Fehlende Ausgewogenheit?

Von wegen „doppelte Standards“ in der deutschen Gaza-Krieg-Berichterstattung

Berichten deutsche Medien einseitig über den Krieg zwischen der Hamas und Israel? Womöglich wegen der historischen deutschen Schuld, die sich in deutsche „Staatsräson“ übersetzt, an der Seite Israels zu stehen? Dieser Vorwurf ist häufiger zu hören, so zuletzt auch bei Übermedien.

Meiner Auffassung nach verbirgt sich hinter diesem Vorwurf in Wirklichkeit eine politische Haltung, die sich als Objektivität tarnt.

Teseo La Marca argumentiert in seinem Artikel, „vorschnelle Schlüsse“ wie bei der Frage nach der Rolle des Al-Shifa-Krankenhauses seien „das unverkennbare Zeichen von Parteilichkeit, von fehlender Objektivität. Während die pro-palästinensische Seite nach den unzureichenden Beweisen die vermutete Hamas-Kommandozentrale schon als ‚israelische Lüge‘ abstrafte, versuchte die pro-israelische Seite, die spärlichen Funde als Beweis zu verkaufen.“

Zu viele deutsche Medien hätten sich zu vorschnellen Schlüssen verleiten lassen und der PR der israelischen Armee geglaubt, wonach die Hamas unter dem Krankenhaus eine Kommandozentrale unterhalte. Darin erkennt La Marca ein Muster, das für die gesamte deutsche Berichterstattung stehe – und die er mit der internationalen, vor allem angloamerikanischen Presse kontrastiert. Unzweifelhaft ist für ihn dabei, dass letztere ihren Job besser machen.

Die Fehler der anderen

Aber stimmt das? Wie war das etwa bei dem angeblichen israelischen Angriff auf ein anderes Krankenhaus zu Beginn des Krieges? Wir erinnern uns: Am 17. Oktober kam es zu einer Explosion auf dem Parkplatz des Al-Ahli-Krankenhauses in Gaza. Angeblich sollten Hunderte Menschen ums Leben gekommen sein, von palästinensischer Seite wurde umgehen ein israelischer Luftangriff verantwortlich gemacht.

Das Al-Ahil-Krankenhaus nach der Explosion Foto: Imago / APAimages

So berichtete die BBC noch am selben Abend, es sei schwer sich etwas anderes als einen israelischen Luftangriff vorzustellen, das eine Explosion dieser Größenordnung verursacht haben könnte. Reuters und AP übernahmen die Darstellung der Hamas (bzw. der palästinensischen Seite) zunächst praktisch ungeprüft. Es tut mir leid, an dieser Stelle Fox News verlinken zu müssen, aber hier findet sich die anschaulichste Sammlung eines kompletten medialen Versagens.

Arabische Staatschefs weigerten sich anschließend, den in den Nahen Osten gereisten US-Präsidenten Joe Biden zu treffen, Gespräche wurden abgesagt. Weltweit kam es zu wütenden anti-israelischen Protesten, in Tunesien wurde eine antike Synagoge niedergebrannt. Die renommiertesten Medien der angloamerikanischen Welt hatten dadurch, dass sie vorschnell unbewiesene Behauptungen aus den dubiosesten Quellen verbreiteteten, an einer Verschärfung der Lage mitgewirkt, Judenhass geschürt und mindestens in einem Fall sogar ein Pogrom befeuert.

Nachdem schnell Zweifel an der Größe der Explosion, der Anzahl der Toten und vor allem der israelischen Schuld aufkamen, ruderte man kleinlaut zurück – ohne die Dimension der Folgen des eigenen journalistischen Tuns auch nur im Ansatz zu reflektieren. Die „New York Times“ publizierte sechs Tage später eine Mitteilung der Herausgeber , wonach die eigene Berichterstattung zunächst „zu sehr auf Angaben der Hamas“ beruht habe und nicht deutlich gemacht worden sei, dass diese sich nicht unabhängig verifizieren ließen.

