 1941 in einem Übernahmekampf dabei, die Byk Gulden Pharmazeutische Fabrik seinem Unternehmensreich einzuverleiben. (Dieses Unternehmen sollte dann später in der Altana AG aufgehen, die zu 100 Prozent im Besitz von Günther Quandts Enkelin Susanne Klatten ist und im Sommer 2024 an ihre Kinder übertragen werden soll.)

1941 wurde Heinrich Hunke, der sich nicht nur auf Wirtschaft, sondern auch auf Propaganda verstand, Ministerialdirektor unter Goebbels. In der Nachkriegszeit saß er dann gemeinsam mit den Quandt-Herren im Aufsichtsrat von deren Dürener Metallwerken. In diesem Gremium gab es zu dieser Zeit auch einen Platz für den früheren NS-Wehrwirtschaftsführer Heinrich Koppenberg, der im Krieg die Junkers Flugzeugwerke geleitet hatte, die den Standardbomber für Hermann Görings Luftwaffe produzierte.

Vorbild ohne Verantwortung

Zur Ehrenrettung seines Vaters Herbert trug Stefan Quandt 2011 vor, dieser sei zwar „in der NS-Zeit Teil des Systems“ gewesen. „Aber in den fast vier Jahrzehnten, die darauf folgten, hat er Werte umgesetzt, die mir sehr wohl als Vorbild dienen. Von seinen Wegbegleitern weiß ich, dass er seinen Mitmenschen viel Respekt entgegengebracht und seinen Mitarbeitern viel Freiheit gelassen hat.“ Der Historiker Scholtyseck befand hingegen: „Herbert Quandt übernahm, wie die meisten deutschen Unternehmer seiner Generation, bis zu seinem Tod 1982 keine Verantwortung für die eigene Rolle beim Zwangsarbeiter-Einsatz in der Quandt-Gruppe oder deren Beteiligung bei ‚Arisierungen‘.“

Herbert Quandt hat nach deren Aussage weder mit seiner Frau Johanna noch mit seinen Kindern jemals über die NS-Zeit gesprochen. In einer 1980 gedruckten Privatbiografie aus der Feder des Wirtschaftshistorikers Wilhelm Treue wurde das heikle Thema nur kurz angerissen. Anfang 1933 fürchtete sich Herbert Quandt nach eigener Erinnerung und Aussage nicht vor einer Machtübernahme durch Hitler und die Nationalsozialisten. Ihn beunruhigte vielmehr die „heraufziehende, rote kommunistische Gefahr“, wie er Jahrzehnte später formulierte. Diese sei für ihn ein „drohendes, ständig wachsendes Ungeheuer“ gewesen. Quandt dachte damals angeblich sogar über eine Auswanderung in die USA nach. Dort war er von August bis Dezember 1932 als Praktikant und Sprachschüler gewesen und hatte sich wohlgefühlt. Ihm sei klar geworden, so erinnerte er sich später, „wohin ich ausweichen würde, wenn uns aus Europa einmal der Kommunismus vertreiben würde“.

Vor diesem Hintergrund imponierte dem jungen Mann, dass Adolf Hitler „in sehr eindrucksvoller und kerniger Weise immer und immer wieder dem Kommunismus in Deutschland den Kampf angesagt hat“, wie Quandt noch im Jahr 1979 formulierte. Gleichwohl behauptete sein Biograf Treue aber in seinem von zwei Quandt-Firmen finanzierten Buch, „dass Herbert Quandts Vater ebenso wenig wie er selber ein Anhänger des Hitler-Regimes gewesen war“. Wer das Geschichtsbuch bezahlt, der muss unschuldig gewesen sein.

Der persönliche Nutzen so eines Krieges

In einer anderen Auftragsgeschichte einer Quandt-Firma stand 1998 zu lesen, Herbert Quandts Verbindungen zum Nazi-Regime seien „nur als marginal und geringfügig“ zu bezeichnen. Er habe nach dem Krieg nicht einmal „entnazifiziert“ werden müssen, was ebenfalls faktisch falsch ist.

Dass die Deutschen Schuld auf sich geladen hatten, das scheint Herbert Quandt nach dem Krieg nicht bewusst gewesen zu sein. Als er Anfang der fünfziger Jahre geschäftlich in die USA reiste, stieß ihm auf, dass er und seine Mitarbeiter einige Male „sehr frostig“ empfangen worden seien. Noch Jahrzehnte später klagte der Industrielle, man habe sich „als Verlierer sehr schlecht behandeln“ lassen müssen.

