In Hyrule

Wo man die Zuverlässigkeit gedruckter Zeitungen noch zu schätzen weiß

Die Reporter des Kuriers bereisen die ganze Welt und halten uns immer mit den neuesten Nachrichten auf dem Laufenden.
Alle Screenshots: „The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom“

Man hat ganz gut was um die Ohren, als Recke in Hyrule. Als wäre man nicht schon damit ausgelastet, die verschwundene Prinzessin zu suchen, Schätze auszugraben, sich mit Monstern und Konstrukten anzulegen, Schreine und Lichtwurzeln zu aktivieren, das böse Miasma zu bekämpfen und generell die Welt zu retten, wird man dauernd von Mitgliedern der Bevölkerung angequatscht und um Hilfe gebeten: Mal fehlt ein Rezept, mal der Herr Gemahl; hier soll ein Kind betreut, da die Bürgermeisterwahl beeinflusst, drüben ein Dorf wieder aufgebaut werden.

Die erstaunlichste Nebentätigkeit, die einem als edler Recke angetragen wird, ist die eines Aushilfsreporters für die örtliche Tageszeitung. Ein ganzer ausufernder Aufgabenstrang handelt davon, Gerüchten nachzugehen und sich, quasi, als Faktenchecker zu betätigen, in einer Welt, die zwar von den bizarrsten Lebewesen und Nichtlebewesen bevölkert wird, aber bei der man sich darauf verlassen kann, dass in jedem Stall jemand sitzt, der eine Zeitung aufgeschlagen hat und einem davon vorschwärmt, wie gut es ist, damit so gut zu über alles informiert zu sein.

Diese Ausgabe werde ich von vorn bis hinten durchlesen...
Diese Ausgabe werde ich von vorn bis hinten durchlesen....

Es wirkt, als hätte irgendein finanzstarker Weltpresseverband mitten in dieses in jeder Hinsicht fantastische Videospiel hinein einen großen, schnöden Werbeblock für die Vertrauenswürdigkeit von auf Papier gedruckten Nachrichten platziert.

Ich kann die Zeitung erst weglegen, wenn ich jedes einzelne Wort gelesen habe. Die Artikel sind alle so gut geschrieben!

Von der Klatschreporterin zur Chefredakteurin

Das Spiel heißt „Tears of the Kingdom“ und ist die neueste Veröffentlichung in der überaus erfolgreichen und tatsächlich legendären Reihe „The Legend of Zelda“. Seit 1986 erscheinen immer neue Varianten und Versionen. Von „Tears of the Kingdom“ wurden in Deutschland seit Mai dieses Jahres über 600.000 Exemplare verkauft, weltweit sollen es allein in den ersten drei Tagen zehn Millionen gewesen sein.

Auf der Switch-Konsole von Nintendo erkunden die Spielerinnen und Spieler als Held Link eine riesige, offene Welt voller Rätsel und Aufgaben, Herausforderungen und Möglichkeiten. Es gibt genug zu tun für Wochen und Monate. Wenn man sich in entsprechenden Tiktok- oder Youtube-Regionen herumtreibt, kann man leicht den Eindruck bekommen, dass so viele Menschen so ausdauernd damit beschäftigt sind, Hyrule zu retten, dass sich das als Produktionsdelle im Weltwirtschaftsprodukt niederschlagen müsste.

In dieser Welt, in der Monster mit furchteinflößenden Gesichtern, Waffen und Namen marodieren, sind Ställe Orte, die Sicherheit und verschiedene Annehmlichkeiten versprechen. Man kann diese Raststätten schon vom Weiten an den beruhigenden Rauchwölkchen erkennen, die aus ihnen aufsteigen.

Nur der Stall der Orni in Tabanta im Westen Hyrules entpuppt sich beim Besuch als ein Ort, bei dem das übliche Dienstleistungsangebot durch eine Zeitungsredaktion ersetzt wurde. Der ehemalige Stallbetreiber sitzt frustriert vor dem Zelt: Anscheinend hatte eine örtliche Klimakatastrophe sein Geschäft in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. So konnte eine Frau namens Kletis, die im Vorgängerspiel „Breath of the Wild“ noch als mobile Klatschreporterin eine „Gerüchteküche“ betrieb, den Laden günstig übernehmen und darin die Zentrale ihres neuen „Kleeblatt Kuriers“ installieren.

Unser Reporter-Ass ist zurück!

