Dieser Tage sind die Nachrichten wieder in alarmrote Rauchschwaden gehüllt. Feuerbilder aus Griechenland, Italien, Kroatien, Algerien reihen sich auf den Startseiten von „Spiegel“ und „Guardian“ wie „Zeit“ aneinander; die „New York Times“ bringt gleich eine ganze Photoserie, die „Tagesthemen“ am Dienstag zeigten gar den aschegrauen Apokalypse-Rest(ab Min. 0:59) aus Algerien als Bild-Hintergrund, die Ausgabe der „Tagesschau“ am Morgen darauf wieder in Orangerot, das „heute journal“ sendet erst norditalienische Regenstürme, dann sizilianische Brände.
Und es ist noch gar nicht so lange her, dass an Stelle der aktuellen Brandherde dystopische Aufnahmen der nordamerikanischen Ostküste von Toronto bis New York City zu sehen waren oder Wassermassen in Berlin oder Saragossa oder Nordindien.
Weil’s hier nur um die Bebilderung der Klimakrise geht, kürzen wir an dieser Stelle mal die große Kausalketten-Erklärrunde rund um „Was haben die Katastrophen mit dem Klima zu tun“ ab: Ja, Hitze alleine verursacht keine Brände, sondern wiederholte Dürreperioden, erschöpfte Bäume und Böden, dazu Wind, machen es Feuern sehr leicht, sich nach Zigarettenkippen-Wegschnipsen oder Funkenschlag auszubreiten. Und ja, die massiven Waldbrände wiederum sind eine Katastrophe für die weltweiten CO2-Werte. Nur mal so: In der erwähnten NYT-Bildergalerie etwa taucht das Wort „climate“ gar nicht erst auf.
Eine komplexe Aufgabe für Redaktionen: die Klimakrise und ihre Folgen zu bebildern, ohne einerseits Zuspitzungen, gefühlte Kausalitäten und damit Falsches oder nicht Nachweisbares zu produzieren und es zugleich zu schaffen, dem Publikum das Ausmaß der Lage vor Augen zu führen – wissenschaftlich fundiert, aber ohne Datendiagramme als einziges visuelles Werkzeug.
Die aktuelle Bildsprache europäischer und nordamerikanischer Medien ist dabei direkt zurückzuführen auf die europäische Romantik im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, genauer: jene Teile des Genres, die sich der dunklen Seite der Landschaftsbetrachtung widmeten. In den Geisteswissenschaften sind Schlagworte wie „Eco-Gothic“, „Toxic Sublime“ oder „Eco-Horror“ längst angekommen – eine Verbindung, die auch Redaktionen für effektive Klimakrisenbebilderung nutzen können.
Weg mit Eisbären-auf-Schollen-Photos
Die britische Tageszeitung „The Guardian“ beschloss schon 2019, ihre Bildsprache zu ändern. In einem Beitrag erklärte die Bildredakteurin Fiona Shields ausführlich, wieso die Redaktion neu darüber nachdachte, wie sie Photos auswählt, um Klimathemen zu illustrieren.
Man wisse, dass Leser:innen Pandas und Eisbären liebten, so Shields, aber einen Eisbären auf einer Eisscholle abzubilden, das sei künftig nicht mehr die naheliegende Wahl. Das erzähle zwar eine Story über die Folgen der Klimakrise – aber wirke entfernt und abstrakt. Als beträfe das Problem die Menschen gar nicht oder sei nicht wahnsinnig drängend.
Als Richtlinie gilt also: Es braucht Bilder, die konkret sind, das Abgebildete muss vertraut und nachvollziehbar sein, eine Situation, in die man sich leicht hineinversetzen kann. Als Aufmacherbild für ihr Erklärstück wählte Fiona Shields ein AFP-Photo aus Portugal: Eine Frau, die vor Waldbränden davon rennt – auf die Photographin zu. Auf ihrem Gesicht ablesbar: Schrecken, Entsetzen, Angst. Sie schaut in die Kamera, sie schreit oder ruft vielleicht etwas.
Keine abstrakte Szene, sondern eine Frau in einer erkennbaren Katastrophensituation: Viele werden nachvollziehen können, was dort, in diesem Dorf in Portugal, passiert – und noch passieren wird. Und zwar bald. So bald, dass die Frau wegrennt, fort von dem lodernden Brand.
Die Entscheidung, die die Redaktion des „Guardian“ getroffen hat, um ihre Berichterstattung über die Klimakrise visuell fortan anders zu begleiten, basierte auf einer Untersuchung: „Climate Visuals“ ist ein Projekt der britischen Lobby-Organisation „Climate Outreach“, ein Team mit Expertise in Psychologie, Umweltschutzwissenschaften und PR. Sie interviewten Fokusgruppen und organisierten eine Onlineumfrage, zeigten dabei Umwelt-und-Klima-Photos – und notierten die Reaktionen. Das Ergebnis der Studie (hier zum PDF) sind sieben Prinzipien, die sich auch in den Argumenten des „Guardian“ wiederfinden: etwa, echte Menschen und lokale Klimaauswirkungen zu zeigen.
