Ausschreitungen bei Eintracht Frankfurt

Medien-Randale nach Fußball-Randale

Am vergangenen Wochenende gab es Randale beim Bundesliga-Spiel von Eintracht Frankfurt gegen den VfB Stuttgart. Es waren schwere Ausschreitungen, die schwersten seit Jahren in Frankfurt, vor allem direkt im Waldstadion selbst. Polizist:innen wurden ebenso verletzt wie zahlreiche Ordner:innen und Besucher:innen, einige von ihnen schwer.

Ein derartiger Gewaltausbruch inmitten eines voll besetzten Stadions ist immer besonders gefährlich, weil extrem schnell Tausende Menschen gefährdet sind. Wenn es zu einer Massenpanik kommt, die Organisation mangelhaft ist und unglückliche Umstände hinzukommen wie 2022 in Indonesien, kann das innerhalb kürzester Zeit mehr als Hundert Menschen das Leben kosten.

Eine Gaswolke schwebt über dem Frankfurter Ultras-Block Foto: Imago / Jan Huebner

Entsprechend stellen sich viele kritische Fragen an das Verhalten der Fans, die massiv Polizeikräfte attackierten, aber auch an die Polizei selbst, die offenbar Pfefferspray in so großen Mengen einsetzte, dass es sich nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten wolkenartig über mehrere Blöcke ausbreitete. Die Polizei bestreitet dies zwar und spricht davon, dass es sich bei dem auch optisch wahrnehmbaren Aerosol um die Rückstände von entleerten Feuerlöschern gehandelt habe, die von den Fans zweckentfremdeten worden seien. Aber angesichts der zahlreichen Berichte über massive Atemwegsreizungen müsste es mindestens ein Gemisch aus beidem gewesen sein. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil die FIFA die Anwendung von Reizstoffen in Fußballstadien aus Sicherheitsgrünen untersagt – auch die Massenpanik in Indonesien hatte als eine Hauptursache das wahllose Verschießen von Tränengaskartuschen, vor denen sich die Zuschauer:innen in Sicherheit bringen wollten.

Oder man ist halt „Bild“

Wenn es bei Fußballspielen oder anderen Anlässen zu Gewalt kommt, haben Medien (und im Übrigen auch die Gesellschaft) verschiedene Möglichkeiten zu reagieren: Man kann versuchen, das Geschehen zu verstehen, unterschiedlichen Sichtweisen Raum geben und einordnen, wie es dazu gekommen ist – und wie es in Zukunft vielleicht zu verhindern wäre. Das hat exemplarisch die „Frankfurter Rundschau“ in ihrer Berichterstattung zur Frankfurter Fußball-Randale vom vergangenen Wochenende getan. Auch der Hessische Rundfunk und andere Medien berichteten differenziert.

Oder man ist halt „Bild“ und titelt:

Ultras drohen Fotografen sogar mit Genickbruch
Screenshot: „Bild“

In dem Artikel von bemerkenswerter Einseitigkeit heißt es gleich zu Beginn: „Sie prügelten sich lieber mit der Polizei, statt die eigene Mannschaft zu unterstützen.“ Wer „sie“ ist, wird den Leser:innen dann immer wieder eingehämmert: „Die Ultras“, bzw. „Chaoten“, die sich „eine Schlacht mit den Beamten“ lieferten, „einen Gewalt-Exzess“ anzettelten, eine „Randale-Schande“ sondergleichen. Und:

„Völlig irre: Ultras drohten einem Fotografen, der mit Verletzten sprach und Hilfe anbot, mit Genickbruch.“

Der angebliche Vorgang wurde bislang weder vom Verein Eintracht Frankfurt, noch von der Polizei, noch von Journalismusverbänden thematisiert. „Bild“ weiß exklusiv von ihm und hat ihn zur Schlagzeile der gesamten Berichterstattung gemacht.

Im Text steht dann allerdings nichts weiter als der oben zitierte Satz.