Hitlers Angriffskriege ermöglichten den Quandt-Firmen eine starke Expansion – ein Umstand, den Herbert Quandt noch im Alter als für sich persönlich günstig bewerten sollte: „Ich glaube, dass ich gerade in diesen schwersten Jahren, industriell gesehen, auf diese Weise von meinem Vater mehr habe lernen können, als es mir sonst unter anderen, also normalen Umständen möglich gewesen wäre“, formulierte er in den siebziger Jahren und ließ diesen Satz in der Auftragsbiografie drucken.

„Fast krankhafter Hang zur Geheimnistuerei“

Zur Presse im Allgemeinen und zum Wirtschaftsjournalismus, der heute unter seinem Namen gefördert werden soll, stand Herbert Quandt Zeit seines Lebens in einem schwierigen Verhältnis. Seine Öffentlichkeitsscheu war legendär. Der „Spiegel“ bescheinigte dem Industriellen 1974 einen „fast krankhaften Hang zur Geheimnistuerei“.

Mit dem Zeitungsverleger Axel Springer war Herbert Quandt allerdings freundschaftlich verbunden. Die beiden einte die Liebe zu Berlin und ein starker Antikommunismus. Die Springer-Zeitungen näherten sich Herbert Quandt auf Knien. Als er 1969 der „Welt“ ein Interview (wohl sein einziges überhaupt) gab, lautete der Titel: „Die Chancen deutscher Privatunternehmen“. In diesem Gespräch stellte der Interviewer Ernst Koch solche speichelleckerischen Nicht-Fragen wie: „Die Verwaltung wertvoller industrieller Beteiligungen, die Ausarbeitung von Führungsgrundsätzen, die verantwortungsbewusste selbstständige Leitung von Gruppengesellschaften, das alles sind Aufgaben, die nur mit einem Stab von Führungskräften gelöst werden können, die den höchsten Ansprüchen eines modernen Top-Managements genügen.“ Die Antworten Quandts waren von ähnlicher Güte. Eine lautete: „Die Gruppe, sowie sie sich zur Zeit als eine breite Front verschiedenster Unternehmen darbietet, befindet sich wirtschaftlich in einer gesunden Assiette.“ (Das Wort „Lage“ war ihm offenbar nicht eingefallen.)

Unter den Juroren des Herbert-Quandt-Medienpreises sind heute gleich zwei Mitglieder, die im Springer-Verlag Karriere machten: die frühere „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch und der frühere „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters. Weitere Mitglieder sind die Phoenix-Programmgeschäftsführerin Michaela Kolster und Horst von Buttlar, Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“. Außer dem Jury-Vorsitzenden Stefan Quandt, einem Diplom-Wirtschaftsingenieur, gibt es in dem Gremium merkwürdigerweise niemanden, der Wirtschaft studiert hat, und nur einen, nämlich Horst von Buttlar, der als Wirtschaftsjournalist gearbeitet hat.

Im Einflussgebiet der Quandts

Es gibt ein paar Journalisten, die es nicht anstößig finden, sowohl Quandt-Geld anzunehmen als auch über die Quandts journalistisch zu berichten. Dabei sticht der Fall von Lorenz Wagner heraus. Als Reporter der „Financial Times Deutschland“ hat er 2003 den Herbert-Quandt-Medienpreis (für ein Porträt des Freizeitpark-Unternehmers Roland Mack) gewonnen und 10.000 Euro kassiert. 2008 schrieb er dann ein einfühlsames Porträt über die Quandt-Erbin Susanne Klatten. Sie ermöglichte ihm damals, kurz nach ihrer Erpressung durch einen Liebesbetrüger, einen überraschend tiefen Blick in ihr Innenleben. 2018 wurde Wagner als Autor des „Süddeutsche Zeitung Magazins“ ein zweites Mal mit dem Herbert-Quandt-Medienpreis ausgezeichnet und teilte sich das Geld (15.000 Euro) mit einem Co-Autor. Der prämierte Text handelte von Influencern, der Titel lautete: „Im Einflussgebiet“.

Vier Jahre später wechselte Wagner hauptberuflich in das Einflussgebiet der Quandts. Susanne Klatten stellte ihn 2022 als Sprecher ihrer Beteiligungsfirma SKion ein. Wagners Aufgabe ist es nun unter anderem, für ein positives Image der Unternehmerin zu sorgen.