Sie hat ein besonderes Investigativprojekt ins Leben gerufen: Sie will Gerüchten über die verschwundene Prinzessin Zelda nachgehen und gründet dafür einen, sagen wir, Rechercheverbund zwischen Link und ihrem Chefreporter Paen, einem albatrosartigen Riesenvogel. Den trifft man fortan an diversen Ställen im Land im Gespräch mit anderen Besuchern, die aufregende Dinge berichten: Die Prinzessin soll befohlen haben, eine Höhle nur in Unterwäsche zu erkunden, sie soll gesehen worden sein, wie sie auf einem Monster ritt, sie soll sich Gartengeräte ausgeliehen und nie zurückgebracht haben, solche Sachen. Einmal heißt es sogar, sie sei entführt worden!

Der Lohn: eine komplette Kröten-Ausrüstung!

Als Link gehen wir selbstverständlich all diesen Dingen auf den Grund. (Wir kämpfen sogar selbst nur in Unterwäsche gegen die Monster in der Monsterhöhle, wonach sich herausstellt, dass Zelda anscheinend gar nicht „zieht wacker unbekleidet los“ gesagt hatte, sondern „zieht wacker unbegleitet los“, naja.) Die Aufgaben selbst sind angemessen abwegig, aber das eigentlich Verblüffende ist, wie konsequent sie in einen Qualitätsjournalismusdiskurs mit Investigativreporterromantik eingebettet sind.

Je mehr Geheimnisse, umso glücklicher der Reporter!

„Auf der Suche nach Wahrheit“, heißt die Nebenaufgabe offiziell, und Paen ist ganz begeistert, als Link zum Mitrecherchieren angeheuert wird: „Dann können wir gemeinsam als Reporter böse Taten aufdecken und das Licht der Wahrheit erstrahlen lassen!“

Während Paen ein rundum freundlicher gefiederter Kollege ist, betont die zur Chefredakteurin aufgestiegene Boulevardreporterin Kletis gern ihren Karriereaufstieg. Sie erinnert sich sofort, dass Link der Held ist, der Hyrule schon einmal gerettet hat: „Du musst wissen, ich bin jetzt die Chefredakteurin des ‚Kleeblatt Kurier‘“, sagt sie. „Deshalb erkenn ich natürlich alle wichtigen Personen gleich auf den ersten Blick.“

Etwas weniger realistisch ist, dass sie dem Angebot auf Mitarbeit hinzufügt: „Es versteht sich von selbst, dass du das nicht umsonst machen musst. Obwohl das natürlich praktisch für meine Bilanz wäre.“ Link winkt jedenfalls eine „komplette Kröten-Ausrüstung“ (das ist ein Dreiteiler, mit dem man auch im Regen oder bei sonstigen widrigen Witterungsverhältnissen ohne abzurutschen steile Abhänge hochklettern kann – sehr praktisch).

„Get me some news!“, ruft Kletis in der englischen Version ihrem Reporterteam zu (auf deutsch leider nur: „Macht das Beste draus!“). Und das tut wie befohlen.

Zwitscher-Ambivalenz

Mit den Worten „Hallo, Kollege!“ erwartet Paen Link an einem der Ställe: „Hast du auch die kleinen Vöglein die merkwürdigsten Dinge über diesen Stall erzählen hören?“ Und als diese Dinge sich nach einigen Erkundungen erklären ließen, freut er sich: „Das war also die Wahrheit hinter dem Gezwitscher“ – und man muss nicht, aber kann daraus natürlich eine Anspielung auf die Unzuverlässigkeit bestimmter sozialer Medien hören. Andererseits sagt derselbe Paen an anderer Stelle einmal: „Aus Gezwitscher wie diesem sind Zeitungsartikel gemacht.“

Hallo, Kollege! Hast du auch die kleinen Vöglein die merkwürdigsten Dinge über diesen Stall erzählen hören?
Aus Gezwitscher wie diesem sind Zeitungsartikel gemacht. Pass auf dich auf, Kollege. Und jetzt ...

„Gerüchte sind eben mit Vorsicht zu genießen, nicht wahr?“, weiß Paen. „Wir Reporter müssen achtgeben, dass wir nichts Falsches berichten.“

Wir Reporter müssen achtgeben, dass wir nichts Falsches berichten.

