Berichterstattung über Covid-19

„Nach Corona“ gibt es nicht

Gelbes Warnschild mit einem Corna-Virus.
Grafik: Canva

Vor einem Jahr ergab eine INSA-Umfrage im Auftrag des Deutschen Instituts für Altersvorsorge, dass 21 Prozent der Menschen, die sich mindestens einmal mit SARS-CoV2 infiziert haben, an Post- oder Long-Covid leiden. 35 Prozent der 18- bis 29-Jährigen und 40 Prozent der 30- bis 39-Jährigen seien betroffen.

Hätten Sie’s gewusst?

Von 2019 bis 2021 sank laut einer mehrjährigen Studie der University of Washington die Lebenserwartung in 84 Prozent der untersuchten 204 Länder und Gebiete um 1,6 Jahre – nachdem sie Jahrzehnte lang angestiegen war.* „Für die Erwachsenen in aller Welt hatte die Corona-Pandemie schwerere Folgen als alle anderen Ereignisse in einem halben Jahrhundert, darunter Konflikte und Naturkatastrophen“, sagen die Autor*innen der Studie.

Hätten Sie’s gewusst?

Fast einer von vier erwachsenen US-Bürgern, die sich mit Covid-19 angesteckt haben, entwickelt gemäß einer im Februar veröffentlichten Datenanalyse des Census Bureau Long-Covid-Symptome.

Hätten Sie’s gewusst?

Solche Studien gehen natürlich selten komplett unter. Dass die Untersuchungen in einem Umfang Verbreitung gefunden haben, der ihren teilweise verstörenden Ergebnissen gerecht wird, lässt sich allerdings nicht sagen. Für die derzeitige Berichterstattung zu Corona in Deutschland ist das durchaus symptomatisch.


Die Journalistin Britta Domke beschreibt dieses weitgehende Schweigen mit folgenden Worten:

„Ich komme jeden Tag an dem Schriftzug von Rudolf Augstein im Spiegel-Gebäude vorbei: Sagen, was ist. Ich sehe aber oft, dass Journalisten in der Pandemie nicht mehr sagen, was ist. Dass sie keine Lust mehr haben, sich damit zu beschäftigen. Dass sie sagen: Naja, das klickt nicht gut, die Leute tragen keine Masken mehr, die wollen nichts mehr darüber lesen. Das widerspricht doch unserer Aufgabe als Journalisten.“

Den berühmten Schriftzug sieht Domke jeden Tag, weil sie leitende Redakteurin beim Magazin „Harvard Business Manager“ ist, das zur Spiegel-Gruppe gehört. Im Dezember hat sie für ihre Zeitschrift einen den besten Überblickstexte zu Corona geschrieben, die seit sehr langer Zeit erschienen sind, und das ist äußerst ungewöhnlich, weil Domke vorher nie etwas über das Thema geschrieben hatte und Corona nicht zu den Kernkompetenzen dieses Titels gehört. Der „Harvard Business Manager“ richtet sich laut Selbstdarstellung „vor allem an ambitionierte, junge Führungskräfte“, empfiehlt etwa „Nachwuchsconsultants“, welche „Vorbilder“ sie sich suchen sollen.

Für Domke bedeutete der Text auch das Ende einer Frustrationsphase:

„Seit drei Jahren lese ich viel zu dem Thema und ärgere mich natürlich immer wieder über Maßnahmen, Nichtmaßnahmen, auch über die Nichtberichterstattung der Medien.“

Als sich im letzten Herbst wieder einmal eine Welle aufbaute und medial wieder mal fast nichts passierte, habe sie „mit einer Mischung aus Wut, Verzweiflung und Entschlossenheit“ die Sache selbst in die Hand genommen.

Um den Artikel schreiben zu können, richtete sie ihn direkt an die Kernklientel des „Harvard Business Manager“. Daher enthält der Text ausführliche Tipps, wie Unternehmen den Corona-Krankenstand in der Mitarbeiterschaft verringern und die Folgekosten von längerfristigen Arbeitsausfällen vermeiden können – und so letztlich vielleicht doch noch verhindern, dass die Folgen von Long Covid die Wirtschaft „nachhaltiger beeinträchtigen als die Lockdowns“.

