„karmaregelt“ auf Tiktok

Räucherrituale vernebeln Funk-Redaktion die Sinne

Zwei Screenshots aus "karmaregelt"
Mit einem "uralten Räucherritual" ins neue Jahr, mit einem Honigglas zu mehr Selbstliebe: Influencerin Sophie testet esoterische Trends. Screenshot: karmaregelt auf Tiktok

Nachtrag (13.09.24): Der Kanal karmaregelt. wurde Ende April 2024 eingestellt. 


Wussten Sie, woran man erkennt, dass sich das eigene Ying und Yang ins Yang verschiebt? Antwort: Die Zunge färbt sich leicht rötlich. Oder was sich gegen “negative Energien” in der Wohnung tun lässt? Räuchern Sie die eigenen vier Wände doch einfach mit Kräutern aus

Zu erfahren ist all das bei “karmaregelt”, einem Kanal über Esoterikerfahrungen auf Tiktok und Instagram. Das im November 2023 gestartete Format des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks Funk setzt dabei auf einen Trend aus eben diesen sozialen Netzwerken. Denn dort trenden gerade alle möglichen Formen von Esoterik. Allein das Schlagwort #WitchTok hat über 44 Milliarden Aufrufe und #witchesofInstagram verzeichnet über 9 Milliarden Beiträge. Laut einer 2021 veröffentlichten Umfrage von Yougov sind zudem 61 Prozent der 18- bis 24-Jährigen der Meinung, dass an Horoskopen etwas dran ist (bei Menschen über 55 sind es 30 Prozent). Und vor allem nach der Covid-Pandemie nahmen Bestellungen in esoterischen Shops zu, auch unter jüngeren Menschen.

Manifestieren mit Wassergläsern

Die kurzen Clips von „karmaregelt” laufen meist ähnlich ab: Im Zentrum steht die Influencerin Sophie aka “sophodoph”. Sie hat ein Problem, für das sie einen Rat oder eine Lösung sucht, und probiert dazu verschiedene esoterische oder alternativmedizinische Trends aus. Bei der Frage, ob ihre Beziehung ihren Umzug nach Köln überleben wird, soll etwa ein Tarotkartenleger helfen. Ihre Schauspielkarriere will sie mit einer Manifestationsmethode in Schwung bringen, bei der sie Wasser von einem beschrifteten Glas in ein anderes schüttet und es dann trinkt.  

Ebenfalls Teil des Formats ist „diehuepsche”, TikToker:in und Host:in. „Diehuepsche“, so steht es in der Kanalbeschreibung, „zeigt durch ihre Sketche und selbstironische Art, wie gut es tut, ab und an über sich selbst zu lachen“. Für den „Faktencheck“ ist bei “karmaregelt” schließlich Carlott Bru zuständig, eine – laut Kanalbeschreibung – “Gen Z Journalistin”. Sie soll die „spirituellen Trends auf Herz und Nieren” prüfen, und das “immer mit einem Augenzwinkern und ganz ohne Zeigefinger“. Wobei es den Macherinnen wichtig ist, zu betonen, dass es jedem selbst obliege, an das zu glauben, was er oder sie möchte, solange es keinem schade. „Funk” sagt von sich selbst, dass es die Absicht habe “verschiedene Meinungen darzulegen und Meinungsbildung zu fördern, nicht aber eine Meinung vorzugeben”.

Wenn es in “karmaregelt” um Tarotkarten oder Astrologie geht, sagt uns der Faktencheck, dass solche Dinge natürlich nicht die Zukunft voraussagen, sondern eher als Orientierung dienen können. In einer anderen Folge geht es ums Manifestieren – eine Methode, bei der sich Vorhaben erfüllen sollen, nachdem man sie mental visualisiert hat. Sophie stellt fest, dass das Manifestieren Zeit brauche und Wünsche nicht sofort in Erfüllung gingen. Und Journalistin Carlott sagt im Faktencheck, dass man nicht alles glauben solle, was Manifestations-Coaches auf Tiktok erzählen, denn ohne Eigeninitiative gehe es nicht. Keine bahnbrechenden Erkenntnisse.

Keine kritische Distanz zu den Gästen

“Karmaregelt” könnte dennoch ein Format sein, das sich gleichzeitig journalistisch seriös und unterhaltsam mit den Themen Spiritualität und Esoterik beschäftigt. Im eigenen Anspruch, darüber zu berichten, ohne zu urteilen, liegt allerdings auch ein Problem. Denn unter dieser Prämisse lässt das Format immer wieder journalistische Qualitätsstandards außer Acht. Oft mangelt es an kritischer Distanz zu den jeweiligen Gästen, wissenschaftliche Einordnungen fehlen oder bleiben vage. 