2023 begleitete er als Senior Communications Consultant seine Chefin zu einem ersten großen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, seinem früheren Arbeitgeber. Geführt wurde das Interview von der SZ-Wirtschafts-Ressortleiterin Lisa Nienhaus, ihrerseits Preisträgerin des Herbert-Quandt-Medienpreises des Jahres 2015, und ihrem Stellvertreter. Eine kritische Frage musste Susanne Klatten in diesem Interview nicht beantworten. „Sie lesen angeblich auch selbst die Bilanzen“, schmeichelten die Interviewer der Unternehmerin. Dabei ist Susanne Klatten als Aufsichtsrätin von BMW und Altana sogar gesetzlich verpflichtet ist, deren Jahresabschlüsse zu prüfen.

Journalismusförderung als Imagepflege

Das zweite größere Interview mit Susanne Klatten erschien Anfang Juni in der „Wirtschaftswoche“. Geführt wurde es vom Chefredakteur Horst von Buttlar. Mit ihm hat Wagner einst bei der „Financial Times Deutschland“ zusammengearbeitet. Buttlar ist nicht nur Herbert-Quandt-Medienpreisträger des Jahres 2008, sondern gehört heute auch dem Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung an.

In dem Interview gab Susanne Klatten eine wirkliche Neuigkeit bekannt: Sie ist dabei, das Eigentum an ihrer milliardenschweren Beteiligungsfirma SKion vollständig an ihre drei Kinder zu übertragen. Für einen kritischen Journalisten hätten da eine Reihe von Fragen nahegelegen, etwa die nach der Erbschaftsteuer und der Vermögenssteuer. Das Interview war nicht völlig unkritisch, Buttlar sprach immerhin Klattens Fehlinvestment bei SGL Carbon an. Mit Fragen nach den jährlichen Milliarden-Dividenden und der fortschreitenden Vermögenskonzentration, mochte Buttlar die Multimilliardärin ebensowenig behelligen wie der mangelnden Nachhaltigkeit von BMW-SUVs oder der NS-Geschichte.

Am 22. Juni wird Buttlar dann wieder an der Seite von Stefan Quandt deutsche Wirtschaftsjournalisten für hervorragende Leistungen auszeichnen. Sie erhalten einen Preis, der nach einem Industriellen benannt ist, der selbst äußerst öffentlichkeitsscheu und verschwiegen war. Ein Journalistenpreis mit dem Namen eines Mannes, der in der Nachkriegszeit mit einer Riege von Leuten zusammenarbeitete, die während der NS-Zeit im Goebbels-Ministerium daran mitgearbeitet hatten, die freie Presse zu unterdrücken und durch Propaganda und Hetze zu ersetzen.

Doch was als paradox erscheint, ist es in Wahrheit nicht. Dieser Preis dient in Wahrheit ganz offenkundig nicht der Förderung des Journalismus, er dient der Imagepflege. Mit dem Herbert-Quandt-Medienpreis verfolgt die reichste Familie Deutschlands den Zweck, ein günstiges Meinungsklima für sich zu schaffen.

Indem die Quandts Jahr für Jahr in einer großen exklusiven Fest-Veranstaltung Journalistinnen und Journalisten auszeichnen, ehren die BMW-Erben zugleich immer auch ihren Vater Herbert Quandt – und heben ihn dabei auf ein weithin sichtbares Podest, auf dem ein Mann mit seiner Lebensgeschichte heute eigentlich nicht mehr stehen sollte. Wenigstens sollten Journalistinnen und Journalisten an diesem Podest nicht noch mitbauen.

5 Kommentare

  1. Das ist ein Brett, welches mir bis jetzt überhaupt nicht bekannt gewesen ist. zu solchen Persönlichen hätte man eigentlich mal was im Geschichtsunterricht lernen sollen, stattdessen bekam der auch noch allerlei Auszeichnungen und Würdigungen .

    Vielen Dank für den Artikel

  2. Also mal ehrlich, muss man denn immer wieder solch alte, ach uralte Menschen und ihren bis heute lebendigen Einfluss aufmischen?Wenn doch sogar bei der SZ Quandt-Preisträgerinnen arbeiten und Interviews vergeigen dürfen!?!? Im Ernst: Sehr deprimierend, was da im Zusammenhang mit diesem Preis insgesamt zu lesen ist. Trotzdem Dank dafür.

  3. Die Doku „Das Schweigen der Quandts“ ist sehr wichtig, aber muss man sie unbedingt von einem Kanal verlinken, der Schwurbelkram und Ken Jebsen verbreitet?

  4. Vielen Dank für den Artikel. Sehr aufschlussreich.
    Wegen solcher Berichte habe ich Übermedien abonniert.

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