Man muss aber weder Führungskraft noch Unternehmensberater sein, um aus dem Text viel für seinen eigenen Alltag mitzunehmen. Der Artikel wurde innerhalb der Spiegel-Verlagsgruppe mittlerweile viermal veröffentlicht, zuletzt Anfang März beim bekanntesten Titel des Hauses. Dennoch sagt es natürlich etwas aus über den aktuellen Zustand des deutschen Corona-Journalismus, wenn ein herausragender Text zum Thema zuerst beim „Harvard Business Manager“ erscheint. Das ist ungefähr so, als hätte der „Feinschmecker“ einen Meilenstein unter den Ukraine-Kriegsreportagen veröffentlicht oder der „Kicker“ einen Leuchtturm-Beitrag zur Klimakrise. Wären hier nicht eigentlich andere Medien gefordert?

Für Domke war der Auslöser für ihre intensive Beschäftigung die sehr populäre Erzählung, für Kinder verlaufe Corona „mild“. Weil sich das nicht mit ihren Beobachtungen im Freundes- und Bekanntenkreis in Einklang bringen ließ, fing Domke an, sich mit der Forschung dazu zu beschäftigen. Beim Blick auf die Folgen von Corona für Kinder sieht Domke bis heute große journalistische Versäumnisse:

„Es wird kaum berichtet – zum Beispiel, was Long Covid für die Gehirnentwicklung der Kinder bedeutet, und wie viele Kinder mittlerweile mit Brain-Fog in den Schulen sitzen oder gar nicht mehr am Unterricht teilnehmen können.“

Brain-Fog ist ein Sammelbegriff für geistige Trägheit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit.

Eine Elefantenherde steht im Raum

Dass „das Bewusstsein für die Risiken wiederholter Corona-Infektionen in der Bevölkerung noch gering ist“ (Domke) liegt auch daran, dass oft eine Elefantenherde im Raum steht. Wenn von Arbeitsausfall in Unternehmen die Rede ist, von Unterrichtsausfall in Schulen und krankheitsbedingt halbleeren Klassenzimmern, sucht man nach dem Stichwort Corona meistens vergeblich. Dass solche Ausfälle auch mit aktuellen Corona-Infektionen zu tun haben, bleibt damit außen vor. Ebenso, dass, wie Domke schreibt, Menschen, die „früher fast nie krank waren“, sich nach der Genesung von einer Corona-Infektion „eine Krankheit nach der anderen einfangen, von Erkältungsviren über Streptokokken bis hin zur echten Grippe“.

Neben solchen Auslassungen ließen und lassen sich in der Corona-Berichterstattung unter anderem auch folgende Schwächen benennen:

  • Ausufernd viele Texte über Impffolgeschäden. Viele Betroffene fühlen sich „alleingelassen“, heißt es bei Deutschlandfunk Kultur, kämpfen um „Anerkennung“ („Hessenschau“ des HR). Dass Journalist*innen über die Einzelschicksale von Menschen berichten, die sich schützen wollten, aber nun möglicherweise infolge einer Schutzmaßnahme schwer erkrankt sind, ist nachvollziehbar. Der Umfang der Berichterstattung zu „Post-Vac“ steht aber in keinem Verhältnis zum Ausmaß der Problems. Das Paul-Ehrlich-Institut stellte im vergangenen Mai fest: „In Deutschland wurden bislang über 192 Millionen COVID-19-Impfungen verabreicht. Gemessen an den bislang verimpften Dosen von COVID-19-Impfstoffen und der Anzahl der gemeldeten Verdachtsfälle, in denen Beschwerden (zum) genannten Symptomkomplex berichtet wurden, ergibt sich eine Melderate von weniger als einem Verdachtsfall pro 100.000 Impfungen (0,73/100.000).“
  • Die Dämonisierung von Schulschließungen, die noch gefühlte Lichtjahre später als Grund für allerlei Missstände herhalten müssen. Im Dezember 2023 verbreitete sich die These, diese Schulschließungen seien ein Grund für das verschlechterte Abschneiden Deutschlands bei der Pisa-Studie. Sogar eine ARD-Mitarbeiterin vertrat sie während einer Schalte bei Tagesschau24 – obwohl sich die Ergebnisse der Schüler*innen in Schweden, wo die Schulen nur für eine vergleichsweise kurze Zeit** geschlossen gewesen waren, noch stärker verschlechtert hatten.