So will Sophie in einer weiteren Folge ihre neue Wohnung mit Kräutern ausräuchern, denn diese sollen sowohl den Raum als auch die Seele “reinigen. Hilfe bietet die “Kräuterexpertin” Pia, die sich mit dem Räuchern scheinbar professionell beschäftigt. Mehr erfährt man über sie leider nicht. Journalistin Carlott fragt Pia, ob man negative Energien vertreiben könne, was Pia natürlich bejaht. Ihr zufolge habe man das früher getan, um “böse Geister zu vertreiben”, hauptsächlich aber um “negative Energien zu reinigen”. Dabei bleibt es. Eine Einordnung seitens einer Person von außerhalb der Esoterikszene, also zum Beispiel von einer Psycholog:in, Botaniker:in oder einer Mediziner:in, fehlt. 

Diese Schieflage zieht sich durch das gesamte Format. Die jeweiligen Protagonist:innen, die aus der Esoterik- und alternativmedizinischen Szene kommen, sind gleichzeitig die Expert:innen. Sie dürfen ihr Geschäftsmodell bewerben, ohne dass kritische Gegenstimmen zu Wort kommen. So wäre es Aufgabe der Macher:innen selbst, das Ganze kritisch einzuordnen. Dies passiert aber nur halbherzig und oft in separaten Videos – um ein vollständiges Bild zu bekommen, müssen die Zuschauer:innen also mehrere Clips hintereinander schauen.

Carlott spricht in einem weiteren Video zum Thema Räuchern nur kurz darüber, dass auf weißen Salbei, der desinfizierend wirke und gut fürs Raumklima sei, beim Räuchern verzichtet und stattdessen Beifuß verwendet werden sollte. Dieser sei nämlich regional vorzufinden, im Gegensatz zum weißen Salbei, der aus Nordamerika importiert werde und den indigenen Kulturen dort für ihre eigenen Rituale fehle. Der Beifuß, so die Journalistin, solle eine ähnliche Wirkung haben. Eine Quelle fehlt, stattdessen heißt es am Ende: “Ob dir das hilft, ist natürlich ganz deine Entscheidung.” 

Mental-Health-Diagnose von der Akupunkteurin

Ein Beispiel zeigt das Problem der mangelnden Einordnung besonders deutlich. Wegen ihrer Rückenschmerzen begibt sich Sophie in eine Akupunkturtherapie. Wir erfahren, dass diese Teil der traditionellen chinesischen Medizin ist und an bestimmten Stellen im Körper eine therapeutische Wirkung entfalten könne. Auch hier spricht als Expertin wieder nur die Akupunkteurin. Zusätzlich zu einer Behandlung mit einer Kräuterzigarre und einer Anekdote darüber, was unsere Zunge uns über unser inneres Gleichgewicht sagt, liefert diese auch noch eine Mental-Health-Diagnose: Sophie sei im Moment nicht ganz in ihrer Mitte.

Was die Wirksamkeit von Akupunktur betrifft, ist sich die Wissenschaft mehrheitlich  einig: In den meisten seriösen Studien zeigt sie nur eine extrem geringe Wirksamkeit oder geht nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Zudem sind viele der Studien, die einen Effekt zeigen sollen, von mangelhafter Qualität, oft nur in chinesischer Sprache erschienen und nicht unabhängig überprüft worden. Dass es sich bei der Akupunktur um eine Pseudowissenschaft handelt, stellt auch das WDR-Format “Science Cops” fest. In einer Folge „verwarnen“ die “Science Cops” sogar ein Arte-Format, das absolute Aussagen zur Wirksamkeit von Akupunktur verbreitet hatte.

Journalistin Carlott sagt in ihrem Faktencheck-Video zur Akupunktur über den Vorwurf, dass hinter der Akupunktur nur ein Placebo-Effekt stecke, dieser sei „debatable“, also umstritten. Sie verweist auf eine einzige Studie aus dem Jahr 2004, die eine Wirkung nachgewiesen habe. Ein Studienteam aus Jena untersuchte  damals, ob Akupunktur schmerzlindernd wirkt, und kam zu dem Schluss: “Die Schmerzreize können durch den Einsatz der Akupunktur gedämpft, aber nicht völlig abgeblockt werden“.