Mittlerweile ist die Zeitung der Meinung, dass die verfügbaren Beweise auf eine fehlgeleitete palästinensische Rakete hindeuten und dass die Hamas, beziehungsweise die von ihr kontrollierte Gesundheitsbehörde in Gaza die Opferzahlen und die Urheberschaft absichtlich falsch dargestellt hätten. Selbst die eindeutig israelkritische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hält mittlerweile friendly fire palästinensischer Terrorgruppen für die wahrscheinlichste Ursache.

„Kein Grund zur Reue“?

Weniger Einsicht zeigt man bei der BBC: Sie gab den Fehler in der ursprünglichen Berichterstattung zwar zu, aber der redaktionelle Leiter der internationalen Nachrichten, Jeremy Bowen, der zuvor jahrelang Nahost-Korrespondent des Senders war, gab in einem Interview zu Protokoll, dass er „keinerlei Reue“ habe. Und das, obwohl Bowen live on air behauptet hatte, das Gebäude des Krankenhaus sei von Israel „plattgemacht“ worden.

Am 15. November berichtete die BBC , die israelische Armee (IDF) greife nach eigener Darstellung bei ihrer Übernahme des Shifa-Krankenhauses auch gezielt medizinisches Personal und arabisch sprechende Menschen an.

Die BBC berief sich auf Reuters. Die Agentur hatte jedoch in Wirklichkeit wahrheitsgemäß berichtet, die IDF habe bekanntgegeben, man habe medizinisches Personal und Soldaten dabei, die arabisch sprächen. Wiederum musste sich der Sender entschuldigen, doch es stellt sich die Frage, ob solche Fehler nicht auf eine massive Voreingenommenheit, um nicht zu sagen Geisteshaltung, schließen lassen. Denn um überhaupt auf die Idee zu kommen, das könnte die israelische Armee allen Ernstes selbst bekanntgeben, muss man ihr ja mindestens zwei Dinge zutrauen: Erstens überhaupt in ein Krankenhaus einzudringen, zum dort „medizinisches Personal“ und „arabisch sprechende Menschen“ anzugreifen – und zweitens, es dann auch noch stolz bekanntzugeben.

Ein weiteres Beispiel aus der Reihe der Merkwürdigkeiten der Berichterstattung internationaler Leitmedien lieferte SkyNews-Star-Moderatorin Kay Burley, als sie einen israelischen Regierungssprecher fragte, ob die Tatsache, dass Israel drei Palästinenser pro israelischer Geisel freilasse, bedeute, dass palästinensische Leben weniger wert seien.

Die schlichte Hirnrissigkeit dieser Frage sollte sich jedem erschließen, dessen Denken nicht von einem tiefsitzenden Ressentiment vernebelt ist, denn Israel ist leider nicht in der Position, der Hamas die Bedingungen des Austauschs zu diktieren.

Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen, aber es sollte klar geworden sein: Die internationale, angloamerikanische Presse dient in diesem Konflikt nicht umstandslos als Qualitätsmaßstab, an dem sich deutsche Medien messen lassen sollten. Im Übrigen brachten auch viele deutsche Medien die falschen Beschuldigungen hinsichtlich des Raketenangriffs auf das Al-Ahli-Krankenhaus. Voreilige Schlüsse zu ziehen, jumping the gun, ist leider in Kriegssituationen ein medial weit verbreitetes Phänomen.

No Jews, no news

Die Erzählung der doppelten Standards westlicher Journalist:innen, die La Marcas Artikel beklagt, ließe sich ebenso gut (und ich würde sogar sagen, noch viel besser) umgekehrt erzählen: Im Gegensatz zu den Kriegstoten in Gaza, über die jeden Tag ausführlich berichtet wird, sind andere Konflikte ohne israelische (sprich: jüdische) Beteiligung gänzlich uninteressant. In welchem bewaffneten Konflikt starben 2022 die meisten Menschen? Laut dem Osloer Friedensforschungsinstitut, das jährlich einen entsprechenden Bericht herausgibt, war es der äthiopische Bürgerkrieg um die Provinz Tigray mit über 100.000 Toten. Hand aufs Herz: Wie viele Journalist:innen oder auch generell Menschen auf der Straße hätten diese Antwort wohl parat?