Ein weiterer Teil des Problems: tückische Formulierungen, die einem allzu leicht von der Hand gehen. „Nach Corona“ ist eine davon. Eine Wortwahl, die auch deshalb kaum angemessen erscheint, weil zwischen Februar und März 2024 laut WHO weltweit 6.200 Menschen an Corona starben. Wobei die tatsächlich Zahlen noch wesentlich höher liegen dürften. In ihrer Bilanz des Jahres 2023 wies die WHO jedenfalls darauf hin, dass nur 50 der 234 Länder und Gebiete, die der WHO Bericht erstatten, Corona-Todeszahlen melden

Als sich in der vergangenen Woche zum vierten Mal der Tag jährte, an dem die WHO Corona zur Pandemie erklärte, erschien in der „Süddeutsche.de“ (SZ) ein Text, der das Dilemma dieses „Nach Corona“-Narrativs verdeutlicht. SZ-Redakteurin Friederike Zoe Grasshoff schreibt hier, „das Kuriose an der Zeitrechnung ‚nach Corona‘“ sei auch, dass nicht darüber gesprochen werde, „wie wahnsinnig toll es ist, ohne Testerei und Nennung der letzten fünf Kontakte neben einem unmaskierten Menschen zu sitzen, muss gar kein Freund sein, eine Bekannte oder Fremder tut es auch. Und dann Aerosole auszutauschen, einfach, weil es geht.“ Quarantäne und Lockdown „hinter sich gelassen zu haben und seitdem ein ganzes Jahr, volle zwölf Monate, wirklich gelebt zu haben, fühlt sich an, wie nach einer Bahn unter Wasser aufzutauchen und Luft zu holen“.

Grasshoff malt hier eine Puppenhauswelt, in der Risikogruppen nicht existieren. Die Autorin will sich offenbar gar nicht vorstellen, dass einem maßgeblichen Teil der Bevölkerung dieses „wirkliche“ Leben mit chilligem Aerosol-Austausch verstellt ist. Anders als zum Beispiel in den USA gebe es in Deutschland „kaum Berichterstattung über jene vulnerablen Personen und Familien, die nach dem Wegfall aller Schutzmaßnahmen am öffentlichen Leben praktisch nicht mehr teilhaben können, weil sie sich vor Ansteckung schützen müssen“, sagt Frederic Valin, freier Autor unter anderem für die „taz“ und fürs „Neue Deutschland“.

Lesen Journalisten keine Studien mehr?

Valin, der auch als Pfleger in einer Behinderten-WG arbeitet, gehört selbst zu den beschriebenen Risikogruppen, entsprechend intensiv beschäftigt er sich mit Corona. Er argumentiert, ähnlich wie Britta Domke, gegen die Auslassungen und die allzu gängigen Darstellungen im Journalismus an, allerdings aus einer anderen, eher linken Position, die in seinem Fall auch die eines direkt Betroffenen ist: „Alle halbe Jahre“ bekomme er eine Anfrage, einen Artikel zu schreiben, sagt Valin. „Dann fällt den Redaktionen offenbar ein: Oh, oh, Corona, da könnte man ja mal wieder was machen.“

Solche Entscheidungen werden also offenbar gefällt mit Blick auf relativ willkürliche Veröffentlichungsturnusse, sie resultieren nicht aus inhaltlicher Dringlichkeit oder aktuellen Entwicklungen in der Forschung. Das liege auch daran, dass es in den Redaktionen kaum noch jemanden gebe, der bei dem Thema up to date sei, sagt Valin:

„Irgendwann hörten Redakteur*innen damit auf, die Studien zu lesen, oder zumindest die Abstracts. Mit der Folge, dass in vielen Meinungs- und Debattenbeiträgen zu Covid oft nicht einmal die faktischen Grundlagen stimmen. Das ist natürlich schlecht.“