Auf Anfrage von Übermedien stellt Axel Springer den Sachverhalt folgendermaßen dar: Um die Identität des Fotografen zu schützen, habe man über die Details nur zurückhaltend berichtet. Der Kollege sei nicht für „Bild“ dort gewesen. Er habe „zunächst drei verletzten Fans“ Hilfe angeboten. Die drei hätten ihm dann auch erlaubt, ihre Kopfwunden zu fotografieren. Daraufhin habe sich ihm eine junge Frau mit der Ansage in den Weg gestellt, er solle die Fans in Ruhe lassen. Es habe dann weitere Aufforderungen gegeben, sich zu entfernen, bis ihm „zu guter Letzt“ ein „sehr bulliger Ultra“ gedroht habe, wenn er jetzt nicht gehe, breche er ihm das Genick. Daraufhin habe er sich entfernt.

Das allerdings klingt deutlich anders als eine Attacke beim Versuch, Verletzten zu helfen. Die Beteiligten, die sich gerade in einer Auseinandersetzung mit der Polizei befanden, hatten aus nachvollziehbaren Gründen wenig Interesse an professionellen Fotos. Das rechtfertigt natürlich in keiner Weise den Angriff auf die Pressefreiheit, aber es ist nicht dasselbe als wenn jemand als Helfer attackiert wird. Letzteres war offenbar eindeutig nicht der Fall – wird von „Bild“ aber suggeriert.

Der Mann konnte sich nach mehrfacher Aufforderung unbehelligt entfernen. Zur Anzeige gebracht wurde der Vorfall laut Axel Springer nicht; ob die Drohung wie behauptet ausgestoßen wurde, lässt sich nicht klären.

„Bild“ kommt zum Schluss: „Das, was sich die Ultras jetzt leisten, zeigt nur, dass sie ihre eigenen Belange über die des Vereins und der Mannschaft stellen.“ Da passt das dahinbehauptete Bild vom Genickbrecher, der Helfer attackiert, natürlich bestens in die Köpfe. „Völlig irre“ ist hier allerdings vor allem eine „Berichterstattung“, die durch gezielte Suggestion weiter Öl ins Feuer gießt.

Multi-Kulti Schuld am Ultra-Terror?

Auf einen noch irreren Dreh ist Michael Heil in der „Gelnhäuser Neuen Zeitung“ (GNZ) aus der Mediengruppe Madsack gekommen: Er lässt einen anonymisierten Eintracht-Ordner über die Ultras „auspacken“. Der Mann darf allerlei konservative und polizeifreundliche Ansichten verbreiten und ein paar beliebte Legenden äußern, so etwa das berühmte Früher-war-alles-Besser:

„Früher waren rivalisierende Fans sehr hart dabei, aber wenn einer am Boden lag, war Schluss. Heute tritt der Mitläufer aus der 15. Reihe schon einmal einen am Boden liegenden Menschen mit dem Schuh gegen den Kopf.“

Dass am Boden Liegende nicht weiter attackiert werden („Wer liegt, der liegt“), ist eine Legende, an der alte Hooligans und junge Hauer gerne selbst stricken. Einen solchen Kodex mag es geben, er gilt allerdings vor allem bei verabredeten Schlägereien auf der Grünen Wiese und wurde stets auch verletzt. Dass ausgerechnet „früher“ nicht auf am Boden Liegende eingeprügelt wurde, ist schlicht unwahr und lässt sich allein anhand des von deutschen Hooligans 1998 schwer verletzten französischen Polizisten Daniel Nivel widerlegen. Und das ist nur der Fall mit der tragischsten Berühmtheit.