Nach jeder Recherche flattert Paen aufgeregt davon: „Ich sollte mich beeilen und einen Artikel darüber schreiben!“, ruft er dann noch, oder: „Ich werde beim Kurier von dieser Angelegenheit berichten. Das wird ein sehr lesenswerter Artikel!“, oder: „Ich werde mich sofort an die Arbeit machen und deine Erkenntnisse zu einem Wahnsinnsartikel verarbeiten!“, oder: „Du hast es mal wieder geschafft, Kollege. Toll, wie du dieser Sache auf den Grund gegangen bist…“

Ich werde beim Kurier von dieser Angelegenheit berichten. Das wird ein sehr lesenswerter Artikel!
Ich werde mich sofort an die Arbeit machen und deine Erkenntnisse zu einem Wahnsinnsartikel verarbeiten! Also dann...
Ich werde dann zur Redaktion zurückkehren und diese Sache zu Papier bringen.

Jedes einzelne Wort gelesen

Kaum einer der vielen Jobs in Hyrule ist so erfüllend wie der des Investigativjournalisten. „Je mehr Geheimnisse, umso glücklicher der Reporter!“, ruft Paen. „Nur weiter so, Kollege! Dann haben wir schon bald etwas für die Titelseite!“

Hinterher berichtet Paen: „Junge, der Artikel über Prinzessin Zelda war ja ein richtiger Reißer.“ Er kann regelmäßig wachsende Bonuszahlungen von der Chefredakteurin auszahlen. „Daran erkennt man deutlich, wie sehr du von Kletis, äh, von unserer Zeitung doch wertgeschätzt wirst“, sagt er. „In ganz Hyrule gibt es wohl keine anderen Reporter, die so gut verdienen wie wir.“

In ganz Hyrule gibt es wohl keine anderen Reporter, die so gut verdienen wie wir...

Das Publikum weiß die sensationellen Recherchen zu schätzen. Die klugen Köpfe, die in den Ställen hinter dem Papier stecken, sagen Sätze wie: „Ich kann die Zeitung erst weglegen, wenn ich jedes einzelne Wort gelesen habe. Die Artikel sind alle so gut geschrieben!“ Oder erklären: „Diese Ausgabe werde ich von vorn bis hinten durchlesen…“

Nur gelegentlich fällt einem der Zeitungsleser auf, dass die Nachrichten, die er gerade aufgeregt zitiert hat, wirklich keine Neuigkeiten mehr waren – war wohl schon ein älteres Exemplar, das er in den Händen hielt.

... Nanu? Diese Zeitung ist wohl doch nicht mehr ganz aktuell.

Jetzt erstmal Urlaub

Die Nebenhandlung endet bei einem Besuch von Link in der Redaktion mit dem begeisterten Ausruf der Chefredakteurin: „Unser Reporter-Ass ist zurück!“ Und dem Satz: „Wir sind alle so erleichtert, dass du die Wahrheit hinter den Gerüchten über Prinzessin Zelda herausgefunden hast.“ Es gibt das letzte Teil der versprochenen Anti-Glitsch-Ausrüstung, und einen emotionalen Abschied von Paen, der wie jeder gute Investigativjournalist nach zwölf Scoops erstmal Urlaub macht.

Und Link kämpft weiter gegen Miasma und Horrorblins und Raubschleime und fliegende dreiköpfige Feuer, Eis und Elektrobritzel speiende Monster, und der Spieler wundert sich über diese bizarre Welt, in der Menschen ihre Informationen aus auf Papier gedruckten Zeitungen beziehen, weil sie wissen, dass da alle wilden Gerüchte von gut bezahlten Reportern vor der Veröffentlichung sorgfältig überprüft werden.

Auf der Suche nach Wahrheit - Geschafft!

4 Kommentare

  1. Es wirkt, als hätte Nintendo mitten in diesen in jeder Hinsicht fantastischen Medien-Blog hinein einen großen, schnöden Werbeblock für eines ihrer Spiele platziert.
    SCNR

  2. @#1 Nintendo hat die „Werbung“ für das Spiel nicht nötig. Das Spiel hat sich bereits millionenfach verkauft.

    Danke für den amüsanten Artikel. Ich musste ein paar Mal schmunzeln. Habe die Nebenquest auch gespielt, aber so zusammengefasst noch nicht betrachtet. Vor allem, weil zwischen den Handlungssträngen viel Spiel war.

  3. sehr amüsanter artikel – danke dafür! mir war am anfang schon aufgefallen, dass die questreihe so einen leichten verschwörungstick hat. dass die chefreporterin neoliberalismus repräsentiert, ist in der japanischen popkultur auch kaum verwunderlich, denn „du kannst es schaffen, wenn du fest daran glaubst (und arbeitest. und kämpfst)!“ ist so ungefähr jede erzählstruktur aller anime/manga.

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