Zum ganzen Bild gehört natürlich auch, dass Kollegen aus den Fachressorts das anders sehen. So etwa Volker Stollorz, Geschäftsführer des Science Media Center, das Wissenschaftsjournalisten bei ihrer Arbeit unterstützt. Er hält die derzeitige Intensität der Corona-Berichterstattung für angemessen. Es sei überhaupt nicht zwingend, dass noch so umfangreich wie zu Hochzeiten der Pandemie berichtet werde. Eine Ausnahme sei die „Sonderproblematik Long Covid, für die es derzeit keine Therapieoptionen gibt.“ Allerdings: „Das 57. Interview mit einer Forscherin darüber, dass Long Covid ein Problem ist, bringt uns auch nicht weiter. Damit will ich das Leid der Betroffenen aber überhaupt nicht bagatellisieren.“ Nur gebe es zu Long Covid derzeit eben keine „bahnbrechenden“ neuen Forschungsergebnisse. Derzeit, so der SMC-Geschäftsführer, warteten alle auf die angekündigten therapeutischen Studien. Es werde aber noch ein Jahr dauern, bis die vorliegen. „Wenn es Neuigkeiten und Durchbrüche gibt, ist das System weiterhin alert“, sagt Stollorz.

Frederic Valin vermisst aber auch „eine Debatte über die relativ strenge Präsenzschulpflicht in Deutschland“. Andere Länder würden Kindern vulnerabler Eltern, die sich schützen müssen, mehr Freiheiten zugestehen und damit auch den Eltern mehr Überlebenschancen. Mindestens ebenso wichtig wären auch wissenschaftlich fundierte regelmäßige Ratgeber-Texte, die sich an ein General-Interest-Publikum wenden, das (noch) nicht vulnerabel ist. Texte, die darüber informieren, dass auch eine „milde“ Infektion gravierende Folgen haben kann. Texte, die deutlich machen, dass jede und jeder es vermeiden sollte, sich zu infizieren. Alphajournalisten und Medienkritiker rümpfen über Nutzwert-Journalismus zwar manchmal die Nase, aber dass es beim Thema Corona so gut wie keinen (mehr) gibt, ist fatal.


Worin die weitgehende Wissenslosigkeit münden könnte, hat Frederic Valin bereits Ende 2022 in einem Interview mit dem „Freitag“ etwas ruppig zugespitzt:

„Irgendwann wird diese Pandemie auch enden, entweder wenn sich eine weniger verheerende Variante des Virus durchsetzt oder sich ein relevanter Teil der Bevölkerung nach der dritten bis siebten Infektion Blutgefäße, Organe und/oder das Immunsystem zerschossen hat. Dann implodiert der liberale Freiheitsbegriff von selbst.“

Dem Journalismus käme im derzeitigen Zustand der Maßnahmenlosigkeit eigentlich die Verantwortung zu, auf die Politik einzuwirken, damit sie zur Pandemiebekämpfung zurückkehrt. „Wie kriegt man die Politik dazu, einen U-Turn zu machen? Kann der Journalismus das?“, fragt sich Domke. „Ein Hebel wäre die Berichterstattung über die Folgen für die Kinder.“ In den Schulen, zum Beispiel, wären Maßnahmen ja relativ einfach umzusetzen: Wiederinbetriebnahme der für viel Geld angeschafften Luftfilter (die zum Beispiel auch die Verbreitung von Grippe-Viren eindämmen); regelmäßige Tests; Schulverbot für positiv Getestete.

Britta Domke sagt:

„Wenn Eltern verstehen, was Covid mit ihren Kindern macht, dann könnte vielleicht ein Druck aufgebaut werden. Das können sie aber nur verstehen, wenn Medien ihre Rolle erfüllen. Ich weiß nur nicht, ob sie es noch wollen.“

Dass eine leitende Redakteurin aus dem Spiegel-Imperium so pessimistisch auf die Branche blickt, kann man durchaus bemerkenswert finden.