Die Strategie von „Climate Visuals“, die der „Guardian“ so detailliert erklärte, hat tiefe Wurzeln in der Landschaftslogik des englischen Romanticism. Photos, die derzeit auf Zeitungstitelseiten, bei Social Media und in TV-Nachrichten auftauchen, um die Berichterstattung über den Klimawandel oder – je nach Framing: die Klimakrise – zu illustrieren, sind direkt verwandt mit Bildern des 18. und 19. Jahrhunderts: jenen, die als Ausdruck der Paradigmen des Erhabenen, des Gothic oder Pittoresken galten.
Birgit Schneider, die eine Professur für etwas so Spezifisches wie Medienökologie innehat, schrieb in ihrem Buch „Klimabilder“ 2018: „Die Erforschung des Klimas nahm ihren Ausgangspunkt in Bildern“ und fängt an mit einem Beispiel von einem, der tief in der Deutsche Romantik verwoben war: Alexander von Humboldts Isothermenkarte von 1817.
Die Natur-Apokalypse der Romantik
Besonders prägend für die europäischen Romantiker, deren Werke unsere Wahrnehmung beeinflussen, waren dabei Natur-Erlebnisse, die frappierend ans Heute erinnern.
„I had a dream, which was not all a dream. / The bright sun was extinguish’d“, beginnt Lord Byrons Gedicht „Finsterniß“ von 1816 (zum englischen Original), dann:
„Die Welt war leer;
Die mächt’ge, völkervolle war ein Klumpen,
Kein Gras, kein Baum, kein Mensch, kein Leben mehr!
Ein Klumpen Tod – ein Chaos harten Thons!
Die Bäche, Seee, Meere standen still;
Nichts regte sich in ihrer stummen Tiefe“
Byrons 200 Jahre alte Zeilen klingen wie aus einem apokalyptischen Klimakatastrophen-Film: keine Sonne, keine Jahreszeiten, keine Bäume oder Menschen, kein Leben. Nichts bewegt sich, nicht die Flüsse, Seen, Meere. Alles leer. Ein Traum, der keiner ist. Oder eben ein Abbild der Klimafolgen heute: Eine Szene, die klingt, als könnte sie jenen Flecken auf Rhodos, Sizilien oder Algerien zeigen – nachdem die Frauen, Männer, Familien längst weggerannt sind, nachdem die Feuerwalze über die Dörfer und Straßen im Hintergrund hinweggegangen ist.
Was Byron damals sah, spielte sich keineswegs in seiner Phantasie ab: Es war das „Jahr ohne Sommer“. Als die Folgen des Ausbruchs des Vulkans Tambora vor Indonesien in Europa angekommen waren. Die Sonne verdunkelt, der Himmel rot-rußig. Die Felder kaputt, die Ernte mehrere Jahre so mager, dass Hungersnot Alltag war. Eine weltweit spürbare und sichtbare Naturkatastrophe – allerdings eben buchstäblich naturgemacht. Viele Künstler:innen hielten damals über Jahre die Tambora-Sonnenhimmel fest; allerdings wohl lange, ohne deren Ursache zu kennen.
In der Zeit, als Byron jenes Gedicht schrieb, begann zudem mit der Industrialisierung auch jene Ära, in der die menschengemachte Umweltzerstörung derart deutliche Spuren hinterließ, dass die Klagen über die schlechte Luft und all den Dreck in England auch in Texten von John Ruskin, Wiliam Wordsworth und ebenfalls bei Lord Byron nicht zu überlesen, auf Gemälden etwa von J.M.W Turner nicht zu übersehen sind (etwa „Rain, Steam and Speed. The Great Western Railway“ von 1844). Die Präsenz der Umweltkatastrophen, egal ob natürlichen Ursprungs oder von Menschenhand mitgemacht, wurde damit integraler Bestandteil der Ära des romanticism.
Wir sparen uns an dieser Stelle, die Konzepte von Landschaft, Umwelt, Natur und Ökologie nuanciert auseinander zu dividieren (schon allein deutsche und englische Begriffe samt Resonanzräume zu vergleichen ist vielschichtig genug für ganze Habilitationen). Einigen wir uns auf: Landschaft ist der vom Menschen wahrgenommene, mitunter auch geformte Ausschnitt von Natur, der je nach Kontext dazu dienen kann, das ökologische Gleichgewicht – und damit auch Ungleichgewicht – zu thematisieren. Umwelt ist in diesem Zusammenhang vor allem das ökologische Framing von Natur.
Gruseln aus Distanz, Gefahr mittendrin
Schon der Ur-Text über „the Sublime“, das Erhabene, liefert die Grundlage für die Gemeinsamkeiten – und die Erklärung für den Effekt von Klimakrisenphotographie. Edmund Burke hält 1757 in seinem Essay „A philosophical inquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful“ fest, dass „das Sublime” Auslöser sei für „the strongest emotion which the mind is capable of feeling“ – stärkere Gefühle schafft der Verstand nicht. Er ergänzt mit Blick auf die spezielle Kraft der Natur, sie rufe Erstaunen hervor, ein Seelenzustand, in dem alle Bewegung aufgehoben sei – und zwar mit einigem Schrecken, „horror“ (Original: „The passion caused by the great and sublime in nature, when those causes operate most powerfully, is astonishment: and astonishment is that state of the soul in which all its motions are suspended, with some degree of horror“, Hervorhebung von Burke).