Es ist allein schon fragwürdig, sich nur auf eine Studie als Gegenposition zu berufen. Zumal diese offenbar ebenfalls eklatante Mängel aufweist. Der britisch-deutsche Mediziner Edzard Ernst gilt als Experte auf dem Gebiet der Erforschung von Alternativmedizin. Auf Nachfrage schreibt er, dass die Jenaer Studie nicht aussagekräftig sei und darin zudem elektrische Nadelakupunktur untersucht worden sei, also keine klassische Akupunktur. Ernst sagt außerdem, dass es sich um eine 20 Jahre alte Studie ohne unabhängige Überprüfung handele. Er betont: „In der Wissenschaft müssen wir auf unabhängigen Überprüfungen bestehen und dürfen uns nie auf eine einzige Studie verlassen, da diese aus einer Reihe von Gründen falsch sein kann.“

Recherche in der „Schwitzhütte“

Noch zweifelhafter sind die Videos, in denen es um mentale Gesundheit geht. So spricht Sophie über ihre emotionalen Probleme bezüglich ihrer Mutter bei einem Schwitzhüttenritual im Wald mit Awa Belrose. Belrose ist “professionelle Schwitzhüttenleiterin”, Sterbebegleiterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.  

In einem Video bläst Awa Sophie Tabakrauch über ihren Kopf, um ihre “Chakren zu öffnen”. Es geht unter anderem darum, “ihre Gefühlskälte zu überwinden”. Dann geht es in die Schwitzhütte, eine selbstgebaute Sauna im Wald. Ganz ungefährlich ist das nicht, denn immerhin wird hier mit sehr hohen Temperaturen sowie viel Qualm hantiert. Deshalb wird auch im Format darauf hingewiesen, so etwas nur gemeinsam mit professionellen Akteur:innen zu machen.

Es ist grundsätzlich legitim, neben herkömmlichen Therapeut:innen auch Heilpraktiker:innen zurate zu ziehen. Mit Sicht auf die junge Funk-Zielgruppe auf Tiktok wäre es jedoch verantwortungsvoll, wenigstens einen Disclaimer dazuzustellen, dass man sich bei ernsthaften psychischen Problemen nicht nur in die Hände von Heilpraktiker:innen begeben sollte, deren Ausbildung auf diesem Gebiet oft nur eingeschränkt ist. Zumal die laschen staatlichen Überprüfungen von Heilpraktiker:innen-Ausbildungen seit Jahren in der Kritik stehen. Diese Hinweise fehlen jedoch – gleichzeitig gehören die Videos mit Awa zu den meistgesehenen von “karmaregelt”.

Protagonistin fällt durch antisemitischen Post auf

Und wieder darf die Protagonistin selbst als auch als einzige Expertin herhalten. In drei Q&A-Videos erzählt Awa beispielsweise, dass ein Trauma aus der Familie sie in ihre Berufung geführt habe. In den weiteren Videos erklärt sie, dass sie in einer Session Kontakt zu Verstorbenen gehabt habe und dass es kein Unfall gewesen sei, dass sie in ihrer Hütte in die Feuerstelle gefallen sei und sich schwer verbrannt habe, sondern eine Art Zeichen.

All das wird ohne weiteren Kommentar so stehen gelassen. Journalistin Carlott kommt in diesen Videos nicht zu Wort. Awa hätte wohl auch erzählen können, dass sie nach einer Schwitzhütten-Session im Wald Kobolden begegnet sei – oder dass das Coronavirus eine Verschwörung von Bill Gates gewesen sei. Letzteres hatte sie tatsächlich 2020 und 2021 auf Facebook verbreitet, ebenso das Bild eines gelben Impfsterns, der als antisemitisch kritisiert wurde. Auf Youtube veröffentlichte sie ein Video mit dem Titel “Ich teste meine persönliche schamanische Corona-Impfung … Ich lebe noch!”

Unheilige Allianz von Esoterik und Querdenkertum

Alles nicht so wichtig, ist ja schließlich nur eine “Meinung”? Nicht ganz. In dem Buch „Gefährlicher Glaube: Aufklärung über Gefahren der Esoterik“ beschreiben Pia Lamberty und Katharina Nocun, dass die Esoterik-Szene oft fälschlicherweise als reine Privatsache angesehen werde. Eben ganz nach der Devise von “karmaregelt”, dass alles okay sei, solange man niemanden damit schade.

Nocun und Lamberty zeigen jedoch, dass hinter dem vermeintlich harmlosen Trend auch echte Gefahren stecken können. Zum einen die simple Abzocke durch fragwürdige Therapeut:innen. Zum anderen entpuppe sich die Szene teilweise als Sammelbecken für Corona-Leugner sowie als Hort rechtsradikaler und antisemitischer Ideologien. Dass Querdenkertum und Esoterik während der Pandemie oft eine unheilige Allianz bildeten, legt auch eine Studie der Universität Basel nahe. 

Von solchen Hintergründen erfährt man bei “karmaregelt” nichts. Stattdessen wird sich an eine Szene angebiedert, teils sogar mit indirekter Werbung für Esoterik und Alternativmedizin – und das in einem öffentlich-rechtlichen Format.