* Korrekturhinweis: Ursprünglich hatten wir geschrieben, laut der eingangs zitierten Studie der University of Washington sei die Lebenserwartung in den Jahren 2021 bis 2022 um 1,6 Jahre gesunken. Tatsächlich bezog sich das Ergebnis auf den Zeitraum von 2019 bis 2021. Wir haben das korrigiert.

** Korrekturhinweis: An dieser Stelle hatte es ursprünglich geheißen, in Schweden seien die Schulen gar nicht geschlossen gewesen. Laut einer auf OECD-Daten basierenden Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München waren die Schulen in Schweden zwischen Januar 2020 und Mai 2021 allerdings an 20 Tagen vollständig und an 11 teilweise geschlossen. Zum Vergleich: In Deutschland waren sie an 74 Tagen vollständig und an 109 teilweise geschlossen. Wir danken Korinna Hennig für den Hinweis.

7 Kommentare

  1. Mir fehlt vor allem die Berichterstattung über den aktuellen Risikostand. Es gibt das Abwasser-Monitoring auf infektionsradar.gesund.bund.de, laut dem gab es im Winter die höchsten Infektionszahlen seit Beginn der Datenerfassung (05/22), mittlerweile ist es wieder weit unten.
    Und die Sentisurv-Studie der Uni Mainz, die das in etwa gleich abbildet – und zum 31.03. leider abgeschaltet wird.
    Nur wenn man sinnvoll informiert ist, kann man auch überlegen, welche Schutzmaßnahmen man aktuell für angemessen hält.

  2. Ich erinnere mich an Frau Domkes Artikel im Dezember. Auch an die wissenschaftliche Diskussion über den von ihr zitierten Steadson. Nicht wenige Wissenschaftler sehen ein immer gleichbleibendes LC-Risiko pro Infektion als nicht realistisch an. Darauf weisen auch die von ONS erhobenen LC-Zahlen. Gut zusammengefasst unter anderem hier: https://gidmk.substack.com/p/the-future-risk-of-long-covid

    Auch ein langfristiger Immunschaden ist bei immungesunden Personen nicht zu beobachten.

  3. Die Zahlen der INSA Studie irritieren mich erheblich.
    Wenn man die % Zahl der Post- / Long Covid Fälle auf die Gesamtzahl der Befragten bezieht, kommt man auf 14% der Befragten.
    Der Anteil ist bei jüngeren im erwerbsfähigen Alter viel höher als im Rentenalter.

    Kann das repräsentativ sein ?

    Wenn mehr als 14% der Erwerbsbevölkerung an Long/Post-Covid leidet, sollte man das an der Wirtschaftsentwicklung sehen.

    12% der Befragten geben an, Leistungen aus einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung wegen Long/Post-Covid zu beziehen.

    23% der Befragten im Alter 30 bis 39 Jahre geben an, Leistungen aus einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung wegen Long/Post-Covid zu beziehen.

    Auch wenn Ich das Studiendesign nicht kenne, und daher keine fundierte Kritik an der Studie üben kann:
    Wenn das repräsentativ wäre, und fast 1/4 einer Generation Leistungen aus einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung bezieht (zusätzlich, wegen einer bestimmten Krankheit), würde man Auswirkungen sehen
    a) Kollaps von Versicherern
    b) Wirtschaftlicher Rückgang

    An den Zahlen stimmt etwas nicht.

    Ist von den 30 bis 39 Jahre alten Personen kaum jemand bereit für Telefonbefragungen ? Nur diejenigen, die krank zuhause sitzen ?

    Oder ist ein langer Krankheitsverlauf mit Lohnfortzahlung direkt „Leistungen aus einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung“ ?

    PS: Persönliche Meinung:
    Natürlich existiert Long/Post-Covid, und die vorgestellten schweren Fälle sind erschütternd. Allein deshalb lohnt es sich, zu versuchen Covid-Infektionen zu vermeiden.
    Das ändert aber nichts daran, das an den Zahlen etwas nicht stimmen kann.