Das „Erhabene“, das Burke in seinem Aufsatz anpreist als Kern dieses Erschauerns, den „terror“, der „a sort of delightful horror“ auslöst, hat zwei wesentliche Merkmale. Zum einen verschiebt Burke das Schöne auf seine Wirkung. Kurz: Was „erhaben” ist, ist schön, aufgrund seiner terror-Wirkung auf den Geist – und damit auf den Körper. Der Schock also als körperlicher Moment der Selbst-Vergewisserung, als Bestätigung, dass man am Leben ist (Original: „nothing but the sudden awareness of being alive“).
Dass Burke in gleich fünf ausführlichen Kurzkapiteln hintereinander abhandelt, dass und weshalb Dunkelheit ein elementarer Auslöser von „terror“ ist, bestätigt diesen Effekt. Denn sobald – wie etwa auf den orange-rauchigen Photos von New York City bis Rhodos – die Grenzen verschwimmen zwischen Ferne und Nähe, einzelne Objekte nicht mehr klar auszumachen sind, steigt das Potential, Entfernungen wie die gesamte Umwelt falsch wahrzunehmen. Und zu erschauern.
Bei Burke bleibt die Gefahr in sicherer Distanz, sie steckt schon im Raumbezug der Worte „erhaben” und „sublime”. Keine akute Bedrohung für Leib und Leben. Dennoch liefert sein Ansatz visuelle Aspekte, die für den heutigen Kontext fruchtbar sind:
die visuelle Konfrontation mit „terror“, auf dass wir die Gefahr nachempfinden können, wie Wanderer über dem Flammenmeer, womit die „Zeit“ passenderweise schon vor drei Jahren titelte mit Verweis auf Caspar David Friedrichs Gemälde;
im Spiegel dieses Gegenübers zu erschauern, merken, dass man noch am Leben ist, gerade so – aber damit das Szenario des eigenen Endes – sagen wir: vom im Sturm umfallenden Baum erschlagen – immer mitschwingt;
die Dunkelheit, der Dämmer, das visuell Ungefähre als Katalysator des „Sublimen”, Erhabenen;
der weite Blick auf das, was „Landschaft“ – und in der Neufassung „Umwelt“ ausmacht.
Turner-Gemälde neben Buschfeuer-Photos
Wie nah sich die visuelle Sprache der Romantik und die Bilder in den Medien heute sind, lässt sich ganz leicht nachvollziehen: Stellen wir die Bilder doch einfach mal nebeneinander.
Schauen Sie sich zuerst das Gemälde „Ausbruch des Vesuv“ von J.M.W. Turner aus dem Jahr 1817 an (entstanden unter dem Einfluss jenes anderen, erwähnten Vulkanausbruchs).
Und dann Photos aus Australien, entstanden während der Buschfeuer 2020. Aber: Jede aktuelle Bildstrecke taugt genauso gut.
Hier wie dort: Das Rot in allen Schattierungen signalisiert sofort, dass die gewohnt „natürlichen“ Gesetzmäßigkeiten nicht gelten. Himmel, Hintergrund, Vordergrund sind kaum zu trennen, Horizontlinie weg, die Feuer-Rauch-Schwaden vernebeln die Atmosphäre. Bei Turner sind es die Spiegelungen, auf den Photos die Einfarbigkeit, die verhindern, dass man präzise wissen kann, welche Natur-Aggregatzustände man da eigentlich genau gezeigt bekommt. Und unübersehbar: die Gefahr in der Distanz.
Dank der Menschen können wir uns in diese Apokalypsen-Landschaft hineinversetzen. Die einzigen, die die Brandgefahr direkt anschauen: wir. Es ist ein Blick zurück und zugleich nach vorne: auf das Wissen um die Spuren der Katastrophe – und ihre Folgen.
Und jetzt auch noch die Rekordtemperaturen im Nordatlantik. Das Problem: Das Meer ist von Natur aus Landschaft auf Distanz. Womit wir wieder beim „Eisbären auf Scholle“-Topos wären. Die Ozean-Photos, die das „Climate-Visuals“-Team längst zusammengestellt hat, stellen zwar immer die Verbindung zu uns Menschen in den Fokus, wirken aber in ihrer bunten Schönheit geradezu harmlos.
Die Fisch-Apokalypse vor der texanischen Küste macht Eindruck, ist aber aus europäischer Perspektive noch ganz schön weit weg. Welche Bilder uns das Drama rund um den sich wandelnden Golfstrom und die Ozeanerwärmung zeigen können, lernen Redaktionen gerade. Die vielen „Schiff-im-Sturm„-Werke von Turner helfen da kaum . Vielleicht ist es nur folgerichtig, die Bebilderung der baldigen Meereskatastrophe der Künstlichen Intelligenz zu überlassen.
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