Zudem finden sich in den Aussagen des Eintracht-Ordners zahlreiche Klischees, wie etwa dass Polizisten für Ultras „Freiwild“ seien. Den Betroffenen von Polizeigewalt glaubt er nicht. Über den Einsatz beim Spiel gegen Stuttgart sagt er:

„Ich habe immer mal wieder etwas von Unverhältnismäßigkeit der Polizei gehört. Da kam eine naive Frau zu Wort, die sich darüber aufgeregt hat, dass ein Polizist dem Hund den Maulkorb abgenommen hat. Solche Aussagen im Radio machen mich fassungslos. Das sind Menschen, die keine Ahnung haben, mit welcher Brutalität einige Ultras auf die Polizei und sogar auf Hunde losgehen.“

Nun, zufällig kenne ich die „naive Frau“ aus dem Radio und kann hiermit zu Protokoll geben, dass sie nicht naiv ist. Viel entscheidender aber: Als Unbeteiligte im Stadionumlauf hat sie ebenfalls ein Recht auf körperliche Unversehrtheit – und zwar auch vor scharfgemachten Polizeihunden ohne Maulkorb und vor polizeilichen Reizstoffen. Es gibt Dutzende ähnlicher Berichte, zum Beispiel von Menschen, die nach eigenen Angaben einfach nur von der Toilette kamen und sich zwischen prügelnden Polizisten, einer Reizgas-Wolke und mit Wurfgeschossen schmeißenden Ultras wiederfanden.

Die Krönung ist jedoch die von der Zeitung im Artikel unwidersprochene Aussage, der Eintracht-Vorstand um Präsident Peter Fischer „habe mit seinen verherrlichenden Aussagen und seinem Multi-Kulti-Geschwätz die Radikalen erst zu dem gemacht, was sie jetzt seien“.

Hier kippt der Sound vollends nach rechts unten, denn was „Multi-Kulti“ mit Ultra-Gewalt zu tun hat, erschließt sich umstandslos wohl nur denjenigen, für die „die Ausländer“ eh an allem Schuld sind. (Der Anteil von Migranten unter den Ultras dürfte eher unter dem der Stadt Frankfurt liegen.) In der Online-Ausgabe der Zeitung ist die ganze Passage umformuliert und um den „Multi-Kulti“-Teil entschärft.

Ein bisschen Anfachen der Flammen hier, ein bisschen rechtsradikaler Sound da – wenn es um das Brandmarken von Gewalt beim Fußball geht, sind sich manche Medien für nichts zu schade. Der Lösung latenter und manifester Gewaltprobleme im Stadion und in der Gesellschaft allgemein kommt man so allerdings kein Stück näher.

7 Kommentare

  1. Meiner Empfindung nach lässt dieser Kommentar eine Kontextualisierung der polizeilichen Zwangsmaßnahmen vermissen. So wird der Auslöser der oben beschriebenen Gewalteskalation gar nicht erwähnt und der Gewaltexzess auch nur mit einem eher allgemein gehaltenen Platzhalter verurteilt (siehe zweiter Absatz).

    Im weiteren Verlauf werden dann nur umherwabernde Reizstoffe und Diensthunde ohne Maulkorb als Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Unbeteiligter dargestellt, ohne dabei auf die Ursache dieser Zwangsmaßnahmen hinzuweisen: Das vollkommen entgrenzte Verhalten der gewaltaffinen Teile der „Fanszene“, das ein solch massives Einschreiten ohne begründete Zweifel erforderlich machte.
    Dass gerade im Dunstkreis der Eintracht Frankfurt solche Gruppierungen von Gewalttätern anzutreffen sind, sollte nach den massiven Ausschreitungen in Italien niemanden überraschen: https://www.hessenschau.de/sport/fussball/eintracht-frankfurt/eintracht-frankfurt-ausschreitungen-in-neapel-auch-nach-dem-champions-league-aus-v5,nacht-neapel-100.html

    Ebenso hätte sich dieser Kommentar dem ausgebliebenen Medienecho auf diese verstörenden Szenen oder der allgemeinen Ideenlosigkeit in der Begegnung dieses Problems widmen können.