Die Todeszahlen im jemenitischen Bürgerkrieg sind ebenfalls sechsstellig. Wo waren die weltweiten Demonstrationen, wo die Wut und der Zorn auf europäischen Straßen? In syrischen Bürgerkrieg, der immerhin eine Weile lang Aufmerksamkeit erfuhr, waren Palästinenser:innen eine der größten Opfergruppen. Das hinderte den Diktator und Schlächter Baschar al-Assad nicht daran, kürzlich bei der Arabischen Liga den Frontrunner in Sachen Palästina-Solidarität zu geben. Die Aufmerksamkeit für die noch immer täglich in Syrien verübten Verbrechen dagegen? Liegt nahezu bei null. Es bleibt leider dabei: No Jews, no news, wie israelische Komiker seit Jahren aufs Korn nehmen.

Wenn wir über „doppelte Standards“ reden, steht und fällt die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung westlicher Medien nicht mit Gaza.

Der Unterschied der Berichterstattung ist ein politischer

Wer sich ernsthaft mit dem angenommenen Unterschied zwischen deutschen und internationalen Medien auseinandersetzen will, sollte eine andere Lesart in Betracht ziehen: Denn es gibt einen Unterschied vor allem auf der linken Seite des Spektrums. Und das ist auch der Vergleich, der immer wieder von Linken herangezogen wird. „Guardian“, „New York Times“, CNN usw. sind alles eher linksliberale bis linke Medien. Wer dagegen den britischen „Telegraph“ liest, bekommt eine ebenso eindeutig pro-israelische Haltung wie hierzulande. Selbst der liberale „Economist“ hat sich in einem Leitartikel klar dazu bekannt, dass Israel weiterkämpfen müsse, von Fox News oder anderen explizit rechten amerikanischen Outlets oder britischen Tabloids ganz zu schweigen.

Der Unterschied besteht vor allem darin, dass auch linke Medien hierzulande in ihrer Mehrheit keinen überwiegend pro-palästinensischen Kurs fahren, wie dies zum Beispiel im „Guardian“ unbestreitbar ist. Das hat wiederum mit der deutschen Geschichte und der Geschichte der deutschen Linken, auch der radikalen Linken, zu tun. Denn es ist keineswegs so, dass die deutsche Linke seit 1948 fest an der Seite Israels stünde. Nein, es gab eine breite „anti-imperialistische“ Allianz mit dem palästinensischen Freiheitskampf, in Gestalt von Teilen der RAF und Mitgliedern der Revolutionären Zellen sogar in seiner terroristischer Prägung. Diese Solidarisierung führte spätestens in den 70er Jahren bereits einmal in die Katastrophe.

Spätestens nach den Anschlägen auf israelische Sportler:innen bei den Olympischen Spielen in München 1972 und der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe, wo deutsche Terroristen jüdische und nicht-jüdische Passagiere „selektierten“, setzte in der deutschen Linken glücklicherweise ein langer Prozess der Auseinandersetzung mit linkem Antisemitismus ein. Die kritische Haltung gegenüber der weltweit grassierenden „Solidarität“ mit Palästina, hinter der allzu oft eben doch Parolen stehen, die von der Auslöschung Israels künden und die Juden ins Meer treiben wollen, ist eben nicht nur „German Guilt“, wie die woke Internationale an Unis und auf Berliner Straßen fälschlich glaubt.

Wer sich wünscht, linke (oder linksliberale) deutsche Medien mögen doch endlich auch berichten wie der „Guardian“, verkennt daher leider sowohl die Spezifika deutscher Geschichte als auch die der (bundes-)deutschen Linken nach 1945. Er verkennt außerdem, wie problematisch linker Antisemitismus ist, was die Schwächen und Auslassungen der vermeintlichen internationalen Vorbilder sind und wie dramatisch ihre Mitverantwortung für die weltweit größte antisemitische Welle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist.

Leider fehlt weiten Teilen der angloamerikanischen und europäischen Linken genau jene (um nicht zu sagen jegliche) Auseinandersetzung mit linkem (und muslimischem) Antisemitismus, die in Deutschland historisch bedingt notgedrungen geleistet werden musste. Dieser Unterschied schlägt sich eben auch in „Zeit“, „SZ“ und „taz“ nieder. Das ist meiner Meinung nach auch gut so. Wer anderes will, will dies aus politischen Gründen – nicht aus journalistischen.