6 Kommentare

  1. Carlott spricht in einem weiteren Video zum Thema Räuchern nur kurz darüber, dass weißer Salbei, der desinfizierend wirke und gut fürs Raumklima sei, beim Räuchern verzichtet und stattdessen Beifuß verwendet werden sollte. … Eine Quelle fehlt, stattdessen heißt es am Ende: “Ob dir das hilft, ist natürlich ganz deine Entscheidung.”

    Ich empfehle, den Salbei nicht zu verbrennen, sondern zwischen einem Kalbsschnitzel und einer Scheibe Parma-Schinken kurz anzubraten. Mit etwas Weißweinsoße serviert, ergibt das ein hervorragendes Saltimbocca, was mein Ying und mein Yang sofort wieder ins Gleichgewicht bringt (das des Kalbs allerdings nicht). Als Beilage empfehle ich Rosmarinkartoffeln und in Mandelbutter geschwenkten Brokkoli. Oooommmm.

    P.S.: Merke gerade, in dem Zitat fehlt ein „auf“ – „auf weißen Salbei“, sollte es heißen. Fürchte, Herr Kintzinger hat seine Mitte verloren. Armer Kerl.

  2. Zitat:
    Eine Quelle fehlt, stattdessen heißt es am Ende: “Ob dir das hilft, ist natürlich ganz deine Entscheidung.”

    Wenn objektive Fakten zur Meinung verklärt werden. Quasi die Proklamation zum Recht auf Dummheit. Aus purer Unlust an einer sachlichen Auseinandersetzung?

  3. Danke fürs Draufschauen! Ich finde es gruselig, wie unkritisch und, ja, gefährlich, in solchen Formaten (gebührenfinanziert!) über diese Themen dünn drübergegangen wird. Was soll das? Das ist eben kein Journalismus, denn der ist Arbeit, Auseinandersetzung, Faktencheckerei. Könnten da vielleicht mal die Maus-Redaktion, die Science Cops und Mai Thi Nguyen-Kim bei den Funk-Kolleginnen mit dem kleinen Grundlagenbuch des seriösen Wissenschaftsjournalismus vorbeischauen? – Ich gebe zu, mich fuchst das als Frau immer besonders, wenn Geschlechtsgenossinnen in diesen seichten und trüben Esogewässern rumpaddeln und das ganze säuselnd als „Muss jede*r selbst entscheiden“ und nicht weiter relevant abtun, während Leute mit ernsthaften Problemen und Erkrankungen eben _nicht_ geholfen wird, weil sie auf Bach-Blüten, Akupunktur, Räucherwerk, Schwitzhütten… – you name it! – reinfallen und teilweise sterben in dem Glauben, ihr Krebs sei bloß durch mentale Kräfte besiegbar.
    Oder ist es bloß ein total blöd gelaufenes Quotenerreichungsinstrument im Zuge der Eso-Renaissance?

    OK, ok, viel zu langer Rant. Ausführliches und wissenschaftlich fundiertes zu all den Themen gibt es bei den Skeptikern resp. der GWUP (blog.gwup.net).
    Seufz, und dabei gibt es so gute und witzige und ansprechende Wissen(schaft)sformate im ÖRR.

  4. Danke fürs Verlinken der Science Cops, für die ich (Offenlegung) als externer Dienstleister für ihren YouTube-Kanal arbeite.
    That said, die Akupunktur-Folge ist auch auf YouTube verfügbar, falls jemand das praktischer finden sollte als die verlinkte Podcast-Version. Habe sie hier mal als „meine Website“ verlinkt.

  5. Die ständigen Unseriösitäten und mangelnde journalistische Kompetenz rund um Funk und ähnlichen „jungen“ Formaten des ÖRR geht mir langsam echt ordentlich auf den Zünder.
    Da muss ich mich auch gar nicht wundern, wenn die Mehrheit der Deutschen nicht mehr im Stande ist journalistische Stilmittel auseinanderzuhalten, einzuschätzen oder zu verstehen. Und ich kann das „Lügenpresse“-Gebrüll der Generation Z jetzt schon fast hören…

    Ich bin ein Verteidiger des ÖRR. Aber hier kann ich nur dazu raten entweder den Akteuren von FUNK und Co. eine Nachschulung oder eine vernünftige Ausbildung im Bereich etc Journalismus zu geben bzw vorauszusetzen.

  6. Von solchem Voodoo bin ich (zum Glück) schon als Kind ferngehalten worden. Das Voodoo, das meine Eltern durch HJ, BDM, RAD und Wehrmacht erleiden mußten, hatte ihnen auf immer und ewig gereicht. Wahrscheinlich das einzig noch halbwegs Positive an dieser Zeit.

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