  2. Ohne die zitierte Berichterstattung rechtfertigen zu wollen, hier einige Klarstellungen:
    1) Es ist schon immer die Strategie der Ultras gewesen, die Polizei als Verursacher von Eskalation darzustellen. Immer und in allen Zusammenhängen.
    2) Selbstverständlich ist die Polizei der Hauptfeind der Ultras. „All Cops are Bastards“ (ACAB). Immer und in allen Zusammenhängen.
    3) Niemand wird es je erleben, dass Ultras aus der eigenen Gruppe eines Fehlverhaltens bezichtigt werden.
    4) Seit Jahren wird das Abbrennen von Pyros (ein permanenter Rechtsbruch) von der Polizei aus Sorge um Eskalation nicht verhindert oder unterbunden.
    5) Die Kommunikation mit Ultras wird dadurch erschwert, dass diese sich für die einzig wahren Fans halten.
    Diese Gesichtspunkte sind dringend notwendig, um die Ultra-Bewegung richtig einschätzen zu können. Die im übrigen nicht durchgängig gewalttätig ist. Elitär und friedlich ist auch ein Teil der Realität. Ausserdem: gegen den Kommerz und eher „links“.

  3. Zu den beiden vorigen Kommentaren:
    Ihnen ist aber schon klar, dass es hier um Medienkritik-, und nicht um staatsanwaltliche Ermittlungen geht?

  4. Mit geht es darum, die Ultras richtig einzuordnen. Wenn es Mitgliedern einer Gruppierung, egal ob im Fußball oder sonstwo, im Traum nicht einfällt, Fehler oder Fehlverhalten einzugestehen, dann ist das nicht unwichtig für die Einordnung von Geschehnissen rund um Fußballspiele. Das ist kein Freibrief für die Polizei, aber sicherlich auch kein Indiz für die Glaubwürdigkeit von Ultra-Erzählungen. Weil sie grundsätzlich Opfer sind.

  5. Was soll man als Leser mit solchen Aussagen anfangen: „Nun, zufällig kenne ich die „naive Frau“ aus dem Radio und kann hiermit zu Protokoll geben, dass sie nicht naiv ist.“?
    Und soll ich das glauben: „Es gibt Dutzende ähnlicher Berichte, zum Beispiel von Menschen, die nach eigenen Angaben einfach nur von der Toilette kamen und sich zwischen prügelnden Polizisten, einer Reizgas-Wolke und mit Wurfgeschossen schmeißenden Ultras wiederfanden.“? Eben noch am Urinal und – Huch, hab ich nicht gesehen – schon in der Schlägerei? Hier scheint eine Ultras-Romantisierung als arme Polizeigewalt-Opfer stattzufinden. Es kann durchaus sein, dass die Polizei über die Stränge geschlagen hat, aber man muss schon berücksichtigen, wo die Gewalt ihren Ausgang nahm.

  6. „Aerosol … Rückstände aus entleerten Feuerlöschern… “? Francfort Police – you gotta be kidding me!

  7. „Es kann durchaus sein, dass die Polizei über die Stränge geschlagen hat, aber man muss schon berücksichtigen, wo die Gewalt ihren Ausgang nahm.“
    Sorry but not sorry:
    Sie können sich schon vorstellen, wie egal das jemandem sein wird, von wem die Gewalt ausging, in die mensch da hineingerät?
    Soll heissen: Wenn ich einen Tischler beauftrage, meine Möbel zu reparieren, erwarte ich, dass das professionell erledigt wird. Es scheint mir manchmal, eine ebenso professionelle Einstellung von der Polizei zu erwarten, bedeutet dagegen eine unzumutbare Härte und geradezu einen Affront ihr gegenüber.
    Da wird in alle Richtungen nach Ausreden und Erklärungen gesucht, nur nicht bei den Beamt:innen selber.
    Es mag ja sein, dass Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung/Vorbereitung, oder was weiß ich für strukturelle Probleme dafür verantwortlich sind.
    Dann muss mensch aber das auch so benennen und nicht Persilscheine verteilen, als gäbe es kein Morgen. So ändert sich das nie.
    Ich bin kein Ultra, nicht mal richtiger Fußballfan. Aber Gewaltexzesse von Beamten durfte ich schon einige beobachten, nicht nur beim G20. Das St.Pauli Stadion ist hier gleich um die Ecke.
    Und das soll auch kein Persilschein für gewalttätige Fans sein. Nur bezahle ich die auch nicht für die professionelle Erledigung ihrer Arbeit.

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