11 Kommentare

  1. …in einigen Anmerkungen hat der Autor ja sicher recht; natürlich und leider gibt es einen linken Antisemitismus. Nur fürchte ich, dass Reisin zugleich einer antideutschen Haltung Luft macht, die ihrerseits nicht unproblematisch ist. Weil sie, was auch der Kommentar zeigt, jüdisch und israelisch gleichzusetzen pflegt. Auch DAS verhindert eine konstruktive Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der komplexen Geschichte im Nahen Osten. Und vernebelt eine differenzierte politische Betrachtung des Konflikts, der viele Facetten aufweist – und etwa auch Fragen von Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechten etc umschließt; also Fragen, denen sich ALLE Staaten, welchen Glaubens die Bevölkerung auch immer ist, stellen müssen. Es reicht nicht aus, vor dem Hintergrund der Historie stets eine Art Sonderrolle zu beschwören. Auch das ist eine Form politischer Stigmatisierung, die einem Antisemtismus eher in die Hände spielt, als dass sie ihn bekämpfen hilft. Das haben Überlebende und Nachfahren des Holocaust nicht verdient. Die ja auch und zu Recht nach gesellschaftlicher „Normalität“ suchen. Diese „Normalität“, nämlich (auch) den jüdischen Glauben im Nahen Osten und in Deutschland ohne Angst und Gefahren leben zu dürfen, muss die Bekämpfung von Antisemitismus zum Ziel haben. Dafür bedarf es einer Politik, die – wo auch immer – nicht auf Ausgrenzung, sondern auf integrative Anstrengungen setzt.

  2. Kluge Analyse, danke. Ich bin übrigens überrascht, wie differenziert die (linksliberalen) Medien in Deutschland den Krieg behandeln. Das Leid in Gaza darstellen, ohne die Ursache, den Hamas-Angriff, zu vergessen. Nach den Postkolonialismus-/Mbembe-/Documenta-Debatten der letzten Jahre hätte ich Schlimmeres befürchtet.

    Kleiner Hinweis: Das Olympia-Massaker fand 1972 statt, nicht 1974.

  3. @ #2 Kritischer Kritiker: Vielen Dank für das Lob und den Hinweis. Weltmeisterschaft ≠ Olympiade … 🙄🤦🏽‍♂️

  4. @ #1 Andreas Mijic:
    Well. Sie stellen da gleich am Anfang einen hübschen Strohmann auf, den Sie dann erfolgreich umboxen, der aber mit dem, was ich geschrieben habe, leider nicht das Geringste zu tun hat. Vielleicht schreibe ich nochmal einen Text zu diesem „empty signifier“ „antideutsch“, der zu nichts dient als zu einer ominösen Diffamierung der Position der Gegenseite, ohne dass man überhaupt ein Argument ausführen müsste. Machen Sie sich doch stattdessen lieber die Mühe zu zeigen, wo ich konkret falsch liege, statt eines ehrlich gesagt sehr, sehr müden „hat in einigen Anmerkungen ja sicher Recht…aber leider antideutsch“.

    Wenn irgendwer irgendwas vernebelt, dann ist es Ihr Kommentar, der im Folgenden leider keinen Bezug zu meinem Text aufweist, sondern sich in Allgemeinplätzen zum Nahost-Konflikt verliert, die ich weder beschrieben noch bestritten habe.

    „Fragen von Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechten etc“ – wer würde widersprechen, dass es auch darum geht? Andererseits: Geht es noch unspezifischer? Ich habe gar keine „Sonderrolle beschwört“, sondern eine historische Herleitung, warum ich glaube, dass der Vorwurf der Einseitigkeit einen politischen Konflikt verschleiert, statt ihn offenzulegen.

    Dass das „eine Form politischer Stigmatisierung ist, die einem Antisemtismus eher in die Hände spielt, als dass sie ihn bekämpfen hilft“, ist allerdings eine steile These, die Sie vielleicht erst einmal belegen sollten, bevor Sie ausgerechnet darüber schwadronieren, was die „Nachfahren des Holocaust“ (count me in) „nicht verdient“ hätten.

    Ich habe meiner Meinung nach etwas mehr „verdient“, als Ihr nichtssagendes Schlagwort „antideutsch“, zu dem ich mich weder bekannt habe, noch zugehörig fühle.

