Spanien

Der sicher geglaubte Rechtsruck

Spanische Flagge, weit nach rechts verrückt

Der Rechtsruck war ausgemachte Sache. Das Wort stand in vielen Berichten über die bevorstehende Parlamentswahl in Spanien. In den Umfragen lagen die Konservativen deutlich vorn, gemeinsam mit den Rechtsextremen von Vox dürfte es für eine Mehrheit reichen, hieß es, und weil Wahlen bekanntlich immer so ausgehen, wie es Umfragen vorhersagen, konnte man das einfach schon als Tatsache annehmen.

Bei der „Frankfurter Rundschau“, die inzwischen zu den Klickmaximierungsmeistern der Ippen-Gruppe gehört, haben sie deshalb gleich auf den Konjunktiv verzichtet, und einen Artikel zum Thema mit den Worten angeteasert:

„Die rechtsextreme Partei Vox kann nach der Spanien-Wahl mitregieren. Der Rechtsruck in Europa setzt sich dadurch fort. Welche Folgen hat das für die EU?“

In Wahrheit ist gerade Vox ein Verlierer der Wahl: Die Partei verlor 2,7 Prozentpunkte und 19 Sitze. Die konservative PP wurde zwar mit starken Zugewinnen stärkste Partei; aber auch mit Vox zusammen reicht es nicht für eine Mehrheit. Auch die regierenden Sozialisten gewannen Stimmen hinzu. Ihre bisherige Koalition hat aber weniger Sitze als vorher, weil der linke Koalitionspartner Stimmen verlor.

Verwirrenderweise trägt der FR-Artikel einen Zeitstempel von Montag, 4:46 Uhr – zu diesem Zeitpunkt stand längst fest, dass das im Artikel beschriebene Ergebnis nicht eingetreten war. Aber bei Ippen gibt der Zeitstempel offenbar nicht an, wann ein Artikel veröffentlicht oder aktualisiert wurde, sondern nur, was ein guter Zeitpunkt wäre, um bei Suchmaschinen gefunden zu werden.

Was eventuell passiert ist

Aber die FR war nicht alleine in ihrer Gewissheit. „Spanien vor dem Rechtsruck“, schrieb das „Handelsblatt“, „Mallorca zeigt, wohin ganz Spanien steuert – nacht rechts“, wusste die „Berliner Morgenpost“, „Spanien steht vor einem Rechtsruck“, titelte die „Rhein-Zeitung“, „Spanien wählt – und die Erben Francos sind zurück auf dem Weg zur Macht“, berichtete der „Stern“, „Rechtsruck in Spanien: Wahlkampf bei Extremtemperaturen“, meldete „nd“.

Am Wahlabend sah es zunächst aus, als würde sich das wenigstens einigermaßen bewahrheiten. In den ersten Prognosen nach der Schließung der Wahllokale lag die konservative PP sehr deutlich vor den Sozialisten. „Prognosen: Konservative Opposition gewinnt Neuwahl in Spanien“, meldete die Nachrichtenagentur dpa um 20:30 Uhr:

„Rechtsruck in Spanien: Bei der vorgezogenen Parlamentswahl wird die linke Regierung laut Medienprognosen abgewählt, die konservative Opposition setzt sich klar durch. Es besteht nun die Möglichkeit, dass auch die Rechtspopulisten in den Regierungspalast einziehen.“

Und weil Wahlen bekanntlich immer so ausgehen, wie es die ersten Prognosen am Wahlabend vorhersagen, konnte man das einfach schon als Tatsache annehmen. Und so erschienen diverse Zeitungen heute mit Zeilen wie: „Rechtsruck bei Neuwahl in Spanien“ („Stuttgarter Zeitung“), „Spanien vor einem Rechtsruck“ („Hamburger Morgenpost“) oder „Rechtsruck bei vorgezogener Parlamentswahl“ („Darmstädter Echo“). Andere Blätter behielten immerhin den Hinweis, dass sich das nur auf Prognosen bezog, in der Überschrift; die „Kölnische Rundschau“ titelte vorsichtig, aber nicht sehr nachrichtlich: „Spanien eventuell vor Rechtsruck“.

Eventuell auch nicht. „Die Spanier stärken die Mitte“, fasste die SZ heute früh das tatsächliche Wahlergebnis zusammen. Und die Nachrichtenagentur dpa, die am Abend zuvor noch einen „Rechtsruck in Spanien“ vermeldet hatte, berichtete nun: „Der sicher geglaubte starke Rechtsruck wurde jäh gestoppt.“

Blöde Zukunft

Wäre das nicht – mal wieder – eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass zumindest Journalistinnen und Journalisten Dinge nicht „sicher glauben“ sollten? Es geht nicht darum, Meinungsumfragen ganz auszublenden: Natürlich sind sie Indikatoren für eine Stimmung im Land. Natürlich sind sie ein guter Anlass, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was eine mögliche Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei für Spanien und Europa bedeuten würde – oder genauer: bedeuten könnte. Es gehört auch zu gutem Journalismus, die möglichen Folgen eines möglicherweise eintretenden Ereignisses zu diskutieren. Aber es ist schon schwer genug, die Gegenwart zu beschreiben; in die Zukunft zu schauen, ist noch viel schwerer – insbesondere weil sie sich regelmäßig nicht an die Prognosen von Journalisten halten mag, was natürlich eine Unverschämtheit ist.

Das Schlagwort vom „drohenden Rechtsruck“ funktioniert natürlich, um die Aufmerksamkeit eines Publikums zu wecken, insbesondere eines Publikums, das zum ganz überwiegenden Teil mit den Details spanischer Politik nicht vertraut ist, aber auf diese Weise eingeladen wird, sie vor der bekannten Schablone diverser anderer Rechtsrucke zu interpretieren. Die Aufmerksamkeit wird durch Simplizifierung erkauft, die leicht eine Übersimplifizierung ist.

Die Geschichte vom „drohenden Rechtsruck“ war nicht falsch, aber sie war ein so dominantes Narrativ, dass sie viele andere ebenfalls nicht falsche Erzählungen über die Politik in Spanien überschattete. Spätestens wenn aus dem möglichen Rechtsruck ein bevorstehender Rechtsruck wird, und sei es nur ein gefühlter, wäre es gut, sich daran zu erinnern, dass Wahlen von den Wählern entschieden werden.

1 Kommentare

  1. Ach, wo sind sie nur geblieben, die Zeiten, in denen seriöse Medien noch seriöse Medien waren, nicht alles zu einem Übernarrativ machten?
    Dass solch reißerische Zeitungen wie BLÖ…äh…BILD schon immer unseriös waren, war schon immer klar. Dass nun aber schon seit einiger Zeit auch einst seriöse Blätter bei dieser Clickbaiterei mitmachen, ist ein Armutszeugnis für den Journalismus.

    Andererseits sind Fehlmeldungen im Journalismus auch nichts Neues.
    Man denke nur an die Chicago Daily Tribune (später „Chicago Tribune“) vom 03. November 1948, als diese bereits sensationell titelte „Dewey defeats Truman“ und dann noch das herrliche Foto des Wahlsiegers Harry Truman, leicht schadenfroh und glücklich lächelnd genau diese Ausgabe dieser Zeitung in die Kameras der Welt hielt.

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