  4. Vielen Dank für diesen Artikel! Er ist so wichtig in dieser Zeit der Verdrängung. Denn das ist das Grundproblem, die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand der posttraumatischen Belastungsstörung. Die Pandemie hat tiefe Furchen hinterlassen, an die niemand erinnert werden möchte. Aus der Definition von Symptomen bei PTBS:

    „Vermeidungssymptome: emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber, aktive Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.“

    Kommt das jemanden bekannt vor? So kann man wohl die gesellschaftliche und eben auch journalistische Situation derzeit beschreiben. Bis hin zu Gereiztheit oder sogar Aggressivität bei Erwähnung des Corona Themas, ebenso Symptome von PTBS.
    Das große Problem dabei: Vulnerable Menschen kommen unter die Räder. Es besteht keine Chance mehr, sich zu schützen, außer durch völlige Isolation. Während der ganzen Pandemie war es noch nie so gefährlich wie jetzt sich im Alltag anzustecken. Selbst positiv mit Corona zur Arbeit zu gehen, ist keine Seltenheit mehr. Jeder achte Beschäftigte in Deutschland geht offenbar mit einem positiven Corona-Test zur Arbeit. https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/testergebnis-ignoriert-jeder-achte-geht-mit-positivem-corona-test-zur-arbeit-11098975.html
    Währenddessen sind die Todeszahlen immer noch hoch, es betrifft jetzt vermehrt auch junge Menschen. Ganz zu schweigen von der Zunahme von Herzinfarkten und Schlaganfällen, die nicht mit Corona in Verbindung gebracht werden. Wir haben wirklich nichts aus der Pandemie gelernt.

  5. „Nach Corona“ erleidet halt das gleiche Schicksal, wie „nach Krieg xyz“ oder „nach Krise abc“, … die Berichterstattung verschwindet in die Nische. Dort ist es ruhiger und wird weniger angesehen. Dazu kommt m.E., dass ein großer Teil der Bevölkerung nichts mehr mit Corona-Maßnahmen zu tun haben möchte und vermutlich schnell weiterblättert oder -klickt. Ganz zu schweigen, wenn es dann an die persönliche Umsetzung gehen würde. Des weiteren gibt es zahlreiche andere Gesundheitsthemen, die m.E. ähnliche Relevanz haben müssten, aber genau so ein Nischendasein pflegen dürfen. Ganz zu schweigen von den ganzen andere Krisen…
    Wie kann man es also in so einem Umfeld schaffen, dass sich Medien, Staat und Politik angemessen damit beschäftigen? Ich habe darauf derzeit leider keine Antwort. Momentan sehe ich eher den Populismus starkmzunehmen und zeitgleich das Interesse und damit auch die Akzeptanz an wissenschaftlich orientierten Lösungen schwinden. Wünschen würde ich mir es natürlich genau anders herum.

  6. @#3 Data Analyst: Das INSA-Papier ist halt nur eine Umfrage und eben keine Studie. Ergebnisse spiegeln eine Meinung wieder, die muss auch nicht unbedingt konsistent sein. Diese Umfrage wirft bei mir dann aber auch sehr viele Fragen auf.

    Spannend wären da auf jeden Fall die Zahlen der BU-Versicherer. Konnte ich auf die Schnelle keine finden…
    …dafür ein paar Zahlen der AOK: https://www.wido.de/news-presse/pressemitteilungen/2024/post-covid-und-long-covid-sinkende-zahl-von-krankschreibungen/
    Ok, die Versicherten der AOK bilden jetzt auch nicht unbedingt repräsentativ die Bevölkerung ab. Dafür gibt es nachvollziehbare Zahlen in Form von Krankschreibungen (AU) für einen sehr breiten Ausschnitt der erwerbstätigen Bevölkerung. Natürlich gibt es on top auch noch Covid und Post-/Long-Covid in dieser Gruppe, welche sich nicht in Arbeitsunfähigkeit niederschlägt.
    Eine BU/Erwerbsunfähigkeit ohne vorherige AU wird aber wohl eher sehr selten sein. Zudem ist nicht jede:r BU-versichert. Somit dürften Leistungen aus BU-Versicherungen unter dem Wert der AU wegen Long-Covid liegen.

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