  5. Jetzt haben wir hier auf uebermedien die tolle Tradition des Zweiseitenjournalismus exemplarisch einmal aufgezeigt. Wenn mensch sich Artikel rauspickt, und sie für repräsentativ für die ganze Berichterstattung erklärt, dann sehen alle überall Einseitigkeit. Zweimal einseitig von anderen Seiten macht dann Ausgewogenheit.

    Vielleicht findet sich ja ein Autor oder eine Autorin, der/die da etwas objektiver rangehen kann und zB statistisch auswertet, wieviele Artikel es gab oder welche Reichweite die hatten?

  6. @5 Beide Autoren haben doch aus ihrer Sicht dargelegt, welche Medien aus welchen Gründen wie ausgewogen oder nicht berichten. Keiner der beiden sieht „überall Einseitigkeit“, weder der Autor dieses noch des vorherigen Artikels.
    Und die „objektive statistische Auswertung“ (als wäre das so einfach zu bewerkstelligen…) hätte dann was für einen Nutzen? Die Streitfrage ist doch qualitativer Art.

    Ich stimme indirekt AR zu, wenn er schreibt:
    „Meiner Auffassung nach verbirgt sich hinter diesem Vorwurf in Wirklichkeit eine politische Haltung, die sich als Objektivität tarnt.“
    Nämlich insoweit, dass die meisten Themen einfach eine ehrlich inhaltliche Positionierung benötigen und die tatsächlich nicht rein objektiv berichtet werden können. Objektivität setzt ja ein völliges, allumfassendes Verständnis für den Sachverhalt voraus. Dies kann für einen Verkehrsunfall sicher gegeben sein für gut Informierte, für die Konflikte in Nahost ganz sicher für niemanden.

  7. Danke für diesen pointierten Kommentar der einen Überblick über Stömungen in der Berichterstattung zu den Hamas Massaker und der militärischen Antwort Israels dazu gibt. Jenseits aller inhaltlichen Kritik, die ein Kommentar ja auch provozieren soll, ist das die Form der Artikel für die ich hier bezahle. Sorry, Rosa Post, Pilzzeitungen und Schummi-Gerüchte sind vielleicht ärgerlich. Aber nix worum sich eine Plattform wie Übermedien wirklich kümmern müsste. Ich war schon drauf und dran mein Abo zu kündigen aber ich warte nochmal 3 Monate. Mehr positive Überraschungen wie diese

  8. Lieber Kollege, das Beispiel Al-Ahli herzunehmen, um den Medien einen Anti-Israel-Bias anzudichten, ist gewagt. Wenn Medien ein Ereignis unabhängig einschätzen und einordnen, kann es, zumal in einer Kriegssituation, zu Fehleinschätzungen kommen, die nicht zwangsläufig auf schlechte Berufsausübung zurückzuführen sind. Dass BBC sich nicht entschuldigt hat, ist deshalb nachvollziehbar. Es deutete im ersten Moment alles darauf hin, dass es sich um einen israelischen Luftschlag handelte: Die israelische Armee hatte zuvor das Krankenhauspersonal zur Evakuierung angerufen, es gab bereits Luftschläge in der unmittelbaren Nachbarschaft, auch andere Krankenhäuser wurden getroffen (–> https://www.emro.who.int/media/news/attacks-on-health-care-in-gaza-strip-unacceptable-says-who.html ). Sobald das Dementi der israelischen Regierung und Armee folgte, dominierte dieses sofort alle Schlagzeilen, v.a. in Deutschland. Die Medien haben, wie Sie selbst sagen, ihre Fehleinschätzung berichtigt – und darauf kommt es an. Entschuldigen ist dann angebracht, wenn die Fehleinschätzung aufgrund mangelnder professioneller Standards zustande kam. Dies war nicht der Fall. Aber natürlich: Man riskiert gar nicht erst, daneben zu liegen, wenn man auf das Einordnen ganz verzichtet und nur Pressemitteilungen des Militärs abschreibt – so als ob Kriegsparteien grundsätzlich vertrauenswürdig wären.

  9. Die humanitäre Katastrophe in Gaza wird nach meiner Beobachtung in deutschen Medien durchaus abgebildet, aber teils verspätet und mit deutlich geringerer Priorität. Beim Vergleich mit BBC und CNN ist zu berücksichtigen, dass die international ausgerichteten Kanäle weniger Innenpolitik abbilden. Somit landet Gaza dort fast durchgehend auf der Eins. Eine internationale Leserschaft spricht zum Teil auch der Guardian an, von dem der Artikel behauptet, sein „pro-palästinensicher Kurs“ sei „unbestreitbar“. Ein harter Vorwurf der Voreingenommenheit ohne Belege.
    Bei mir entsteht eher der Eindruck, dass in deutschen Redaktionen die Angst umgeht, genau diesem Vorwurf ausgeliefert zu sein. Jeder Redakteur ahnt, wie schnell der eigene Ruf leiden könnte, wenn man sich in diesem hochsensiblen Spannungsfeld für eine prominentere Platzierung der Notlage in Gaza einsetzt. Die Quellenlage ist schwierig. Korrespondenten gelangen dort nicht hin. Die Redaktionen sind für somit auf palästinensische Kollegen angewiesen. Diese sind selbst betroffen, vermutlich vertrauenswürdig, dürften aber unter Druck stehen. Bei der BBC wurde schon früh die Flucht eines solchen Kollegen mit seiner Familie zum Thema. Solche Geschichten finden sich inzwischen ansatzweise auch in deutschen Medien, man muss sie aber suchen. Viele Medien haben gar keine Kontaktpersonen dort.
    Als in Gaza erstmals die Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmittel erstmals in Frage stand, bestimmte das die Schlagzeilen auf BBC und CNN. In deutschen Leitmedien fand sich zunächst nur die beruhigende Überschrift „Hilfslieferungen eingetroffen“ im Mittelteil. Dass einzelne LkW für zwei Millionen Menschen nicht ausreichen, konnte man später lesen, aber es sprang nicht sofort ins Auge. So etwas bestimmt dann die öffentliche Wahrnehmung. Die verzweifelten Appelle mehrerer UN-Organisationen finden sich irgendwo im Live-Blog, selten auf der Frontseite.
    Weitgehend ausgeblendet werden auch die scharfen Töne aus Israel, da sie nicht ins Narrativ passen. Schon am 8.Oktober waren im internationalen israelischen Nachrichtenkanal i24 Stimmen zu hören, die keinerlei Rücksicht in Gaza forderten. Nethanjahu sprach von Rache. Überlegungen eines rechtsextremen Ministers zum Atomwaffeneinsatz schafften es immerhin zur Randnotiz.
    Die personalisierte Geschichte um eine ermordete junge israelische Frau, die unvorstellbares Leid erfahren hat, war dagegen ein Selbstgänger in den nachrichtlichen Schlagzeilen. Auch die Sorge um Antisemitismus nimmt in deutschen Medien breiten Raum ein. Das ist ein relevantes Thema. Doch hierzu sei aber auch der hochdifferenzierte NYT-Artikel von Masha Gessen empfohlen, wenngleich der Ghetto-Vergleich unglücklich ist. Es braucht die kritischen jüdischen Stimmen von außen, da ein deutscher Autor mit solch einem Artikel sofort Gefahr liefe, selbst dem Antisemitismus-Vorwurf ausgeliefert zu sein. Die feuilletonistische Diskussion um die Preisverleihung lenkt allerdings zu sehr von dem blanken Leid ab, wenn ein Großteil von 2 Millionen Menschen unversorgt unter freiem Himmel in den „safe zones“ auf etwa 4 x 4 km an der Küste von Gaza ums Überleben kämpft. Es ist kein Genozid, es sind Ignoranz und Gleichgültigkeit,die am Ende für Tausende Tote sorgen. Wie wird hier das Leid von Zivilisten gewichtet, denen man nicht pauschal unterstellen kann, sie seien selbst Schuld am Terror der Hamas, der leider anhält? Völlig korrekt führt der Artikel an, dass die Kriege im Jemen und in Äthiopien deutlich weniger Aufmerksamkeit bekamen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. „No jews, no news“? Das ist wiederum zu pauschal. Über Syrien und die Ukraine wurde und wird auch berichtet. Es sind eher die Nähe zum westlichen Kulturkreis, die Entfernung und die geopolitische Dimension.

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